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Prof. Dr. Leonhard Schweiberer

Am 16.08.2017 ist Prof. Dr. med. Leonhard Schweiberer nach längerer Krankheit und bis zuletzt umsorgt von seiner geliebten Frau Helgard zu Hause friedlich eingeschlafen. Wir haben mit ihm einen Begründer der deutschen Unfallchirurgie, einen Verfechter der ganzheitlichen Chirurgie, einen gebildeten Humanisten und einen vielseitig begabten Menschenfreund verloren.

Sein volles und erfülltes Leben in wenigen Zeilen zu schildern und zu würdigen ist kaum möglich und muss zudem subjektiv bleiben.

Leonhard Schweiberer wurde am 06.11.1930 in Degerndorf/Inn geboren. Er war sich seiner bayerischen Abstammung wohl bewusst und pflegte zeitlebens eine kultivierte bayerische Lebensart. Nach dem Abitur studierte er ab 1951 Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er 1956 nicht nur unter E. K. Frey promovierte, sondern als auch Mitglied der Deutschen Alpinskinationalmannschaft Bayerischer Abfahrtsmeister wurde. Es folgten Jahre in der Pathologie und Inneren Medizin bevor er 1960 nach Homburg/Saar wechselte, um unter Heinrich Lüdeke, einem Schüler von E. K. Frey, seine chirurgische Facharztweiterbildung zu beginnen. Für seine 1968 entstandene Habilitationsschrift „Experimentelle Untersuchungen von Knochentransplantaten …, ein Beitrag zur kausalen Osteogenese“ wurde er von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie mit dem renommierten Von-Langenbeck-Preis ausgezeichnet. 1972 erfolgte die Bestellung zum Direktor der selbstständigen Abteilung für Unfallchirurgie an der Chirurgischen Universitätsklinik des Saarlandes. Er gehörte damit neben Prof. Tscherne (Hannover) und Prof. Burri (Ulm) zum prägenden „Dreigestirn“ der ersten Lehrstuhlinhaber für Unfallchirurgie in Deutschland, die erfolgreich für unsere akademische Anerkennung fochten. Homburg wurde zum Zentrum einer biologisch ausgerichteten Knochenforschung; die zellbiologisch experimentellen und mikroangiografischen Untersuchungen zur Osteogenese z. B. haben uns nachfolgende Forschergenerationen begeistert und stimuliert. Leonhard Schweiberer wurde ein Pionier der biologischen Osteosynthese, heute ein anerkanntes Prinzip, damals in der Periode der überwiegend mechanischen Betrachtung des Knochens ein mutiges Unterfangen.

Sein berufliches Lebensthema wurde ein anderes: der polytraumatisierte Patient, seine Versorgung und daraus abgeleitet die Bewahrung des Faches Chirurgie als Ganzes vor Ort, an den Universitäten und in der wissenschaftlichen Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCh). Bereits im Habilitationsvortrag 1968 referierte er darüber und griff das Thema immer wieder auf, so in seiner Antrittsvorlesung 1983 in München und in seiner Abschiedsvorlesung 1999 und in zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln und Buchbeiträgen. Ihm ging es – bei aller Anerkennung einer notwendigen und fortschrittsorientierten Spezialisierung – immer um die Einheit der Chirurgie in Lehre, Forschung und Krankenversorgung im Interesse des schwer verletzten Patienten als dem Paradebeispiel für eine notwendigerweise ganzheitlich chirurgische und interdisziplinäre Versorgung „aus einem Guss“. So war 1981 die Berufung auf den Lehrstuhl Chirurgische Klinik und Poliklinik Innenstadt an der LMU München nicht nur die ehrenvolle Rückkehr an seine Alma Mater und in seine bayerische Heimat, sondern sie gab ihm auch die Gelegenheit, diese eben skizzierte Überzeugung zu leben und vorzuleben.

Unter seiner Leitung entwickelte sich die Klinik zu einem Zentrum der Polytraumaversorgung mit wissenschaftlichen und klinischen Schwerpunkten in der Pathophysiologie, der Körperhöhlenchirurgie, der Intensivmedizin und der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie. Seine damaligen Vorstellungen einer stufenweisen Versorgung des Polytraumas anstatt der seinerzeitigen Strategie der Rundumversorgung haben sich unter dem Stichwort „damage control“ mittlerweile durchgesetzt. 1983 war die Innenstadtklinik ein Mitbegründer des Traumaregisters der DGU. 1993 entstand auch der Arbeitskreis Notfallmedizin und Rettungswesen, ein interdisziplinärer Arbeitskreis zur Optimierung des präklinischen Rettungswesens. Ein Thema, was ihm sehr am Herzen lag. Aus diesem Arbeitskreis ging wiederum auf seine Initiative hin das Institut für Notfallmedizin und Medizin-Management hervor, das wir 2001 einweihen und in Betrieb nehmen konnten. Diese Leistungen für die Unfallchirurgie wurden nicht überall gesehen und uneingeschränkt gewürdigt. Vielleicht, weil er selbst als Operateur, ungewöhnlich in den 1980er- und 1990er-Jahren für einen universitären Chirurgen, Generalist mit unfallchirurgischem und viszeral-chirurgischem Schwerpunkt war und blieb. Und, so meine Interpretation, weil der berufspolitische Zeitgeist mit der mühsamen Etablierung der Unfallchirurgie als eigenständige Säule des Gesamtgebietes Chirurgie und der nahenden Zusammenführung von Orthopädie und Unfallchirurgie zu einem gemeinsamen Facharzt anders ausgerichtet war.

Gleichwohl war Leonhard Schweiberer ein anerkannter und geachteter Meister unserer Disziplin. Davon zeugen u. a. seine rund 650 Publikationen, zahlreichen Buchbeiträge und Bücher. Er prägte bis 2001 zusammen mit Harald Tscherne als Herausgeber die Zeitschrift Der Unfallchirurg und machte sie zum Organ der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Auch legte er früh mit der Mitherausgeberschaft für die Hefte zur Unfallheilkunde die wissenschaftlichen Grundlagen für den Aufschwung der Unfallchirurgie. Erwähnt sei auch seine Tätigkeit in vielen anderen wissenschaftlichen Zeitschriften, von Der Chirurg bis zu der Münchner Medizinischen Wochenschrift. Er meldete sich zu Wort: bei der AO, in den Gremien der nationalen Fachgesellschaften und in zahllosen Vorträgen auf nationalen und internationalen Kongressen von Chirurgie und Unfallchirurgie. Er stellte sich zur Verfügung: 1985 als Vorsitzender der Vereinigung der Bayerischen Chirurgen, 1981 als Präsident der DGU und der Europäischen Gesellschaft für Notfallchirurgie, 1995 als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteologie, als DFG-Fachgutachter, als medizinischer Berater bei der Schutzkommission des Bundesministeriums des Inneren, im ADAC-ÄrzteCollegium und u. v. a. mehr. Zu Recht wurde er vielfältig geehrt u. a. mit der Max-Lebsche-Medaille der Bayerischen Chirurgen, mit der Ehrenmitgliedschaft der DGCh und der DGU und mit der Ernst-von-Bergmann-Plakette. Er war Träger des Bundesverdienstkreuzes I. Klasse und des Bayerischen Verdienstordens.

Bis zu seinem letzten Arbeitstag in der Innenstadtklinik am 30.04.1999 war Leonhard Schweiberer vorbildlich tätig: als ein den Patienten zugewandter empathischer Arzt, als Chirurg mit klarer Indikationsstellung und ruhiger Hand, als engagierter akademischer Lehrer, als strenger und gerechter Chef und als straffer Organisator mit dem Blick für das Detail, für das Wohl seiner chirurgischen Klinik und des Innenstadtklinikums.

Und danach? Widmete er sich seinem zweiten großen beruflichen Lebensthema, der Äthiopienhilfe. Wir zitieren ihn dazu selbst: „… saß ich [wie] auf Kohlen, weil ich versprochen hatte, nach meinem Ausscheiden [aus dem Ordinariat] sehr bald nach Äthiopien in Ostafrika zu gehen, um das von mir dort initiierte Krankenhaus zu betreuen“ [1]. Schon 1991 war Leonhard Schweiberer erstmals mit Karl-Heinz Böhm in Äthiopien gewesen und hatte das große Elend und die dramatisch schlechte medizinische Versorgung der Bevölkerung erlebt. Er wurde aktiv, behandelte äthiopische Patienten in München, wurde Vorstandsmitglied in der Böhm’schen Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“, suchte Mitstreiter in der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, baute ein Krankenhaus in Mettu im Südwesten Äthiopiens, gab dort Kurse, operierte vor und schaffte es so, aus einer Bruchbude ein Referenzkrankenhaus zu machen. Bald wurden die Aktivitäten auf das 300 km entfernte Universitätskrankenhaus Jimma ausgedehnt, wo u. a. ein Traumazentrum etabliert und ein Kooperationsabkommen mit dem Klinikum der LMU abgeschlossen wurde. Bis heute findet ein regelmäßiger Austausch von Ärzten und Studenten zwischen Jimma und der LMU statt.

Das bleibt, ebenso wie die Fundamente und wegweisenden Konzepte, die er für die Unfallchirurgie in Deutschland mit gelegt und entwickelt hat. Es bleibt auch die Erinnerung an den vielseitig begabten Menschenfreund Hartl Schweiberer mit der Begeisterung für die Berge und das Skifahren, an den aktiven Rotarier, den Mäzen schöner Künste und Kunstschaffenden, an das offene Haus und die Gastfreundschaft der Familie Schweiberer, die Skifahrwochenenden in Davos und die jährlichen Adventskonzerte.

Wir trauern mit seiner Frau Helgard, seinen Kindern, Enkeln, Weggefährten, Freunden und Schülern um diese prägende Persönlichkeit. Prof. Dr. med. Leonhard Schweiberer wird uns unvergessen bleiben.

Für die Herausgeber

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Prof. em. Dr. W. Mutschler,

ehem. Direktor der Chirurgischen Klinik – Innenstadt der LMU München

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Prof. Dr. C. Krettek, Hannover

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Prof. Dr. T. Mittlmeier, Rostock

Für den Springer Medizin Verlag

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A. Sittig