Kurze Hinführung zum Thema

Die Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Einstellungen an Medizinstudent:innen und im Bereich der Weiterbildung an Kolleg:innen ist ein essenzieller Teil der ärztlichen Tätigkeit von allen Kinder- und Jugendärzten. In den CanMeds-Rollen ist diese Kompetenz in der „Scholar“-Funktion abgebildet [4]. Von entscheidender Bedeutung für das Gelingen von Lehre ist die individuelle Einstellung zu diesen Lehraufgaben: Wie hoch ist die intrinsische Motivation, sich zu engagieren? Welche Kenntnisse in der und welche Erwartungen an die Lehre existieren? Das Konstrukt der „teacher identity“ (TI) versucht, diese individuellen Haltungen zur Lehre zu erfassen.

Hintergrund und Fragestellung

Die Ausbildung von Medizinstudent:innen in den klinischen Fächern wird in Deutschland mehrheitlich und in großen Anteilen von den klinisch tätigen Ärzt:innen in den Universitätskliniken und Lehrkrankenhäusern durchgeführt. Wesentliche Lehraufgaben übernehmen dabei nicht nur Ordinarien, Chef- und Oberärzte, sondern auch Assistenzärzt:innen in Weiterbildung sowie Fachärzt:innen z. B. in klinischen Untersuchungskursen, Unterricht am Krankenbett, Blockpraktika und Kleingruppenunterricht.

Die Qualität dieser Lehre ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Zentral sind sicherlich einerseits zahlreiche curriculare und individuelle Rahmenbedingungen: Organisation und Lehrformate, der Stellenwert der Lehre in der Fakultät, der Klinik und der einzelnen Abteilung, die Evaluation der Lehre und deren Bedeutung, schließlich sicher auch die Wertschätzung der Lehre gegenüber, namentlich im Vergleich zu klinischer Tätigkeit und Forschung.

Als wesentlichen Einflussfaktor auf die Qualität muss allerdings v. a. auf die Lehrenden selbst geschaut werden: Den „guten klinischen Lehrer“ zeichnen eine Fülle von Eigenschaften aus, über die umfangreich publiziert worden ist. Eine Übersichtsarbeit exzerpierte insgesamt mehrere Hundert Eigenschaften und ordnete sie 3 Bereichen zu: „physician“, „teacher“ und „human characteristics“ [10]:

  • Aus evidenten Gründen zeigt der gute klinische Lehrer eine hohe klinische Kompetenz, die sich in exzellentem Fachwissen und profunden technischen Fähigkeiten äußert. Als „medical expert“ demonstriert er ebenfalls Kernkompetenzen in den Bereichen, die die weiteren CanMeds-Rollen „professional“, „collaborator“, „communicator“, „manager“ und „health advocate“ operationalisiert und definiert haben [4].

  • Als Lehrender, also „teacher“ oder in den CanMeds-Rollen „scholar“, ist er zusätzlich in der Lage, eine positive Beziehung zu seinen Studenten sowie ein fruchtbares Lernklima aufzubauen, konstruktives Feedback zu geben, die Studenten zu inspirieren und zu eigenem Lernen zu stimulieren, effektiv formativ und summativ zu prüfen und vieles mehr [10].

  • Einen weiteren Einfluss haben schließlich die „human characteristics“, zu denen u. a. gute Kommunikationsfähigkeiten, Enthusiasmus, Empathie, Respekt und Integrität gezählt werden.

Ein guter klinischer Lehrer wird als umso überzeugender wahrgenommen, je mehr er eine authentische Passion für Fach und Lehre demonstrieren und gleichzeitig Respekt gegenüber den Lernenden verwirklichen kann [1]. Im besonderen Fall entwickelt sich ein Rollenmodell oder Rollenvorbild, das viele Ärzte in ihrer eigenen Ausbildung erlebt haben und das nicht selten nachhaltigen Einfluss auf sie gehabt und behalten hat. Ein solches Rollenmodell zeichnet sich immer durch die besondere Kombination kognitiver und nichtkognitiver positiver Eigenschaften aus und bleibt im besonderen Fall nicht über die vermittelten Lehrinhalte, sondern als persönlich beeindruckende Person in Erinnerung [1].

Die intrinsische Motivation der ärztlichen Kollegen und deren individuelle Einstellungen zur Lehre spielen letztlich auf Ebene des einzelnen Klinikers eine ganz entscheidende Rolle für das Gelingen guter Lehre. So zeigte eine Analyse der Lehrmotivation von Ärzten an einer deutschen Universitätsklinik, dass eben diese individuellen Einstellungen, Haltungen und persönlichen Motive den größten Einfluss auf die Motivation der klinischen Kollegen hatten, sich in der Lehre zu engagieren [5].

Die individuellen Einstellungen zur Lehre werden im Konstrukt der TI detaillierter beschrieben. Die TI beschreibt in der Pädagogik das Selbstverständnis eines Menschen als Lehrende:r sowohl in seiner/ihrer Eigenwahrnehmung als auch in der Außendarstellung: Wie sieht sich jemand als Lehrende:r, wie stark identifiziert er/sie sich mit den Lehraufgaben, die er/sie übernimmt, wie präsentiert er/sie sich anderen gegenüber im Lehrkontext, welche Ziele schließlich definiert er/sie für seine/ihre Weiterentwicklung als Lehrende:r [2]. Die TI repräsentiert damit also nicht eine Evaluation der tatsächlichen individuellen Befähigung zu lehren, sondern sie reflektiert das Selbstbild als Lehrende:r und die individuellen Einstellungen zur Lehre.

Eine amerikanische Arbeitsgruppe definierte zunächst 7 zur TI zählende Kernbereiche [8]: i) „intrinsic satisfaction from teaching“ (intrinsische Befriedigung durch Lehre, IBdL), ii) „knowledge and skills“ (Kenntnisse und Fertigkeiten, KuF), iii) „belonging to a community of teachers“ (Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Lehrenden, ZzGL), iv) „receiving rewards for teaching“ (Honorierung von Lehre, HvL), v) „believing that being a doctor means being a teacher“ (Überzeugung, dass ein Mediziner immer ein Lehrender sein muss, ÜML), vi) „responsibility to teach“ (Verantwortlichkeit für Lehre, VfL) und vii) „sharing clinical expertise“ (Teilen klinischer Expertise, TkE). Hieraus entstand in weiterer Folge ein Fragebogen, der mit insgesamt 37 Fragen letztendlich dann 9 Kernbereiche der TI (zusätzlich: viii) „global TI“ [globale TI, GTI] und ix) „desired outcomes“ [Wünsche an die Lehre, WaL]) evaluiert und 2006 erstmalig angewendet wurde [9].

Es liegen bislang kaum Informationen zum Selbstbild von Kinder- und Jugendärzt:innen in ihrer Funktion als Lehrende vor. Im Hinblick auf den genannten wesentlichen Einfluss der individuellen Motivation auf die Qualität der Lehre haben wir das Selbstbild von Kolleginnen und Kollegen in der Kinderheilkunde als Lehrende mit dem Konstrukt der TI an 6 deutschen Universitätskliniken erhoben, um folgende Fragen zu beantworten: Unterscheiden sich die Selbstbilder zwischen Kolleg:innen mit viel und wenig Berufserfahrung voneinander? Hat die Orientierung auf eine universitäre berufliche Perspektive einen erkennbaren Einfluss auf die TI? Finden sich schließlich Unterschiede zwischen teilnehmenden Kliniken?

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Übersetzung des TI-Fragebogens

Der im Original englische TI-Fragebogen wurde zunächst übersetzt und dann durch einen Dritten aus dem Deutschen zurück ins Englische übersetzt. Rückübersetzung und Original wurden verglichen, um die inhaltliche Übereinstimmung der neuen übersetzten deutschen Fassung mit dem englischen Original zu optimieren.

Studiendurchführung

Eine Anfrage bei der Ethikkommission ergab, dass eine Beratung und ein Votum nicht erforderlich waren. Nach initialer Abstimmung mit den Kliniks- bzw. Abteilungsleitungen der pädiatrischen Unikliniken in Bonn, Düsseldorf, Hannover, Heidelberg, Homburg/Saar und Köln sind alle Kolleginnen und Kollegen per E‑Mail über die Umfrage informiert worden. Angeschrieben wurden alle ärztlichen Mitarbeiter:innen über einen Zeitraum von ca. 5 Wochen. Sie hatten die Möglichkeit einer Teilnahme entweder online (PC, Tablet oder Smartphone) oder mittels eines ausgedruckten Fragebogens, den die Lehrkoordinatoren der einzelnen Kliniken zur Verfügung stellen konnten. Es wurden 2 Erinnerungs-E-Mails an diejenigen geschickt, die online noch nicht teilgenommen hatten. Die Daten wurden pseudonymisiert erhoben, um eine spätere erneute Befragung als Längsschnittuntersuchung möglich zu machen.

Die TI-Fragen wurden ergänzt durch Fragen zu folgenden persönlichen und biografischen Daten:

  • Alter (5 Gruppen: < 30; 30 bis 39; 40 bis 49; 50 bis 59 und > 59 Jahre),

  • Geschlecht,

  • aktuelle berufliche Position in der Klinik (Arzt/Ärztin im 1. oder 2. Weiterbildungsjahr; … im 3. oder 4.; … im mindestens 5. Weiterbildungsjahr; Facharzt/-ärztin [FA]; Oberarzt/-ärztin [OA]; Abteilungsleiter:in; Lehrstuhlinhaber:in),

  • Tätigkeit in Voll- oder Teilzeit,

  • Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildungen,

  • Dauer der bisherigen klinischen Tätigkeit (gesamt und am aktuellen Standort),

  • Studienorte,

  • angestrebte berufliche Perspektive (FA an einer Klinik; FA an einer Uniklinik; OA an einer Klinik, OA an einer Uniklinik [in der Regel Habilitation], Abteilungsleiter:in/Chefarzt/-ärztin; niedergelassene:r Arzt/Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin; unentschieden),

  • Arbeitsort,

  • Umfang der Lehrtätigkeit im Semester,

  • Freistellung für Lehrtätigkeit von sonstigen Dienstverpflichtungen,

  • Teilnahme an lehrdidaktischen Fortbildungen und Bewertung dieser,

  • grundsätzliche Bereitschaft zu einer erneuten Befragung in einer Längsschnittuntersuchung.

Statistik

Als deskriptive Kenngrößen werden Häufigkeiten, Mittelwerte (MW) und Standardabweichungen (SD) berichtet. Die Daten wurden sowohl parametrisch als auch nichtparametrisch ausgewertet. Da die Ergebnisse hinsichtlich statistischer Signifikanz praktisch identisch ausfallen, werden zum Zwecke der Vergleichbarkeit mit existierenden Arbeiten in diesem Gebiet [3, 7, 9] die parametrischen Analysen präsentiert. Gruppenvergleiche wurden mittels einfaktorieller Varianzanalyse (ANOVA) beim Vergleich mehrerer Subgruppen untereinander (Bonferroni-korrigiert) durchgeführt. Es wurde eine multiple lineare Regression mit den Variablen Geschlecht, Altersgruppe, Teil- vs. Vollzeit, berufliche Perspektive, aktuelle Position, Umfang der Lehrtätigkeit im Semester, Ausmaß an Freistellung für Lehrtätigkeit, Teilnahme an lehrdidaktischen Fortbildungen und Anzahl besuchter lehrdidaktischer Fortbildungen hinsichtlich jeder Subskala des TI-Fragebogens und hinsichtlich aller Aussagen durchgeführt. Es wurde dabei im Vorfeld auf Multikollinearität getestet. Als Kriterium für problematische Multikollinearität wurde ein Varianzinflationsfaktor größer 10 angelegt. Das Signifikanzniveau (α) wurde bei 0,05 festgelegt. Alle berichteten p-Werte sind zweiseitig. Die Analysen erfolgten mit SPSS Version 27 (Fa. IBM Corp., Armonk, NY, USA).

Ergebnisse

Teilnehmerkollektiv

Insgesamt haben 252 Personen teilgenommen; dies entspricht 52 % der angefragten Kolleg:innen. Die Teilnehmerzahl an den einzelnen Unikliniken betrug für Bonn 25 (Teilnahmequote 50 %), Düsseldorf 24 (45 %), Hannover 41 (35 %), Heidelberg 74 (56 %), Homburg/Saar 15 (39 %) und Köln 73 (74 %). Ärztinnen und Ärzte waren exakt gleich häufig vertreten. Die Verteilung der aktuellen Positionen in der Klinik zeigt Tab. 1. In Vollzeit arbeiteten 84 % der Befragten, 16 % in Teilzeit. Insgesamt wurden 154 vorhandene Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnungen angegeben (Mehrfachnennungen möglich), am häufigsten Neonatologie (n = 40). Maximal 10 Jahre klinisch tätig waren 59 % der Teilnehmer, 24 % waren zwischen 11 und 20 Jahren und 17 % bereits mehr als 20 Jahre lang klinisch tätig. Die Teilnehmer gaben 272 deutsche Studienorte an (Mehrfachnennungen), 95 Teilnehmer hatten (auch) im Ausland studiert (= 38 %). Ihre angestrebte oder bereits erreichte berufliche Perspektive sahen 49 % der Teilnehmer im universitären klinischen, 10 % im außeruniversitären klinischen Bereich, 4 % wollten sich niederlassen, und 37 % waren noch unentschieden.

Tab. 1 Anzahl der Teilnehmer mit ihrer jeweiligen aktuellen Position in der Klinik und Anteil am Gesamtkollektiv der Teilnehmer

Umfang der Lehrtätigkeit, Freistellung für die Lehre und Teilnahme an lehrdidaktischen Fortbildungen

Der Umfang der Lehrtätigkeit betrug im Mittelwert 38,6 h pro Semester (SD 40,5 h). Die Freistellung von sonstigen Dienstverpflichtungen für die eigene Lehrtätigkeit wurde folgendermaßen beschrieben: „Nein, nie“: 36 %, „Nein, nur zum kleineren Teil“: 24 %, „Teils-teils“: 15 %, „Ja, zum überwiegenden Teil“: 18 %, und „Ja, immer“: 7 %, (Likert-Skala 1 [Nein, nie] bis 5 [Ja, immer]: MW 2,36, SD 1,31). 45 % hatten bereits an lehrdidaktischen Fortbildungen teilgenommen (MW der Anzahl der Fortbildungen: 4,9, SD 6,2). Der Großteil der Teilnehmer bewertete diese Fortbildungen als hilfreich für die Verbesserung der Qualität ihrer Lehre (Likert-Skala 1 bis 5 [1: trifft überhaupt nicht zu, 2: trifft eher nicht zu, 3: teils-teils, 4: trifft eher zu, 5: trifft voll und ganz zu]: MW 3,96, SD 1,07). Die teilnehmenden Kliniken unterschieden sich weder im Umfang der erbrachten Lehrleistung pro Mitarbeiter noch im Ausmaß der Freistellung für die Lehre.

Teacher Identity

Die Ergebnisse zur TI zeigt Tab. 2 für das Gesamtkollektiv. Die individuelle Bewertung der Aussagen erfolgte auf einer Likert-Skala zwischen 1 und 5 (s. oben). Die größte Zustimmung fand sich unter den 9 Subskalen bei den Aussagen zu den Bereichen „Überzeugung, dass ein Mediziner immer ein Lehrender sein muss“, „Verantwortlichkeit für Lehre“ und „Teilen klinischer Expertise“. Die geringsten TI-Werte fanden sich in den Subskalen „Kenntnisse und Fertigkeiten“, „Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Lehrenden“ und „Honorierung von Lehre“.

Tab. 2 Teacher Identity von Kinder- und Jugendärzt:innen

Bei den Einzelaussagen fanden

  • Für einen guten Arzt ist es essenziell, seine Patienten gut zu informieren und zu schulen.

  • Als Kinderärzte vermitteln wir Studierenden und/oder Assistenten eine wichtige Sichtweise auf die Medizin.

  • Alle Ärzte haben eine Verpflichtung, die nächste Generation von Ärzten auszubilden.

nahezu uneingeschränkte Zustimmung (Mittelwerte > 4,6), während

  • Ich lese Zeitschriften über Lehre in der Medizin z. B. die GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung.

  • Die Fakultät honoriert meine Lehrtätigkeit (z. B. finanziell, Freizeitausgleich).

  • Meine Lehrtätigkeit hat mir in meiner beruflichen Karriere weitergeholfen.

den geringsten Zuspruch fanden mit einem Mittelwert von jeweils < 3.

Ein Vergleich der TI-Werte zwischen verschiedenen Teilnehmergruppen zeigte die folgenden Ergebnisse. Wesentliche Gruppenunterschiede für die TI-Subskalen werden in Abb. 1 aufgeführt. Da unter den kompletten Fällen in der multiplen Regressionsanalyse weniger als 3 Teilnehmer in die Altersgruppe der über 60-Jährigen fielen, wurden die Kategorien der 50 bis 59 und über 59-Jährigen zusammengefasst. Die Multikollinearitätsanalyse zeigte einen Varianzinflationsfaktor größer 10 für die Dauer der klinischen Tätigkeit. Diese zeigte sich als erwartbar hoch mit dem Alter und der aktuellen Position der Teilnehmer korreliert. Es wurde deshalb entschieden, die Dauer der klinischen Tätigkeit aus dem Modell zu entfernen und die beiden Variablen Alter und aktuelle Position im Modell zu belassen.

Abb. 1
figure 1

Signifikante Unterschiede in der multivariaten Regressionsanalyse. inkludierte Variablen: Geschlecht, Altersgruppe, Teil- vs. Vollzeit, berufliche Perspektive, aktuelle Position, Umfang der Lehrtätigkeit im Semester, Ausmaß an Freistellung für Lehrtätigkeit, Teilnahme an lehrdidaktischen Fortbildungen und Anzahl besuchter lehrdidaktischer Fortbildungen. Dargestellt sind die Randmittelwerte und die jeweiligen Standardfehler in den Skalenwerten der einzelnen TI-Subskalen für Geschlecht (rot), Alter (gelb; Referenz: < 30 Jahre), berufliche Perspektive (blau, Referenz: universitär), aktuelle Position in der Klinik (braun, Referenz: Abteilungsleiter:in/Lehrstuhlinhaber:in) und Teilnahme an lehrdidaktischen Fortbildungen (grün). Signifikante Unterschiede sind durch farbige Balken markiert, nichtsignifikante Unterschiede sind in grau nur zum Vergleich in den Merkmalen aufgeführt, bei denen auch signifikante Unterschiede zu erheben waren. Signifikanzniveau: *p < 0,05, **p < 0,01, ***p < 0,001. TI Subskalen: GTI Globale Teacher Identity, IBdL Intrinsische Befriedigung durch Lehre, KuF Kenntnisse und Fertigkeiten, ÜML Überzeugung, dass ein Mediziner immer ein Lehrender sein muss, VfL Verantwortlichkeit für Lehre, TkE Teilen klinischer Expertise, HvL Honorierung von Lehre, WaL Wünsche an die Lehre. m männlich, w weiblich, berufl. Persp. berufliche Perspektive, n. univ-klin. nicht universitär klinisch, unentsch.: unentschieden, J Jahre, WB in Weiterbildung, 1+2 1. oder 2. Weiterbildungsjahr, 3+4 3. oder 4. Weiterbildungsjahr, 5 im mindestens 5. Weiterbildungsjahr, FA Facharzt/-ärztin, OA Oberarzt/-ärztin, AbLst Abteilungsleiter:in/Lehrstuhlinhaber:in

Teilnehmende Kliniken.

Es fanden sich keine Unterschiede zwischen den 6 teilnehmenden Unikliniken (ANOVA).

Demografie (Geschlecht und Alter).

Männer zeigten höhere TI-Werte in 4 der 9 Subskalen sowie in „alle Aussagen“ im Vergleich zu Frauen.

Im Vergleich der verschiedenen Altersstufen fanden sich signifikante Unterschiede in 2 Subskalen (TkE und HvL): Hier zeigten ältere Kolleg:innen niedrigere TI-Werte als die jüngsten Kolleg:innen.

Berufliche Merkmale (Position in der Klinik, Berufserfahrung, berufliche Perspektive).

Kolleg:innen mit einer angestrebten oder erreichten beruflichen Perspektive an einer Universität zeigten in zahlreichen Subskalen höhere Werte gegenüber denjenigen, die nicht-universitär-klinisch (5 Subskalen) bzw. in einer Praxis (2 Subskalen) arbeiten wollten oder noch unentschlossen waren (5 Subskalen + alle Aussagen).

Der Vergleich der TI der verschiedenen aktuellen Positionen in der Klinik mit der TI von Abteilungsleiter:innen/Lehrstuhlinhaber:innen zeigte bis auf eine Skala (TkE im Vergleich zu Oberärzt:innen) keine signifikanten Unterschiede (Abb. 1).

Es fanden sich keine Unterschiede zwischen Arbeit in Voll- oder in Teilzeit. Keine signifikanten Unterschiede fanden sich ebenfalls beim Vergleich von Teilnehmern mit verschiedenen Schwerpunktbezeichnungen und Weiterbildungen (ANOVA).

Lehrtätigkeit und lehrdidaktische Weiterbildungen.

Der Umfang der Lehrtätigkeit hatte keinen signifikanten Einfluss auf die TI.

Ein höherer Grad der Freistellung für die Lehre korrelierte mit höheren TI-Werten in der Skala „Honorierung von Lehre“ (in Abb. 1 nicht aufgeführt, da als kontinuierliche Variable nicht in der gewählten Form darstellbar).

Teilnehmer an lehrdidaktischen Veranstaltungen zeigten höhere Werte in 2 Subskalen (KuF sowie HvL).

Die Anzahl der besuchten lehrdidaktischen Fortbildungen korrelierte nicht signifikant mit der TI.

Diskussion

Die erhobenen Daten dokumentieren ein hohes Maß an Identifizierung und Commitment der Kinder- und Jugendärzte:innen an Universitätskliniken zur geleisteten Lehre mit Mittelwerten in allen Subskalen über 3, in 2 Subskalen (ÜML und VfL) über 4. Erfreulich war, dass das teilnehmende Kollektiv zu rund je einem Drittel aus jüngeren Kolleg:innen in Weiterbildung, aus Fächärzt:innen sowie aus Oberärzt:innen und Abteilungsleiter:innen/Lehrstuhlinhaber:innen bestanden hat und damit einen kompletten Querschnitt an Positionen in der Klinik und an Berufs- und Lehrerfahrung abdecken konnte. Insgesamt zeigten sich im Vergleich zu publizierten TI-Studien anderer Kollektive aus den USA [3, 7, 9] vergleichbare Rangfolgen der Skalen untereinander, aber grundsätzlich niedrigere TI-Werte in nahezu allen Subskalen (Abb. 2). Dies dürfte mit den Unterschieden der befragten Kollektive, möglicherweise aber auch mit verschiedenen nationalen Rahmenbedingungen zusammenhängen: Die Lehre in Deutschland wird öffentlich finanziert, während an US-amerikanischen Medical Schools die Finanzierung wesentlich durch hohe Studiengebühren der eingeschriebenen Studierenden selbst erfolgt, die entsprechend mehr Einfluss auf die Lehre nehmen können.

Abb. 2
figure 2

TI-Mittelwerte im Vergleich. Mittelwerte und Standardabweichungen, Abkürzungen TI Subskalen: vgl. Text „Hintergrund und Fragestellung“ sowie Tab. 2. TI

Demografie.

Im Vergleich von Subgruppen fanden sich Unterschiede beim Geschlecht: Männer zeigten signifikant höhere TI Werte in 4 Subskalen als Frauen. Derselbe Unterschied fand sich, wenn auch in weniger Subskalen ebenfalls bei ärztlichen Berufsanfängern in den USA [7].

Berufliche Merkmale und Lehrtätigkeit/lehrdidaktische Weiterbildung.

Die deutlichsten Unterschiede zeigten sich hinsichtlich der beruflichen Perspektive: eine angestrebte oder erreichte universitäre klinische Tätigkeit war mit höheren TI-Werten in 2 (vs. Perspektive Niederlassung) bzw. 5 Subskalen (vs. nicht-universitär klinisch orientierten und noch unentschlossenen Kolleg:innen) verbunden. Die gewählte oder angestrebte universitäre Laufbahn führt offensichtlich zu einer merklich höheren Identifikation mit der Lehre.

Teilnehmer an lehrdidaktischen Veranstaltungen zeigten höhere Werte in 2 Subskalen: Wer an diesen Kursen teilnimmt, identifiziert sich häufig stärker mit der Lehre und umgekehrt: Wer sich mit der Lehre identifiziert, nimmt eher an den Fortbildungen teil. Die Anzahl der besuchten Fortbildungen und der Umfang der Lehrtätigkeit korrelierten hingegen nicht mit höheren TI-Werten. Abteilungsleiter:innen/Lehrstuhlinhaber:innen schließlich zeigten nur in der Tendenz häufiger, nicht aber letztlich signifikant höhere TI-Werte als andere Berufsgruppen.

Bemerkenswert sind ebenfalls die Daten zur erbrachten Lehrleistung über alle Berufsgruppen hinweg: Im Durchschnitt wurden innerhalb des Semester 38,7 h Lehre erbracht, das sind mehr als 2 h pro Semesterwoche. Die Kolleg:innen werden dabei offensichtlich nur zum kleinen Teil für die Lehre freigestellt, das Ausmaß dieser Freistellung korrelierte aber dennoch signifikant nur mit einer Skala, der „Honorierung von Lehre“, nicht aber mit allen anderen Skalen.

Teilnehmende Kliniken.

Hervorzuheben ist schließlich auch, dass sich keine Unterschiede zwischen den teilnehmenden Universitätskliniken gezeigt haben: TI-Werte einerseits und namentlich auch die erbrachte Lehrleistung sowie das Ausmaß der Freistellung für die Lehre andererseits unterschieden sich nicht. Die Situation scheint für den Bereich der Kinder- und Jugendmedizin deutschlandweit vergleichbar zu sein. Die Vergleichbarkeit der Werte spricht ebenfalls für die Inhaltsvalidität der gefundenen TI-Verteilungsmuster.

Entwicklungspotenzial, Limitationen und Ausblick.

Die niedrigsten TI-Werte fanden sich in der Skala „Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Lehrenden“ (MW 3,25, SD 0,74) mit Fragen zum Austausch von Kollegen untereinander über Lehrthemen, der offensichtlich nur in geringem Umfang stattfindet. Ebenso gab es besonders niedrige TI-Werte hinsichtlich der Honorierung von Lehrtätigkeit durch die Fakultät (MW 1,61, SD 0,94) sowie der Einschätzung, inwieweit die Lehre in der beruflichen Karriere weitergeholfen hat (MW 2,75, SD 1,31). Gleichzeitig findet der Wunsch nach einer Anerkennung der Lehrtätigkeit in irgendeiner Form durch Fakultät und Klinikleitung große Zustimmung (Mittelwert 4,19, SD 0,88). Hier dokumentiert sich der Wunsch nach Verbesserungen, v. a. hinsichtlich der Wertschätzung der Lehre.

Dieser Aspekt wird auf Ebene der Fakultäten durchaus wahrgenommen und weiterentwickelt. Die Association for Medical Education in Europe AMEE hat 2021 eine Anleitung zur Entwicklung und Förderung einer starken TI publiziert [11]. Sie beschreibt konkrete Handlungsstrategien, wie die TI im Spannungsfeld der 3 Bereiche Krankenversorgung, Forschung und Lehre weiterentwickelt werden kann. Sie konstatiert, dass Mitarbeiter mit einer hohen TI mehr Freude an der Lehrtätigkeit haben, mit größerer Wahrscheinlichkeit im Bereich der Lehre bleiben und auch mehr Bereitschaft zeigen, sich im professionellen Lernen einzubringen [11].

Es muss konzediert werden, dass die Übersetzung des Fragebogens aus dem Amerikanischen und auch der Vergleich der originalen mit einer dann rückübersetzten Fassung nicht zwingend zu einer kompletten Inhaltsgleichheit der Fragen geführt haben muss. Übersetzungsbedingte Unterschiede letztlich auch in der kontextuellen Bewertung einzelner Formulierungen oder Begriffe im Deutschen bzw. Amerikanischen sind nicht auszuschließen. Hieraus ergeben sich auch Limitationen in der Vergleichbarkeit der Werte zwischen den einzelnen publizierten Studien (Abb. 2).

Prinzipiell kann auch hinterfragt werden, ob der in den USA entwickelte Fragebogen zur Erhebung der TI die deutsche Lehrsituation ebenfalls angemessen bzw. ausreichend detailliert darstellt oder Anpassungen sinnvoll erscheinen. Hierüber müsste idealerweise in einem erneuten Delphi-Verfahren beraten werden. Wir halten die wesentlichen Inhalte des Fragebogens aber auch für bildungssystem-übergreifend nachvollziehbar und anwendbar.

Die Lehre in der Kinderheilkunde steht mit Blick auf den Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) [6] und die zu erwartende neue Ärztliche Approbationsordnung in Deutschland vor großen Herausforderungen. Mit einer deutlichen Stärkung des ambulanten Sektors wird Lehre in deutlich zunehmendem Maße in der hausärztlichen und damit mutmaßlich auch der ambulant pädiatrischen Versorgung stattfinden. Es wird auch unter diesem Aspekt interessant sein, eine Analyse der TI auch bei den niedergelassenen Kinderärzt:innen durchzuführen und mit den hier vorgelegten Daten zu vergleichen. Der NKLM formuliert Lernziele zur Lehrkompetenz an mehreren Stellen. Möglicherweise werden Lernziele im Hinblick auf eine frühe Identifizierung mit der Rolle als Lehrende:r im Sinn einer Begründung und Stärkung der TI bereits während des Studiums im Rahmen der verbindlichen Einführung und Weiterentwicklung des NKLM weiter diskutiert werden. Interessante Fragen für Folgestudien wären, ob die hier erhobenen Daten in nichtstaatlichen klinischen Ausbildungseinrichtungen oder anderen klinischen Fächern wie der Inneren Medizin, der Chirurgie oder der Gynäkologie repliziert werden können oder ob sich ausbildungsort- bzw. fachspezifische Besonderheiten zeigen. Die wenigen Daten, die dazu bereits publiziert sind, lassen solche Unterschiede allerdings nicht vermuten [7, 9]. Interessant erschiene auch eine Längsschnittuntersuchung im Hinblick darauf, wie sich die TI im Verlauf des Berufslebens verändert, denn sie dürfte durchaus dynamischen Veränderungen unterliegen. Noch fokussierter könnten Längsschnittuntersuchungen allerdings v. a. die Wirksamkeit von Fakultätsweiterbildungsprogrammen im Hinblick auf eine intendierte Stärkung der TI evaluieren. Hierfür steht mit der erstmalig publizierten deutschen Übersetzung des amerikanischen TI-Fragebogens nunmehr ein Instrumentarium für den deutschsprachigen Raum bereit.

Fazit für die Praxis

  • Die Teacher Identity (TI) beschreibt das Selbstbild von ärztlichen Kolleg:innen in ihrer Funktion als Lehrer in der studentischen Lehre und in der Weiterbildung.

  • Die vorliegende Arbeit belegt ein hohes Maß an Engagement der Kinder- und Jugendärzte/innen in Deutschland in der Lehre.

  • Im Spannungsfeld von klinischer Versorgung, Forschung und Lehre gibt es ein Potenzial für Verbesserung der Wertschätzung der Lehre.

  • Zahlreiche Fakultätsweiterbildungsprogramme verfolgen das Ziel, die Qualität der Lehre nachhaltig zu verbessern.

  • Der hier erstmalig in einer deutschen Übersetzung publizierte Fragebogen zur TI bietet eine Möglichkeit, solche Weiterbildungsprogramme begleitend zu evaluieren.