Einleitung

Eine pädiatrische Krebserkrankung betrifft die ganze Familie. Das psychosoziale Belastungserleben der betroffenen Eltern und gesunder Geschwisterkinder verläuft multideterminiert dynamisch und kann auch Jahre nach der Behandlung klinisch relevant erhöht sein. In diesem Beitrag sollen die Eigenschaften und Inhalte von hilfreichen psychosozialen Unterstützungsangeboten, resultierend aus der qualitativen Analyse von Experteninterviews, vorgestellt werden.

In Deutschland sind laut dem Deutschen Krebsregister jährlich etwa 2200 Kinder unter 18 Jahren von einer neu diagnostizierten Krebserkrankung betroffen [6]. Heute überleben 82 % der Patienten die Erkrankung mindestens 15 Jahre [6].

Dennoch ist eine Krebsdiagnose für alle Familienmitglieder bzw. Angehörige eine große Herausforderung, sodass nicht nur die Kinder, sondern das gesamte Familiensystem von der Diagnose betroffen sein kann [17, 19]. Somit erscheint es wichtig, den Fokus nicht nur auf das Kind, sondern auch auf die Familie zu richten [8, 15].

Eltern von an Krebs erkrankten Kindern können beispielsweise erhöhte Angst‑, Depressivitäts‑, Zwangs- und Somatisierungswerte sowie posttraumatische Belastungssymptome im Vergleich zu nichtbetroffenen Eltern aufweisen [1]. Dieses Belastungserleben kann auch nach der Diagnosestellung und Akutbehandlung auftreten [22].

In der S3-Leitlinie „Psychosoziale Versorgung in der Pädiatrischen Onkologie und Hämatologie“, erarbeitet von der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft in der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (PSAPOH), werden u. a. psychosoziale Interventionen therapiephasenspezifisch aufgeführt und die entsprechende Evidenzlage dargestellt, welche als unzureichend beschrieben wird [21]. Ein aktuelles indikationsübergreifendes Cochrane-Review zu psychosozialen Interventionen für Familien, in denen ein Kind von einer chronischen Krankheit betroffen ist, ergab, dass Eltern von Kindern mit verschiedenen Krankheitsbildern zu unterschiedlichen Messzeitpunkten unterschiedlich stark profitierten [10]. Zusätzlich schien auch die angewendete Therapieschule je nach Messzeitpunkt einen Einfluss darauf zu haben, inwiefern Eltern profitierten [10]. Grundsätzlich sollten die Ergebnisse dennoch vorsichtig interpretiert werden, da die aktuelle Evidenzlage insgesamt unzureichend ist.

Für Kinder von krebskranken Eltern in Deutschland wurde mittels Experteninterviews bereits eine Bestandsaufnahme zur psychosozialen Versorgungssituation erarbeitet [3]. Bisher existiert in Deutschland jedoch keine Studie, die mithilfe von Experteninterviews Erkenntnisse über hilfreiche psychosoziale Unterstützungsangebote für Eltern von an Krebs erkrankten Kindern generiert hat. Das Ziel dieser Studie war es, die aus Expertensicht spezifischen Inhaltskomponenten von hilfreichen psychosozialen Versorgungsangeboten und deren Eigenschaften zu identifizieren.

Material und Methoden

Durchführung

Die Durchführung der Interviews erfolgte von 2 Kolleginnen mit klinischer Erfahrung im Zeitraum Dezember 2017 bis Juli 2018. Bei der einen Kollegin handelt es sich um eine Psychologin mit dem Abschluss Master of Science; die andere Kollegin ist gelernte Fachkinderkrankenschwester, welche sich zum Zeitpunkt der Erhebung im sechsten Studiensemester Psychologie (Bachelor of Science) befand. Die Entwicklung des Leitfadens erfolgte durch die Erst- und Letztautorin.

Rekrutiert wurden Expert_innen, die im Bereich der Onkologie bzw. der pädiatrischen Onkologie oder im Bereich der Palliativmedizin familienzentriert tätig waren. Die Rekrutierung von 11 Expert_innen aus dem Akutsetting vollzog sich in einem ersten Schritt klinikintern und im nächsten Schritt per E‑Mail oder telefonisch, um weitere Standorte und möglichst heterogene Berufsgruppen einzubinden. Um die Stichprobe interdisziplinär um Expert_innen, die in der Nachsorge tätig waren, zu erweitern, wurden online, ausgehend von der Sektion „Nachsorge“ auf der Webseite der Deutschen Kinderkrebsstiftung, 4 weitere Expert_innen eingeschlossen. Die Rekrutierung endete mit der Datensättigung, die dadurch definiert wurde, dass das Codesystem auch mit der Hinzunahme von weiteren Intervieweinheiten stabil blieb.

Die Durchführung des Interviews erfolgte entweder persönlich oder telefonisch. Die Länge variierte von 27 bis 84 min (M= 53, SD = ±14)Footnote 1. Die Teilnehmer_innen wurden in einem Vorgespräch oder zu Beginn des Interviews über das Forschungsvorhaben, die Freiwilligkeit sowie die Pseudonymisierung mittels Probandencodes aufgeklärt und konnten der Einwilligung jederzeit ohne Angabe von Gründen widersprechen. Nach der Einwilligung wurde das Interview mittels eines selbstkonstruierten halbstrukturierten Interviewleitfadens durchgeführt und mithilfe eines Diktiergerätes aufgezeichnet. Ein positives Ethikvotum der Medizinischen Hochschule Hannover lag vor (Nr. 7643).

Stichprobe

Befragt wurden deutschlandweit N = 15 Experten_innen aus 11 unterschiedlichen Institutionen mit unterschiedlichen beruflichen Qualifikationen aus der Sozialpädagogik, der Psychologie, Fachkinderkrankenpflege, Kinder- und Jugendmedizin, Selbsthilfe und Heilpädagogik (Tab. 1). Ein_e Expert_in definiert sich als eine Person, die durch die Ausübung einer Tätigkeit in einem bestimmten Arbeitsfeld zu spezifischem Wissen gelangt [14]. Zehn Expert_innen (67 %) arbeiteten in einem Akutversorgungskontext, 5 (33 %) waren in einer Nachsorgeinstitution tätig, wobei davon 2 ambulant schwerpunktmäßig im Nachsorgesetting arbeiteten. 13 Expert_innen (87 %) waren weiblich, zwei (13 %) männlich. Die Expert_innen waren durchschnittlich 44 Jahre alt (SD = 10, 31–57, n = 12). Die allgemeine Berufserfahrung betrug durchschnittlich 19 Jahre (SD = 11, 3–38, n = 14).

Tab. 1 Übersicht der Stichprobenbeschreibung (N = 15)

Erhebungsinstrument

Die Daten zu den Inhalten und Eigenschaften von hilfreichen psychosozialen Unterstützungsangeboten wurden als ein Teilaspekt im Rahmen eines ausführlichen leitfadengestützten Interviews zu den Belastungen und Ressourcen von Eltern krebskranker Kinder erhoben. Der semistrukturierte Leitfaden wurde sowohl in einer Eltern- als auch in einer parallelen Expertenversion durch die Erst- und Letztautorin konzipiert. Die Expert_innen-Version beinhaltete zudem die Erfassung des in der Institution des Experten/der Expertin vorliegenden Unterstützungsangebotes:

  1. 1.

    Welche Angebote werden bei Ihnen generell am häufigsten in Anspruch genommen; bei welchen erhalten Sie das positivste Feedback? Gibt es Unterstützungsbedarf, der nicht gedeckt werden kann?

  2. 2.

    Zu welchem Zeitpunkt nehmen Eltern am häufigsten Ihr Unterstützungsangebot an?

  3. 3.

    Welche Eigenschaften muss eine Begleitung von betroffenen Eltern im Idealfall haben, damit sie auch in Anspruch genommen wird? [Welche Art der Versorgung wird bei Ihnen am häufigsten in Anspruch genommen?]

Diese Aspekte wurden für die vorliegende Studie ausgewertet. Bei Bedarf wurden ergänzende Nachfragen gestellt, u. a. um den Unterschied zwischen Akut- vs. Nachsorgesetting herauszuarbeiten.

Qualitative Auswertung

Die vollständige Transkription der Audiodateien erfolgte regelgeleitet [2]. Daraufhin erfolgte die Bearbeitung des Datenmaterials gemäß der Methode der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse [13]. Die Analyseschritte wurden mit der Software MAXQDA, Version 18.1.0 (VERBI Software, 2018), durchgeführt. Die iterative Entwicklung des Kategoriensystems erfolgte durch 2 Rater. Innerhalb des Analyseprozesses wurde eine Messung der „Intracoder“-Reliabilität durchgeführt [20]. Hierfür codierte einer der Rater in einem zeitlichen Abstand von 6 Wochen ein zufällig ausgewähltes Interview anhand des gemeinsam entwickelten Kategoriensystems erneut, ohne sich das bereits codierte Interview nochmals anzuschauen. Die Übereinstimmung der codierten Segmente wurde mittels des Koeffizienten Cohens κ wiedergegeben. Werte von κ < 0,60 sind als eher kritisch zu betrachten, und Werte von κ > 0,75 zeigen eine gute bis sehr gute Übereinstimmung [5]. In der vorliegenden Studie wurde ein Reliabilitätswert von κ = 0,91 errechnet, also eine gute bis sehr gute Übereinstimmung. Ein zweiter Rater optimierte anschließend die Code-Definitionen und das Code-System erneut. Die qualitative Komponente der Entwicklung des induktiven Kategoriensystems wurde mithilfe einer QDA-Software um eine quantitative Auswertung ergänzt.

Ergebnisse

Inhalte von hilfreichen Unterstützungsangeboten aus Sicht der Expert_innen

Bei den genannten Inhalten überwiegen Themen der psychosozialen Gesundheit und Beziehungspflege mit 31 % (Tab. 2). Dies umfasste beispielsweise die Vermittlung von Techniken zur Selbstfürsorge, aber auch die Stärkung der Familienkohäsion (auch die Berücksichtigung gesunder Geschwisterkinder). Letzteres wurde zum Beispiel wie folgt formuliert: „… aber die ja irgendwie so schon manchmal auch so ein bisschen in das Gefühl hereinkommen: Aber ich muss jetzt hier funktionieren als Geschwisterkind. Ich darf jetzt meinen Eltern nicht auch noch Sorgen machen.“ Außerdem wurde betont, dass es in der meist stark fremdbestimmten krisenhaften Behandlungssituation auch wichtig sei, Themenfelder der Selbstbestimmung mit den Eltern zu besprechen: „Also, ich brauche in Krisen die Möglichkeit, selber zu entscheiden, und das habe ich im Krankenhaus schon ganz schön wenig.“

Tab. 2 Relevante Inhalte und Eigenschaften aus Expert_innensicht

Die Förderung des offenen Umgangs mit krankheitsbezogenen Sorgen und Ängsten (speziell Progredienz- und Rezidivangst) innerhalb der gesamten Familie, aber auch im sozialen Umfeld sollte gemäß den Befragten ein integraler Bestandteil sein: „… genau das ist dann aber eine Dynamik, die manchmal dann schräg wird. Weil das Kind versucht, die Eltern zu schützen, die Eltern versuchen, die Kinder zu schützen, und in diesem Zwischenraum vor lauter Schutz entsteht dann so etwas ganz Diffuses …“. In Bezug auf das Paarerleben der Eltern, welches in der Krisensituation der Akutbehandlung häufig in den Hintergrund rückt, sollte unter Anleitung geschulter Mitarbeiter_innen die Besprechung partnerschaftlicher und möglicherweise auch konflikthafter Themen ermöglicht werden. Dabei sollte die Anregung zum Perspektivwechsel im Vordergrund stehen.

Kommunikation wurde als ein wichtiger Bestandteil von hilfreichen Unterstützungsangeboten identifiziert (19 %), deswegen sollten Kommunikationsübungen in Unterstützungsformate aufgenommen werden (Tab. 2). Beispielsweise wurde die Kommunikation mit dem sozialen Umfeld thematisiert: „… die Familien darin zu bestärken, dass sie ihre Bedürfnisse klar formulieren und zu sagen, dazu habt ihr jetzt alles Recht. Ihr müsst auf niemanden Rücksicht nehmen, ihr dürft klar sagen, wir brauchen das so, und das ist für uns nicht hilfreich.“

Im Sinne einer guten Inanspruchnahme durch die Eltern hätten sich zudem entlastende Aktivitäten bewährt, welche innerhalb der Befragung 17 % ausmachten (Tab. 2). Dabei gehe es zumeist um „entlastende Aktivitäten der Normalität“ innerhalb einer unterstützenden Gemeinschaft. Hierunter zählten beispielsweise gemeinsame Frühstücke oder Unternehmungen, die häufig von der Selbsthilfe organisiert würden, aber auch nonverbale Angebote wie Kunst- oder Musiktherapie.

Informationen zu Langzeitfolgen auf psychischer, somatischer und der Ebene der Eltern-Kind-Beziehung seien inhaltlich ebenso relevant wie Erziehungs- und Bildungsthemen, die Organisation finanzieller Entlastungen durch den Sozialdienst und konkrete Hilfen bei der Kinderbetreuung (Tab. 2). Unter dem erstgenannten Code wurden alle Aspekte zum Thema Langzeitfolgen aggregiert. Es handelte sich um somatische und psychosoziale Gesichtspunkte gleichermaßen. Langzeitfolgen auf psychischer Ebene umfassten z. B. die auch nach Jahren noch auftretende Progressionsangst bzw. eine intensivierte elterliche Gesundheitssorge um das ehemals erkrankte Kind oder das Entwickeln der Akzeptanz gegenüber möglichen körperlichen Spätfolgen und Attributionsalternativen. Letzteres wurde durch folgende Expertenaussage besonders deutlich: „Und er hat irgendwie für sich immer die Idee gehabt, ich bin verkehrt, ich bin falsch, ich bin langsam. Und seitdem er das umattribuieren kann und sagt: ‚Nein, die Chemotherapie hat das gemacht, dass du langsam bist. Aber dein Kopf ist total schnell‘.“ Auf der somatischen Seite stehen beispielsweise Sensibilitätsstörungen oder auch Konzentrationsstörungen. Potenzielle Probleme in der Eltern-Kind-Beziehung wurden von einem Interviewten mit den Worten „nach einer solchen Erkrankung ist manchmal die virtuelle Nabelschnur zu präsent“ umschrieben. Ein Experte betonte besonders die Wichtigkeit des Ausbaus von diesbezüglichen Versorgungsangeboten: „Die massiven Therapien, die die Kinder mittlerweile mitmachen, die kann man so nicht eins zu eins auf dem ersten Arbeitsmarkt und in das Berufsleben stellen, das funktioniert einfach nicht, ja.“

Die Hilfen bei der Kinderbetreuung wurden als besonders hilfreich beschrieben, wenn sie zugehend gestaltet waren: „… ehrenamtliche Leute, die Familien begleitet haben […]. Das ist, im Grunde genommen, so etwas wie ein Leihomaprinzip. Das war toll, […] die waren immer hoch im Kurs“. In Bezug auf Erziehungs- und Bildungsinhalte wurde wiederholt auf die jugendlichen Langzeitüberlebenden eingegangen: „… wenn das betroffene Kind, ja, sage ich jetzt einmal, 5 Jahre nach Ende der Tumortherapie ist […], einen Schulabschluss macht. Da gibt es viele, die ganz große Schwierigkeiten haben, da in den Einstieg in das Berufsleben zu kommen …“ Die Wichtigkeit der finanziellen Unterstützungsangebote v. a. durch den Sozialdienst wurde ebenso häufig hervorgehoben: „Ja, mit Sicherheit das, was unser Sozialdienst leistet. Das ist irre, was dort geleistet wird“.

Eigenschaften von hilfreichen Unterstützungsangeboten

Ein flexibles und niedrigschwelliges Setting war die am häufigsten genannte Eigenschaft innerhalb dieser Analyse und wurde von allen Befragten angeführt (38 %). Zentral und kritisch für die Annahme eines Unterstützungsangebotes durch betroffene Eltern wurde zudem auch der Zeitpunkt des Angebots innerhalb des Behandlungsverlaufes beurteilt (Tab. 2). Ausgangspunkt war die Frage, wann im Behandlungsverlauf welche Inhalte implementiert werden sollten. Die Analyse zeigte hier keine eindeutige Tendenz. Ein frühzeitig aufsuchendes psychosoziales Unterstützungsangebot nach gesicherter Diagnosestellung im Akutsetting scheint unstrittig wichtig zu sein. Jedoch war die anschließende inhaltliche und zeitliche Gestaltung von psychosozialen Unterstützungsformaten (regional) sehr heterogen gestaltet, da auch die Inanspruchnahme durch betroffene Familien als sehr unterschiedlich beschrieben wurde. Es zeigte sich die Tendenz, dass kontinuierliche Angebote, unabhängig von der Zeit seit der Diagnosestellung als wichtig erachtet wurden. Des Weiteren wurden die Unterkategorien Individualität und Kultursensitivität codiert. Individualität bedeutete, dass die Angebote bedarfsgerecht, offen und an den individuellen aktuellen Problemen ansetzen sollten. Die Unterkategorie Kultursensitivität beinhaltete die Forderung nach Mehrsprachigkeit sowie sprachungebundenen Angeboten. Eine Teilnehmerin führt dies folgendermaßen aus: „… das ist einfach eine Gruppe, die ich nicht vernachlässigen möchte, in der Versorgung. Die haben eh’ einen schlechteren Zugang …“.

In der Unterkategorie Sonstiges, die mit 26 % der Codierungen zu beziffern ist, befindet sich eine Vielzahl von aus Expertensicht wünschenswerten Attributen von Unterstützungsangeboten für betroffene Eltern, welche aber jeweils nur vereinzelt oder nur einmalig genannt wurden und alle verschiedene Dimensionen der Versorgungsqualität abdeckten: Die Kontinuität der Angebote über Jahre und Sektoren hinweg (v. a. auch in Bezug auf die Nachsorgestrukturen im psychosozialen Bereich), aber auch Angebote, die regelmäßig sowie flächendeckend stattfänden, wurden hierunter subsumiert. Des Weiteren wurden die Kostenfreiheit, die von Akzeptanz geprägte Grundhaltung in der Arbeit mit den Betroffenen, die Tandemarbeit (ärztlich und psychosozial) innerhalb der Teams und die Breite des vorhandenen Angebotsspektrums hierunter zusammengefasst (Tab. 2).

Diskussion

Die Auswertungen zeigen, dass hilfreiche Unterstützungsangebote v. a. niedrigschwellig, zugehend, individualisiert, flexibel und längerfristig kontinuierlich erfolgen sollten. Letzteres bezieht sich auf den individuellen Belastungsverlauf, der auch Jahre nach Behandlung noch klinisch relevant erhöht sein kann. Aus diesem Grund wurde von den Expert_innen gefordert, dass die psychosozialen Nachsorgestrukturen für ehemals betroffene Jugendliche und junge Erwachsene und deren Eltern eine Kontinuität aufweisen sollten. Eltern zeigten in Studien auch 5 Jahre nach Diagnosestellung noch Stresserleben [11, 24]. Inhaltlich sollten den Befragten zufolge die Familienkohäsion, die Selbstfürsorge und Kommunikationstechniken sowie gemeinsame Aktivitäten, Erziehungsthemen und Fragen zu Langzeitfolgen sowie finanzielle Aspekte abgedeckt werden. Die Analyse der Daten zeigte, dass die Kommunikation betroffener Familien zentrale Themen in der psychosozialen Unterstützung sind. Dies spiegelt sich auch in der Literatur wider [9, 18] und sollte entsprechend berücksichtigt werden. Damit unterstützen die Ergebnisse weitestgehend die Empfehlungen der S3-Leitlinie der PSAPOH [21]. Die genannten Attribute können jedoch auch in einem Spannungsfeld mit dem Ziel der Evidenzbasierung (Strukturierung, Manualisierung, Standardisierung, Messbarkeit) stehen.

Die Inanspruchnahme der Eltern wurde seitens der Expert_innen als sehr unterschiedlich beschrieben: Möglich ist, dass Eltern sich in krisenhaften Situationen weniger auf psychosoziale Angebote einlassen können, da Scham- oder Schuldgefühle sie am Krankenbett des Kindes halten, die Angst vor Stigmatisierung, der Wunsch nach Normalität oder eine falsche Vorstellung davon existiert, was psychosoziale Angebote beinhalten und bezwecken. Der Wunsch nach Normalität scheint sich auch in der von den Expert_innen angegebenen guten Annahme von schönen gemeinsamen Aktivitäten zu zeigen. Hinzu kommen organisatorische Herausforderungen, beispielsweise die Betreuung gesunder Geschwisterkinder, was auch anhand des Codes „Kinderbetreuung“ deutlich wird. So stellt sich die Frage, inwieweit E‑Health-Module beispielsweise niedrigschwellig, individualisiert und aufklärend begleitend wirken können. Diese wurden aber von den Expert_innen selbst nicht aufgeworfen. In einer Studie zur Nutzung einer Webseite für betroffene Familien wurde jedoch ebenfalls eine geringe Inanspruchnahme berichtet [4]. Psychosoziale Interventionen sollten bei Bedarf Aspekte der elterlichen Paarbeziehung beinhalten, aber auch hier wurden in Studien bereits Herausforderungen beschrieben, die mit der dyadischen Arbeit innerhalb des elterlichen Paarsettings einhergehen [16]. Ein dyadisches Setting ist inhaltlich im Sinne der Steigerung der Familienkohäsion und kommunikativer Fähigkeiten wünschenswert, aber im Sinne der organisatorischen Hürden vielfach unmöglich. Hinzu kommt, dass häufig nur ein Elternteil psychosoziale Unterstützung annehmen möchte. Eine geringe Inanspruchnahme der Eltern wurde auch in anderen Studien berichtet [4, 23]. Wieder andere Studien sprechen allerdings von einer guten Akzeptanz [7, 12]. Eine Möglichkeit wäre es, ein offenes Gruppenangebot anzubieten, in welchem zwar manualisiert, aber mithilfe von künstlich gebildeten Dyaden, gearbeitet wird. Denkbar wäre aber auch eine Kombination aus dyadischen Präsenzsitzungen und manualisierten E‑Health-Komponenten, die jederzeit digital räumlich und zeitlich unabhängig genutzt werden können. Die Expert_innen erachten außerdem das Vorhandensein von langfristiger psychosozialer Unterstützung als wichtigen Aspekt. Diese wird für Deutschland als ausbaufähig beschrieben. Langzeitfolgen der intensiven Therapien aufgrund der Steigerung der Überlebensraten sind aus Expert_innensicht prädestiniert, in Zukunft ein chronisches Belastungspotenzial auch für die Eltern darzustellen. Dabei solle als Zugangskriterium die Zeit seit Diagnosestellung generell keine Rolle spielen, da die erlebte existenzielle Bedrohung nicht selten erst nach Jahren bearbeitbar würde.

Limitationen

Fremdurteile, wie Experteninterviews, stellen eine eher wenig genutzte qualitative Methode dar. Für die vorliegende Untersuchung eigneten sich Expert_innen jedoch besonders gut, um ein möglichst holistisches und kliniknahes Meinungsbild zu generieren. Zwar gelang es, die Stichprobe, wie gewünscht, interdisziplinär zusammenzustellen, dennoch handelt es sich um eine begrenzte Stichprobe, in der die spezifische Berufserfahrung heterogen verteilt und das Nachsorgesetting unterrepräsentiert war. Gleiches gilt für Kolleg_innen mit Migrationshintergrund im Sinne der Kultursensitivität und den geringen Anteil an männlichen Experten (13:2).

Fazit für die Praxis

  • Die psychosoziale Versorgung von Eltern mit krebserkrankten Kindern ist herausfordernd und erfordert flexible und niedrigschwellige Angebote sowie langfristige Kontinuität, da die Belastungen individuell und dynamisch verlaufen.

  • Eine Kombination aus Präsenzsitzungen und E‑Health-Angeboten scheint organisatorischen Hürden am besten zu überwinden.

  • Zumeist wurde inhaltlich ein breites psychosoziales Angebotsspektrum berichtet, welches regional unterschiedlich ausgestaltet war.