Prüfungssimulation

Anamnese

Ein 11-jähriger Junge wird aufgrund leichter Schmerzen mit ziehendem Charakter im Bereich der linken Hüfte und des lateralen Oberschenkels auf der interdisziplinären pädiatrischen Notfallstation vorgestellt. Er habe vor 4 Tagen einen Fahrradsturz erlitten, war auf die linke Körperseite gefallen, keine Kopfverletzung. Initial seien keine lokalisierten Schmerzen aufgetreten. Seit dem Vortag jedoch sei keine Belastung des linken Beines mehr möglich; zudem habe er Fieber, etwas Nausea und musste einmalig erbrechen.

Untersuchungsbefund

Ein 11-jähriger Junge in leicht reduziertem Allgemeinzustand. Temperatur (Ohr) 38,3 °C. Warme Peripherie, Rekapillarisierungszeit < 2 s. Lokalstatus des linkseitigen Beins: Standbild mit kompletter Schonhaltung. Bei Belastung sofort Schmerzen. Keine sichtbare Schwellung, Prellmarke, Schürfung, Überwärmung oder Rötung. Druckdolenz über dem lateralen Oberschenkel, dem Tractus iliotibialis und der Spina iliaca anterior superior. Linksseitiges Hüftgelenk: Bewegungsumfang leicht eingeschränkt im Vergleich zur Gegenseite. Schmerzen bei Außen- und Innenrotation, leichte Schmerzen bei Flexion. Kniegelenk: indolent und frei beweglich. Sensibilität und peripherer Pulsstatus unauffällig.

Prüfungsfragen

  • An welche möglichen Differenzialdiagnosen denken Sie beim Hinken/bei Gangauffälligkeiten oder belastungsabhängigen Extremitätenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen?

  • Was sind die häufigsten Ursachen des Hinkens/der Gangauffälligkeiten oder belastungsabhängigen Extremitätenschmerzen, differenziert nach Altersgruppen?

  • Welche Ursachen müssen rasch gesucht und behandelt werden, da sie mit einer hohen Morbidität oder Lebensgefahr einhergehen?

  • Was sind Ihre nächsten diagnostischen Schritte, um die wichtigsten Differenzialdiagnosen zu bestätigen oder auszuschließen?

  • Was sind die häufigsten Keime, differenziert nach Altersgruppen, die diese Symptome hervorrufen?

  • Was ist die empirische antimikrobielle Therapie, differenziert nach Altersgruppen, für die vorliegende Erkrankung?

  • Wie ist das optimale Management (Therapie und Verlaufsdiagnostik) der vorliegenden Erkrankung?

Antworten

An welche möglichen Differenzialdiagnosen müssen Sie beim Hinken/bei Gangauffälligkeiten oder belastungsabhängigen Extremitätenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen denken?

Die wichtigsten Differenzialdiagnosen, anatomisch gruppiert, sind [1,2,3,4]:

  • Knochen

    • Osteomyelitis (infektiös oder inflammatorisch)

    • Fraktur (akzidentell, nichtakzidentell)

    • Epiphysiolysis capitis femoris

    • Morbus Osgood-Schlatter (schmerzhafte Osteochondrose der Tuberositas tibiae)

    • Morbus Perthes (idiopathische avaskuläre Nekrose des Femurkopfes)

    • Knochentumor

  • Gelenk

    • Transiente Synovitis

    • Arthritis (infektiös oder inflammatorisch)

    • Trauma

  • Weichteile/Haut

    • Muskelentzündung (infektiös, inflammatorisch)

    • Hautentzündung (infektiös, inflammatorisch, toxisch)

    • Band‑, Sehnenverletzung/-entzündung

    • Fremdkörperpenetration

    • Hodentorsion

Cave.

Die pathologische Veränderung muss nicht immer die Extremität selbst betreffen. Intraabdominelle Ursachen (z. B. Appendizitis, Abszess) oder neuromuskuläre Erkrankungen (z. B. periphere Neuropathie, muskuläre Dystrophie) können Hinken oder Gangauffälligkeiten beim Kind auslösen.

Was sind die häufigsten Ursachen des Hinkens/der Gangauffälligkeiten oder belastungsabhängigen Extremitätenschmerzen, differenziert nach Altersgruppen?

Siehe hierzu Tab. 1.

Tab. 1 Ursachen für akutes Hinken bei Kindern und Jugendlichen, differenziert nach Altersgruppen. (Zusammengefasst aus [1,2,3, 5,6,7])

Welche Ursachen müssen rasch gesucht und behandelt werden, da sie mit einer hohen Morbidität oder Lebensgefahr einhergehen?

  • Infektionen: Osteomyelitis, septische Arthritis, da die Gefahr der langfristigen Gelenk- und Knochenschädigung bei verzögerter Diagnose besteht

  • Pyomyositis und nekrotisierende Fasziitis, da die Gefahr einer Sepsis und eines foudroyanten Geschehens mit Schock besteht

  • Kompartmentsyndrom, da Gefahr der Gewebeschädigung bei fehlender Druckentlastung

  • Hodentorsion

  • Intraabdomineller Infektfokus oder spinaler Abszess

  • Vasookklusive Krise bei Sichelzellenerkrankung

  • Malignität

  • Epiphysiolysis capitis femoris, um ein weiteres Abrutschen des Hüftkopfes mit einhergehendem Nekroserisiko zu verhindern

Merke.

Red flags, die auf eine ernsthafte Krankheit hinweisen, sind:

  • Fieber und weitere systemische Symptome wie Schüttelfrost, Nachtschweiß, Ausschlag (Petechien, Purpura, Ekchymosen)

  • Erhöhte Entzündungsparameter im Blut

  • Ausgeprägte lokalisierte Schmerzen

  • Nächtliche Schmerzen

  • Trotz Analgesie keine adäquate Belastung möglich

  • Gewichtsverlust, Lethargie, Appetitmangel

  • Persistenz der Symptome > 7 Tage

Was sind Ihre nächsten diagnostischen Schritte, um die wichtigsten Differenzialdiagnosen zu bestätigen oder auszuschließen?

  • Eine genaue Anamnese, mit besonderem Augenmerk auf die Red flags, und eine Basislaboruntersuchung mit den Bestimmungen von Blutbild, C‑reaktivem Protein (CRP), Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG), dem Anlegen einer Blutkultur und bildgebender Untersuchung sind der Schlüssel für die Ausarbeitung einer Liste der wichtigsten Differenzialdiagnosen.

  • Unter folgenden Umständen ist eine weitergehende Diagnostik (Laborbestimmungen, bildgebende Untersuchung) nicht zwingend indiziert

    • Keine Red flags in der Anamnese und klinischen Untersuchung

    • Belastung der Extremität ohne relevante Schmerzen nach Basisanalgesie (z. B. Ibuprofen oder Paracetamol) möglich

    • Nachkontrolle kann innerhalb der folgenden 2 bis 3 Tage durchgeführt werden

  • Ein möglicher Ablauf zur Aufarbeitung ist in Abb. 1 dargestellt. Ein interdisziplinäres Vorgehen unter Einbezug der Infektiologie und Orthopädie sollte für das optimale Management immer erwogen werden.

Abb. 1
figure 1

Schema zu Abklärung, Therapie und interdisziplinärer Zusammenarbeit beim Leitsymptom „hinkendes Kind“. Diff.-BB Differenzialblutbild, BSG Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit, CRP C-reaktives Protein, DD Differenzialdiagnose, MRI „magnetic resonance imaging“, US Ultraschall. (Modifiziert nach [1, 2])

Der Fall.

Beim Patienten wurde gleichentags eine Laboruntersuchung durchgeführt, mit folgenden Ergebnissen: Leukozytenzahl 9,1 G/l, CRP 32 mg/l, BSG 18 mm/h. Eine Blutprobe zur Kultivierung wurde abgenommen, und es erfolgte eine Ultraschalluntersuchung der Hüften. Weder ein Erguss im Hüftspalt noch eine entzündete Synovia wurden festgestellt. Ferner wurden eine tiefzentrierten Röntgenuntersuchung des Beckens durchgeführt und eine Röntgenaufnahme der linksseitigen Hüfte nach Lauenstein angefertigt: Beide ergaben unauffällige knöcherne Befunde. Keine Hinweise auf eine Epiphysiolyse oder einen M. Perthes, keine traumatischen Veränderungen.

Am Folgetag meldete das Mikrobiologielabor: grampositive Kokken in Haufen in der Blutkultur. Eine „Magnetic-resonance-imaging“(MRI)-Untersuchung der linken Hüfte und des linken Oberschenkels wurde durchgeführt, woraufhin eine Synovitis und ein Erguss im linken Hüftgelenk festgestellt werden konnten.

Was sind die häufigsten Keime, differenziert nach Altersgruppen, die diese Symptome hervorrufen?

Siehe hierzu Tab. 2.

Tab. 2 Verantwortliche Keime im Rahmen einer osteoartikulären Infektion, differenziert nach Altersgruppen. (Zusammenfassung aus [1, 2, 8])

Was ist die empirische antimikrobielle Therapie, differenziert nach Altersgruppen, für die vorliegende Erkrankung?

Siehe hierzu Tab. 3.

Tab. 3 Altersadaptierte empirische i.v.-Therapie [4]

Der Fall.

Wegen des Verdachts auf eine septische Arthritis erfolgten eine Arthrotomie und eine Gelenkspülung. Die mikrobiologische Abteilung meldete das Wachstum eines Methicillin-sensiblen Staphylococcus aureus (MSSA) in der Blutkultur und später auch in der Gelenkflüssigkeit. Nach dem auffälligen MRI-Befund und den positiven Blutkulturen wurde die i.v.-Therapie mit Flucloxacillin begonnen und weitergeführt.

Wie ist das optimale Management (Therapie und Verlaufsdiagnostik) der vorliegenden Erkrankung?

Therapie.

  • Bei der septischen Arthritis muss das Gelenk notfallmäßig eröffnet und gespült werden

  • Tägliche stationäre klinische Kontrollen

  • Umstellung auf eine gezielte Therapie nach Erreger und Antibiogramm (Tab. 4)

  • Kontrolle des CRP an den Tagen 3 bis 5 (bei ungenügendem klinischem Ansprechen vorziehen)

  • Bildgebende Untersuchungen sind bei problemlosem Verlauf nicht nötig

  • Bei positiven Blutkulturen sollte nach 48h Therapie eine erneute Blutkultur angelegt werden, um ein mikrobiologisches Ansprechen zu dokumentieren

  • Bei inadäquatem klinischem Ansprechen, oder bei persistierendem Wachstum des Keimes in den Blutkulturen nach 48 h und resistenzgerechter antibakterieller Therapie sollte eine erneute bildgebende Untersuchung und ggf. eine chirurgische Intervention angestrebt werden (ungenügende Fokuskontrolle, Ausweitung der Infektion)

Tab. 4 Gezielte antibiotische Therapie [4]

Merke.

  • Anhaltend positive Blutkulturen trotz resistenzgerechter Therapie weisen auf einen Streuherd hin, der möglicherweise chirurgisch saniert werden muss.

  • Bei ausgeschlossenem oder saniertem Streuherd und persistierender Bakteriämie ist differenzialdiagnostisch an eine Endokarditis oder eine septische Thrombose zu denken. In diesen Fällen soll eine Abklärung mithilfe der Echokardiographie resp. Dopplersonographie der großen Gefäße erwogen werden.

Verlaufsdiagnostik.

  • Bei gutem klinischem und laborchemischem Verlauf besteht für die septische Arthritis die Therapiedauer von 10 bis 14 Tagen

  • Die Therapiedauer von 10 Tagen kann in unkomplizierten Fällen, insbesondere bei Infektionen mit Kingella kingae, in Betracht gezogen werden

  • Umstellung auf p.o.-Gabe nach mindestens 3 bis 5 Tagen i.v.-Therapie, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:

    • Alter ≥ 3 Monate

    • Gutes klinisches Ansprechen (bezüglich des Allgemeinzustands, des Fiebers, der Schmerzen)

    • CRP-Wert deutlich regredient (< 50 % des Ausgangswertes oder < 20 mg/l)

    • Orale Medikamenteneinnahme und enterale Resorption gewährleistet

    • Nachkontrollen gesichert

  • Routinemäßige Röntgenkontrollen zum Ende oder nach der Therapie sind nicht notwendig und sollen im Einzelfall nur erfolgen, wenn sich daraus therapeutische Konsequenzen ergeben.