Neurofibromatose Typ 1 (NF1) stellt mit einer Inzidenz von ~1:2500 eine der häufigsten seltenen Erkrankungen dar. Es handelt sich um ein Tumorprädispositionssyndrom, mit Prädilektion für Tumoren im Bereich des Nervensystems. Betroffene können aber an diversen anderen Manifestationen, wie orthopädischen Problemen und neuropsychologischen Defiziten, leiden. Die Früherkennung typischer Symptome ist für die Diagnosestellung entscheidend. Das hier präsentierte Dokument soll unter Berücksichtigung bestehender Guidelines die Vorsorge von Kindern und Jugendlichen mit NF1 in Österreich vereinheitlichen.

Hintergrund

Neurofibromatose Typ 1 (NF1) ist bedingt durch eine konstitutionelle pathologische Veränderung am NF1-Gen auf Chromosom 17, welches für den Tumorsuppressor Neurofibromin kodiert. Kommt es zu einem somatischen Verlust des zweiten Allels, führt dies zu einer Überaktivierung des MAP Kinase-Signalweges (englisch: „mitogen-activated protein kinase pathway“) und somit zu einem unkontrollierten Zellwachstum. Jedoch wird diskutiert, ob auch der heterozygote Background (NF1−/+) in den restlichen Zellen des Körpers zum Phänotyp beitragen könnte. Mit einer Inzidenz von ca. 1 auf 2500 Lebendgeburten [1] handelt es sich zwar um eine seltene Erkrankung (weniger als einer von 2000 Menschen ist betroffen), aber es leben somit doch ca. 3500 Menschen mit NF1 in Österreich. Der Erbgang ist autosomal-dominant, d. h., es besteht für Kinder von Menschen mit NF1 eine Wahrscheinlichkeit von 50 %, ebenfalls betroffen zu sein. Wenngleich die Penetranz bei 100 % liegt, so kann der Verlauf der Erkrankung jedoch stark variieren, von sehr milden bis hin zu schwer beeinträchtigenden Verläufen [1].

Neben den Tumormanifestationen, die v. a. das Zentral- und periphere Nervensystem betreffen (z. B. Sehbahngliome [„optic pathway glioma“, OPG], niedriggradige Gliome [LGG], hochgradige Gliome (HGG), (sub-)kutane Neurofibrome [cNF], noduläre oder plexiforme Neurofibrome [PN], maligne periphere Nervenscheidentumoren [MPNST]), können sich Neoplasien auch in weiteren Organsystemen entwickeln (z. B. Brustkrebs, gastrointestinale Stromatumoren [GIST], nichtossifizierende Fibrome [NOF], Phäochromozytome, Paragangliome, Glomustumoren der Finger, juvenile myelomonozytäre Leukämie [JMML]) [2].

Neben den onkologischen Manifestationen kann jedoch noch eine Vielzahl an weiteren Symptomen bzw. Komplikationen auftreten. Etwa die Hälfte aller Menschen mit NF1 leidet an neurokognitiven Defiziten, insbesondere Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Lernschwierigkeiten, Hyperaktivität oder Teilleistungsschwächen (v. a. im visuell räumlichen Bereich), jedoch ist NF1 auch mit einer Autismus-Spektrum-Störung oder psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen assoziiert [3]. Häufig treten auch orthopädische Symptome auf, die im Alltag massiv beeinträchtigend wirken können und meist im Kindesalter apparent werden, wie eine Skoliose (teilweise rapid-progredient, dysplastisch), Makrozephalie bzw. deutlich seltener kongenitale Verkrümmungen der langen Röhrenknochen (z. B. Tibia-Dysplasien oder -pseudoarthrosen) oder Keilbeinflügeldysplasie.

Dies führt dazu, dass Menschen mit NF1 das (im Einzelfall unvorhersagbare) Risiko in sich tragen, eine schwere gesundheitliche und psychosoziale Beeinträchtigung davonzutragen. Die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, liegt bei knapp 60 %, und die Lebenserwartung ist um etwa 10 bis 15 Jahre herabgesetzt [1, 10]. Im Mittel schließen Betroffene die Schule später ab, sind häufiger arbeitslos und leiden oft an einer Vielzahl von Symptomen, die sich negativ auf die Lebensqualität und die psychosoziale Interaktion auswirken [4, 7].

Bisherige Richtlinien

In einer gemeinsamen Anstrengung innerhalb des Europäischen Referenznetzwerks für Tumorprädispositionssyndrome (ERN GENTURIS) gelang in einem Delphi-Prozess unter NF1-Expert:innen und assoziierten Organfächern sowie Patientenvertreter:innen die Erstellung von Richtlinien für das Management von NF1-assoziierten Tumormanifestationen, welche rezent publiziert wurden [2]. Diese Guidelines adressieren Sehbahngliome, Gliome außerhalb der Sehbahn bei Kindern und auch bei Erwachsenen, plexiforme Neurofibrome, inkl. periorbitale PN, atypische NF und MPNST, kutane NF, Brustkrebs, GIST, Phäochromozytome, Paragangliome, JMML und Glomustumoren der Finger. In dem Konsensuspapier wurde festgehalten, welche Screeninguntersuchungen für die jeweiligen Tumorentitäten (vor bzw. nach deren Diagnose) empfohlen werden, ob die Behandlungsstrategie von der bei sporadischen Tumoren abweicht, und welche psychologischen Begleitaspekte hierbei zu beachten sind [2].

Wenngleich diese Guidelines erstmalig eine vereinheitlichte Strategie für das Tumormanagement bieten, so decken sie jedoch bewusst nicht die multiplen nichtonkologischen Manifestationen ab. Dies nicht zuletzt auch daher, weil die Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit NF1 auch sehr von den jeweiligen Strukturen im Gesundheitswesen der einzelnen Länder abhängt. Zwar gibt es vereinzelte nationale Guidelines, wie etwa in Frankreich [1], Großbritannien [5] oder den USA [9], jedoch stellen auch diese mehr Literatur-Reviews als Handlungsanleitungen dar. Obgleich international daran gearbeitet wird, in Zukunft Richtlinien für einzelne Bereiche (z. B. genetische Abklärung, orthopädische Manifestationen, Transition etc.) zu erstellen, so wird dies aufgrund der Komplexität voraussichtlich einige Jahre in Anspruch nehmen.

Methodik

Das österreichische Neurofibromatose-Netzwerk, welches sich 2021 aus Expert:innen (aus dem pädiatrischen sowie adulten Setting) und Vertretern der Patientenorganisation NF Kinder konstituierte, machte es sich daher zum Ziel, gemeinsam einen kurzen und übersichtlichen, praxis- und biopsychosozial orientierten Vorsorgebogen zu schaffen. Dieser sollte auf bestehenden Leitlinien aufbauen und etwaige Lücken schließen, entsprechend den Best-Practice-Empfehlungen der beteiligten Expert:innen, welche den hohen Standards des österreichischen Gesundheitssystems entsprechen.

Ein erstes, durch das NF Kinder Expertisezentrum in Wien erstelltes Konzept wurde im November 2021 präsentiert, basierend auf einer Vorlage eines bestehenden Vorsorgebogens der Medizinischen Universität Graz. Dieser Entwurf wurde im Zeitraum bis März 2023 im Zuge zahlreicher persönlich sowie virtuell abgehaltener Treffen und Diskussionen von den Expert:innen des NF Netzwerks (den Autor:innen dieses Konsensuspapiers) gemeinschaftlich adaptiert. Nach Durchführung der entsprechenden Anpassungen und einer sorgfältigen Überprüfung wurde der entstandene Vorsorgebogen schließlich von allen Expert:innen freigegeben.

Pädiatrischer NF1-Vorsorgebogen für Österreich

Der Vorsorgebogen richtet sich an medizinisches Fachpersonal, welches Kinder und Jugendliche mit NF1 in Österreich betreut. Die Betreuung von Menschen mit NF1 sollte wohnortnah von Fachkräften mit Expertise für diese Erkrankung erfolgen (meist in entsprechenden Spezialambulanzen). Bei Notwendigkeit kann das überregionale NF Kinder Expertise Zentrum in Wien für Fallbesprechungen (NF Board, Pädiatrisch neuroonkologisches Board, s. unten) kontaktiert bzw. Patient:innen können an dieses überwiesen werden. Die Koordination der weiteren Betreuung soll jedenfalls auch den extramuralen Bereich (z. B. bezüglich Bildgebung, funktioneller Therapien etc.) miteinbeziehen.

Der Vorsorgebogen (Abb. 1 und 2) gliedert sich in die Bereiche Klinische Untersuchung (Klinik), Labor, Bildgebung (Radiologie) und Konsiliaruntersuchungen (Konsil). Neben den einzelnen Punkten findet sich eine Spalte mit den vorgesehenen Intervallen (mit einer Unterscheidung für Kinder unter und über 8 Jahren) sowie den als sinnhaft erachteten Zeitpunkten der Untersuchung (Erstvorstellung, Routine-Kontroll-Untersuchungen, Transition in das Erwachsenen-Setting).

Abb. 1
figure 1

Vorsorgebogen für Kinder und Jugendliche mit Neurofibromatose Typ 1 (NF1) in Österreich, Seite 1: Auflistung der nötigen Kontrollen bzw. Untersuchungen in den Rubriken Klinik, Labor, Radiologie und Konsil. In den Spalten sind die geplanten Intervalle (bei Kindern > 8 und < 8 Jahren) sowie mögliche Zeitpunkte (Diagnosestellung, Routinekontrolle und Transition) angeführt

Abb. 2
figure 2

Vorsorgebogen für Kinder und Jugendliche mit Neurofibromatose Typ 1 (NF1) in Österreich, Seite 2: Die zweite Seite des Bogens bietet die Möglichkeit, die durchgeführten Untersuchungen mit den entsprechenden Zeitpunkten einzutragen

Trotz des sehr kompakten Vorsorgebogens wurde es als wichtig erachtet, auf gewisse Details nicht zu verzichten, auf welche auch in einzelnen Punkten des Vorsorgebogens Bezug genommen wird. Hierzu gehören:

  • Die klinischen Zeichen für die Entwicklung eines MPNST: schnell wachsende oder schmerzhafte Knoten, neu aufgetretene neurologische Ausfälle, Veränderung der Konsistenz (z. B. neuer Knoten in weichem Neurofibrom).

  • Die Auflistung von heute bekannten Hochrisikokriterien für MPNST (es reicht, wenn eines dieser Kriterien erfüllt ist): ein vorhergegangenes atypisches Neurofibrom (ANNUBP), eine hohe interne Tumorlast bzw. große oder multiple plexiforme Neurofibrome, ein Zustand nach Strahlentherapie, ein Verwandter mit NF1 und MPNST, das Vorliegen einer NF1-Mikrodeletion (inkl. SUZ12) oder eine Missense-Variante betreffend die Codons 844–848.

  • Die Indikationen zum Schädel-MRT: bei V. a. Sehbahngliom (z. B. Visus unter Altersnorm, Papillenblässe/-schwellung). Bei mangelnder Compliance ab ca. 2. Lebensjahr. ein- bis 2‑jährlich je nach Verlässlichkeit der ophthalmologischen Untersuchung. Weiters wird darauf hingewiesen, dass ein unauffälliges MRT (bei Kleinkindern) ein OPG in Zukunft nicht ausschließt!

Im Block Klinik werden die regelmäßigen Untersuchungen bei den Routinekontrollen definiert: klinische Kontrolle, Anamnese (mit spezifischer Frage nach Symptomen eines ZNS-Tumors bzw. eines MPNST), Neurostatus, Pubertätsstatus, Auxiologie (Körperlänge, Gewicht, Kopfumfang), Blutdruckmessung und ein Hautstatus. Insbesondere wird auch darauf verwiesen, dass die regelmäßigen kinderfachärztlichen Kontrollen und Impfungen laut Eltern-Kind-Pass/Impfplan empfohlen werden.

Unter Labor werden die (in der Praxis seltenen) Blutuntersuchungen angeführt (Blutbild, Serumchemie, Vitamin D3, Hormonstatus, Metanephrine im Blut). Lediglich die genetische Untersuchung im Blut (die auch 2021 in die neuen Diagnosekriterien aufgenommen wurde [8]) wird ab der Verdachtsdiagnose empfohlen und sollte durchgeführt werden, falls bisher noch nicht erfolgt (d. h. bei bislang rein klinischer Diagnose der NF1). An Differenzialdiagnosen wie ein Legius-Syndrom (SPRED1-Mutation) oder ein konstitutionelles Mismatch-Repair-Defizienz(CMMRD)-Syndrom muss gedacht und diese müssen evtl. zeitgleich abgeklärt werden. Damit einher geht entsprechend auch eine humangenetische Beratung der Familie. Da vermehrt auch Genotyp-Phänotyp-Korrelationen bei NF1 beschrieben werden, hat die Kenntnis der Mutation u. U. auch eine klinische Implikation für einzelne Patient:innen [6].

Der Block Radiologie umfasst die vorgeschlagenen Bildgebungen und deren Indikationsstellung/Zeitpunkte. Eine Sonographie (Abdomen, Retroperitoneum, evtl. Nervensonographie) sollte als einmalige Ausgangsuntersuchung erfolgen; für eine jährliche Wiederholung, wie sie bis jetzt in Österreich oft vorgeschlagen wurde, fehlt die nötige Evidenz. Die Empfehlung der initialen Abdomenultraschalluntersuchung spiegelt einen österreichischen Expertenkonsensus wider. Die Indikationen bezüglich einer MRT des Schädels sind weiter oben bereits aufgeführt. Bezüglich eines MRT-Screenings des Gehirns ist festzuhalten, dass dieses gemäß internationalen Guidelines nur durchgeführt werden soll, wenn eine sinnvolle Visusbestimmung aufgrund des Alters und möglicher Aufmerksamkeitsprobleme nicht möglich bzw. nicht vertrauenswürdig ist. Aufgrund des jungen Risikoalters für Sehbahngliome und der häufigen NF1-assoziierten Aufmerksamkeitsstörung wird an den meisten Zentren in Österreich bei kleinen Kindern eine MRT (in Sedierung) angeboten. Neu ist, konform zu den ERN GENTURIS Guidelines, die Durchführung einer Ganzkörper(GK)-MRT am Übergang ins Erwachsenenalter, um die Last an internen Neurofibromen und das Folgerisiko an MPNST (und die Notwendigkeit von weiteren GK-MRT) besser abschätzen zu können. Bei Verdacht auf einen malignen Prozess sind MRT der betroffenen Region sowie ein FDG-PET/MRT oder PET/CT indiziert. MR-Angiographien sind bei Verdacht auf Moyamoya (zerebrale Gefäße) oder Bluthochdruck (Nierenarterien) sinnvoll.

Der letzte Abschnitt Konsil umfasst ein breites Spektrum. Die ophthalmologische Untersuchung ist aufgrund des Risikos von Sehbahngliomen besonders wichtig (immer bester korrigierter quantitativer Visus und Fundusuntersuchung; optische Kohärenztomographie und Perimetrie sobald möglich). Orthopädische Kontrollen sind wegen möglicher Skoliosen oder Tibia-Dysplasien indiziert. Eine Vorstellung an einer pädiatrischen Onkologie sollte frühzeitig bei V. a. Neoplasien z. B. Gliom, PN, JMML erfolgen. Eine endokrinologische Betreuung soll z. B. bei Pubertas praecox durchgeführt werden. Gynäkologische Untersuchungen werden ab der Pubertät vorgeschlagen. Die plastische Chirurgie (z. B. Nerventumoren) oder Kinderchirurgie (z. B. bei Trichterbrust, Tumoren) wird ebenso wie die Dermatologie bei spezifischen Fragestellungen zugezogen. Selbiges gilt für EKG/Herz-Echo oder EEG, die nur bei Symptomatik indiziert sind. Von psychosozialer Seite wird Folgendes vorgeschlagen: eine routinemäßige neuropsychologische Diagnostik im Vorschulalter (4 bis 5 Jahre) sowie vor Übertritt in die Sekundarstufe I (in der Regel 9 Jahre), weiters bei neurokognitiven Defiziten und/oder schulischen Schwierigkeiten; eine psychologische Betreuung der Patient:innen und Familien im Verlauf der Erkrankung (z. B. bei Diagnose-Eröffnung oder in belastenden Situationen); eine sozialarbeiterische Beratung, betreffend soziale Unterstützungsleistungen. Eine Fallbesprechung in einem interdisziplinären NF-Board bzw. einem pädiatrisch neuroonkologischen Tumorboard soll bei Indikationsstellung erfolgen. Diese Boards werden seit den Jahren der COVID-19-Pandemie nun auch virtuell am NF Kinder Expertisezentrum in Wien durchgeführt und ermöglichen dadurch Case-Manager:innen aus anderen Zentren und Bundesländern die Vorstellung von Patient:innen. Der Bedarf für eine NF-spezifische Rehabilitation oder Onkorehabilitation sollte erwogen werden. Nicht zuletzt ist es wichtig, die Betroffenen und ihre Familien in Kontakt mit der Patientenorganisation (in Österreich der Verein NF Kinder [www.nfkinder.at]) zu bringen, die mannigfaltige Unterstützungs- und Vernetzungsmöglichkeiten sowie Online- und Offline-Aufklärungsangebote anbietet.

Die zweite Seite des Vorsorgebogens bietet die Möglichkeit, die durchgeführten Untersuchungen mit den entsprechenden Zeitpunkten einzutragen (falls die Krankenakte noch auf Papier geführt wird).

Sobald der Vorsorgebogen publiziert ist, wird er auf den Homepages des NF-Kinder Expertisezentrums (www.nf-zentrum.at) und der Patientenorganisation NF Kinder (www.nfkinder.at) abrufbar sein.

Fazit für die Praxis

Der neu erstellte Vorsorgebogen für Kinder und Jugendliche mit NF1 bietet dem Gesundheitspersonal einen schnellen und einfachen Überblick über notwendige bzw. sinnvolle Kontrollen und Untersuchungen. Das Ziel ist die Etablierung eines österreichweiten Standards, um allen von NF betroffenen Kindern und Jugendlichen eine einheitliche Betreuung zu garantieren.

Bei einer zukünftigen Änderung der internationalen Guidelines kann dieser Vorsorgebogen durch das österreichische NF-Netzwerk kontinuierlich adaptiert werden.