Die Anwendung hochspezifischer gentechnologischer Methoden ermöglicht den Transfer von spezifischen Genen in das Erbgut einer Zelle. Die gentechnisch veränderte Zelle synthetisiert Proteine, die normalerweise nicht oder nur in geringen Mengen von dieser Zelle produziert werden. Diese Proteine können intrazelluläre Steuerungsmechanismen beeinflussen, welche an der Zelloberfläche als Rezeptor exprimiert oder als biologisch aktive Mediatoren sezerniert werden.

Insbesondere die direkte Beeinflussung intrazellulärer Steuerungsmechanismen ist von großer Bedeutung, da dies mit konventionell verabreichten Medikamenten schwierig oder nicht zu erreichen ist. Weiterhin ermöglicht die Gentherapie die langfristige Synthese und Freisetzung von Proteinen, die normalerweise eine kurze Halbwertszeit haben oder oral nicht applizierbar sind. Als Beispiel sei hier die lokale Applikation von rekombinanten Wachstumsfaktoren als ein neues therapeutisches Konzept in der Wundheilung genannt [41, 58]. Da rekombinante Wachstumsfaktoren oral nicht bioverfügbar sind und eine kurze Halbwertszeit besitzen, besteht zur Aufrechterhaltung einer lokal wirksamen Konzentration bisher nur die Möglichkeit der wiederholten lokalen Injektion. Die Transfektion von gewebeständigen Zellen mit spezifischen Genen, die den entsprechenden Wachstumsfaktor kodieren, kann hierzu eine alternative Behandlungsmethode darstellen.

Vorteile der Gentherapie

Verglichen mit der „klassischen“ Medikamententherapie hat die Gentherapie zahlreiche Vorteile (Tab. 1). Der Organismus wird dazu benutzt, sich die Wirkstoffe für seine Heilung selbst herzustellen. Weiterhin entfallen bei der Gentherapie durch die lokale Manipulation von spezifischen Zellen die systemischen Nebenwirkungen, die viele klassische Medikamente aufweisen. Während bei der klassischen Arzneimitteltherapie pharmakologisch wirksame Konzentrationen oft nur durch die wiederholte Verabreichung erreicht werden, können transfizierte Zellen das gewünschte Protein in gleich bleibender Konzentration über einen bestimmten Zeitraum eigenständig synthetisieren. Durch den natürlichen Tropismus einzelner Viren und die Verwendung gewebespezifischer Promotoren kann zusätzlich die Effizienz der Gentherapie gesteigert werden. Werden z. B. gentherapeutisch genutzte Adenoviren zusätzlich mit einem spezifischen Leberpromotor wie Albumin oder Phenylalanin-Hydroxylase gekoppelt, wird das entsprechende Transgen ausschließlich in der Leber exprimiert [40]. Ein weiterer Vorteil der Gentherapie gegenüber der klassischen Medikamententherapie ist die konstante Genexpression über einen längeren Zeitraum. Die meisten konventionellen Arzneimittel haben eine Halbwertszeit von Minuten bis Stunden, während die Halbwertszeit implantierter Gene und die Transgenexpression in Abhängigkeit des Vektors Tage bis Monate beträgt [48, 108].

Tab. 1 Unterschiede zwischen der klassischen „Medikamententherapie“ und der Gentherapie

Hilfsmittel der Gentherapie

Im Rahmen der Gentherapie werden Zellen mit genetischem Material „transfiziert“. Für diesen als Gentransfer bezeichneten Vorgang benötigt man ein Konstrukt, welches das spezifische Gen trägt, den sog. „Vektor“. Durch einen Promotor wird die durch den Gentransfer eingebrachte Fremd-DNA (Transgen) gelesen und ihre Expression initialisiert (Abb. 1), [39, 69].

Abb. 1
figure 1

Für die Gentherapie werden das Transportvehikel (Vektor) und die DNA-Sequenzen von Promotor bzw. Transgen benötigt

Die Wahl des passenden Vektors ist für die Effizienz der Gentherapie entscheidend, da jeder Vektor eine andere Zielzelle bevorzugt. Innerhalb der Vektoren unterscheidet man zwischen viralen und nicht-viralen Vektoren (Abb. 1).

Nicht-virale Vektoren

DNA-Plasmide können mittels direkter Injektion, oszillierenden Tattoo-Nadeln oder mit zusätzlichen Penetrationshilfen wie Goldplättchen oder kationischen Liposomen gekoppelt und in die Zielregion implantiert werden [31, 47, 55, 72, 76, 100]. Die direkte DNA-Applikation mittels Plasmide ist wegen ihrer leichten Handhabung technisch einfach durchzuführen. Allerdings ist die Effizienz des direkten DNA-Transfers mit nicht-viralen Vektoren im Vergleich zu viralen Vektoren deutlich geringer (Tab. 2).

Tab. 2 Vor- und Nachteile der am häufigsten verwendeten Vektoren

Virale Vektoren

Virale Vektoren sind ein sehr effektives Transportmittel für Gene, da das Einschleusen von genetischem Material in die Ziel-(Wirts)zelle essentieller Bestandteil des viralen Lebenszyklus ist. Mit der Verwendung von Viren als Vektoren nutzt man ihre evolutionär erworbene Fähigkeit aus, Gene in Wirtszellen einzubringen. Es werden 2 Typen von Viren unterschieden:

  1. 1.

    Adenoviren integrieren ihr Genom nicht in die DNA der Wirtszelle, sondern platzieren es im Zellkern, damit die DNA dort abgelesen und vermehrt werden kann. Diese extrachromosomale DNA hat den Nachteil, dass sie im Verlauf der Zellteilungen verloren geht und ihr therapeutischer Effekt damit zeitlich begrenzt ist.

  2. 2.

    Retroviren bauen ihr Genom willkürlich in die Erbsubstanz des Wirtes ein. Die Erbinformation ist somit fester Bestandteil der DNA des Wirtes und wird bei jedem Teilungsvorgang der Zelle mitvererbt. Retroviren können für die Gentherapie von chronischen Krankheiten Vorteile aufweisen (Tab. 2).

Zur Vektorherstellung werden diejenigen Gene aus dem Genom entfernt, welche die Virusreplikation regulieren (Abb. 2). Somit verlieren die Viren ihre Teilungsfähigkeit. Zusätzlich werden für Vektoren der neuen Generation diejenigen Gene eliminiert, die für die virale Immunantwort verantwortlich sind (Abb. 2). Durch das Einsetzen eines „Therapiegens“ (Transgen) in die frei gewordenen Bereiche entsteht ein sog. „rekombinanter Virus“.

Abb. 2
figure 2

Durch die Elimination der viralen E1-DNA-Region und das Einbringen des gewünschten Transgens mit einem entsprechenden Promotor entsteht ein rekombinanter, replikationsunfähiger Adenovirus („Adenoviren der 1. Generation“ [16]). Durch das zusätzliche Herausschneiden der viralen E2- und E4-DNA-Region wird die virusinduzierte Aktivierung des Immunsystems signifikant vermindert („Adenoviren der 2. Generation“ [17])

Alle viralen Vektoren haben in Abhängigkeit ihres natürlichen Tropismus (d. h. „rezeptorvermittelt“) eine definierte Spezifität für eine Zielzelle. So transfizieren Retroviren gemäß ihres natürlichen Tropismus Lymphozyten, wohingegen Adenoviren vorwiegend Endothelzellen transfizieren. Durch zusätzliche Modifikation der Virushülle kann diese „natürliche“ Spezifität beeinflusst werden. Dieses sog. „Re-Targeting“ von viralen Vektoren wurde bereits bei Retroviren, Adenoviren und adenoassoziierten Virusvektoren durchgeführt und ermöglicht die Transfektion jeder Zelle [12, 33, 62, 64, 85, 102].

Promotoren

Promotoren sind die „Antriebsaggregate“ für die Genexpression, die die „Umschreibung“ des eingebauten Transgens in die RNA und die anschließende Proteinsynthese steuern (Abb. 1). Nur wenn der Promotor aktiv ist, kann das implantierte Transgen gelesen und aktiviert werden. Der Promotor beinhaltet eine spezifische DNA-Sequenz, die als Erkennungs- und Bindungsregion für die RNA-Polymerase dient. Dieses Enzym bewirkt die Umschreibung der DNA-kodierten genetischen Information in eine Messenger-RNA, wodurch die Synthese des entsprechenden Proteins ausgelöst wird.

In der Gentherapie werden unspezifische oder spezifische Promotoren verwendet. Unspezifische Promotoren bestehen aus einer DNA-Sequenz, die aus einem Virus isoliert wird (z. B. Zytomegalieviruspromotor [66, 75]). Durch den viralen Promotor kann das Transgen von jeder transfizierten Zelle gelesen werden. Im Gegensatz hierzu können auch spezifische endogene Promotoren verwendet werden, die entweder organspezifisch (z. B. hepatozytenspezifischer Promotor Phenylalanin-Hydroxylase) oder funktionsabhängig (z. B. endogener Promotor für Akutphasenproteine [97]) sind (Abb. 1). Die Spezifität und Sensitivität des Gentransfers kann durch Verwendung von Promotoren, die lediglich in bestimmten Zellen oder Geweben aktiv sind, verbessert werden.

Applikation der Vektoren

Grundsätzlich bestehen 2 Techniken, die Vektoren in die gewünschte Zielzelle zu implantieren. In Abhängigkeit von der Lokalisation des Gentransfers unterscheidet man zwischen einem direkten „In-vivo-“ und dem indirekten „In-vitro-“ oder „Ex-vivo-Gentransfer“ (Abb. 3). Beim direkten In-vivo-Gentransfer werden die Vektoren an den gewünschten Ort im Organismus appliziert und dort von den Zielzellen aufgenommen. Beim indirekten In-vitro-Gentransfer werden die Zielzellen aus dem Organismus entfernt und das Transgen implantiert. Der Gentransfer findet ex vivo unter kontrollierten Bedingungen im gentechnologischen Labor statt (Abb. 3). Anschließend kann die Effizienz des Gentransfers ex vivo überprüft werden, bevor die genetisch veränderten Zellen dem Organismus wiederzugeführt werden. Der indirekte In-vitro-Gentransfer ist wesentlich aufwendiger, bietet aber den Vorteil einer höheren Spezifität und Sicherheit. Der Nachteil besteht in der Komorbidität für den Patienten durch die Prozedur der Zellgewinnung und dem Risiko einer Ex-vivo-Kontamination der kultivierten Zellen. Der direkte In-vivo-Gentransfer ist in der Regel weniger invasiv und technisch einfacher. Ein Nachteil besteht in der unspezifischen Transfektion von Zellen am Injektionsort. Die Wahl der entsprechenden Transfektionsmethode hängt von der Erkrankung, der Indikation, der Lokalisation und dem Typ der zu transfizierenden Zielzelle ab [27, 38, 80].

Abb. 3
figure 3

Der Gentransfer kann entweder direkt („in vivo“) oder indirekt („ex vivo und in vitro“) stattfinden. Beim direkten Gentransfer wird der Vektor an den gewünschten Ort im Organismus appliziert. Beim indirekten Gentransfer werden die Zielzellen außerhalb des Organismus transfiziert und diese Zellen an den gewünschten Ort im Organismus reappliziert

Anwendungsmöglichkeiten in der Unfallchirurgie

Bis heute wurden gentherapeutische Konzepte in der Unfallchirurgie vorwiegend in tierexperimentellen Studien untersucht. Hauptanwendungsbereiche sind die gezielte Beschleunigung der Wund- und Knochenbruchheilung, die Regeneration zerstörter Knorpelflächen und die gezielte Neutralisation immunsuppressiver und hyperinflammatorischer Proteine, die im Rahmen einer lokalen und/oder systemischen Entzündung freigesetzt werden.

Wundheilung

In den vergangenen Jahren wurden verschiedene Modelle entwickelt, um die Effekte der Gentherapie in vitro und in vivo zur Beschleunigung der Wundheilung und der Geweberegeneration zu untersuchen. Hierbei fanden v. a. Liposomen und adenovirale Vektoren Verwendung [22]. Da Übereinstimmung besteht, dass Wachstumsfaktoren für eine effiziente Wundheilung notwendig sind, wurden Gene, die Proteine wie „platelet derived growth factor“ (PDGF), „transforming growth factor“ (TGF), oder „fibroblast growth factor“ (FGF) kodieren, im Rahmen der Wundheilung untersucht. An einem Ischämiemodell der Ratte konnte durch den adenoviralen Transfer des PDGF-Gens die eingeschränkte Wundheilung regeneriert werden [53]. Keswani et al. [45] erzielten ähnliche Erfolge in einem murinen Diabetesmodell. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass sich die Wundheilung mit der direkten Applikation von TGF-haltigen Plasmiden signifikant verbesserte [16]. Ebenso beschleunigte die Applikation von Liposomen, die das FGF- oder auch das „Insulin-like growth faktor“ (IGF)-1-Transgen beinhalteten, die Wundheilung sowohl im murinen Diabetesmodell [89], wie auch in einem Rattenmodell der akuten Brandwunde [43].

Eine neuartige Möglichkeit zur effizienten Vektorimplantation in eine Wunde wurde mit der Einführung der sog. „genaktivierten Matrix“ (GAM) geschaffen [18]. Dabei wird der entsprechende Vektor in eine biokompatible und biologisch abbaubare Matrix eingebettet und auf die Wundoberfläche aufgetragen. Die GAM ist so beschaffen, dass sie den Vektor in der Matrix zurückhält, aber gleichzeitig Zellen aus dem Wundgrund ermöglicht in die Matrix einzuwandern, wo schlussendlich der Gentransfer erfolgt. In einem Kaninchenmodell führten PDFG-Plasmide, die in lyophilisiertem Kollagen eingebettet und auf Ischämie induzierte Wunden aufgetragen wurden, zu einer signifikant beschleunigten Wundheilung im Vergleich zu unbehandelten Wunden [95]. Weiterhin konnte mit Adenoviren in „GAM“ die Angiogenese und somit die Bildung von Granulationsgewebe in unterschiedlichen Wundheilungsmodellen gesteigert werden [25].

Bei der plastischen Deckung von Hautdefekten wird die Gentherapie bereits klinisch angewendet. Ein organischer Hautersatz aus genetisch modifizierten Zellen führte zu einer gesteigerten lokalen Synthese von wundheilungsstimulierenden Mediatoren [7, 35]. Weitere experimentelle Studien weisen darauf hin, dass bei lokaler Überexpression von Wachstumsfaktoren wie „vascular endothelial growth factor“ (VEGF) oder PDGF in transfizierten Transplantaten eine beschleunigte Angiogenese [57, 90] bzw. ein schnelleres Einwachsen fibrovaskulärer Zellen erfolgt [26].

Ein anderes Tiermodell konnte zeigen, dass durch die direkte intramuskuläre Applikation von IGF-1-übermittelnden Adenovirus in eine Muskelverletzung zwar dessen Heilung verbessert wurde, jedoch die funktionelle Genesung unvollständig blieb [50].

Frakturheilung

Die Frakturheilung ist in erster Linie von Faktoren wie der adäquaten Frakturstabilisierung und einer ausreichenden Durchblutung der Fragmente abhängig. Zusätzlich spielen bei der Frakturheilung auch Wachstumsfaktoren eine wichtige Rolle. Die wichtigsten Wachstumsfaktoren für die Knochenbruchheilung sind „bone morphogenetic proteins“ (BMP), die sowohl für die Chemotaxis als auch für die Proliferation bzw. Differenzierung von Osteoblasten verantwortlich sind. In tierexperimentellen Defektmodellen wurden segmentale Knochenläsionen durch die lokale Applikation von ex vivo transfizierten Knochenmarkzellen, die den adenoviralen BMP-2-Vektor enthielten, schneller überbrückt als in der Kontrollgruppe [4, 52, 70]. Diese Tierstudien weisen darauf hin, dass die Gentherapie bei der Frakturheilung, insbesondere aber bei Problemfrakturen, eine wertvolle Ergänzung zur operativen Therapie darstellen könnte. Wachstumsfaktoren wie BMP-2, BMP-7 und „growth differentiation factor 5“ (GDF-5) werden derzeit in klinischen Studien erprobt [20, 34, 96].

Auch in der Wirbelsäulenchirurgie könnte die neue Technologie zukünftig eine wichtige Rolle spielen. Die aktuellen therapeutischen Konzepte zur spinalen Fusion instabiler Wirbelsäulensegmente bei Frakturen, Tumoren, Infektionen und degenerativen Veränderungen bestehen in der Implantation von autogenen oder allogenen Knochenspänen bzw. von Metallkörbchen („cages“). Dabei kommt es bei bis zu 40% dieser Patienten zu einer verzögerten oder ausbleibenden knöchernen Durchbauung. Diese unbefriedigenden klinischen Ergebnisse lassen eine lokale Applikation von osteoinduktiven Wachstumsfaktoren auch in der Wirbelsäulenchirurgie als sinnvoll erscheinen. Hierbei stellen die BMP die wichtigste Klasse von Wachstumsfaktoren dar. Erste tierexperimentelle Untersuchungen an spinalen Fusionsmodellen weisen darauf hin, dass durch den lokalen adenoviralen Gentransfer von osteoinduktiven Proteinen wie BMP oder „LIM mineralization protein-1“ (LMP-1) die ossäre Konsolidation der Spondylodese beschleunigt wird [78, 98]. Es ist zu erwarten, dass die moderne Gentherapie in den nächsten Jahren auch für die knöcherne Konsolidierung der Spondylodese bei unterschiedlichen Wirbelsäulenerkrankungen einen bedeutenden Stellenwert einnehmen wird.

Knorpelschäden, Arthritis und Arthrose

Eine besondere Herausforderung ist die Beeinflussung des chronischen Knorpelschadens. In den letzten Jahren sind für dessen Regeneration spezifische Zytokine identifiziert worden. Das inflammatorische Zytokin Interleukin-1 (IL-1) spielt bei der durch die Arthritis induzierten Zerstörung von hyalinem Knorpel eine wichtige Rolle. Der Transfer eines IL-1-Antagonisten wie IL-1-Rezeptorantagonist (IL-1RA) in die Synovia führte bei einem tierexperimentellen Arthritismodell zu einer protektiven Wirkung [6, 28, 68, 73, 74]. Gleiche Effekte wurden durch die intraartikuläre Injektion von ex vivo transfizierten Synovialzellen, die IL-1-RA synthetisieren, beobachtet [5, 28, 46]. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass humane synoviale Fibroblasten, die mit 2 knorpelprotektiven Genen [IL-1RA, Interleukin-10 (IL-10)] transfiziert wurden, die Knorpelzerstörung in einem murinen Arthritismodell signifikant verminderten [73].

Aktuelle Techniken zur Behandlung des Knorpelschadens (Chondrozytentransplantation etc.) führen zur Ausbildung von wenig belastbarem Faserknorpel. Eine neue Technik zur Behandlung von Knorpelläsionen besteht aus der Kombination von „tissue engineering“ und Gentherapie. Hierbei werden autologe Zellen wie mesenchymale Stammzellen aus dem Knochenmark oder Chondrozyten aus nicht tragenden Gelenkzonen isoliert [24, 44], in Kulturen gezüchtet und mit dem gewünschten Wachstumsfaktor transfiziert. Die genetisch manipulierten Zellen werden auf eine biodegradable Matrix (z. B. ein Kollagenvlies) aufgebracht, um anschließend in die entsprechende Knorpelläsion implantiert zu werden. Im Idealfall wird hierbei die degradierte Matrix durch hyalinen Knorpel ersetzt. Mit dieser Technik konnten Knorpeldefekte in tierexperimentellen Studien vollständig beseitigt werden [32, 83, 105].

Sehnenverletzungen

In der Behandlung von ligamentären, Sehnen-, Meniskus- und Knorpelläsionen stellen sich weitere Herausforderungen dar. Insgesamt verfügen diese Gewebe über eine schlechte Gefäßversorgung sowie eine verlangsamte oder stagnierende Zellteilung. Aus diesem Grunde ist die Heilung in diesem Gewebe verlängert und führt meistens zu Narbengewebe oder Defektheilung.

Für die Heilung einer Sehnenruptur spielen ähnlich der Wund- und Knochenbruchheilung verschiedene Wachstumsfaktoren und Zytokine eine wichtige Rolle. In der experimentellen Anwendung bei Sehnen- und Bandrekonstruktionen, mit viralen Vektoren ein beliebiges Transgen lokal zu applizieren, waren wiederum Tierversuche bereits erfolgreich [21, 49, 65]. So konnte schon in frühen Versuchen gezeigt werden, dass der Transfer des BMP-12-Gens in die Sehnenstümpfe eines Mausmodells eine beschleunigte Heilung der durchtrennten Sehne erzielte [59]. Ähnliche Erfolge verzeichneten Martinek et al. [64] in einem Kaninchenmodell der vorderen Kreuzbandplastik, indem sie den tendoossären Übergang der Semitendinosuspräparate mit BMP-2 enthaltendem Adenovirus transfizierten. Dabei zeigte sich eine signifikant erhöhte Integrationsfestigkeit des Implantats im ossären Kanal gegenüber unbehandelten Kontrolltransplantaten. Mit der lokalen Applikation von Liposomen, welche die Gensequenz von PDGF-β enthielten, konnte in verschiedenen Experimenten zur Sehnenheilung eine gesteigerte und damit heilungsfördernde Kollagensynthese nachgewiesen werden [99]. Ebenso ließ sich eine vermehrte Angiogenese des betroffenen Sehnenabschnitts beobachten [71], die sich gleichermaßen in Experimenten zur Haut- [56] und Knochenheilung [91] als heilungsfördernd erwies. Ein negativer Einfluss auf das Migrationsverhalten der zur Heilung notwendigen Effektorzellen konnte bislang nicht nachgewiesen werden [77].

Schädel-Hirn-Trauma und Rückenmarkverletzungen

Das Schädel-Hirn-Trauma (SHT) stellt in den Industrieländern die Haupttodesursache von jungen Patienten <45 Jahren dar [29]. Im Rahmen von Schädel-Hirn- und Rückenmarkverletzungen hat sich gezeigt, dass, ähnlich der Weichteil- und Knochengewebe, weitere Wachstumsfaktoren wie „nerve growth factor“ (NGF), „brain-derived neurotropic factor“ (BDNF), „Neurotrophin-3“ (NT-3), „glia cell line-derived neurotrophic factor“ (GDNF) und „leukemia inhibitor factor“ (LIF) eine wesentliche Rolle spielen. Durch die tierexperimentelle lokale Applikation von transfizierten NT-3-synthetisierenden Fibroblasten, konnten die sensomotorischen Funktionen bei Rückenmarkläsionen verbessert werden [37]. Ähnliche Resultate wurden auch mit BDNF, GDNF und LIF erzielt [8, 14, 60, 61].

Weitere klinische und experimentelle Studien konnten zeigen, dass die komplementvermittelte intrazerebrale Entzündungsreaktion eine ebenfalls wichtige pathophysiologische Rolle bei der Entwicklung der posttraumatischen Blut-Hirn-Schrankenstörung und des sekundären Hirnödems spielt [84]. Tierversuche zur genetischen Transfektion des Komplementinhibitor „complement receptor-related protein y“ (Crry) über einen ZNS-spezifischen Promoter (GFAP) zeigten im murinen Modell des geschlossenen SHT eine signifikanten Reduktion der Blut-Hirn-Schranken-Störung mit einem deutlich verbesserten neurologischen Outcome [79].

Im Gesamtkomplex der zerebralen Inflammationsreaktion nach Schädel-Hirn- und Rückenmarkverletzungen stellen Neurotrophine ebenfalls wichtige Mediatoren für die posttraumatische Reparation und Regeneration von verletztem Nervengewebe dar [13, 23]. Die Gentherapie mit neurotrophen Faktoren wurde zwischenzeitlich erfolgreich an verschiedenen Rattenmodellen der akuten Rückenmarkverletzung angewandt und beschrieben [8, 9, 106]. Hierbei ermöglicht der Gebrauch neuer modifizierter viraler Vektoren die Transfektion von Zellen des zentralen Nervensystems (ZNS). Als Beispiel sei die Verwendung von Amplicon-basierten Bipromotersystemen genannt, welche neben der gewünschten Überexpression des Transgens auch die Kontrolle der Effektivität der Expression über ein Reportergen ermöglichen [106]. Mit dieser Technik wurden erfolgversprechende Resultate durch Transfektion von Zellen des verletzten ZNS mit neurotrophen Faktoren erreicht [93, 106]. Die klinische Anwendung dieses Konzepts ermöglicht nach neuesten Erkenntnissen aus Studien an Primaten neue Innovationen, u. a. im Bereich der Neurotraumatologie [94].

Lokale und systemische Inflammation und Multiorganversagen (MOF)

Die akute Inflammation ist meist mit einer systemischen Entzündungsreaktion („systemic inflammatory response syndrome“, SIRS) verbunden, auf die eine Immunsuppression („compensatory anti-inflammatory response syndrome“, CARS) folgt. Die meisten gentherapeutischen Konzepte zielen darauf ab, antiinflammatorische Zytokine zu produzieren, um die proinflammatorische Zytokinantwort zu neutralisieren [11, 81, 92]. In murinen Endotoxinmodellen konnte durch die intraperitoneale Injektion von Liposomen mit einem IL-10-Plasmid oder einem TNF-Rezeptor-p55-Plasmid die Überlebensrate signifikant erhöht werden [44]. Ein ähnliches Ergebnis wurde mit einem intramuskulär applizierten IL-10-Adenovirus erzielt [67, 103].

Für die Behandlung des akuten Lungenversagens („adult respiratory distress syndrome“, ARDS) konnte in Tierversuchen gezeigt werden, dass die gentherapeutisch induzierte Überproduktion von α1-Antitrypsin [51], Prostaglandinen [17], Heat-shock-Protein 70 (HSP-70 [101]) oder „nuklear-faktor-kB inhibitor“ [10] die lokale Entzündung und die hieraus resultierenden Schäden an Alveolarzellen vermindert wurde. Neuere Untersuchungen zur Behandlung anderer akuter und chronisch-entzündlicher Krankheiten, wie z. B. Pankreatitis [15], Kolitis [54], Arthritis [87, 104] und sogar der Arterosklerose [107] haben gleichermaßen positive Ergebnisse mit der Applikation von adenoviral vektorvermittelten Transgenen erzielen können.

Gefahren der Gentherapie

Obwohl sich die einzelnen Verfahren zur Gentherapie in zahlreichen Tiermodellen und ersten klinischen Studien bereits etabliert und bewährt haben, bestehen trotz konstanter Weiterentwicklung der Produkte vereinzelt Sicherheitsbedenken, v. a. bei der Verwendung von Retroviren. Dabei bezieht sich die Hauptproblematik auf die sog. „Insertionsmutagenese“. Hierunter versteht man die Veränderung eines essentiellen Genproduktes durch stabile Integration der viralen DNA in das Wirtsgenom, die theoretisch ein Malignom induzieren könnte [19]. Eine solche, für eine Leukämie ursächliche, Insertionsmutagenese wurde kürzlich in einer Studie zur Behandlung einer angeborenen schweren Immunschwäche („X-linked severe combined immunodeficiency“, X-SCID) im Rahmen des retroviralen Gentransfer von IL-2-Rezeptor in kindlichen Knochenmarkzellen beschrieben [1, 63].

Neben einer partikel-/dosisabhängigen, oft lokal begrenzten und schwachen Entzündungsreaktion, hängt die allgemeine Immunreaktion des transfizierten Organismus auf Adenoviren im Wesentlichen von der Expression der viralen Proteine ab und kann in seltenen Fällen schwerwiegende systemische Komplikationen hervorrufen [82]. So endete die adenovirusvermittelte Gentherapie bei der Behandlung eines Patienten, der einen angeborenen Mangel des Enzyms Ornithin-Transcarbamoylase (OTCD) aufwies, durch die überschießende Aktivierung des Immunsystems tödlich [3, 88]. Um die Immunogenität der Adenoviren zu reduzieren, wurden bei Adenoviren der 2. Generation die viralen DNA-Regionen E2 und E4 entfernt (Abb. 3 [30]). Diese rekombinanten Adenoviren der 2. Generation weisen eine verminderte Expression von viralen Proteinen auf, wodurch eine geringere Aktivierung des Immunsystems erzielt werden soll [30]. Jüngste experimentelle Erkenntnisse aus neueren adenoviralen Vektoren, wie z. B. dem Cre-loxP-System, zeigen bereits eine verbesserte Transfektionseffizienz mit erhöhtem Tropismus bei insgesamt verminderter Immunreaktion [2].

Gewisse konzeptionelle und methodische Faktoren bleiben jedoch in der Zusammenstellung der Risiken viral vermittelter Gentransfers bestehen. Neben ihrer Eigenschaft als Agens ist die genetische Modifikation durch virale Vektoren oft mit einer großen Latenz verbunden, die letztlich nur in aufwendigen Langzeitstudien ermittelt werden kann. Zusätzlich zum allgemeinen und beruflichen Gesundheitsrisiko durch Ausscheider ist die individuelle Abwehrreaktion des Patienten mit zu berücksichtigen. Ob alternative Gentransferverfahren nicht-viraler Art eine adäquate Alternative bieten, ist gegenwärtig Fokus zahlreicher experimenteller Studien. Erste Erfolge konnten mit alternativen Trägersystemen wie z. B. einem wasserlöslichen Lipopolymer [42], kationische Kortikosteroide [86] oder der sog. „nukleofactor technology“ [36] mit verbesserter Effizienz gegenüber des viralen Gentransfer verzeichnet werden. Letzteres, zeichnet sich durch eine zellspezifische Kombination aus Elektroporation und chemischer Lösungen aus, die vor allem Primärzellen für einen nicht-viralen Gentransfer zugänglich macht.

Fazit für die Praxis

Die Gentherapie kann, wie zahlreiche tierexperimentelle und erste klinische Studien zeigen, die Heilung bzw. Regeneration von Haut, Knorpel und Knochen unterstützen und beschleunigen. Mit der Weiterentwicklung neuer Vektoren und den fortschreitenden Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung werden eine bessere Steuerbarkeit und geringere Immunogenität der viral vermittelten Gentherapie kontinuierlich angestrebt. Gleichermaßen werden alternative Gentransfermethoden nicht-viraler Art in ihrer Effizienz verbessert, um bestehende therapeutische Ansätze zu erweitern. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Gentherapie in den nächsten Jahren bei der Behandlung von Frakturen, Knorpelschäden, Wundheilungsstörungen und Infektionen einen bedeutenden Stellenwert einnehmen wird.

Bei ausreichend klinischer Erprobung könnten dabei prä-, intra- oder postoperativ sowie im Rahmen einer konservativen Behandlung verabreichte Gewebeinjektionen eine viel versprechende Adjuvanz oder sogar Alternative zu bereits etablierten Therapien darstellen.