Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags

  • sind Ihnen die Leitsymptome des arteriell ischämischen Schlaganfalls (AIS) im Kindes- und Jugendalter bekannt.

  • verwenden Sie im klinischen Alltag den beFAST-Test.

  • wissen Sie um die Herausforderung in der differenzialdiagnostischen Einordnung zu den häufigeren „stroke mimics“.

  • kennen Sie die Bedeutung der unmittelbaren bildgebenden Untersuchung zur Diagnosestellung.

  • können Sie Risikofaktoren/Ursachen des AIS im Kindesalter benennen.

  • sind Ihnen die zur Verfügung stehenden Optionen zur Akuttherapie/Revaskularisationstherapie geläufig.

Einleitung

Der AIS im Kindes- und Jugendalter (> 28. Lebenstag bis 18 Jahre) ist mit einer Inzidenz von 1–8/100.000 Kinder und Jahr selten und unverändert mit hoher Morbidität und Mortalität assoziiert [1, 2, 3]. Er ist einer der zeitkritischsten Notfälle in der Pädiatrie und zählt weltweit zu den 10 häufigsten Todesursachen im Kindesalter. Er betrifft prinzipiell alle Altersstufen; epidemiologische Daten zeigen allerdings einen Häufigkeitsgipfel bei Säuglingen und Vorschulkindern sowie einen erneuten Inzidenzanstieg bei Jugendlichen [4].

Fallbeispiel

Ein 3‑jähriger Junge wird mit akut aufgetretener linksseitiger Hemiparese in die Kinderklinik eingewiesen. Anamnestisch werden zudem seit einigen Tagen bestehende Kopfschmerzen angegeben; der Junge sei „unleidlich“ gewesen und habe am Morgen des Aufnahmetages auch einmalig erbrochen. Fieber besteht nicht. Vor 6 Wochen war der Junge an Windpocken erkrankt. Keine weiteren relevanten Vorerkrankungen, auch die Familienanamnese ist unauffällig.

In der unmittelbar durchgeführten kranialen Magnetresonanztomographie zeigt sich ein ischämischer Infarkt der rechtsseitigen A. cerebri media (MCA) bei fehlendem Flussignal der rechtsseitigen MCA und mit ausgeprägten entzündlichen Gefäßveränderungen, beginnend bei der rechtsseitigen A. carotis interna (Abb. 1). Im Liquor konnte eine spezifische intrathekale Produktion von Anti-Varizella-Zoster-Virus(VZV)-IgG nachgewiesen werden.

Abb. 1
figure 1

Kraniale Magnetresonanztomographie des 3‑jährigen Jungen. a Diffusionsgewichtete Sequenz („diffusion weighted imaging“, DWI): rechtsseitiger Mediainfarkt bei Post-Varizellen-Vaskulopathie; b „black blood-“Sequenz: ausgedehnte wandständige Kontrastmittelaufnahme im Bereich der rechtsseitigen A. carotis interna, beginnend im petrösen Segment und mit Ausläufern bis in die peripheren M2-Äste (nicht abgebildet); c 3D time-of-flight(TOF) MR-Angiographie: fehlendes Flusssignal in der rechtsseitigen A. cerebri media

Klinische Zeichen

Unabhängig vom Alter präsentieren sich die meisten Kinder mit einem akut auftretenden fokal neurologischen Defizit, die Leitsymptome wie die akute Hemiparese, faziale Parese und Sprachstörung finden sich auch im Kindesalter. Diese Symptome werden im FAST-Test erkannt („Face-arm-speech-time“-Test, [4, 5]). Der Test kann auch im Kindesalter mit ausreichender Sensitivität und Spezifität eingesetzt werden [6]. Womöglich sind Sensitivität und Spezifität im beFAST-Test (be: „balance“, „eyes“) noch höher, sodass der beFAST-Test im klinischen Setting bei Kindern bevorzugt verwendet werden sollte. Trotz klarer Leitsymptome wird die Diagnose des kindlichen Schlaganfalls durch das Auftreten weiterer unspezifischer Symptome erschwert [4, 7]. Dazu zählen insbesondere bei Säuglingen und kleinen Kindern Krampfanfälle (bis zu 50 %) und bei Schulkindern Kopfschmerzen. Auch „stotternde“ Verläufe mit wechselnder Symptomatik sind bekannt und treten insbesondere bei Kindern mit Arteriopathien auf.

Merke

Die Leitsymptome des „childhood AIS“ sind: Hemiparese, faziale Parese und Sprachstörung. Sie werden im beFAST-Test erkannt.

Cave

  • Begleitende unspezifische Symptome wie z. B. Kopfschmerzen oder Bewusstseinsstörungen sind häufig und schließen die Diagnose AIS nicht aus.

  • Die klinische Präsentation eines Kindes mit AIS ist umso unspezifischer, je jünger das Kind ist.

Differenzialdiagnosen –„stroke mimics“

Eine besondere Herausforderung in der raschen Diagnose des AIS stellen im Kindesalter die gut bekannten und wesentlich häufigeren stroke mimics dar. In einer Studie war bei Kindern mit akut fokal neurologischem Defizit lediglich bei 7 % ein Schlaganfall für die akute neurologische Symptomatik ursächlich – im Vergleich zu über 70 % bei Erwachsenen [8]. Bei Kindern waren als Ursachen die Migräne, Krampfanfälle und die idiopathische Fazialisparese führend [7, 9]. Die Entwicklung eines spezifischen Früherkennungstools – „childhood stroke recognition tools“ – mit der Möglichkeit der Abgrenzung zu den häufigen Differenzialdiagnosen ist Ziel verschiedener Studien, bislang aber noch nicht erfolgreich [7, 8, 9].

Merke

  • Die Diagnose (und Ausschlussdiagnose) eines Schlaganfalls gelingt ausschließlich mithilfe der bildgebenden Untersuchung.

  • Diese muss bei jeder fokalen neurologischen Symptomatik („acute brain attack“) umgehend veranlasst werden.

MERCS Pocketcard – beFAST

Die Pediatric Stroke Arbeitsgruppe des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) hat die MERCS Pocketcard entwickelt (Munich Early Recognition of Childhood Stroke; Abb. 2). Neben dem beFAST-Test werden die wesentlichen Punkte einer kinderneurologischen Notfalluntersuchung aufgeführt und um relevante klinische Information zum ischämischen und hämorrhagischen Schlaganfall ergänzt. Auch wenn mit dieser Karte keine zweifelsfreie klinische Unterscheidung zwischen stroke und stroke mimic getroffen werden kann, hat sie sich im klinischen Alltag sehr bewährt und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Awareness des kindlichen Schlaganfalls und frühzeitiger Alarmierung der Notfallkette. – Zum jetzigen Zeitpunkt sind bundesweit mehr als 2000 Pocketcards verteilt; das direkte Feedback von Kolleg:innen aus Klinik und Praxis ist ausgesprochen positiv.

Abb. 2
figure 2

MERCS-Pocketcard. a Vorderseite, b Rückseite. MERCS Munich Early Recognition of Childhood Stroke. (© Gerstl/Schneider/Heinen, alle Rechte vorbehalten. Abdruck mit freundlicher Genehmigung)

Risikofaktoren/Ätiologie

Die Hauptrisikofaktoren für einen Schlaganfall im Erwachsenenalter wie z. B. arterielle Hypertonie, Rauchen, Vorhofflimmern, Diabetes mellitus spielen im Kindesalter keine relevante Rolle. Zu den Risikogruppen beim kindlichen Schlaganfall zählen Arteriopathien, kardiale Ursachen, Infektionen, angeborene thrombogene Blutgerinnungsstörungen, hämatologisch-onkologische Erkrankungen, genetische Prädispositionen, metabolische Ursachen und Bindegewebserkrankungen [3, 4, 10, 11, 12, 13]. Eine Übersicht möglicher Risikofaktoren findet sich in Tab. 1.

Tab. 1 Auswahl möglicher Ursachen und Risikofaktoren. (Adaptiert nach Gerstl et al. [10, 11])

Der Schlaganfall im Kindesalter ist als prototypische „multiple risk disease“ bekannt, d. h., bei einem relevanten Anteil der betroffenen Kinder liegen mindestens 2 Risikofaktoren vor [4, 14]. Das Vorliegen mehrerer Risikofaktoren scheint mit einem schlechteren Outcome assoziiert zu sein.

Bei ca. 10–20 % der Kinder findet sich trotz umfassender Diagnostik keiner der bislang bekannten Risikofaktoren (kryptogener Schlaganfall).

Merke

  • Die Bandbreite der zu bedenkenden Risikofaktoren ist groß.

  • Die (immer interdisziplinäre) ätiologische Aufarbeitung komplex und zeitaufwendig.

Im Folgenden werden einige (häufige) Risiko- oder Trigger-Faktoren näher ausgeführt.

Sie sind bisweilen nicht alleinige Ursache des Schlaganfalls, sondern erst im multifaktoriellen Zusammenspiel mit anderen Risiko- oder Trigger-Faktoren relevant. Zudem sind angeborene Erkrankungen, die bei der Entstehung eines Schlaganfalls eine Rolle spielen können (z. B. vererbbare prothrombotische Erkrankungen wie z. B. die Protein- C- und Protein-S-Defizienz, genetische Arteriopathien, angeborene Herzfehler mit Rechts-links-Shunt etc.) von erworbenen Risikofaktoren (z. B. erworbene prothrombotische Erkrankungen wie das Antiphospholipid-Antikörpersyndrom, Infektionen, Traumata etc.) zu unterscheiden.

Arteriopathien

Arteriopathien stellen mit bis zu 50 % den häufigsten Risikofaktor für einen AIS im Kindesalter dar und spielen darüber hinaus eine Rolle für das Auftreten von Schlaganfallrezidiven [3, 15].

Zu den wichtigsten Arteriopathien zählen die fokale zerebrale Arteriopathie (FCA), die Dissektion und die Moyamoya-Angiopathie. In den vergangenen Jahren wurden zunehmend auch genetische Erkrankungen mit Vaskulopathien, bei den ischämische und hämorrhagische Schlaganfälle auftreten können, beschrieben [16].

Fokale zerebrale Arteriopathie

Die FCA (Synonyme: transiente zerebrale Arteriopathie, transiente fokale Arteriopathie) ist mit 25–35 % die häufigste Arteriopathie und tritt meistens unilateral im Bereich der distalen A. carotis interna (ICA), proximalen MCA und proximalen A. cerebri anterior (ACA) auf (Abb. 3). Nur selten betrifft sie die hintere Strombahn [17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24]. Die Pathophysiologie dieser meist perlschnurartig anmutenden fokalen Stenosierung der Gefäße ist nicht eindeutig geklärt. Vermutet wird eine post-/parainfektiöse Schwellung der Gefäßwand mit Stenosierung, die in den ersten Tagen bis Wochen rasch progredient sein kann; in dieser Zeit ist das Rezidivrisiko am höchsten (Abb. 2). Der Verlauf ist überwiegend nach 6 bis 12 Monaten selbstlimitierend.

Abb. 3
figure 3

3D Time-of-flight(TOF) MR-Angiographien eines 16-jährigen Mädchens mit einem linksseitigen Basalganglieninfarkt. Klinische Zeichen: rechtsseitige akute Hemiparese und faziale Parese, Sprachstörung und okzipitale Kopfschmerzen. Die Aufnahmen zeigen das typische Bild einer fokalen zerebralen Arteriopathie mit fokaler, irregulärer Stenosierung im Bereich der linksseitigen A. cerebri media (MCA). Progredienter Verlauf innerhalb von 6 Wochen, im Verlauf Befundstabilisierung bei weiterhin bestehender hochgradiger Stenose der linksseitigen MCA. a Akut, b nach 4 Wochen, c nach 6 Wochen

Als bekannteste Ursache für eine FCA gilt die (Post‑)Varizellenarteriopathie (VZV-Arteriopathie), die auch noch Wochen bis Monate nach einer akuten VZV-Infektion auftreten kann, wie die initiale Kasuistik illustriert [25, 26]. Aber auch Infektionen mit anderen Erregern wie z. B. Herpes-simplex-Virus oder Borrelia burgdorferi können zu einer FCA führen.

Zerebrovaskuläre Dissektion

Dissektionen finden sich bei Kindern mit Schlaganfall relativ häufig (in der Literatur ca. 10 % der Fälle, [22]). Sie entstehen meist nach Traumata (auch Bagatelltraumata, Autounfall – Gurt) während Sport und Spiel [22, 27]. Klinisch führend sind heftige, plötzlich auftretende einseitige Schmerzen in Kopf, Gesicht oder Halsbereich, die dem eigentlichen ischämischen Infarkt vorausgehen.

Als prädisponierende Faktoren gelten Bindegewebserkrankungen und inflammatorisch veränderte Gefäßwände im Rahmen einer Arteriopathie (z. B. para-/postinfektiös). Die Dissektionen finden sich sowohl extrakraniell als auch intrazerebral; eine Abgrenzung zur FCA kann bei Letzteren manchmal schwierig sein [28].

Moyamoya-Angiopathie

Die Moyamoya-Angiopathie ist charakterisiert durch einen Gefäßwandumbau v. a. der distalen ICA oder MCA mit progredienter Stenosierung bis hin zum Verschluss und im Verlauf Ausbildung der charakteristischen zahlreichen leptomeningealen Kollateralen, deren angiographischer Aspekt dem Krankheitsbild den Namen gab (Moyamoya: „puffy smoke“, [29]).

Unterschieden wird die Moyamoya-Erkrankung (primär, idiopathisch) vom Moyamoya-Syndrom (sekundär), bei dem die Gefäßveränderungen im Rahmen einer prädisponierenden Grunderkrankung auftreten (u. a. bei Trisomie 21, Neurofibromatose oder Sichelzellkrankheit). Transiente ischämische Attacken – im Kindesalter ansonsten selten – treten bei einem Großteil der Kinder mit einer Moyamoya-Angiopathie auf (ca. 70 %); häufig finden sich bei der Diagnosestellung auch bereits ältere Infarkte [30].

Arteriopathien mit genetischer Prädisposition

Verschiedene anamnestische, klinische oder auf bildgebenden Untersuchungen basierende Hinweise indizieren eine genetische Abklärung. Dazu gehören u. a. das Auftreten von hämorrhagischen und ischämischen Infarkten (beim Kind oder in der Familie), charakteristische Befunde bildgebender Untersuchungen wie gestreckte, intrazerebrale Gefäße bei der ACTA2-Gen-Mutation oder das Vorhandensein pathognomonischer Symptomkombinationen, wie z. B. wiederholte Fieberschübe mit Livedo racemosa und Hepatosplenomegalie bei der ADA2-Defizienz (ACTA2-assoziierte Erkrankungen: Mutation im ACTA2-Gen, Vererbung autosomal-dominant, Inzidenz sehr selten; ADA2-Defizienz: Mutation im CECR1-Gen; Vererbung autosomal-rezessiv; Inzidenz sehr selten, [16]). Mit zunehmender Häufigkeit genetischer Diagnostik wächst auch das Wissen um mögliche prädisponierende genetische Faktoren. Zu erwähnen sind außerdem die zunehmenden Erkenntnisse zur RNF213-Gen-Mutation und ihrer phänotypischen Bandbreite (Mutation im RNF213-Gen als wichtigster Risikofaktor für die Moyamoya-Erkrankung, [31, 32]).

Merke

  • Arteriopathien finden sich in der ätiologischen Abklärung am häufigsten.

  • Der differenzierten Gefäßdarstellung in der bildgebenden Untersuchung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.

Infektionen

Infektionen scheinen ein wichtiger Risikofaktor für den kindlichen Schlaganfall zu sein [24, 33, 34]. Auch nach „minor infections“ wie z. B. Infektionen der oberen Luftwege oder akute Otitis media zeigte sich in der Vascular Effets of Infections in Pediatric Stroke Study (VIPS) das Schlaganfallrisiko um das bis zu 6‑Fache erhöht. Bei der bakteriellen oder tuberkulösen Meningitis/Meningoenzephalitis stellt der Schlaganfall eine bekannte Komplikation dar. Die Rolle verschiedener Pathogene bei der Entstehung der para-/postinfektiösen vaskulitischen Veränderungen (Stichwort: FCA, Dissektion) wurde im Abschn. „Arteriopathien“ bereits beschrieben.

Welche Rolle eine Infektion mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“ (SARS-CoV-2) bei der Entstehung von zerebrovaskulären Ereignissen bei Kindern spielen könnte, ist derzeit noch nicht geklärt [35]. Es wird zum jetzigen Zeitpunkt empfohlen, alle Kinder mit akutem Schlaganfall auf Hinweise für eine akute oder zurückliegende Infektion mit SARS-CoV‑2 mittels PCR bzw. Serologie zu testen; gleichzeitig ist eine entsprechende Impfanamnese zu erheben. Die bisherigen epidemiologischen Daten in Deutschland sprechen aber nicht für ein neues Risikosignal.

Kardiale Erkrankungen

Es haben 20–30 % der Schlaganfälle im Kindesalter eine kardiovaskuläre embolische Ursache [3, 4, 36, 37]. Zu den typischen kardialen Gründen zählen angeborene Herzfehler mit linksseitigen Klappenvitien und v. a. alle zyanotische Vitien, bei denen Thromben ohne die Filterfunktion der Lungen eine Emboliequelle darstellen können. Zu dieser Gruppe zählen auch intrapulmonale Shunts (Verbindung zwischen pulmonalen Arterien und Venen, die zu einem extrakardialen Rechts-links-Shunt führt). Gründe für eine Thrombenbildung können z. B. im postoperativen Setting intrakardiale Patches oder andere Fremdoberflächen darstellen oder künstliche oder native Klappen im Rahmen einer Endokarditis.

Prozedurale Komplikationen mit Luft- oder Thromboembolie und sehr selten anderen biologischen Materialien (z. B. Kalk) können im Rahmen von Operationen bzw. Herzkatheteruntersuchungen auftreten, entweder als Komplikation oder als thrombotisches Ereignis aufgrund einer inadäquaten Heparinisierung (Antikoagulation). Eine erheblich reduzierte Funktion des Systemventrikels (Kardiomyopathie, Myokarditis) begünstigt intra(ventrikuläre)kardiale Thromben.

Kinder und Jugendliche, bei denen extrakorporale Verfahren (z. B. extrakorporale Membranoxygenierung [ECMO] oder „left ventricular assist device“ [LVAD] etc.) zum Einsatz kommen, stellen ebenfalls eine Gruppe von Risikopatienten dar.

Eine weitere Ursache findet sich bei Stenosierungen der herznahen Gefäße, die entweder nativ (Aortenbogenanomalien) oder postoperativ (Abgangsstenosen der Kopf-Hals-Gefäße nach Kardiochirurgie) oder im Rahmen von Katheterinterventionen (intravaskuläre Stents) auftreten können. Diese Stenosierungen kommen auch bei typischen Vaskulitiden (z. B. Kawasaki-Syndrom etc.) vor oder können sich sehr selten im Zusammenhang mit hereditären Aortopathien (z. B. Ehlers-Danlos‑, Loeys-Dietz‑, Marfan-Syndrom) als seltene Komplikation präsentieren.

Ähnlich dem Erwachsenen spielt im (Kindes- und) Jugendalter die „paradoxe Embolie“ über ein persistierendes Foramen ovale (PFO) eine gewisse Rolle beim kryptogener Schlaganfall („cryptogenic stroke“). Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Vorhofseptumaneurysma vorliegt, und weitere prädisponierende Faktoren, die eine venöse Thrombose begünstigen (orale Antikonzeption, prothrombotische Risikofaktoren, venöse Malformationen, May-Thurner-Syndrom) oder andere Risikofaktoren vorliegen (Thrombus am rechtsatrialen Katheter, Schrittmacherelektrode), bei denen eine passagere (Pressen, Husten) oder eine permanente pulmonale Hypertonie (Lungenembolie, Primäre pulmonale Hypertension, etc.) einen Rechts-Links Shunt über das PFO begünstigen. Hier ist die Indikation zum Verschluss gegeben [38, 39].

Merke

  • Jedes Kind mit einem AIS benötigt eine sorgfältige und zeitnahe kinderkardiologische Abklärung.

  • Ist die transthorakale Echokardiographie nicht ausreichend informativ, soll eine transösophageale Echokardiographie durchgeführt werden.

  • Die Fälle aller betroffenen Kinder sollen (auch) in einem interdisziplinären Board von Kinderneurologie und Kinderkardiologie besprochen werden.

Prothrombotische Risikofaktoren

Die Rolle angeborener und erworbener prothrombotischer Risikofaktoren in der Ätiologie des kindlichen Schlaganfalls ist gut beschrieben [40, 41, 42]. Die Risikoerhöhung variiert je nach Risikofaktor, deren isoliertem oder kombiniertem Vorliegen sowie der Koexistenz weiterer, nichthämostaseologischer Risikofaktoren. Als „etablierte“ prothrombotische Risikofaktoren gelten: Antithrombin‑, Protein-C--, Protein-S-Mangel, Faktor-V-Leiden- (G1691A), Prothrombinmutation (G20210A), Antikardiolipin-Antikörper, Lupusantikoagulans, Lipoprotein-(a)-Erhöhung und hohe Faktor-VIII-Spiegel.

Diagnostik

Bildgebende Untersuchungen in der Akutphase

Die Diagnose wird mithilfe bildgebender Untersuchungen gestellt. Goldstandard in der Diagnostik des kindlichen Schlaganfalls ist die kraniale Magnetresonanztomographie (cMRT, [43, 44, 45, 46]). Vorteile liegen in der Möglichkeit einer frühen Infarkterkennung, einer gegenüber der CT besseren Beurteilbarkeit der hinteren Schädelgrube und den Abgrenzungsmöglichkeiten zu den wesentlich häufigeren Stroke mimics. Für die initiale Diagnostik ist ein kurzes MRT-Protokoll über 10–20 min ausreichend; es sollte folgende Sequenzen beinhalten.

  • diffusionsgewichtete Sequenz (DWI) mit Diffusionskoeffizientenkarte („apparent diffusion coefficient [ADC] map“),

  • Gradientenechosequenz (GRE) oder suszeptibilitätsgewichtete Sequenz (SWI),

  • 3D Time-of-flight(TOF) MR-Angiographie der zerebralen und zervikalen Gefäße,

  • „Fluid-attenuated-inversion-recovery“(FLAIR)-Sequenz bei Patienten > 1. Lebensjahr; T2-gewichtete Sequenz bei Patienten < 1. Lebensjahr.

Zum Nachweis einer zerebralen Ischämie ist es für die akute Therapieentscheidung ratsam, eine kontrastmittelgestützte MR-Angiographie (bessere Beurteilbarkeit einer zugrunde liegenden pathologischen Gefäßveränderungen) durchzuführen. Bei Diskrepanz von klinischen Zeichen und Bildbefund kann eine MR-Perfusion helfen, das Vorliegen und das Ausmaß einer Perfusionsminderung zu erfassen.

Mit Blick auf die relativ hohe Inzidenz von Arteriopathien beim kindlichen Schlaganfall muss spätestens in der weiterführenden MRT-Diagnostik ein besonderer Fokus auf die Gefäßwanddarstellung gelegt werden.

Merke

  • Ist die Durchführung eines cMRT nicht zeitnah (bis spätestens 60 min) nach Aufnahme in der Klinik möglich, soll eine kraniale Computertomographie (cCT) – immer einschließlich einer cCT-Angiographie – durchgeführt werden, die im Verlauf (empfohlen innerhalb 24 bis 48 h) um eine cMRT-Diagnostik (einschließlich ausführlicher Gefäßdarstellung) ergänzt wird.

  • Eine cCT wird zudem prioritär beim bewusstseinsgestörten Kind zum raschen Ausschluss einer intrakraniellen Blutung, Raumforderung oder Liquorzirkulationsstörung eingesetzt.

Weitere Diagnostik

Zur Basisdiagnostik bei jedem Kind zählen neben der kardiologischen Abklärung (EKG, Echokardiographie mit Bubble-Studie bei V. a. paradoxe Embolie, ggf. transösophageale Echokardiographie; s. oben) die laborchemische, infektiologische und immunologische Diagnostik sowie Untersuchungen auf prothrombotische Risikofaktoren. Bei einigen Kindern kann eine genetische Untersuchung sinnvoll sein [47, 48].

Die Autoren empfehlen folgende Basisdiagnostik, die entsprechend der vermuteten Ätiologie (z. B. metabolisch, immunologisch, hämatologisch, infektiologisch) erweitert werden muss:

  • allgemeine Basisdiagnostik:

    • großes Blutbild mit Differenzierung, Basischemie, C‑reaktives Protein (CRP), Blutgasanalyse (BGA), Lactat,

    • Gerinnungsübersichtswerte (International Normalized Ratio [INR], Quick-Wert, aktivierte partielle Thromboplastinzeit [aPTT], Fibrinogen),

    • Drogenscreening bei Jugendlichen > 12 Jahren (oder bei begründetem Verdacht auf Drogenabusus),

    • Eisenstatus.

  • Basisdiagnostik auf prothrombotische Risikofaktoren:

    • Antithrombin III, Protein-C-, Protein-S-Mangel, Faktor-V-Leiden‑, Prothrombinmutation (G20210A), Antikardiolipin-Antikörper, Lupusantikoagulans, Lipoprotein (a), Homocystein ± MTHFR-Mutation, Fibrinogen, Faktor VIIIC.

  • Infektiologische Basisdiagnostik: HSV, VZV, Borrelien (und aktuell SARS-CoV-2-PCR).

  • Immunologische Basisdiagnostik:

    • antinukleäre Antikörper (ANA), antinukleäre zytoplasmatische Antikörper (ANCA), Komplementfaktoren C3, C4, Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit.

  • Metabolische Basisdiagnostik: Lactat, BGA, Homocystein, Lipidprofil; organische Säuren im Urin.

  • Großzügige Indikation zur Lumbalpunktion (wenn klinisch vertretbar, insbesondere bei V. a. auf infektiologische/immunologische Risikofaktoren): Liquoreröffnungsdruck, zytologische Untersuchung, Glucose, Eiweiß, Lactat, oligoklonale Banden, Kultur, serologische Bestimmungen, PCR (s. oben).

Merke

  • Wie umfangreich die ätiologische Abklärung sein muss, ist u. a. von der (Familien‑)Anamnese und den Befunden der bildgebenden Untersuchungen abhängig.

  • Es gilt: Nicht jedes Kind braucht alles an möglicher Diagnostik, dennoch bleibt selbst die Basisabklärung in der ätiologischen Aufarbeitung umfangreich und komplex.

Therapie

Thrombolyse und mechanische Thrombektomie

Prospektive klinische Studien zum Einsatz der Revaskularisationstherapien (Lysetherapie und mechanische Thrombektomie [MT]) im Kindesalter fehlen. Die Seltenheit der Erkrankung, aber v. a. die späte Diagnosestellung lassen die Durchführung prospektiver, randomisierter Studien auch im internationalen, multizentrischen Setting zum jetzigen Zeitpunkt wenig realisierbar erscheinen (vgl. Abbruch der TIPS-Studie zur Lysetherapie 2013; [49]).

Zur Thrombolyse und auch zur MT wurden in den letzten Jahren mehrere retrospektive Fallserien und Kohortenstudien publiziert, in denen auch bei (kleinen) Kindern eine Revaskularisationstherapie sicher, erfolgreich und mit gutem Outcome durchgeführt werden konnte [50, 51, 52, 53, 54]. Zu bedenken sind jedoch weiterhin die noch begrenzten Fallzahlen in den Studien, so wurden in der fallzahlstärksten Save ChildS Study von Sporns et al. [55] 73 Kinder in 27 internationalen Stroke-Zentren behandelt.

Zum jetzigen Zeitpunkt sollte bei einem Großgefäßverschluss und/oder Mismatch (Diffusion und Perfusion oder Diffusion und klinisches Bild) im MRT eine medikamentöse und/oder mechanische Rekanalisationstherapie nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung im interdisziplinären Team erwogen werden [48, 55, 56].

Merke

  • Revaskularisationstherapien (Thrombolyse und MT) können derzeit nur als Off-label-Therapien und somit im Sinne eines individuellen Heilversuchs eingesetzt werden.

  • Ihr Einsatz soll spezialisierten pädiatrischen Schlaganfallzentren, die über die notwendige Expertise und Interdisziplinarität verfügen, vorbehalten sein.

Antithrombotische Therapie

Bei fehlender Indikation für eine Thrombolyse oder MT sollte schnellstmöglich eine Antikoagulation mit unfraktioniertem/niedermolekularem Heparin bzw. Thrombozytenaggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure (ASS) begonnen werden; eine Evidenz für oder wider Heparin oder ASS in der Akutphase fehlt [47, 48, 57, 58]. Im Verlauf können die Therapie und die anschließende Sekundärprophylaxe je nach Ursache des Schlaganfalls umgestellt werden. Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) sind zur Therapie des Schlaganfalls im Kindesalter nicht zugelassen und sollten außerhalb von Studien nicht eingesetzt werden.

Die Dauer der Sekundärprophylaxe ist abhängig von der zugrunde liegenden Ätiologie, dem individuellen Rezidivrisiko und Befunden in den bildgebenden Untersuchungen; sie beträgt bei den meisten Kindern mindestens 2 Jahre.

In Tab. 2 sind die Dosierungen der gängigen Medikamente dargestellt.

Tab. 2 Gängigste antithrombotische Medikamente. (Adaptiert nach Kurnik et al. [59])

Steroide/immunsuppressive Therapie

Bei Patienten mit primärer Klein- oder Großgefäßvaskulitis des Zentralnervensystems (ZNS) haben Steroide und ggf. weitere Immunsuppressiva (z. B. Cyclophosphamid, Mycophenolatmofetil [MMF] u. a.) einen festen Stellenwert [46]. Steroide werden initial meist als Pulstherapie mit Methylprednisolon 20–30 mg/kgKG (max. 1 g/Dosis) für 3 bis 5 Tage verabreicht, gefolgt von rezidivierenden Pulsen im Abstand von 4 Wochen bzw. einem oralen „tapering“ mit Prednisolon. Die Therapieentscheidung sollte interdisziplinär v. a. zusammen mit den Kolleg:innen der pädiatrischen Neurologie, Rheumatologie und Immunologie getroffen werden. Das therapeutische Vorgehen ist national und international uneinheitlich; evidenzbasierte Leitlinien fehlen [60, 61]. Nach einer internationalen, interdisziplinären Erhebung des Status quo zu Diagnostik und Therapie der primären ZNS-Vaskulitiden im Kindesalter soll nun ein Konsensus erarbeitet werden.

Aktuell ist es zudem Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung, inwieweit Steroide auch das Outcome bei Patienten mit FCA verbessern könnten (Studie: High Dose Steroids in Children With Stroke and Unilateral Focal Arteriopathy [PASTA Trial], ClinicalTrials.gov identifier: NCT04873583).

Funktionelle Therapie

In der Postakutphase gilt es, funktionelle medizinische Therapien (Physio‑, Ergo- und Sprachtherapie), moderne Übungskonzepte wie Robotics, Injektionen von Botulinumneurotoxin (BoNT) und „virtual reality“, aufeinander abzustimmen sowie die Beratung/Aufklärung der Familien über das Erkrankungsbild und die individuelle Prognose bzw. die weitere Betreuung im Team zu leisten [62, 63, 64].

Rezidivrisiko/Outcome

Das Rezidivrisiko beträgt zwischen 6 und 40 % und wird durch die Ätiologie und das individuelle Risikoprofil eines jeden Kindes bestimmt [13, 65, 66]. Kinder ohne oder mit nur einem nachgewiesenen (bislang bekannten) Risikofaktor haben ein wesentlich geringeres Rezidivrisiko als Kinder mit mehreren Risikofaktoren. Bei stenosierenden Arteriopathien wie der Moyamoya-Angiopathie oder der Sichelzellkrankheit ist das Rezidivrisiko besonders hoch. Motorische Einschränkungen (v. a. spastische Hemiparese) zeigen ca. zwei Drittel der Kinder nach einem Schlaganfall, auch die Post-stroke Epilepsie ist häufig (bei 12–24 % der Kinder nach einem AIS, [67, 68, 69]).

Die gesundheitsassoziierte Lebensqualität ist bei Kindern mit AIS in allen Bereichen (physisch, emotional, sozial, schulisch, kognitiv funktionell) signifikant niedriger als bei Gleichaltrigen [70, 71].

Merke

  • Aufgrund der schweren Auswirkungen eines Schlaganfalls für die betroffenen Kinder und ihre Familien ist eine langfristige interdisziplinäre multiprofessionelle bio-psycho-soziale Betreuung wichtig.

  • Es gilt, die Bedarfe der Kinder nach einem Schlaganfall in den unterschiedlichen Lebensphasen zu kennen und interdisziplinär ein bestmögliches, personalisiertes Therapiekonzept zu erarbeiten.

Ausblick

Grundvoraussetzung für eine verbesserte Versorgung von Kindern mit einem Schlaganfall sind neben der stärkeren Implementierung der Kinderneurologie als Notfalldisziplin sowie der Definition und Verwendung klinikinterner „standard operating procedures“ (SOP) auch – überregional/flächendeckend – der Aufbau entsprechender Netzwerke für pädiatrische neurovaskuläre Störungen und die Nutzung telemedizinischer Möglichkeiten in enger Zusammenarbeit mit allen Fächern der Neuromedizin.

Verschiedenen Initiativen – national und international – ist es gelungen, das Kind mit Schlaganfall mehr ins Bewusstsein zu rücken sowie Schritt für Schritt Awareness für und Wissen über den Schlaganfall im Kindesalter zu erhöhen. Beispielhaft zu nennen sind:

  • das 2015 gegründete „Deutsche Netzwerk Pediatric Stroke“ (Lead: LMU München, Dachgesellschaft: Gesellschaft für Neuropädiatrie, GNP); ein interdisziplinäres Netzwerk, dem mittlerweile mehr als 35 Akut- und Rehabilitationskliniken sowie Vertreter aus Österreich, der Schweiz und den Niederlanden angehören,

  • das KinderSchlaganfalllotsen-Projekt der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe,

  • die International Pediatric Stroke Organization (IPSO, gegründet 2019).

Fazit für die Praxis

  • Ein Schlaganfall im Kindesalter („childhood stroke“) kann in jeder Altersstufe auftreten.

  • Leitsymptom ist auch beim Kind das akut auftretende fokal neurologische Defizit (beachte: beFAST).

  • Der Childhood stroke ist selten; Stroke mimics sind häufig. Die Diagnose wird nur mithilfe der bildgebenden Notfalluntersuchung gestellt (Goldstandard: cMRT); sie kann nicht mit der notwendigen Zuverlässigkeit aus den klinischen Zeichen allein abgeleitet werden.

  • Die Ursache ist häufig multifaktoriell, die Bandbreite der abzuklärenden Risikofaktoren groß: Arteriopathien, kardiale Erkrankungen und Koagulopathien stehen an erster Stelle.

  • Revaskularisationstherapien sind auch beim Kind in der Akutphase vielversprechende Therapieoptionen. Ihr Einsatz als Off-label-Maßnahmen bedarf der Expertise spezialisierter Pediatric Stroke Zentren, die in ihrer eingespielten Interdisziplinarität über Fachgrenzen hinausgeht.

  • Bestehende Versorgungsstrukturen in der Akutphase für Kinder mit einem Schlaganfall sind unzureichend: Ein wichtiger Ansatz muss der Aufbau entsprechender Netzwerke für pädiatrische neurovaskuläre Störungen sein; diese sollten alle Möglichkeiten digitaler Medizin vorhalten und flächendeckend nutzen.