Was führte mich nach Schweden?

Neben meinem Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum habe ich immer mal wieder unterschiedliche Sprachkurse am Sprachenzentrum der Uni ausprobiert und bin irgendwie an der schwedischen Sprache hängengeblieben; diese habe ich über insgesamt 6 Semester gelernt. Natürlich wollte ich das Gelernte auch ausprobieren und habe daher eine Famulatur und ein halbes PJ-Tertial in Schweden abgeleistet.

Schon als Student bemerkte ich direkt zwei große Punkte, in denen sich der schwedische Krankenhausalltag vom deutschen unterscheidet. Auf der einen Seite sind es die viel flacheren Hierarchien: In Schweden begegnet man sich gern auf Augenhöhe, was schon damit anfängt, dass man sich gegenseitig mit dem Vornamen und dem Pronomen du anspricht. Von Tag eins war es völlig normal, dass ich als Student in den Kaffeepausen zwischen Krankenpfleger und Oberärztin am Tisch sitze und wir über Fußball, Game of Thrones oder was auch immer reden. Bei den Morgenbesprechungen gibt es keine Sitzordnung, und wenn die Klinikchefin mal zu spät kommt, dann nimmt sie halt stehend teil. Das schafft ein in meinen Augen sehr angenehmes und freundliches Arbeitsklima, in dem alle Beteiligten sehr nahbar sind.

In Schweden begegnet man sich gern auf Augenhöhe

Der zweite Punkt ist die Work-Life-Balance, die in Schweden heilig ist. Wer eine halbe Stunde nach Dienstschluss immer noch am Rechner sitzt, wird schon mal mit besorgtem Blick gefragt, was los ist, und ob man irgendwie helfen könnte. Wenn ein Mitarbeiter mal nachmittags zum Elterngespräch in die Schule seiner Kinder muss, dann wird die Stationsarbeit eben so umverteilt, dass der Kollege auch garantiert eine Stunde früher gehen kann. Da kann es schon mal vorkommen, dass der Nachtdienst eine Stunde früher aufschlägt.

Meine Erfahrungen in Schweden haben mir so gut gefallen, dass ich den Kontakt gehalten habe und wenige Monate nach meinem Examen als Assistenzarzt zurückgekommen bin.

Der Weg zur schwedischen Approbation

Der EU sei Dank, hält sich der Papierkram in Grenzen, da Deutschland und Schweden die Abschlüsse und Approbationen gegenseitig anerkennen. Um die schwedische Approbation zu erhalten, müssen neben einer Passkopie die folgenden Dokumente übersetzt und eingereicht werden:

  • Examensurkunde,

  • deutsche Approbationsurkunde samt Bescheinigung der Behörde darüber, dass die Approbation nicht eingezogen wurde,

  • Bescheinigung der Bundesgesundheitsministeriums darüber, dass der Abschluss entsprechend der EU-Regelung [1] gleichwertig zu seinem schwedischen Pendant ist,

  • schwedisches Sprachzertifikat, Niveau C1,

  • ggf. Facharzturkunde.

Wie war der Start?

Mein erster Arbeitgeber wurde das mittelgroße Uniklinikum in Linköping, an dem ich auch schon als PJler tätig gewesen war. Neben den medizinischen ersten Schritten als Arzt, die mir als Berufsanfänger natürlich nicht immer leicht fielen, war auch die Sprache eine Herausforderung. Schwedisch ist als nordgermanische Sprache eine Cousine des westgermanischen Deutschen und mit vielen gemeinsamen Wortstämmen und einer relativ simplen Grammatik für die allermeisten mit deutscher Muttersprache recht einfach zu erlernen. Meine sprachlichen Vorbereitungen noch vor dem Umzug nach Schweden waren Gold wert. Ich konnte schon ziemlich viel geschriebenes und gesprochenes Schwedisch verstehen. Selbst das Schreiben ging recht passabel, und nach wenigen Monaten habe ich mich auch beim Sprechen wohlgefühlt. Nichtsdestotrotz war es im ersten Jahr schon eine mentale Anstrengung, den ganzen Alltag auf Schwedisch zu bewältigen.

Meine sprachlichen Vorbereitungen vor dem Umzug nach Schweden waren Gold wert

Da mir nach anderthalb Jahren in Linköping kein langfristiger Vertrag angeboten wurde, hatte ich ein kurzes 6‑monatiges Gastspiel im Uniklinikum in Stockholm und habe danach meine berufliche Heimat im kleinen Städtchen Eskilstuna gefunden, etwa 90 km westlich von Stockholm.

Die Weiterbildung

Ich arbeite jetzt in einer kleinen Kinderklinik, und die Weiterbildung besteht u. a. aus einer etwa halbjährigen Rotation auf unserer Station mit 15 Betten und einer weiteren auf unserer Neonatologie-Station mit ebenfalls 15 Betten, davon 4 Intensivplätze. Dann gibt es unterschiedliche Blöcke, in denen man in der Ambulanz die unterschiedlichen Schwerpunkte wie Allergologie oder Gastroenterologie absolviert. Von Anfang an wird man natürlich auch in der Notaufnahme eingesetzt. Extern ist darüber hinaus eine dreimonatige Rotation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Pflicht.

Theoretisches Wissen wird in verschiedenen Fortbildungskursen vermittelt. Hat man alle seine Pflichtpunkte abgehakt, kann man nach 5 Jahren die Facharztanerkennung beantragen. Eine obligatorische Prüfung gibt es zwar nicht, doch bietet die Nationale Gesellschaft für Pädiatrie einen freiwilligen schriftlichen Test an, der aus „Multiple-choice-question“(MCQ)- und „Modified-essay-question“(MEQ)-Teilen besteht.

Mein Alltag

Mittlerweile arbeite ich seit 4 Jahren in der Kinderklinik in Eskilstuna. Als Assistenzarzt kurz vor der Facharztreife bin ich momentan Mädchen für alles und helfe v. a. auf der Station, in der Tagesklinik und in der Notaufnahme aus. Circa jede vierte Woche habe ich entweder eine Dienstwoche mit einem Tagdienst am Wochenende von 13 h plus 2 Nachtdiensten von je maximal 17 h oder eine Dienstwoche mit 3 Nachtdiensten. Die restlichen Tage der Woche sind komplett frei. In einer Nacht sehe ich üblicherweise zwischen 5 und 20 Kindern. Bin ich auf der Station, teilen wir uns die Arbeit oftmals zu dritt oder zu viert. In der Ambulanz habe ich zwischen 45 und 60 min Zeit pro Patient:in.

Als Assistenzarzt kurz vor der Facharztreife bin ich momentan „Mädchen für alles“

Seit etwa 2 Jahren betreue ich Medizinstudierende, die bei uns ihre klinischen Praktika von 2 Wochen absolvieren, und es macht mir wirklich Spaß, die angehenden Kolleg:innen für die Pädiatrie zu begeistern. Darüber hinaus bin ich verantwortlich für die Einführung von Ärzt:innen anderer Fachrichtungen, die bei uns eine Rotation absolvieren. Diese kommen z. B. aus der Allgemeinmedizin, der Infektiologie oder der Klinischen Notfallmedizin (hier in Schweden eine eigene Fachrichtung).

Außerdem gehöre ich einer Taskforce, die für das soziale Wohlbefinden der Ärzteschaft in unserer Klinik verantwortlich ist, an und wir organisieren z. B. mal einen Bowlingabend nach der Arbeit oder gleich einen ganzen Wandertag in den Wäldern, einschließlich anschließender „Rehydrierung mit 5 %igem Ethanol“.

Mein Privatleben

So wohl ich mich in Eskilstunas Kinderklinik fühle, so unwohl fühlte ich mich in der Stadt Eskilstuna als Wohnort mit ihren 100.000 Einwohner:innen. Dort ist für meinen Geschmack zu wenig los, und nach einem Jahr bin ich zurück nach Stockholm gezogen und begann, die 90 km zu pendeln. Die 90 min von Tür zu Tür nehme ich gerne in Kauf, wenn ich dafür all das genießen kann, was eine europäische Hauptstadt so zu bieten hat: Museen ohne Ende, Konzerte und Events das ganze Jahr sowie alle möglichen Restaurants, die man sich wünschen kann.

Und will ich mal raus in die Natur, steige ich in einen Zug oder einen Bus, fahre 40 min und bin mitten im Nirgendwo (Abb. 1). Ich versuche tatsächlich, so viel wie möglich wandern zu gehen, am liebsten tief im Wald an einem See mit Zelt und Lagerfeuer. Alternativ dazu fahre ich gern mal auf eine der vielen vorgelagerten Inseln, auf denen ebenfalls Wandern und Zelten möglich sind. Als Verkehrsmittel dient eine der vielen Fähren, jedoch bin ich auch schon mit dem Kajak zu verschiedenen Inseln gepaddelt.

Abb. 1
figure 1

Wenn ich mal mehr als nur ein Wochenende frei habe, fahre ich auch gerne weiter weg und erkunde andere Ecken in Schweden wie den Hochküstenweg: Ein 130 km langer Wanderweg, der seinem Namen alle Ehre macht

Was ist weniger gut?

Wie eingangs schon erwähnt, begegnet man sich in Schweden gern auf Augenhöhe, was auch mit sich bringt, das sich beispielsweise bei dienstlichen Besprechungen jeder bei allen Themen einbringen kann. Das hat mitunter zur Folge, dass Entscheidungswege träge und langsam sein können, weil wirklich alle die Chance haben sollen, ihre Meinung zu sagen und Beschlüsse so bedeutend später gefasst werden, als das vielleicht in Deutschland geschehen würde. Damit kann ich aber gut leben.

Weil alle mitreden dürfen, können Entscheidungswege träge und langsam sein

Da ich persönlich nie in Deutschland als Arzt gearbeitet habe, kann ich nur begrenzt Vergleiche ziehen, was den klinischen Betrieb an sich betrifft. Ich habe mehrere Kolleg:innen, die mitten in ihrer Karriere nach Schweden ausgewandert sind, und von denen sind einige der Meinung, dass die Fallzahlen in Schweden so deutlich niedriger sind, dass sich das auch negativ auf die Qualität der ärztlichen Weiterbildung im Vergleich mit Deutschland niederschlage. Das kann ich, wie gesagt, nur schwer beurteilen.

Ich höre von Zugezogenen immer mal wieder, dass sie die Schwed:innen als verschlossen und distanziert erleben, was ich so nicht ganz bestätigen kann. In meinem Freundeskreis tummeln sich allerlei Menschen aus Schweden und der ganzen Welt gleichermaßen. Vielleicht dauert es für einige etwas länger, Freundschaften zu Schwed:innen aufzubauen, doch wenn man mit einer freundlichen, offenen Einstellung auftritt, selbst die Initiative ergreift und After-Work-Events organisiert oder sich beispielsweise in einem Verein engagiert, findet man ganz sicher Anschluss.

Mein Fazit

Ich fühle mich sowohl beruflich als auch privat sehr wohl in Schweden und kann mir momentan eine Rückkehr nach Deutschland überhaupt nicht vorstellen. Auch wenn es nicht immer ganz einfach war, bin ich wirklich froh darüber, dass ich den Schritt gewagt habe, und würde jedes Mal wieder so entscheiden.

Tipps für Nachahmer:innen

Auch in Schweden herrscht Mangel beim ärztlichen Personal, und Deutsche sind allgemein gern gesehen, ganz besonders mit einer Facharzturkunde. All jenen, die es vielleicht nach Schweden zieht, möchte ich empfehlen, früh mit dem Erlernen der Sprache zu beginnen. Die aktuellen Infos zum Beantragen der schwedischen Approbation findet man auf der Homepage des Sozialministeriums (Socialstyrelsen). Den Großteil des Gesundheitssystems organisieren die sog. Regionen, die in etwa den deutschen Bundesländern entsprechen. Die meisten Ärzt:innen sind direkt bei einer Region angestellt, weswegen die Websites der Regionen eine gute Quelle für Stellenangebote sind. Man kann auch Mitglied im Ärzteverbund werden (Sveriges Läkarförbund) und einen Newsletter mit Jobannoncen beziehen. In der Vergangenheit habe ich sogar das eine oder andere Angebot in ländlichen Gefilden gesehen, das sich explizit an ausländische Fachärzt:innen wandte, mit einem ausführlichen Introduktionsprogramm, einschließlich Sprachkursen, Hilfe bei der Wohnungssuche sowie Unterstützung bei der Suche nach einem Job für die Partnerin oder den Partner.