Zuletzt war im Jahr 2011 eine Ausgabe der Monatsschrift Kinderheilkunde dem Thema „Rehabilitation“ gewidmet. Seither hat sich in Österreich Entscheidendes getan: Im Jahr 2015 wurde zwischen Sozialversicherungen und Ländern vereinbart, österreichweit Rehabilitation für Kinder und Jugendliche anzubieten, zunächst im stationären Setting. Dafür wurde ein Bedarf von 343 Betten errechnet, die auf 6 Standorte verteilt sind. Mittlerweile sind 5 Zentren in Betrieb, das 6. und letzte befindet sich in Planung. Die jährlichen Kosten betragen etwa 30 Mio. €; diese werden zu ca. zwei Dritteln von den Sozialversicherungen und zu einem Drittel von den Bundesländern getragen. Die ursprüngliche Differenzierung zwischen angeborener und erworbener Erkrankung als Rehabilitationsgrund wurde erfreulicherweise fallen gelassen.

Der Paradigmenwechsel hin zu Teilhabe- und Familienorientierung erfordert weitere Anstrengungen aller

Bedauerlicherweise ist zuletzt aber die „Coronakrise“ auch an den Rehabilitationseinrichtungen nicht spurlos vorübergegangen. Der Betrieb derselben wurde vorübergehend eingestellt bzw. stark reduziert, sodass nun gewissermaßen ein „Reset“ erforderlich ist. Durch persönliche Kommunikation ist mir bekannt, dass deutsche Einrichtungen gleichermaßen vom Problem „Corona“ betroffen waren bzw. immer noch sind. Das nunmehrige Themenheft kommt daher gerade recht, diese „Wiedererstehung“ zu begleiten. Bei der Themenauswahl wurde Wert darauf gelegt, dass verschiedene Schwerpunkte der Kinder- und Jugendlichenrehabilitation Berücksichtigung finden.

U. Thyen et al. aus Lübeck beschreiben in ihrem Beitrag zunächst allgemeine Grundlagen der modernen Habilitation und Rehabilitation im Kindesalter. Sie verweisen darauf, dass gemäß der International Classification of Functioning, Disability and Health – Children and Youth Version (ICF-CY) die Partizipation in den Mittelpunkt aller Habilitations- und Rehabilitationsmaßnahmen gestellt werden muss. Dabei ist das englische Wort „participation“ als „Teilhabe“ zu übersetzen, die wesentlich mehr bedeutet als reine Teilnahme. Die Autoren bezeichnen dies als Paradigmenwechsel von funktionsverbessernden zu teilhabe- und familienorientierten Maßnahmen. Sie betonen, dass diese Entwicklung keinesfalls abgeschlossen ist, sondern auf vielen Ebenen der Sozialgesetzgebung, der Leistungserbringung, im Bildungswesen sowie bei der Kinder- und Jugendhilfe noch große Anstrengungen erforderlich sind, um die historisch gewachsene Segregation von Behinderungsarten und Settings zu überwinden. In weiterer Folge beschreiben die Autoren die Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen in Deutschland. Diese erfolgt über die gesetzliche Rentenversicherung (GRV), die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sowie ggf. private Krankenversicherungen (PKV). Gemäß Bundesteilhabegesetz kommt auch die öffentliche Jugendhilfe als Leistungsträger in Betracht. Kinder und Jugendliche mit einer Perspektive zur Teilnahme am Erwerbsleben fallen in die Zuständigkeit der GRV, Kinder mit Behinderungen v. a. in die Zuständigkeit der GKV. Die Statistik im Jahr 2019 weist für die GRV 33.421 gesetzte Maßnahmen im stationären Bereich aus, für die GKV 19.136. In 57 % der Fälle wurden die Kinder bzw. Jugendlichen von einem Sorgeberechtigten begleitet (gegenüber 34 % im Jahr 2014). Das Kostenvolumen für die GRV wird mit € 221 Mio. angegeben, jenes der GKV mit € 48 Mio. In der Bilanz der GRV macht der „Kinderanteil“ nur 3,2 % des Gesamtvolumens aus, der weit überwiegende Teil der Rehabilitationsausgaben fließt in die Rehabilitation von Erwachsenen. Die Hauptindikationen der GRV-finanzierten Rehabilitationsmaßnahmen sind psychische Erkrankungen (9336 Maßnahmen), Atemwegserkrankungen (7675), Adipositas (5099), orthopädische Erkrankungen (3014) und Hauterkrankungen (2057). In einem weiteren Abschnitt beschreiben die Autoren die Rolle der Kinder und Jugendärzte; ihnen wird bei der Indikationsstellung und Auswahl der Rehabilitationseinrichtung eine entscheidende Rolle zugeschrieben. Manchmal wird allerdings der Ausweg auf Kuren genommen, da für deren Beantragung das Antragsverfahren weniger aufwendig ist. Schließlich wird in dem Beitrag noch die Rolle der Familienorientierung betont; diese bezeichnen die Autoren als Voraussetzung für gelungene Teilhabe. Wesentlich sei, die hohe Stressbelastung der Eltern bzw. Familie zu reduzieren und die Selbstwirksamkeit zu erhöhen. Die Autorengruppe schließt ihren Beitrag mit dem Hinweis, dass weiter an der Reduktion von Fragmentierung und Segregation gearbeitet werden muss, und dass dafür flexible und dynamische Lösungsansätze unter Einbezug aller involvierten Partner erforderlich sind.

J. Koch aus Salzburg beschreibt in seinem Beitrag die neurologische Frührehabilitation von Kindern und Jugendlichen und verweist auf die Erfahrungen der Rehabilitationseinrichtung in Salzburg (ReKiZ). Er erwähnt, dass Akutneurorehabilitation unmittelbar an die Intensivtherapie anschließen soll, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Wie bei anderen Rehabilitationsmaßnahmen stehen Integration und Teilhabe im Zentrum der Bemühungen. Als Hauptindikationen der Rehabilitationseinrichtung ReKiZ wurden im Jahr 2019 Schädel-Hirn-Traumata und Querschnittsläsionen (33 %), entzündliche Erkrankungen des Zentralnervensystems (ZNS, 16 %), hypoxische Schädigungen des ZNS (9 %) und Schlaganfall (9 %) beobachtet. Die neurologische Rehabilitation folgt einem Phasenmodell von Phase A (Akutphase) über Phase B (Frührehabilitation) bis hin zu den Phasen E (Eingliederungsphase) und Phase F (Langzeitpflege). Unter ärztlicher Leitung erfolgt die neurologische Frührehabilitation durch ein multiprofessionelles Team, das u. a. Physio‑, Ergotherapie, Logopädie, Psychologie und Neuropsychologie, Heilstättenschule und Sozialarbeit umfasst. Zusätzliche Angebote wie Musik‑, Kunst-, tiergestützte Therapien etc. können zum Einsatz kommen. Neben den unmittelbar am Patienten erbrachten Leistungen ist auch im Bereich der Neurorehabilitation die Familie in den Rehabilitationsprozess einzubeziehen und u. a. psychologisch und sozialmedizinisch zu unterstützen. Als essenziell wird die weitere Planung durch adäquates Entlassungsmanagement angeführt. Der Autor verweist darauf, dass manchmal der Rehabilitationsprozess in eine palliativmedizinische Versorgung mündet. Aus eben diesem Grund sind palliativmedizinische Kompetenzen auch für die in der Neurorehabilitation Tätigen unumgänglich. Im Fazit wird festgehalten, dass der medizinische und pflegerische Betreuungsaufwand im Bereich der neurologischen Frührehabilitation sehr hoch ist und diese deshalb an Krankenhausstrukturen gebunden ist.

A. Egmond-Fröhlich et al. aus Wien widmen ihren Beitrag der Frage, ob Kinder und Jugendliche mit Langzeitbeatmung (LZB) an Rehabilitationseinrichtungen versorgt werden können, bzw. ob dort eine schrittweise Entwöhnung von der Beatmung in die Wege geleitet werden kann. Sie definieren zunächst die „LBZ“ als einen über 3 Monate anhaltenden Bedarf einer mechanischen Atemunterstützung bei medizinisch stabilem Kind. Die Autoren geben an, dass etwa 92 % der unter LZB stehenden Kinder grundsätzlich nach Hause entlassen werden können. Hauptursachen für die Notwendigkeit von LZB sind neuromuskuläre Erkrankungen, ZNS-Erkrankungen und Erkrankungen der oberen Luftwege. Bezüglich der Behandlungsform steht die nichtinvasive Beatmung („noninvasive ventilation“, NIV) im Vordergrund. Darüber hinaus existieren aber zahlreiche andere Möglichkeiten des Beatmungsmanagements; diese werden von den Autoren in einer „Pyramide der respiratorischen Unterstützung“ dargestellt. Dabei werden sowohl die Ventilationszugänge (Tracheostoma, Nasen‑, Mund-Nasen-Maske und Mundstück) als auch verschiedene Beatmungsformen („continuous positive airway pressure ventilation“ [CPAP], „biphasic positive airway pressure“ [BiPAP] und andere) genannt. In weiterer Folge gehen die Autoren darauf ein, welchen Beitrag die Rehabilitation als solche leisten kann, und verweisen darauf, dass für die Heimbeatmung geeignete Kinder auch in den Rehabilitationsprozess einbezogen werden können. Allerdings stellt die Beatmung bzw. Atemunterstützung nur einen Teil der Maßnahmen dar, wie bei anderen Rehabilitationsmaßnahmen sind auch hier ein multiprofessionelles Team und entsprechende Strukturqualität essenziell. Die Autoren merken kritisch an, dass eine derartige Strukturqualität und entsprechende Standards in Rehabilitationseinrichtungen vielfach noch fehlen und die oft niedrigen Tagessätze/Tarife ein adäquates Beatmungs- bzw. Weaning-Management nur bedingt zulassen. Für das „Weaning“ selbst (Entwöhnung von der Beatmung) führen die Autoren 4 Haupt- und 3 Nebenkriterien an. Sie nennen die Möglichkeiten, aber auch potenziellen Probleme der Dekanülierung bei bestehendem Tracheostoma. Im letzten Abschnitt ihres Beitrags beschreiben die Autoren allgemein begleitende Maßnahmen wie Checklisten, elektronische Dokumente, Schulungs- und Übungsunterlagen, aber auch eine administrative Agenda. Der Beitrag schließt mit dem Fazit, dass die LZB insgesamt eine sehr komplexe Aufgabe darstellt und entsprechendes adaptives Management an entsprechende Spezialeinrichtungen mit nötigem Know-how und ausreichenden Ressourcen gebunden werden muss.

S. Sauter und S. Meyer von der Katharinenhöhe berichten in ihrer Publikation über die familienorientierte Rehabilitation (FOR) von Kindern und Jugendlichen nach hämatoonkologischen Erkrankungen. Auch diese Form der Rehabilitation folgt den üblichen Kriterien der Rehabilitationsmedizin mit adäquater Indikationsstellung, Zielsetzung und nachfolgender Evaluierung des Rehabilitationserfolges. Und auch für diese Sonderform der pädiatrischen Rehabilitation sind somit Struktur‑, Prozess- und Ergebnisqualität von hoher Bedeutung. Der Unterschied zu anderen Rehabilitationsformen liegt v. a. darin, dass die Familienangehörigen als „Sekundärpatienten“ definiert und somit voll in den Rehabilitationsprozess integriert werden. Dabei ist der Begriff „Familie“ nicht streng auf Vater, Mutter und Geschwister beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf andere im Familienverband lebende Personen (Beispiel Regenbogen- bzw. Patchwork-Familien). Der Rehabilitationsansatz wird ganzheitlich gesehen und umfasst somit nicht nur die Behandlung körperlicher Beeinträchtigungen, sondern insbesondere den sozialmedizinischen Aspekt und das psychische Wohlbefinden der gesamten Familie. Die Rehabilitationsmaßnahmen erfolgen in Form von 4‑wöchigen Turnussen, worin die Autoren einen wesentlichen Vorteil bezüglich Gruppendynamik und gegenseitiger Unterstützung sehen. Sie verweisen darauf, dass hämatoonkologische Rehabilitation in Deutschland und zuletzt auch in Österreich erfreulicherweise zum Standard geworden ist und oftmals Erfolge erzielt werden, die weit über das ursprünglich gesetzte Therapieziel hinausgehen.

PädiaterInnen sollten Möglichkeiten und Chancen der pädiatrischen Rehabilitation kennen und nutzen

Aus österreichischer Sicht ist es erfreulich, dass unser Land seit 2015 bezüglich der Kinder- und Jugendlichenrehabilitation zu den anderen deutschsprachigen Ländern [1] aufgeschlossen hat und nunmehr für die verschiedenen Indikationen über geeignete Einrichtungen verfügt. Bedauerlicherweise wurde der Aufwärtstrend der Inanspruchnahme, aber auch der Versorgungsqualität durch die Pandemie, die die „coronavirus disease 2019“ (COVID-19) ausgelöst hat, abrupt gestoppt. Es gilt nun, die Entwicklung der „Vorcoronazeit“ wieder aufzunehmen. Gelingen kann dies nur, wenn alle PartnerInnen in ihren Bereichen dazu beitragen. Dies betrifft insbesondere potenzielle ZuweiserInnen im stationären und im niedergelassenen Bereich. Kinder- und JugendärztInnen sollen daher die Möglichkeiten und Chancen der pädiatrischen Rehabilitation nicht nur kennen, sondern auch nutzen.

Ich hoffe, dass dieser Schwerpunkt dazu beiträgt, Kinder- und Jugendärzte sowie Kinder- und Jugendärztinnen in ihrer diesbezüglichen Kompetenz zu stärken.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre – wie immer freuen wir uns über jegliche Form der Rückmeldung.

Leoben im Dezember 2020

Univ.-Prof. Dr. Reinhold Kerbl