Falldarstellung

Anamnese

Die Vorstellung des 9‑jährigen Knaben in der Kindernotfallambulanz erfolgte aufgrund von Fieber bis 40 °C seit 7 Tagen. Daneben stand eine abdominelle Symptomatik mit starken Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Dysurie im Vordergrund. Darüber hinaus zeigten sich erythematöse Hautinfiltrate sowie ein Plantar- und Palmarerythem (Abb. 1), und der Knabe klagte über trockenen Husten. Im Vorfeld wurde der Patient bereits vom niedergelassenen Kinderarzt, bei klinischem Verdacht auf Angina tonsillaris, antibiotisch ohne Effekt behandelt.

Abb. 1
figure 1

Hautveränderungen: a Plantarerythem, b Palmarerythem, c erythematöse Hautinfiltrate im Gesäßbereich sowie an den Ohrmuscheln links (d) und rechts (e)

Klinischer Befund

Im klinischen Status präsentierte sich der Patient in reduziertem Allgemeinzustand mit gespanntem und druckdolentem Abdomen, und es zeigten sich eine Pharyngitis, eine Himbeerzunge und konjunktivale Injektionen. An der Haut kamen ein Palmar- und Plantarerythem mit Hautinfiltration und zusätzlich erythematöse Hautinfiltrate, teilweise konfluierend und teilweise plaqueartig imponierend, an den Extremitäten, am Abdomen und an den Ohrmuscheln zur Darstellung (Abb. 1).

Labor und Histologie

Es zeigten sich deutlich erhöhte Entzündungsparameter sowie Herzenzyme. Zur weiteren Abklärung wurden virologische Befunde erhoben. Influenza A/B sowie SARS-CoV‑2 waren in den Nasen-Rachen-Abstrichen wiederholt negativ; in der Serologie zeigten sich SARS-CoV-2-IgA und -IgG positiv.

In der Hauthistologie vom Aufnahmetag zeigten sich lediglich unspezifische Veränderungen.

Bildgebung

Echokardiographie

Im initialen Echo fanden sich eine minimale Mitralinsuffizienz, eine schmale Ergusslamelle über beiden Ventrikeln bei unauffälligen Koronararterien. Zwei Tage später zeigten sich reduzierte Kontraktilität, eine zunehmende Insuffizienz der Mitralklappe mit Vergrößerung des linken Vorhofs sowie eine Trikuspidalinsuffizienz bei anhaltend unauffälligen Koronarien und weiterhin schmalem Perikarderguss.

Die Kontrolle am Folgetag ergab eine weiterhin eingeschränkte Kontraktilität (SF 28 % (NW > 30 %)), eine diastolische Funktionsstörung des linken Ventrikels, eine Größenzunahme des linken Vorhofs sowie eine Erweiterung der Lebervenen bei gleichbleibendem Perikarderguss.

Am Tag darauf fanden sich eine Normalisierung der Pumpleistung sowie eine nur mehr minimale Mitralinsuffizienz bei persistierend unauffälligen Koronararterien.

Ultraschall des Abdomens + CT

Im Abdomenultraschall zeigten sich die Darmschlingen im rechten Unterbauch verdickt sowie eine Lymphadenitis mesenterialis. Zusätzlich kamen beide Nieren unspezifisch vergrößert und mit angehobener Echogenität zur Darstellung. Zur weiteren Abklärung wurde eine Abdomen-CT durchgeführt. In dieser zeigten sich die Appendix minimal wandakzentuiert (Wanddicke 6–7 mm) mit Lufteinschlüssen und eine ausgeprägte mesenterielle Lymphadenopathie. Das C/P-Röntgen war unauffällig.

Therapie und Verlauf

Der Patient wurde mit der Diagnose eines Kawasaki-Syndroms (KS) stationär aufgenommen, und es wurde den Guidelines [7] entsprechend, eine Therapie mit i.v.-Immunglobulinen und ASS gestartet. Die bereits ambulant etablierte Antibiose wurde mit einem Cephalosporin weitergeführt und um Clindamycin, bei Verdacht eines „Toxic-shock“-Syndroms (TSS), erweitert. Am 2. Tag kam es zu einer Verschlechterung des AZ und Entwicklung eines septischen Schocks [5] mit art. Hypotonie, sodass der Patient auf die Kinderintensivstation verlegt wurde. Bei Volumenresistenz wurde eine kontinuierliche Katecholamingabe etabliert. Zu diesem Zeitpunkt zeigten sich die Infektparameter und Herzenzyme weiter steigend (Abb. 2), Echokardiographie s. oben.

Abb. 2
figure 2

Verlauf: Klinik, Labor, Therapie

Bei persistierendem Fieber, auch nach der IVIG-Gabe, wurde die Therapie um Methylprednisolon (Beginn 25 mg/kgKG und Tag) erweitert. In der Folge fieberte der Patient rasch ab, und auch die kutanen Manifestationen zeigten sich rasch regredient.

Am 4. Tag kam zu einer weiteren deutlichen Verschlechterung der kardiorespiratorischen Situation, korrelierend zum Echobefund, mit arterieller Hypotonie, wiederholten Desaturierungen und einer eingeschränkten zentralvenösen Sättigung. Klinisch traten Lid‑, Bein- und Skrotalödeme auf. Daher wurde die antikongestive Therapie erweitert, und es wurde eine nichtinvasive atemunterstützende Therapie mittels Optiflow (AIRVO 2, Fischer und Paykel Healthcare, Neuseeland) etabliert. Allmählich konnten im Verlauf die atemunterstützende Therapie sowie auch der Katecholamin-Support reduziert werden, und es kam es zu einer Besserung der oben beschriebenen echokardiographischen Befunde. Die initiale Auslenkung der herzspezifischen Enzyme zeigte sich rückläufig. Nach Beendigung der Atemunterstützung und des Katecholamin-Supports und deutlicher Besserung des Allgemeinzustands konnte der Patient auf die Normalstation verlegt werden.

Da das klinische Bild und der Verlauf nicht klassisch für ein KS waren, wurde, neben der Differenzialdiagnose eines TSS, auch die Verdachtsdiagnose eines „SARS-CoV-2-induced Kawasaki-like hyperinflammatory syndrome“ [6] gestellt, allerdings konnte 2‑malig aus der PCR (Nasen-Rachen-Abstrich) keine floride Infektion mit SARS-CoV‑2 nachgewiesen werden. In der parallel dazu durchgeführten Antikörperbestimmung zeigten sich IgG und IgA gegen SARS-CoV‑2 im Serum positiv, was für eine zurückliegende Infektion mit SARS-CoV‑2 spricht. Im Screening der Familie fanden sich ebenfalls positive SARS-CoV-2-IgG und -IgA. Rückblickend gab die Familie, wie auch unser Patient, grippeähnliche Symptome an (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Familienanamnese

Nach insgesamt 17 Tagen erfolgte die Entlassung, unter laufender oraler Therapie mit ASS und Furosemid, in die häusliche Pflege. In der Folge wurden ambulante Kontrollen in der kinderkardiologischen Spezialambulanz durchgeführt. In seriellen Untersuchungen zeigte sich innerhalb von 4 Wochen nach Entlassung in die häusliche Pflege eine kontinuierliche Normalisierung der laborchemischen Parameter. Auch der bei Entlassung noch echokardiographisch darstellbare Perikarderguss konnte nach einem Intervall von 3 Wochen nicht mehr nachgewiesen werden. Anfangs wurde körperliche Schonung verordnet. Zum subjektiven Monitoring erhielt der Patient eine handelsübliche Pulsuhr; eine maximale Herzfrequenz von 120/min sollte nicht überschritten werden. Diesbezüglich liegt nach unserem Wissen keine Literatur vor, allerdings hat sich eine maximale Herzfrequenz von 120/min in der Betreuung von gleichaltrigen Patienten mit Myokarditis als praktikabel erwiesen. Unter diesen Maßnahmen war der Patient subjektiv beschwerdefrei, und auch bei der klinischen Untersuchung konnte keine Auffälligkeit gefunden werden.

Diskussion

Wie in der aktuellen Literatur beschrieben [3, 4], kam es auch bei unserem Patienten nicht während der Akutinfektion, sondern mit einer Latenz von 23 Tagen zum Auftreten der beschriebenen Symptomatik, die aktuell als „pediatric inflammatory multisystem syndrome“ (PIMS) [3] bezeichnet wird.

Der Verlauf bei unserem Patienten zeigt deutlich, dass es – auch verzögert – zu einer klinisch relevanten, mitunter bedrohlichen Verschlechterung der kardiorespiratorischen Situation kommen kann, sodass bei entsprechendem Verdacht der Transfer an eine Abteilung mit der Möglichkeit einer permanenten kinderintensivmedizinischen und -kardiologischen Betreuung erwogen werden sollte.

Bei PIMS handelt es sich um ein neu beschriebenes, komplexes, noch nicht restlos verstandenes Krankheitsbild. Die exakte Einordnung dieser neu beschriebenen Entität PIMS, insbesondere ihre Abgrenzung von einem klassischen KS, ist (derzeit noch) herausfordernd. Zu beobachten ist, dass Patienten mit einem PIMS in der überwiegenden Anzahl der bis dato publizierten Fälle zum Zeitpunkt der Manifestation älter sind (etwa um das 10. Lebensjahr) [3, 4]. Das klassische KS betrifft üblicherweise jüngere Patienten. Auffallend ist auch, dass es im Rahmen des PIMS zu kardialen Veränderungen kommt, die üblicherweise bei inflammatorischen Prozessen gefunden werden. Es handelt sich dabei um neu auftretende Klappenveränderungen, Perikarderguss oder eingeschränkte systolische sowie diastolische Funktion des Herzens mit entsprechenden laborchemischen Korrelaten. Die Koronaraffektionen, die bei den kardialen Veränderungen des klassischen KS von zentraler Bedeutung sind, wurden bei unserem Patienten mit PIMS nicht gefunden. Diese Aussagen decken sich mit den derzeit zur Verfügung stehenden klinischen und echokardiographischen Beobachtungen [1]. Neben dem KS zählt auch das TSS zu den Differenzialdiagnosen des PIMS. Dieses ist ebenfalls durch Hyperinflammation, Fieber und Multiorganbeteiligung gekennzeichnet. Immunologisch scheinen bei PIMS und TSS Superantigene und eine HLA-Disposition eine Rolle zu spielen [2].

Bemerkenswert war der Umstand, dass die akute kardiale Symptomatik, die schließlich den Transfer auf die Kinderintensivstation und den Einsatz von Katecholaminen nach sich zog, erst 28 Tage nach dem Auftreten der ersten Symptome aufgetreten ist. Dieser Verlauf deckt sich mit anderen publizierten Fällen [3, 4]. Eine Erklärung für das verspätete Auftreten der Symptomatik könnte ein Priming des Immunsystems – so wie es auch beim akuten rheumatischen Fieber durch β‑hämolysierende Streptokokken der Gruppe A auftritt – sein [2]. Wichtig ist auch die initiale Präsentation mit akuten Bauchschmerzen und damit Verdacht auf akute Appendizitis/Meckel-Divertikel, welche häufig zu einer operativen Sanierung führt. Auch bei unserem Patienten wurde eine Appendektomie erwogen, letztendlich aber nach der Abdomen-CT (s. oben) nicht durchgeführt.

Das Fazit für die klinische Praxis und Betreuung dieser Patienten, das wir aus diesem und den wenigen publizierten Fällen ziehen, ist, dass es sich bei der Entität des PIMS um einen durch noch nicht restlos geklärte immunologische Mechanismen unterhaltenen Prozess handelt, der auch nach der Überwindung der Akutsituation eine engmaschige und serielle Betreuung erforderlich macht. Hochdosiertes Steroid dürfte neben sonstigen supportiven Therapien hilfreich in der Beherrschung der inflammatorischen Schocksymptomatik sein.

Fazit für die Praxis

  • PIMS kann rasch zu einer manifesten Schocksymptomatik führen → PICU-Hintergrund entscheidend für Therapie und Outcome.

  • PIMS tritt zumeist Wochen nach der primären Infektion mit SARS-CoV‑2 auf.

  • Therapeutisch kommen IVIG und hochdosierte Steroide, neben supportiven Therapien, zum Einsatz.