Prüfungssimulation

Fallschilderung

Ein 1,5 Jahre alter Patient wird vom niedergelassenen Kollegen wegen Husten und Tachy‑/Dyspnoe in die Kinderklinik eingewiesen. Die diensthabende Pflegekraft der Notaufnahme bemerkt eine ausgeprägte Tachypnoe (Atemfrequenz 65/min); die pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung beträgt 87 % bei Raumluft. Sie misst eine Körpertemperatur von 38,9 °C. Die Pflegekraft beginnt eine umgehende Sauerstoffgabe über eine Nasenbrille mit 4 l/min und ruft Sie als diensthabende/n Kinderärztin/Kinderarzt dazu.

Anamnese

Der bisher gesunde 1,5-jährige Junge zeigte vor etwa 6 Tagen erstmals Symptome einer Atemwegserkrankung mit Rhinitis, Husten und Körpertemperaturen zwischen 38,5 und 39,0 °C. Vor 3 Tagen erfolgte die Vorstellung beim niedergelassenen Kinderarzt, der zunächst eine symptomatische Therapie mit β‑adrenergen Nasentropfen und Ibuprofensaft veranlasste.

Seit 2 Tagen fiel erstmals eine zunehmend beschleunigte und vertiefte Atmung auf, am Tag der Vorstellung auch eine Trinkmengenreduktion. Der Junge habe ca. 2–3 nasse Windeln am Tag. Der Appetit sei reduziert, jedoch sei der Junge generell wählerisch. Nach erneuter Vorstellung beim niedergelassenen Kinderarzt erfolgte direkt die Einweisung zur stationären Aufnahme in die Kinderklinik.

Keine bekannten Vor- oder Begleiterkrankungen. Keine bekannten Allergien. Impfungen gemäß Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO). Keine Dauermedikation.

Untersuchungsbefund

Es handelt sich um ein 1,5 Jahre altes männliches Kleinkind in reduziertem Allgemeinzustand mit deutlicher Tachy‑/Dyspnoe und Atemfrequenzen bis 70/min sowie deutlichen interkostalen und subkostalen Einziehungen. Normaler Ernährungszustand, Lippen etwas trocken, sonst Schleimhäute feucht. Hautkolorit blass, kein Exanthem, Rekapillarisierungszeit 2–3 s, Trommelfelle beidseits randständig leicht gerötet, Rachen gerötet, keine Beläge, durch seröses Sekret behinderte Nasenatmung. Feinblasige inspiratorische Rasselgeräusche ubiquitär über beiden Lungen, z. T. exspiratorisches Knistern und Giemen. Pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung (SpO2) 91 % unter zusätzlicher Sauerstoffgabe von 4 l/min. Tachykarde Herzaktion (Herzfrequenz [HF] 150/min), kein Herzgeräusch. Abdomen mit regelrechten Darmgeräuschen über allen 4 Quadranten, weich, kein Druckschmerz, keine Resistenzen. Genitale männlich, reizlos, Hoden beidseits deszendiert. Regelrechte Vigilanz und unauffälliger neurologischer Status.

Auffällige Laborwerte

  • Blutgasanalyse (kapillär): pH-Wert 7,45, Kohlendioxidpartialdruck (pCO2) 36 mm Hg, Sauerstoffpartialdruck (pO2) 57 mm Hg, Bikarbonat (HCO3) 26 mmol/l, Base Excess (BE) 1,6 mmol/l.

  • Blutbild: Hämoglobin (Hb) 8,3 g/dl, Hämatokrit 30 %, mittleres Erythrozyteneinzelvolumen („mean corpuscular volume“, MCV) 69 fl, mittleres korpuskuläres Hämoglobin („mean corpuscular hemoglobin“, MCH) 15,3 pg, mittlere korpuskuläre Hämoglobinkonzentration („mean corpuscular hemoglobin concentration“, MCHC) 27,5 g/dl, Retikulozyten 8 ‰, Leukozytenzahl 16.660/µl, Thrombozytenzahl 532.000/µl.

  • Klinische Chemie: C‑reaktives Protein (CRP) 5,44 mg/dl, Natrium 136 mmol/l, Kalium 4,3 mmol/l, Kreatinin 0,42 mg/dl, Eisen 7 µg/dl, Ferritin 51 µg/l

  • Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG): 34 mm/h

Prüfungsfragen

  • Welche Diagnose stellen Sie und warum?

  • Welche möglichen Ätiologien kommen hierfür infrage?

  • Wie lässt sich die Ätiologie ggf. klinisch und laborchemisch eingrenzen?

  • Welche Diagnose können Sie nebenbefundlich stellen, und welche Ursache liegt ihr am wahrscheinlichsten zugrunde?

  • Welche diagnostischen Schritte müssen Sie einleiten?

  • Welche therapeutischen Maßnahmen sind erforderlich?

  • Wie definieren Sie ein Therapieversagen, und was sind mögliche Ursachen hierfür?

Antworten

Welche Diagnose stellen Sie und warum?

  • Die Leitsymptome Fieber und Tachypnoe sprechen im Zusammenhang mit dem Auskultationsbefund der Lungen für eine Infektion der unteren Atemwege, am ehesten für eine ambulant erworbene Pneumonie (pCAP; [1]). Einen Überblick über die von der WHO vorgeschlagene Definition der Tachypnoe gibt Tab. 1 [2].

  • Weitere hier genannte Symptome wie Tachykardie, Trinkmengenreduktion und reduzierter Appetit sind typische Begleitsymptome.

  • Die pCAP kann klinisch in „nichtschwere“ und „schwere“ pCAP eingeteilt werden. Bei einer „schweren“ pCAP liegen zusätzliche Warnsymptome vor (beispielsweise deutlich reduzierter Allgemeinzustand, Nahrungsverweigerung, Dehydratation, Vigilanzminderung, zerebrale Anfälle etc., [1]).

  • Eine „schwere“ pCAP soll in jedem Alter stationär behandelt werden. Aufgrund der ausgeprägten Tachypnoe und der pulsoxymetrisch gemessenen Sauerstoffsättigung von 87 % bestand bei dem beschriebenen Patienten die Indikation zur stationären Aufnahme und zur Sauerstoffsubstitution von 4 l/min über eine Nasenbrille zum Ausgleich der vorliegenden respiratorischen Partialinsuffizienz (Tab. 2)

Tab. 1 Definition der Tachypnoe. (Nach WHO [2])

Merke.

Die Pneumonie ist eine durch Mikroorganismen hervorgerufene Infektion mit konsekutiver Entzündung im Bereich der Alveolen mit oder ohne Beteiligung der Bronchien und/oder der Bronchiolen.


Tab. 2 Indikationen für eine stationäre Aufnahme bei Verdacht auf ambulant erworbene Pneumonie (mindestens ein Kriterium). (Mod. nach Rose et al. [1])

Welche möglichen Ätiologien kommen hierfür infrage?

Cave.

Eine eindeutige ätiologische Zuordnung, bezogen auf einen viralen oder bakteriellen Infektionserreger, ist anhand des klinischen Erscheinungsbildes im geschilderten Fall, aber auch i. Allg. oft nicht möglich.


  • Bei den meisten Kleinkindern mit pCAP lassen sich Viren in den oberen Atemwegen nachweisen [1, 3], z. B.

    • Rhinovirus,

    • Respiratory-Syncytial-Virus [RSV],

    • humanes Metapneumovirus (hMPV),

    • Parainfluenzavirus,

    • Influenza-A- und Influenza-B-Virus,

    • Adenovirus,

    • Coronavirus,

    • humanes Bocavirus.

  • Die häufigsten viralen Erreger von Infektionen der unteren Atemwege im Säuglings- und Kleinkindalter sind:

    • RSV,

    • Influenzavirus,

    • hMPV und

    • Adenoviren.

  • Bakterielle Pneumonien treten seltener als virale Pneumonien auf. Für die pCAP sind v. a. folgende bakterielle Erreger verantwortlich [1, 3]:

    • Pneumokokken,

    • Streptococcus pyogenes oder

    • Mycoplasma pneumoniae.

Wie lässt sich die Ätiologie ggf. klinisch und laborchemisch eingrenzen?

  • Klinische und laborchemische Befunde, die auf eine bakterielle Genese hinweisen können:

    • hohes Fieber,

    • stark reduzierter Allgemeinzustand,

    • einseitiger Auskultationsbefund,

    • CRP > 6 mg/dl,

    • zweizeitiger Verlauf mit zunehmender respiratorischer Verschlechterung nach initialer Besserung.

  • Klinische und laborchemische Befunde, die auf eine virale Genese hinweisen können:

    • Fieber,

    • obstruktiver Auskultationsbefund über beiden Lungen,

    • Säuglings- und Kleinkindalter,

    • CRP < 4 mg/dl.

Der Fall.

Bei Ihrem Patienten könnte sowohl klinisch, laborchemisch als auch radiologisch eine virale, bakterielle oder gemischt viral-bakterielle Genese infrage kommen.

Welche Diagnose können Sie nebenbefundlich stellen, und welche Ursache liegt ihr am wahrscheinlichsten zugrunde?

  • Nebenbefundlich ergibt sich bei klinisch blassem Hautkolorit laborchemisch die Diagnose einer hypochromen, mikrozytären Eisenmangelanämie.

  • Hinweisend ist die anamnestische Angabe der Mutter, dass der Junge ein selektives Essverhalten habe, das Ursache einer partiellen Mangelernährung darstellen kann.

Cave.

  • Die Bestimmung von Eisen und Ferritin ist routinemäßig nicht erforderlich und kann im Rahmen einer akuten Infektion verfälscht sein, z. B. Ferritinkonzentration falsch-hoch (als Ausdruck einer Inflammation), Eisenkonzentration falsch-niedrig (erhöhter Verbrauch).

  • Bei stabilen Vitalparametern (Herzfrequenz und Blutdruck) sollten eine erneute Diagnostik von Blutbild/Eisenstatus, und davon abhängig, ggf. eine Eisensubstitution im infektionsfreien Intervall erfolgen.

Welche diagnostischen Schritte müssen Sie einleiten?

Merke.

Die ambulant erworbene Pneumonie ist in erster Linie eine klinische Diagnose. Eine Basisdiagnostik kann zur Erhärtung der klinischen Verdachtsdiagnose und sollte insbesondere bei „schwerer“ pCAP, also bei jedem hospitalisierten Kind, durchgeführt werden. Komponenten der Basisdiagnostik sind:

  • Laborbestimmungen: kapilläre Blutgasanalyse (BGA), Blutbild (BB), Elektrolyte, CRP, BSG (Lebensalter > 3 Monate).

  • Thoraxröntgenuntersuchung: Nicht routinemäßig erforderlich. Insbesondere sinnvoll bei abgeschwächtem Atemgeräusch bzw. bei einseitigen Atemgeräuschen, bei schwerer Dyspnoe und nach klinisch individuellen Gesichtspunkten (z. B. Grunderkrankung).

  • Sonographie: Immer bei einseitig abgeschwächtem Atemgeräusch z. A. Pleuraerguss; ergänzend zum Nachweis von Infiltraten/Atelektasen.

  • Mikrobiologie: Blutkultivierung immer vor antibiotischer Therapie und nach individueller Abwägung. Rachenabstrich zum Nachweis pathogener bakterieller Erreger bei Kindern ohne Grunderkrankung nicht sinnvoll, da Kolonisation nicht von Infektion unterschieden werden kann. Bei schwerer Pneumonie und V. a. atypische Erreger ggf. Nachweis von M. pneumoniae mithilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) aus einem Rachenabstrich. Gegebenenfalls Gewinnung von Sputum bei Kindern > 6 Jahre (nach Inhalation hypertoner Kochsalzlösung).

  • Virologie: (Nasen‑)Rachenabstrich oder nasopharyngeales Sekret zum PCR-Nachweis (ggf. im Multiplex-Ansatz) viraler Erreger als Entscheidungshilfe bezüglich Isolation, Kohortierung und ggf. Therapie des Patienten (Influenza, COVID-19).

Der Fall.

Bei Aufnahme des 1,5-jährigen Patienten erfolgt eine laborchemische Diagnostik mit Abnahme einer Blutprobe zur Kultivierung und Anfertigung einer Thoraxröntgenaufnahme (Abb. 1). Radiologisch zeigt sich das Bild einer Bronchopneumonie mit deutlicher Überblähung, zentralen Infiltraten (links > rechts) und ausgeprägter Zeichnungsvermehrung. In der PCR aus dem Rachenabstrich wird hMPV nachgewiesen, das als Erreger auch schwerer Infektionen der unteren Atemwege im Kindesalter bekannt ist. Die Blutkultur bleibt steril. Beide Befunde liegen am Behandlungstag 3 vor.

Abb. 1
figure 1

Thoraxröntgenaufnahme. p.-a., am Aufnahmetag. (© J. Liese, alle Rechte vorbehalten. Abdruck mit freundl. Genehmigung)

Welche therapeutischen Maßnahmen sind erforderlich?

  • Zur Behandlung der respiratorischen Partialinsuffizienz (Oxygenierungsstörung) ist die Gabe von Sauerstoff über eine Nasenbrille erforderlich, mit dem Ziel, eine SpO2 > 92 % zu erreichen.

  • Weitere symptomatische Maßnahmen wie orale oder i.v.-Flüssigkeitszufuhr und eine adäquate antipyretische Therapie sind zu beachten. Das Freihalten der Nasenbelüftung durch Anwendung kochsalzhaltiger Nasentropfen (0,9 %ige NaCl-Lösung) sowie ggf. β‑adrenerger Nasentropfen ist sinnvoll.

  • Inhalative Maßnahmen (z. B. Salbutamol, Ipratropiumbromid, Suprarenin, 0,9 %ige/3 %ige NaCl-Lösung) können bei der vorliegenden obstruktiven Symptomatik und Überblähung sinnvoll sein und sollten nach individueller Beobachtung und Einschätzung der Wirksamkeit angewendet werden.

  • Eine i.v.-Antibiotika-Therapie soll initial bei möglicher bakterieller Genese bzw. viral-bakterieller Koinfektion in Erwägung gezogen werden. Antibiotikum der 1. Wahl bei der pCAP ohne Komplikationen und ansonsten gesunden Kindern ist Ampicillin i.v. (100mg/kgKG in 3 ED) bzw. bei gesicherter oraler Aufnahme auch Amoxicillin p.o. (50 mg/kgKG und Tag in 3 ED). Die empfohlene Therapiedauer beträgt 5 Tage bei unkompliziertem Verlauf einer Pneumonie. Die Therapie kann jederzeit oralisiert werden, wenn die gastrointestinale Aufnahme und Resorption durch den Patienten gesichert sind.

Der Fall.

Es folgt der Beginn einer i.v.-Antibiotika-Therapie mit Ampicillin (100 mg/kgKG und Tag in 3 ED) bei zunächst vermuteter bakterieller Genese der vorliegenden Bronchopneumonie. Die zusätzliche Sauerstoffgabe ist für insgesamt 4 Tage erforderlich und kann schrittweise reduziert werden. Aufgrund klinischer Besserung, Entfieberung, rückläufigem CRP-Wert, steriler Blutkultur und Nachweis von hMPV im Rachenabstrich wird die antibiotische Therapie am 3. Behandlungstag beendet, da nach klinischer Einschätzung am ehesten eine virale Pneumonie vorliegt. Die Entlassung des Patienten erfolgt in deutlich gebessertem Allgemeinzustand nach insgesamt 5 Tagen.

Der präsentierte Fall stellt die alltäglichen Herausforderungen bei der klinischen, laborchemischen und radiologischen Differenzierung einer viralen in Abgrenzung zu einer bakteriellen ambulant erworbenen Pneumonie dar.

Wie definieren Sie ein Therapieversagen, und was sind mögliche Ursachen hierfür?

Merke.

Eine ausbleibende Besserung der klinischen Symptomatik 48–72 h nach Beginn der (antibiotischen) Therapie sollte ein Therapieversagen in Betracht gezogen werden. Ursachen können sein:

  • bakterieller oder viraler Erreger, der therapeutisch unzureichend erfasst wird,

  • inadäquate symptomatische und/oder antiinfektive Therapie (z. B. zu niedrige Dosierung und/oder nichtwirksames Medikament),

  • Entwicklung pulmonaler Komplikationen (z. B. Atelektasen, Pleuraempyem).


Das Management von Patienten mit ausbleibender Besserung binnen 48–72 h sollte umfassen [1]:

  • klinische (Fieber, Tachypnoe, respiratorische Insuffizienz) und labormedizinische (Leukozytenzahl, CRP, ggf. Prokalzitonin, Serumelektrolyte) Einschätzung der aktuellen Krankheitsschwere und des Verlaufs,

  • bildgebende Untersuchungen (Thoraxsonographie, Thoraxröntgenaufnahmen), um Ausmaß und ggf. Progredienz des pneumonischen oder parapneumonischen Prozesses zu erfassen,

  • erweiterte Erregerdiagnostik (z. B. bei viraler, resistenter oder atypischer Pneumonie aus Sputum, bronchoalveolärer Lavage, in Ausnahmefällen Rachenabstrichen),

  • Entscheidung über eine Therapieänderung.