Einleitung

Das Zytomegalievirus (CMV) gehört zur Gruppe der Herpesviren und verbleibt nach der primären Infektion lebenslang im Körper. Während der Laktation kommt es auch bei immunkompetenten, gesunden Frauen in >95 % der Fälle zu einer Reaktivierung des CMV und einer Ausscheidung über die Muttermilch [1]. Je nach Population beträgt die Zahl der CMV-positiven Frauen zwischen 40 % und 60 % (Westeuropa, USA) bis über 90 % (Türkei, Afrika; [2]).

Diese Reaktivierung des Virus in der Muttermilch kann bei Frühgeborenen zu einer postnatalen CMV-Infektion führen, die klar von einer kongenitalen, bereits intrauterin erworbenen CMV-Infektion abzugrenzen ist. Die intrauterine Infektion hat meist schwerwiegende zerebrale Folgen für das Ungeborene.

Frische, unpasteurisierte Muttermilch ist aufgrund ihrer besonderen nutritiven und antiinfektiven Eigenschaften die 1. Wahl bei der Ernährung von Frühgeborenen und wird von allen großen pädiatrischen Fachgesellschaften empfohlen (American Academy of Pediatrics [3], European Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition [4]).

Um Frühgeborene vor den Folgen einer durch Muttermilch übertragenen CMV-Infektion zu schützen, hat die Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder und Jugendheilkunde (ÖGKJ) 2009 ein Konsensuspapier zur Prävention einer CMV-Infektion durch Muttermilch herausgegeben [5]. Diese Richtlinie empfahl bei Frühgeborenen mit einem Gestationsalter <32 + 0 SSW und positivem CMV-IgG-Status der Mutter, die Muttermilch einzufrieren, um die Viruslast um mindestens 90 % zu reduzieren. Seither wurden zu diesem Thema etliche neue Studien publiziert, die eine kritische Betrachtung der bisherigen Vorgehensweise nötig machen. Das vorliegende Papier arbeitet die rezente Literatur zu dem Thema Prävention von CMV-Infektionen durch Muttermilch bei Frühgeborenen auf und formuliert einen neuen Konsens für eine evidenzbasierte Vorgehensweise.

Inzidenz der CMV-Übertragung bei Frühgeborenen

Die Angaben zur Inzidenz von über Muttermilch übertragener CMV-Infektion schwanken sehr stark. Grundsätzlich gilt aber: je geringer das Gestationsalter, umso höher die Wahrscheinlichkeit einer Infektion (Abb. 1). Beträgt die Inzidenz in der 23.–24. SSW noch 57,1 %, so sinkt diese kontinuierlich ab und beträgt in der 29.–30. SSW nur mehr 7,1 % [6]. Eine weitere Arbeit beziffert das Infektionsrisiko in der Gruppe der allerkleinsten Frühgeborenen zwischen 22. SSW und 24. SSW mit sogar 65 % [7]; dagegen wurde in einer schwedischen Studie an Kindern um die 26. SSW die Inzidenz an CMV-Infektionen nur mit 7–8 % ermittelt [8].

Abb. 1
figure 1

Inzidenz der Zytomegalievirus(CMV)-Infektionen bei Frühgeborenen, gruppiert nach Gestationsalter. SSW Schwangerschaftswoche (Martins-Celini et al. [6])

Im bisherigen Konsensuspapier wurde die Grenze des kindlichen Gestationsalters, bis zu der die Muttermilch pasteurisiert oder eingefroren werden sollte, mit <32 + 0 SSW angenommen. Aufgrund der vorliegenden Daten ist aber das Risiko für eine postnatale, durch Muttermilch übertragene CMV-Infektion in der Gruppe von Frühgeborenen >29 + 0 SSW deutlich unter 10 %. Die Vereinigung der europäischen Milchbanken hat daher die Grenze für das Pasteurisieren von Muttermilch bei einer CMV-positiven Mutter ebenfalls mit <28 + 0 SSW oder einem Geburtsgewicht des Säuglings <1000 g angesetzt [9, 10]. Die Frage, ob und ab wann Muttermilch pasteurisiert oder eingefroren werden soll, ist insofern von Bedeutung, als diese Prozesse Einfluss auf die Qualität und die protektiven Eigenschaften von Muttermilch haben. So werden z. B. durch Pasteurisieren Zellen der Abwehr, Immunglobuline oder Wachstumsfaktoren stark reduziert oder zerstört [9]. Darüber hinaus benötigt sowohl Pasteurisieren als auch Einfrieren personelle und materielle Ressourcen (Pasteur, Lagermöglichkeiten, Kühlschränke usw.), die in der Regel nur knapp oder manchmal auch gar nicht verfügbar sind. Eine Erhebung aus dem Jahr 2010 hat gezeigt, dass in beinahe einem Drittel der deutschen neonatologischen Abteilungen/Stationen bei positivem CMV-Status der Mutter in Ermangelung von Alternativen wie der Verfügbarkeit von Spendermilch oder der Möglichkeit des Pasteurisierens/Einfrierens Formulanahrung anstatt von Muttermilch gegeben wurde [11]. Daher muss die Empfehlung zum Pasteurisieren oder zum Einfrieren der Muttermilch unter einer bestimmten Gestationswoche oder unter einem Geburtsgewicht wohlüberlegt sein und einerseits maximale Sicherheit bieten, andererseits aber auch ressourcenschonend und praktikabel sein. Darüber hinaus bringt die Fütterung von nativer gegenüber pasteurisierter Muttermilch wahrscheinlich gesundheitliche Vorteile für das Frühgeborene – so ist z. B. die Inzidenz der bronchopulmonalen Dysplasie (BPD) bei der Fütterung von nativer Muttermilch niedriger als bei pasteurisierter Muttermilch [12].

Fazit

Ist bei Frühgeborenen mit einem Gestationsalter <28 + 0 SSW oder einem Geburtsgewicht <1000 g die Mutter CMV-positiv (IgG-pos./IgM-neg.), oder ist der CMV-Status der Mutter unklar, wird die Muttermilch pasteurisiert (s. Abschn. „Prozessierung von Muttermilch: Einfrieren vs. Pasteurisieren“). Dieses Vorgehen wird empfohlen, bis das Frühgeborene 32 + 0 Gestationswochen alt ist.

Dynamik der CMV-Reaktivierung

Einen typischen Verlauf einer CMV-DNA-Reaktivierung in der Muttermilch zeigt Abb. 2 [13], mit einer niedrigen Viruslast im Kolostrum zu Beginn der Laktation, einem maximalen Anstieg in der 3. bis 4. Laktationswoche und einem Ende um ca. den 3. Monat post partum. Allerdings gibt es auch Berichte über eine frühe CMV-Reaktivierung, in der bereits am 3. postpartalen Tag eine hohe Viruslast von ca. 2 ⋅ 104 „copies“/ml nachgewiesen werden konnte [14]. Die Viruslast in Kolostrum ist somit gering, weshalb es gerechtfertigt ist, das Kolostrum nativ zu verfüttern. Kolostrum kann aufgrund seines hohen Eiweißgehaltes und der oft geringen Mengen kaum pasteurisiert werden – ein geringes Restrisiko einer frühen Infektion bleibt aber bestehen.

Abb. 2
figure 2

DNA-Reaktivierung in Muttermilch, gemessen mithilfe der „real-time polymerase chain reaction“. CMV Zytomegalievirus (Yasuda et al. [13])

Fazit

Kolostrum darf in den ersten 3 Lebenstagen unabhängig vom CMV-Status der Mutter immer nativ verfüttert werden, da die Vorteile von Kolostrum gegenüber einem geringen CMV-Infektionsrisiko überwiegen und die Viruslast zu diesem Zeitpunkt zumeist noch sehr niedrig ist. Ab dem 4. Lebenstag des Kindes wird die Muttermilch pasteurisiert.

Prozessierung von Muttermilch: Einfrieren vs. Pasteurisieren

Die Literatur zum Thema Reduktion der Zytomegalieviruslast in der Muttermilch durch Einfrieren bei −20 Grad ist in den letzten Jahren zunehmend kontroversiell geworden. So gibt es Publikationen, die eine Reduktion der Viruslast in Abhängigkeit von der Dauer des Einfrierens bis zu 99 % berichten ([15, 16]; Abb. 3). Andere Arbeiten finden keinen oder kaum einen Effekt zur Virusreduktion oder Infektionsprävention [8, 17, 18]. Die Metaanalyse zeigt, dass Einfrieren das Risiko für eine CMV-Infektion um lediglich 13 % reduziert, wobei dieser Effekt im Wesentlichen nur auf die beiden Studien von Lee et al. [19] und Chiavarini [21] zurückzuführen ist.

Abb. 3
figure 3

Metaanalyse zur Inzidenz von kindlichen Zytomegalievirus(CMV)-Infektionen: gefrorene (g) vs. native (n) Muttermilch (MM). 95%-KI 95 %-Konfidenzintervall

Die einzige sichere Methode, um eine CMV-Reaktivierung zu vermeiden, ist das Pasteurisieren, da das Virus beim Pasteurisieren vollständig eliminiert wird [9, 27, 28]. Daher ist Pasteurisieren von Muttermilch die einzige geeignete Methode der Prozessierung, um eine CMV-Infektion beim Frühgeborenen zu verhindern.

Fazit

Das Pasteurisieren von Muttermilch ist die einzige geeignete Methode, um das CMV in der Muttermilch zu eliminieren. Das Einfrieren von Muttermilch reduziert die Wahrscheinlichkeit einer Infektion lediglich um 13 %.

Organmanifestationen

Zumeist werden Frühgeborene innerhalb der ersten 3 Wochen nach Beginn einer Virurie symptomatisch. Häufige Symptome der akuten Infektion einer postnatalen CMV-Infektion bei Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht <1000 g sind [27]:

  • Thrombozytopenie: 63 %,

  • Neutropenie: 44 %,

  • direkte Hyperbilirubinämie (Bilirubinkonzentration >2 mg/dl): 30 %,

  • erhöhte Leberfunktionsparameter: 26 %,

  • Beatmungspflichtigkeit: 19 %.

Weitere schwere Krankheitsbilder sind sepsisartige Symptome mit Apnoen, Bradykardien, Hepatosplenomegalie und entsprechende Laborwertveränderungen [14]. Meist sind diese Symptome selbstlimitierend, können aber bei sehr kleinen, unreifen Frühgeborenen zu lebensbedrohlicher klinischer Verschlechterung führen [7]. Zunehmend wurden bei Frühgeborenen mit postnatalen CMV-Infektionen rezent aber auch gastrointestinale Manifestationen wie Durchfall, Gastroenteritis, distendiertes Abdomen, blutige Stühle, Volvulus, spontane Perforationen und nekrotisierende Enterokolitis (NEC) beschrieben [29, 30].

Mittlerweile existiert eine Vielzahl von Studien, in denen ehemalige Frühgeborene mit einer postnatalen CMV-Infektion langfristig nachuntersucht wurden. Hier zeigte sich ein deutlich erhöhtes Risiko, an einer moderaten bis schweren BPD zu erkranken [27]. Andere Langzeitfolgen sind derzeit nicht sicher belegt. Einzelne Kohorten wurden hinsichtlich einer neurologischen Entwicklungsverzögerung teilweise bis zu 6 Jahre nachuntersucht, und beim Großteil fand sich kein Unterschied zu Vergleichskollektiven [27, 31]. Nur eine Studie berichtet über signifikante Entwicklungsverzögerungen im Fünfjahresentwicklungstest, die v. a. dann auftraten, wenn die Infektion in der frühen Neonatalperiode erfolgte und die Eltern einen niedrigen sozioökonomischen Status hatten [11, 32]. Grundsätzlich besteht aber hinsichtlich der neurologischen Entwicklung ein großer Unterschied zwischen postnataler und kongenitaler CMV-Infektion, die mit einer hohen Inzidenz an neurologischen Auffälligkeiten und Hörverlust einhergeht [33].

Fazit

Eine postnatale CMV-Infektion ist selbstlimitierend, kann aber laborchemische Veränderungen wie Thrombozytopenie, Neutropenie und Leberfunktionsparametererhöhungen verursachen. Des Weiteren können v. a. bei sehr unreifen Frühgeborenen sepsisartige Symptome und gastrointestinale Manifestationen bis hin zur NEC auftreten. Als Langzeitfolge besteht ein erhöhtes Risiko für eine BPD.

Empfehlungen

  • Ist bei Frühgeborenen mit einem Gestationsalter <28 + 0 SSW oder einem Geburtsgewicht <1000 g die Mutter CMV-positiv (IgG-pos./IgM-neg.), oder ist der CMV-Status der Mutter unklar, wird die Muttermilch pasteurisiert. Dieses Vorgehen wird empfohlen, bis das Frühgeborene 32 + 0 Gestationswochen alt ist.

  • Kolostrum darf in den ersten 3 Lebenstagen unabhängig vom CMV-Status der Mutter immer nativ verfüttert werden, da die Vorteile von Kolostrum gegenüber einem geringen CMV-Infektionsrisiko überwiegen. Ab dem 4. Lebenstag des Kindes wird die Muttermilch pasteurisiert.

  • Ist die Mutter CMV-negativ (IgG-neg./IgM-neg.), darf die Muttermilch zu jedem Zeitpunkt unpasteurisiert verfüttert werden.

Diese Empfehlungen (Abb. 4) sind ein Konsens, basierend und erstellt auf der derzeit verfügbaren Evidenz und stellen keine verbindliche Richtlinie dar.

Abb. 4
figure 4

Algorithmus zur Prävention von Zytomegalievirusinfektionen bei Frühgeborenen (<28 + 0 SSW oder einem Geburtsgewicht <1000 g) durch Muttermilch. SSW Schwangerschaftswoche, CMV Zytomegalievirus