Einleitung

Die Prävalenz von Kindern und Jugendlichen mit Typ-2-Diabetes (T2D) ist weltweit rasch zunehmend. Die weltweit höchsten Prävalenzzahlen werden für die USA und China (33 bzw. 18/100.000 Minderjährige) berichtet [13]. Die US-amerikanische SEARCH-Studie zeigte beispielsweise einen Anstieg der Prävalenz von 30,5 % zwischen 2001 und 2009 in der Altersgruppe zwischen 10 und 19 Jahren [10]. Im Gegensatz dazu ist die Prävalenz in deutschsprachigen Ländern auf niedrigem Niveau stabil (2,4/100.000) [18]. In Deutschland werden etwa 5 % der neu gemeldeten Diabetesfälle bei Kindern und Jugendlichen als T2D klassifiziert. Dies entspricht ca. 180–300 Neuerkrankungen/Jahr [23]. Die Inzidenz des T2D bei Kindern in Österreich blieb von 1999 bis 2007 stabil bei 0,6/100.000 [24]. Eine konsistente Statistik bei Kindern mit T2D besteht zurzeit nicht. Hierfür werden einheitliche diagnostische Kriterien und Screeningmethoden benötigt [14]. Viele der jungen Patienten haben kaum Beschwerden, sie benötigen aber dennoch im Hinblick auf mögliche Spätschäden eine effiziente Therapie. Im Vergleich zu Erwachsenen kommt es bei Jugendlichen zu einer rascheren Progression des T2D. Mikroalbuminurie, Hypertonie und Dyslipidämie treten bereits frühzeitig auf. Diese Komorbiditäten resultieren in einem höheren Risiko für Niereninsuffizienz und einer erhöhten Mortalität bei Erwachsenen mittleren Alters [20].

Bis zu 85 % der klinisch als T2D klassifizierten Jugendlichen, insbesondere in westlichen Ländern, leiden an Übergewicht oder Adipositas [2]. Im Gegensatz dazu gibt es auch Länder wie Japan [26] und Indien [22], in denen ca. 30–50 % der Jugendlichen mit T2D normalgewichtig sind. Italien und Spanien weisen zwar bei Jugendlichen europaweit die höchsten Adipositasraten, jedoch eine niedrige T2D-Prävalenz auf [1, 4]. Dies reflektiert die komplexe Pathogenese des juvenilen T2D.

In der Therapie des T2D und der zugrunde liegenden und assoziierten Risikofaktoren wird primär Wert auf eine Lebensstilmodifikation mit vermehrter Bewegung, Ernährungsberatung und psychologischer Betreuung gelegt. Langzeiterfolge bei einer ausschließlichen Therapie durch eine Lebensstilintervention werden nur bei unter 10 % der Patienten erreicht [25]. Neben einer Lebensstilmodifikation stehen gegenwärtig nur wenige Therapieoptionen zur Verfügung.

Bis vor Kurzem waren lediglich Metformin und Insulin zur Therapie des T2D bei Kindern und Jugendlichen zugelassen. Eine ausreichende glykämische Kontrolle kann damit oftmals nicht erreicht werden. Bei 27 % der Jugendlichen mit T2D lag der HbA1c-Wert über 9,5 % und damit deutlich über dem Zielbereich von 7 % [10, 30]. Eine US-amerikanische Studie überprüfte, welche Therapieform bei übergewichtigen Jugendlichen den Blutzucker am zuverlässigsten normalisiert. Im Rahmen der TODAY-Studie wurden 699 Jugendliche im Alter von 10 bis 17 Jahren über einen Zeitraum von 4 Jahren beobachtet. Als Therapie kamen Metformin sowie Lebensstiländerungen mit kalorischer Einschränkung und vermehrter körperlicher Aktivität zum Einsatz. Nur die Hälfte der jungen Patienten erreichte mit Metformin einen akzeptablen Blutzucker über die Beobachtungszeit. Die Änderung des Lebensstils brachte keine zusätzliche Besserung, zumal bei den Jugendlichen im Schnitt keine Gewichtsreduktion erreicht wurde [31]. Die Ergebnisse zeigen, dass eine alleinige Metformintherapie beim Großteil der an T2D erkrankten Jugendlichen nicht ausreichend ist. Viele benötigen zusätzliche Schulungen, intensivere Lebensstiländerungen oder eine Insulintherapie. Die Verabreichung von Insulin führt allerdings häufig zu einer Gewichtszunahme und begünstigt in weiterer Folge eine Verschlechterung der Insulinresistenz. Eine Therapie mit Insulin wird daher bei Erwachsenen erst nach Ausschöpfung aller anderen verfügbaren Antidiabetika begonnen und bis dahin möglichst vermieden [7].

Seit 2019 ist mit Liraglutid auch eine Substanz aus der Gruppe der Glucagon-like-Peptide-1(GLP-1)-Rezeptor-Agonisten zur Therapie von T2D bei Kindern ab dem 10. Lebensjahr zugelassen. Die Literatur dazu ist im Folgenden kurz dargestellt.

Wirkung von GLP-1

Glucagon-like Peptide 1 ist ein Inkretinhormon, welches im Darm freigesetzt wird. Es steigert die glucoseabhängige Insulinsekretion der β‑Zellen im Pankreas und senkt die unangemessen hohe Sekretion von Glukagon [15]. Außerdem kommt es zu einer verlangsamten Entleerung des Magens. In einer Studie von Manell et al. lagen die GLP-1-Werte in der Gruppe mit gestörter Glucosetoleranz um 50 % unter den Werten der Gruppe mit normaler Glucosetoleranz. Auch während des oralen Glucosetoleranztests (oGTT) waren die GLP-1-Werte postprandial um 50 % niedriger bei den Teilnehmern mit T2D im Vergleich zu der Gruppe mit normaler Glucosetoleranz [15].

Liraglutid kann einerseits als Antidiabetikum zur medikamentöse Monotherapie in Kombination mit Bewegung und Diät eingesetzt werden. Andererseits kann das Medikament als Add-on zu Metformin oder alleine bei einer Unverträglichkeit von Metformin verabreicht werden. Es wird in einem Fertig-Pen zur täglichen s.c.-Applikation angewandt und kann unabhängig von den Mahlzeiten verabreicht werden [28].

Liraglutid in der Therapie des T2D bei Erwachsenen

Bei Erwachsenen wurde Liraglutid bereits 2009 zugelassen. Die Initialdosis bei Erwachsenen beträgt 0,6 mg täglich für eine Woche, danach folgt eine Titration auf 1,2 mg s.c. täglich in der zweiten Woche. Die maximal empfohlene tägliche Dosis von 1,8 mg s.c. sollte nicht überschritten werden [19]. Die Pharmakokinetik von Liraglutid ermöglicht eine durchgehende glykämische Kontrolle für 24 h und somit eine einmal tägliche Applikation [17]. Der GLP-1-Agonist zeigte in Studien eine bessere glykämische Kontrolle als Rosiglitazon und Insulin glargin [5]. Die β‑Zell-Funktion wird durch Liraglutid verbessert und somit auch die Insulinsensitivität und die glykämische Kontrolle [17]. Aufgrund der lang anhaltenden Wirkung von Liraglutid können gebesserte nüchterne und postprandiale Blutzuckerwerte erreicht werden [17]. Somit wird auch der HbA1c-Wert reduziert [8]. Liraglutid führt bei Erwachsenen zusätzlich zu einem Gewichtsverlust und senkt den systolischen Blutdruck [8]. Eine doppelblinde randomisierte Studie von Marso et al. mit Liraglutid bei Patienten mit T2D kam zu dem Ergebnis, dass in der Liraglutidgruppe weniger Patienten aufgrund von kardiovaskulären Ursachen starben als in der Placebogruppe [16]. In der LEAN-Studie normalisierte sich die nichtalkoholischen Steatohepatitis histologisch [3]. Das Nebenwirkungsprofil bei Erwachsenen beinhaltet insbesondere gastrointestinale Nebenwirkungen, wie dosisabhängige Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Diese traten hauptsächlich in den ersten 4 Wochen der Therapie auf und wurden mit der Zeit weniger [19]. Das Risiko für Hypoglykämien ist bei einer glucoseabhängigen Wirkung auf die Insulinsekretion im Vergleich zu anderen Antidiabetika sehr niedrig [19]. Insgesamt ist Liraglutid in der Therapie des T2D bei Erwachsenen im Hinblick auf die glykämische Kontrolle und die kardiovaskulären Risikofaktoren fester Bestandteil des therapeutischen Spektrums.

Studien bei Jugendlichen mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten

Bei Jugendlichen gibt es bislang nur wenige veröffentlichte Studien mit täglicher Anwendung von Liraglutid bei Übergewicht und bei Übergewicht mit T2D. Danne et al. konnten für 12- bis 17-Jährige unter Anwendung des Dosierungsschemas für Erwachsene ein gutes Sicherheits- sowie ein niedriges Nebenwirkungsprofil zeigen [6]. Bei einer 5‑wöchigen Studie bei 10- bis 17-jährigen Patienten mit T2D, die die Pharmakokinetik von Liraglutid untersuchte, zeigten sich eine gleich gute Toleranz und Pharmakokinetik wie bei Erwachsenen [21]. In einer Studie zu Sicherheit und Pharmakokinetik von Liraglutid bei Jugendlichen mit T2D von Klein et al. zeigte sich ein größerer Abfall des HbA1c in der Gruppe mit Liraglutid im Vergleich zu Placebo. Des Weiteren wurden eine ähnliche Sicherheit, Verträglichkeit und Pharmakokinetik bei Jugendlichen mit T2D wie bei Erwachsenen festgestellt [12].

Im Jahr 2019 wurde Liraglutid von der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) für Kinder und Jugendliche ab einem Alter von 10 Jahren zur Behandlung eines T2D zugelassen [28]. Die Ausweitung der Zulassung auf Kinder ab 10 Jahren beruht auf den Ergebnissen der Ellipse-Studie [27]. Es handelte sich dabei um eine doppelblinde, randomisierte Phase-3-Studie mit Liraglutid bei 134 Jugendlichen (10 bis 17 Jahre) mit T2D und Übergewicht. Die vorbestehende medikamentöse Therapie der Studienteilnehmer bestand aus Metformin bzw. Metformin in Kombination mit Insulin. Alle Studienpatienten erhielten eine zusätzliche Therapie mit bis zu 1,8 mg Liraglutid oder Placebo s.c. täglich über 26 Wochen und erreichten eine deutliche Verbesserung der glykämischen Kontrolle. Nach weiteren 26 Wochen in offenem Studiendesign verbesserte sich die glykämische Kontrolle weiter. In der Liraglutidgruppe erreichten beinahe doppelt so viele Patienten wie in den Vergleichsgruppen einen HbA1c-Wert von weniger als 7 %. Ein unerwartetes Ergebnis dieser Studie war das Fehlen eines Unterschieds zwischen den Gruppen im Body-Mass-Index (BMI) z‑Score oder im Körpergewicht in Woche 26; ein Befund, der sich von den Ergebnissen der Studien bei Erwachsenen unterschied [5, 8]. Die Studienautoren zogen als Erklärung dafür die relativ geringe Anzahl an Patienten, das weitere Wachstum der Kinder und die Tatsache, dass nur ungefähr 50 % der Liraglutidgruppe die volle Dosis von 1,8 mg s.c. pro Tag erhielten, in Erwägung [27].

GLP-1-Rezeptor-Agonisten bei Adipositas ohne T2D

Weghuber et al. konnten kürzlich die Wirksamkeit und Sicherheit von Exenatid, einem anderen GLP1-Analogon, einmal wöchentlich s.c. bei normoglykämischen Jugendlichen mit Adipositas zeigen. In dieser Studie wurde über 6 Monate bei 10- bis 18-Jährigen eine doppelblinde randomisierte placebokontrollierte Gabe von Exenatid 2 mg s.c. wöchentlich oder Placebo untersucht. Eine BMI-SDS-Reduktion von −0,09 konnte damit ebenso wie signifikante Reduktionen des Gewichts, des Hüftumfangs und des subkutanen Fettgewebes erzielt werden [29]. Kürzlich konnte zudem gezeigt werden, dass die Anwendung von Liraglutid (3,0 mg) über 56 Wochen in Kombination mit einer Lifestyletherapie zu einer signifikant stärkeren Verringerung des BMI-SDS als Placebo plus Lifestyletherapie bei normoglykämischen Jugendlichen mit Adipositas führt [11]. Liraglutid war Placebo in Bezug auf die Änderung des BMI-SDS in Woche 56 gegenüber dem Ausgangswert überlegen (geschätzte Differenz −0,22; 95 %-Konfidenzintervall [95 %-KI] −0,37 bis −0,08; p = 0,002). Bei 51 von 113 Teilnehmern der Liraglutidgruppe und bei 20 von 105 Teilnehmern der Placebogruppe (geschätzter Prozentsatz 43,3 % gegenüber 18,7 %) wurde eine Verringerung um mindestens 5 % beobachtet, 10 % wurden in 33 bzw. 9 beobachtet (geschätzter Prozentsatz 26,1 % gegenüber 8,1 %). Eine stärkere Reduktion wurde mit Liraglutid als mit Placebo für den BMI (geschätzte Differenz, −4,64 Prozentpunkte) und für das Körpergewicht (geschätzte Differenz, −4,50 kg [für absolute Veränderung] und −5,01 Prozentpunkte [für relative Veränderung]) beobachtet.

Nebenwirkungen der GLP-1-Rezeptor-Agonisten

Liraglutid führte in den durchgeführten Studien bei Jugendlichen lediglich zu milden Nebenwirkungen [12, 27]. Das Nebenwirkungsprofil weist insbesondere gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Bauchschmerzen auf [6, 12]. In der Ellipse-Studie war die häufigste Nebenwirkung Übelkeit [27]. Ein besonderes Augenmerk wurde auch auf die Pankreasenzyme gelegt, da eine akute Pankreatitis mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten bei Erwachsenen in Verbindung gebracht wurde. Diese Nebenwirkung trat bei Jugendlichen nicht auf. Lipase und Amylase waren bei allen Patienten, die mit Liraglutid behandelt wurden, im Normbereich [12, 27]. Nebenwirkungen führten in der Studie von Danne et al. bei keinem Patienten zu einem Abbruch der Behandlung [6]. Milde Hypoglykämien traten in der Liraglutidgruppe häufiger auf im Vergleich zur Placebogruppe. Liraglutid verursachte jedoch keine schweren Hypoglykämien [6].

Die Zukunft der GLP-1-Rezeptor-Agonisten

Liraglutid sollte im klinischen Alltag in der Therapie bei T2D bei Jugendlichen bei Versagen einer Metforminmonotherapie frühzeitig eingesetzt werden. Die Therapie mit Victoza kostet mit monatlich 119 € das Vierfache im Vergleich zu einem humanen Mischinsulin mit ca. 27 € monatlich. Durch die Therapie mit dem GLP-1-Rezeptor-Agonisten kann eine bessere glykämische Kontrolle erreicht werden. Im Gegensatz hierzu kommt es bei Insulin zu einer Gewichtszunahme und einer weiteren Verschlechterung der Insulinresistenz. Weitere Phase-3-Studien zu GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Dulaglutid (NCT02963766) oder Semaglutid (NCT04102189), die bereits bei Erwachsenen zugelassen sind, werden aktuell durchgeführt und lassen auch bei Jugendlichen Vorteile in Bezug auf die Gewichtsentwicklung erwarten. Bezüglich des Effekts auf den BMI sind jedoch deutliche substanzspezifische Unterschiede zu erwarten. In einer Studie von Fraser et al. wurde zudem Sitagliptin, ein Dipeptidylpeptidase(DPP)-4-Inhibitor, das GLP‑1 im Körper abbaut, bei pädiatrischen Patienten mit T2D getestet. Es konnte eine gute Toleranz bei 10- bis 17-Jährigen bestätigt werden [9].

Eine einmal wöchentliche Verabreichung der GLP-1-Rezeptor-Agonisten kann zu einer höheren Compliance beitragen. In den nächsten Jahren werden vermutlich noch weitere Antidiabetika für Kinder und Jugendliche mit T2D zur Zulassung geprüft.

Fazit für die Praxis

  • Die Basis der T2D-Therapie bei Kindern und Jugendlichen ist immer eine Lebensstilmodifikation, im Sinne einer Ernährungsumstellung und vermehrter Bewegung.

  • Eine Monotherapie mit Metformin ist bei Jugendlichen mit Übergewicht und manifestem T2D häufig nicht ausreichend.

  • Der GLP-1-Rezeptor-Agonist Liraglutid wurde im Juni 2019 für Jugendliche mit T2D ab 10 Jahren in Europa zugelassen.

  • Liraglutid kann in Kombination mit Metformin oder bei einer Metforminunverträglichkeit als Monotherapie zur Therapie des T2D bei Jugendlichen verordnet werden.

  • Liraglutid wird einmal täglich mit einer Anfangsdosis von 0,6 mg s.c. angewandt. Eine Dosissteigerung kann bis zu 1,8 mg täglich erfolgen.

  • Die Verabreichung von Liraglutid erfolgt unabhängig von den Mahlzeiten.

  • Liraglutid führte lediglich zu milden, insbesondere gastrointestinalen Nebenwirkungen. Das Risiko für schwere Hypoglykämien ist sehr niedrig.