Anamnese

Unter notärztlicher Begleitung wurde ein 16 Jahre alter männlicher Jugendlicher, mit einem Körpergewicht von 75 kg, bei unklarer Vigilanzminderung im Schockraum des Kindernotfallzentrums vorgestellt. Fremdanamnestisch habe der Patient eine Flasche hochprozentigen Alkohol innerhalb kürzester Zeit konsumiert. Er habe im privaten Umfeld beim Feiern mit Freunden anschließend sehr rasch das Bewusstsein verloren. Beim Eintreffen des Rettungsdienstes wird ein komatöser Patient (GCS 3/15) mit einer SpO2 von 72 % bei verlegten Atemwegen, mit einem Blutdruck von 85/52 mm Hg, Herzfrequenz von 70/min, Körpertemperatur 35,4 °C sowie einem Blutzucker von 98 mg/dl aufgefunden. Der Patient habe in Anwesenheit des Rettungsdienstpersonals einen ca. 2 min dauernden generalisierten tonisch-klonischen Krampfanfall erlitten. Es wurden 500 ml isotonische Vollelektrolytlösung i.v. verabreicht und der Patient in stabiler Seitenlage in der Kinderklinik spontan atmend transportiert. Aufgrund des kurzen Anfahrtsweges zum Maximalversorger wurde präklinisch keine Atemwegssicherung durchgeführt. Zu Vorerkrankungen, Medikation oder Allergien konnten keine Angaben gemacht werden.

Untersuchung

Im Schockraum des Kindernotfallzentrums präsentierte sich ein komatöser, spontan atmender Patient mit offenen Atemwegen in stabiler Seitenlage, bei einer SpO2 von 95 % bei bradypnoischer (Atemfrequenz 8/min) vertiefter Atmung, einer Herzfrequenz von 80/min und einem hypertonen Blutdruck 143/100 mm Hg. Die Pupillen zeigten sich in der Untersuchung isokor, moderat miotisch, mit beidseitiger verzögerter direkter und indirekter Lichtreaktion. Die Beurteilung mittels GCS ergab einen Wert von 3 Punkten. Am Gesichtsschädel hatte der Jugendliche eine Prellmarke links orbital ca. 2 × 2 cm messend. Die restliche internistische, neurologische und unfallchirurgische körperliche Untersuchung war unauffällig. Im Rahmen der Versorgung kam es zu einem erneuten generalisierten tonisch-klonischen Krampfanfall mit Blickdeviation und tiefer Entsättigung, der nach 2 min selbstständig sistierte.

Diagnostik

Die initiale Blutgasanalyse zeigte eine ausgeprägte gemischte Acidose mit führender metabolischer Komponente (Tab. 1).

Tab. 1 Die pathologischen Werte sind hervorgehoben

Aufgrund infrastruktureller Gegebenheiten, des jugendlichen Alters des Patienten wie auch der besseren Darstellbarkeit von Perfusionsstörungen erfolgte umgehend eine zerebrale Bildgebung mittels cMRT statt cCT. Dieses zeigte keine pathologischen Veränderungen, insbesondere keinen Hinweis auf frische traumatisch bedingte intrakranielle Verletzungen oder Diffusionsrestriktionen. Bei Aufnahme erfolgten unmittelbar toxikologische Untersuchungen des Urins und Serums. Die laborchemischen Untersuchungen zeigten ein unauffälliges großes Blutbild, normwertige Elektrolyte sowie Normwerte für ASAT, ALAT, γ‑GT, Troponin, Harnstoff und Kreatinin. Die Kreatinkinase (CK) zeigte sich mit 272 U/l leicht erhöht. Des Weiteren waren sowohl das CRP wie auch die Gerinnung normwertig. Der Äthanolwert im Serum war mit 0,1 ‰ sehr gering. Es konnten allerdings im Urin 7732 mg/l und im Serum 458 mg/l Gammahydroxybutyrat (GHB) nachgewiesen werden. Die am Folgetag durchgeführten Untersuchungen Echokardiographie, EKG und EEG waren altersentsprechend unauffällig.

Therapie und Verlauf

Aufgrund der schweren Acidose sowie des komatösen Zustands des Patienten wurde er zur zerebralen Bildgebung und zur weiteren intensivmedizinischen Versorgung intubiert. Nach einer Beatmungszeit von knapp 5 h reagierte der Patient auf äußere Reize, zeigte gezielte Bewegungen auf Aufforderung und konnte bei ausreichenden Schutzreflexen extubiert werden. Nach der Extubation war der Patient zunächst noch desorientiert und delirant. Er klarte innerhalb von kurzer Zeit vollständig auf und war anschließend vollständig örtlich, zeitlich und zur Person orientiert. Es bestand eine retrograde Amnesie über den Zeitraum vor der Bewusstlosigkeit sowie über den Ablauf des vorherigen Abends. Die gemischte Acidose, mit Anionenlücke 28,1 mmol/l, zeigte sich innerhalb von wenigen Stunden rückläufig, nachdem einmalig 100 ml Natriumbicarbonat 8,4 % i.v. zur Pufferung verabreicht wurden. In der toxikologischen Untersuchung des Serums und Urins gelang der Nachweis von GHB. Der geringe Serum-Äthanol-Gehalt von 0,1 ‰ war nicht mit der Fremdanamnese vereinbar. Der komatöse Zustand wie auch die mehrfachen zerebralen Krampfanfälle des Jugendlichen lassen sich sehr wahrscheinlich alleinig auf eine Intoxikation mit GHB zurückführen. Möglicherweise hatte er zusätzlich ein Schädelhirntrauma erlitten, das aber aufgrund der unauffälligen zerebralen Bildgebung mittels cMRT maximal als leichtgradig einzuordnen ist. Ob eine Fremd-/oder Eigenintoxikation mittels GHB erfolgt war, konnte retrospektiv nicht vollständig geklärt werden. In einer Folgeuntersuchung des Urins war GHB nach 26 h nicht mehr nachweisbar.

Diskussion

Gammahydroxybutyrat – GHB, im Milieu der Konsumenten auch Soap, Homeboy, Fantasy, „Liquid Ecstasy“ oder auch Liquid G genannt, ist eine in den letzten Jahren immer stärker verbreitete Partydroge [1, 2]. Dabei ist die Wirkspanne zwischen Rausch und Koma bis zur tödlicher Überdosierung extrem gering. Wenige Tropfen der geruchs-/und farblosen Substanz können rauschähnliche Zustände verursachen, wobei eine Überdosierung mit wenigen Tropfen mehr bereits die Symptome von Übelkeit, Erbrechen, Bewusstlosigkeit, Krampfanfällen bis hin zum Atemstillstand verursachen kann. Hohe Dosierungen werden immer wieder nichtakzidentell als „K.o.“-Tropfen in Getränke gemischt, da die einnehmende Person die eigene Körperkontrolle verliert und meist eine retrograde Amnesie erleidet. Bei der klinischen Präsentation eines komatösen Zustandes, metabolischer Acidose mit vergrößerter Anionenlücke und dem fehlenden Nachweis anderer „klassischer“ Intoxikationssubstanzen ist an eine Vergiftung mit Gammahydroxybutyrat zu denken [1]. Durch zerebrale Krampfanfälle kann es zu einem Anstieg des Lactats kommen [1], wie auch bei anderen Krampfanfällen kann ein milder passagerer Anstieg der CK laborchemisch nachgewiesen werden. Im vorliegenden Fall zeigte sich bei der Aufnahme eine gemischte Acidose mit vergrößerter Anionenlücke, bei gleichzeitig auch erhöhtem Lactat. Differenzialdiagnostisch sind die Ursachen einer Acidose mit vergrößerter Anionenlücke zu berücksichtigen, welche im deutschsprachigen Raum häufig mit dem Akronym „Kussmaul“ zusammengefasst werden: Ketoacidose, Urämie, Salizylatintoxikation, Methanolintoxikation, Aethylenglykolintoxikation, Urämie, Laktatacidose [3]. Es konnten keine körpereignen sauren Substanzen wie Ketone im Urin oder Urämie nachgewiesen werden. Die milde initiale Lactaterhöhung war rasch rückläufig. Weder Methanol Ethylalkohol noch Salizylate konnten im toxikologische Screening nachgewiesen werden. Eine Bestimmung der Serumosmolariät erfolgte nicht. Es bestand kein Hinweis auf eine Organacidurie. Ebenfalls zeigte sich ein rasches Aufklaren wenige Stunden nach dem komatösen Zustand. Die sehr hohen GHB-Spiegel im Urin 7732 mg/dl und im Serum 458 mg/l lagen deutlich im potenziell tödlichen Bereich [4].

Die Aufnahme von GHB erfolgt über die Schleimhäute des Magen-Darm-Traktes. Eine maximale Plasmakonzentration ist bereits nach 25–45 min erreicht [5]. Durch hohe Ionisation von GHB bei physiologischen pH-Werten im Serum kann eine Additionsacidose auftreten [6]. Wie im dargestellten Fall kommt es bei der Aufnahme einer hohen Dosis zu einer raschen und tiefen Bewusstlosigkeit und teilweise auch zerebralen Krampfanfällen [1, 4, 7]. Die mediane Halbwertszeit bei überwiegend hepatischer Eliminierung ist mit 30–50 min sehr kurz. Im Blut ist die Substanz bis zu 8 h, im Urin bis zu 12 h nachweisbar [5]. Das sehr rasche Aufwachen und Zurückerlangen der Orientierung ist typisch für GHB [1, 8].

Der rasche Abbau von GHB und damit die schwierige Nachweisbarkeit in Körperflüssigkeiten unterstreichen die Notwendigkeit einer zeitnahen Materialgewinnung von Urin und Serum sowie der langfristigen Probenasservierung. Insbesondere ist dies, vor dem Hintergrund möglicher rechtlicher Nachverfolgungen, bei unwissentlich von Dritten herbeigeführten Intoxikationen und damit möglicherweise auch juristischen Konsequenzen, notwendig.

Fazit für die Praxis

  • Intoxikation sind bei Jugendlichen häufig in der Akut- und Notfallmedizin.

  • Bei Patienten mit Bewusstseinseinschränkungen sollte frühzeitig neben der häufigen Alkoholintoxikation auch an andere Substanzen wie GHB gedacht werden.

  • Einnahme hoher Mengen GHB kann eine metabolische Acidose mit vergrößerter Anionenlücke hervorrufen.

  • GHB ist nur sehr kurzzeitig im Urin und im Serum nachweisbar, daher sollten umgehend Urin und Serum in der Notaufnahme gewonnen, analysiert und asserviert werden.

  • Die Notwendigkeit einer zerebralen Bildgebung bei Bewusstlosigkeit muss immer evaluiert werden. Fremdanamnestische Angaben sollten kritisch hinterfragt werden.