Anamnese

Ein 2 Monate altes Mädchen wurde vom Kinderarzt aufgrund einer ausgeprägten Gedeihstörung eingewiesen. Zu diesem Zeitpunkt hatte das voll gestillte Kind gerade erst sein Geburtsgewicht wieder erreicht (Abb. 1). Das Trinkverhalten war unauffällig, ebenso der Stuhlgang (2- bis 3‑mal/Tag). Das Mädchen ist das 4. Kind nichtverwandter Eltern aus Togo; die Familienanamnese war unauffällig.

Abb. 1
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Gewichtsverlauf seit Geburt. Nach Beginn einer galaktosefreien Diät zeigt sich eine rasche Gewichtszunahme

Untersuchung

Bei der Untersuchung zeigten sich bis auf eine milde Exsikkose keine wesentlichen Auffälligkeiten; die Leber war 1 cm unterhalb des Rippenbogens palpabel; eine Splenomegalie bestand nicht.

Diagnostik

Bei Aufnahme bestand eine teilkompensierte metabolische Azidose mit einem pH von 7,33, pCO2 31 mm Hg, Base Excess −8,6 mmol/l. Blutbild: Leukozyten 18 Gpt/l, Hb 9,9 g/dl, Thrombozyten 234 G/l. Klinische Chemie: CRP 2 mg/l, Glucose 86 mg/dl, Chlorid 118 mmol/l, sonstige Elektrolyte ausgeglichen, Bilirubin gesamt 1,23 mg/dl, Bilirubin direkt 0,93 mg/dl, GOT 103 U/l, GPT 46 U/l.

Das Neugeborenenscreening wurde entblindet und als unauffällig beurteilt (Aktivität der Galaktose-1-phosphat-Uridyltransferase (GALT) mit 1,9 U/g Hb (Norm 5,3–40 U/g Hb) leicht erniedrigt bei unauffälliger Gesamtgalaktosekonzentration von 4,3 mg/dl (Norm < 20 mg/dl)).

Therapie und Verlauf

Trotz i.v.-Volumensubstitution und zwischenzeitlicher Ernährung über eine Magensonde zeigte sich über die folgenden Tage eine persistierende metabolische Azidose mit Hyperchlorämie (pH min. 7,19, BE max. −14,2 mmol/l, Cl max. 124 mmol/l). In der Urindiagnostik zeigte sich eine milde tubuläre Proteinurie bei fehlender Glucosurie, der Urin-pH lag bei 7,0. Die erweiterte Stoffwechseldiagnostik, einschließlich der Aminosäurenanalyse im Urin, ergab eine generalisierte Hyperaminoazidurie. Es wurde eine Therapie mit Natriumbicarbonat (bis 10 mmol/kg/Tag) sowie Sholscher Lösung (Mischung aus Natriumcitrat und Kaliumcitrat, 6‑mal täglich 10 ml) begonnen. Hierunter stabilisierte sich der Säuren-Basen-Haushalt. Im Alter von 10 Wochen zeigte sich bei der augenärztlichen Untersuchung eine feine Trübung des hinteren Linsenstromas und der hinteren Linsenkapsel.

Bei V. a. ein renales Fanconi-Syndrom wurde eine Whole-Exom-Analyse durchgeführt. Diese ergab den Nachweis einer homozygoten pathogenen Variante im GALT-Gen (c.404C > T; p.Ser135Leu) und somit die Diagnose einer Galaktosämie. Im Trockenblut zeigte sich eine leicht erhöhte Konzentration der Gesamtgalaktose (26 mg/dl, Norm < 20 mg/dl) bei normwertigem Galaktose-1-phosphat (2,6 mg/dl, Norm < 10 mg/dl). Die GALT-Aktivität in Erythrozyten war mit 1,0 µmol/g Hb und h (Norm 20–35 µmol/g Hb) stark erniedrigt. Nach Beginn einer galaktosefreien Ernährung mit Neocate zeigten sich eine rasche Besserung der Tubulopathie sowie eine gute Gewichtszunahme. Die Supplementation mit Natriumbicarbonat und Sholscher Lösung konnte ausgeschlichen werden. Die augenärztliche Kontrolle ergab einen stabilen Befund ohne Interventionsbedarf.

Diskussion

Unsere Patientin leidet an einer klinischen Variante der Galaktosämie, die typischerweise bei Afroamerikanern und Personen aus Südafrika vorkommt [1]. Es ist beschrieben, dass diese Variante der Galaktosämie im Neugeborenenscreening nicht sicher detektiert werden kann, da die Galaktose- und Galaktose-1-phosphat-Konzentrationen sehr viel weniger erhöht sind als bei der klassischen Galaktosämie [2, 3]. Während die GALT-Aktivität in Erythrozyten typischerweise stark erniedrigt ist, findet sich bei dieser Variante eine höhere Restaktivität des Enzyms in Leber und Darm, die den milderen Phänotyp erklärt [2]. Nichtsdestotrotz kann die Erkrankung im Neugeborenen- und im Säuglingsalter zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen, darunter Gedeihstörungen, eine Hepatopathie bis hin zur Zirrhose und Blutungskomplikationen aufgrund einer beeinträchtigten Lebersynthese.

Unsere Patientin zeigte zwar ein renales Fanconi-Syndrom, daneben aber keine Symptome einer klassischen Galaktosämie. Insbesondere bestand keine relevante Leberbeteiligung, sodass die Galaktosämie differenzialdiagnostisch zunächst als unwahrscheinlich erachtet wurde und die Diagnose letztlich genetisch erfolgte.

Nach Beginn einer galaktosefreien Ernährung besserte sich die klinische Symptomatik rasch, und die Patientin zeigte eine gute Gewichtszunahme (Abb. 1). Die Prognose bei Einhaltung einer laktosefreien und galaktosearmen Diät ist hervorragend [2].

Fazit für die Praxis

Unser Fall zeigt, dass bei Kindern mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund andere Phänotypen genetischer Erkrankungen vorliegen können, die den etablierten Screeningmethoden entgehen können und daher weiter in differenzialdiagnostische Überlegungen miteinbezogen werden müssen.