Beim Kongress für Kinder- und Jugendmedizin in Köln vom 20. bis zum 23. September 2017 [1] treffen Kinder- und Jugendärzte aus allen Regionen Deutschlands und den Nachbarländern zusammen und widmen ihr Interesse den vielfältigen medizinischen, wissenschaftlichen, psychosozialen und gesellschaftlichen Aspekten bei der Betreuung und Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Vielfalt und unterschiedliche Blickwinkel je nach Fach und Berufsfeld bestimmen die Tätigkeit der im Gesundheitssystem für Kinder und Jugendliche aktiven Kinder- und JugendärztInnen, Gesundheits- und KinderkrankenpflegerInnen sowie aller weiteren involvierten Berufsgruppen. Andererseits besteht die Notwendigkeit, gemeinsame Ziele und Strukturen für eine kinder- und jugendgerechte Versorgung von Kindern aus dem Neugeborenenalter bis zur Jugend und Transition ins Erwachsenenalter zu definieren. Es gilt, unter den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in allen Bundesländern, in mehr oder weniger dicht besiedelten Regionen sowie in großen und kleinen Städten eine den jüngsten Generationen zukunftweisend gewidmete pädiatrische Versorgung umzusetzen. Verlässliche medizinische Leitlinien, allgemeine Standards der medizinischen Fortbildung sowie die Präsentation, Diskussion und Integration wissenschaftlicher Forschungsresultate aus allen Fachgebieten und Fachgesellschaften sind die wesentlichen inhaltlichen Voraussetzungen, auf denen alle Konzepte der kinder- und jugendmedizinischen Betreuung aufbauen können und die eine gemeinsamen Blick in die Zukunft ermöglichen.

In diesem Sinne der fachlichen Vernetzung und des offenen, interdisziplinär geprägten wissenschaftlichen und medizinischen Dialogs treffen die veranstaltenden Fachgesellschaften im September 2017 in Köln zusammen. Drei allgemein gefasste Schwerpunktthemen prägen den Kongress, die im Konsens der mit der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) gemeinsam tagenden Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ), der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH), der Gesellschaft für pädiatrische Radiologie (GPR) und des Berufsverbandes Kinderkrankenpflege Deutschland (BeKD) festgelegt wurden:

  • chronisch kranke Kinder und Jugendliche,

  • Versorgungslandschaften und

  • perinatale Einflüsse auf die Gesundheit des Kindes.

Die Herausforderungen bei der Betreuung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher, die unterschiedlichen und weiterzuentwickelnden Versorgungslandschaften und die faszinierenden, immer weiter wachsenden Erkenntnisse zu perinatalen Einflüssen auf die Gesundheit des Kindes spiegeln sich in 4 Leitthemenbeiträgen wider, die wir als aktuelle Beispiele für Innovationen und Weiterentwicklungen in der Kinder- und Jugendmedizin ausgewählt haben. Wir sind den Autorinnen und Autoren sehr dankbar, die bei hoher persönlicher Expertise und langjähriger klinischer Erfahrung in ihren Fachgebieten exemplarische Krankheitsbilder der Kinder- und Jugendmedizin ausgewählt und unter Fokussierung auf neue Diagnostikmöglichkeiten, Therapieansätze, interdisziplinäre Ansätze in der Langzeitbetreuung und Einflüsse der digitalen Medizin dargestellt haben. Pars pro toto für das gesamte Feld der Kinder- und Jugendmedizin zeigen die folgenden 4 Arbeiten, welche großen Möglichkeiten und Herausforderungen bei vielen klassischen pädiatrischen Krankheitsbildern durch den Fortschritt und Wissenstransfer sowie den gelebten Austausch mit allen Nachbardisziplinen, unter aktiver Einbeziehung von Patientinnen/Patienten und ihren Familien, bestehen.

Angeborene Skeletterkrankungen sind seltene, aber in der Pädiatrie durch ihre z. T. bildhafte Erkennung und fortlaufende Entwicklung der radiologischen Diagnostik seit dem letzten Jahrhundert schon immer stark beachtete Entitäten. H. Hoyer-Kuhn, M. Rehburg und O. Semler arbeiten heraus, wie das Verständnis der pathobiochemisch und -physiologisch zugrunde liegenden Produktionsstörungen der Knochenmatrix bzw. der gestörten Mineralisation essenziell ist für die Auswahl unterschiedlich gewichteter Betreuungskonzepte und moderner Therapieansätze in einem multidisziplinären Team. Pädiatrisch geleitete Zentren für seltene Erkrankungen wie angeborene Skeletterkrankungen sind wichtig, um medikamentöse Ansätze mit „Off-label-Therapien“ verantwortungsvoll umzusetzen, aber auch zu evaluieren und eine Datenanalyse in Zulassungsstudien zu ermöglichen. Die langjährige Betreuung im spezialisierten Behandlungszentrum begründet den Auftrag zur strukturierten Transition ins Erwachsenenalter, mit vielen inhaltlichen und organisatorischen Herausforderungen.

Fortschritt, Wissenstransfer und gelebter Austausch mit Nachbardisziplinen kennzeichnen die Pädiatrie

K. Mönkemöller et al. beschreiben den in der Pädiatrie zu beobachtenden und überall herausfordernden Wandel in der Versorgung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher. Bei ganz unterschiedlichen chronischen Erkrankungen müssen heranwachsende Kinder und Jugendliche große persönliche und familiäre Belastungen bewältigen. Schulische Anforderungen, Bewältigung der Pubertät, Autonomisierung der Patientinnen und Patienten in ihrem jeweiligen einzigartigen familiären Setting stellen über die rein medizinische Betreuung hinaus Aufgaben, die nach einer ganzheitlichen Betrachtung rufen. K. Mönkemöller stellt ausführlich die konzeptionellen Grundlagen einer patientenorientierten Versorgung für chronisch Kranke und Jugendliche vor. Dabei werden die geläufigen, aber nicht immer präzise abgegrenzten Begriffe von Compliance und Adhärenz bis zum Selbstmanagement erläutert und als Grundlage für eine anzustrebende Ressourcenstärkung der Patientinnen und Patienten (Empowerment) betont. Soziokulturelle Faktoren und psychische Komorbiditäten können in einer aufwendig zu gestaltenden, aber langfristig erfolgreich zu etablierenden eigenen Station für chronisch kranke Kinder und Jugendliche nicht als Ausnahme, sondern in einem festen multimodalen Behandlungskonzept gewürdigt werden.

Die Mukoviszidose (CF) ist als häufigste der autosomal-rezessiv vererbten Erkrankungen allen Kinder- und JugendärztInnen bekannt. Sie muss aber wegen der großen genetisch und klinisch gegebenen Variabilität, der unterschiedlichen Komplikationen und der für einen Nicht-CF-Spezialisten kaum mehr zu übersehenden Vielzahl moderner Therapieansätze in Kooperation mit einem spezialisierten Zentrum betreut werden. S. van Koningsbruggen-Rietschel und E. Rietschel beschreiben neben der Symptomatik der CF die Prinzipien des im Oktober 2016 neu eingeführten CF-Screenings, bei dem Erkenntnisse über den erhofften Erfolg vermehrter Früherkennungen in den kommenden Jahren zu erwarten sind. Die Autoren beschreiben auf ihrem Spezialgebiet, wie unterschiedlich klassifizierte Genmutationen bei der CF (Klassen I–VI) unterschiedliche medikamentöse Ansätze mit den sog. Modulatoren des „cystic fibrosis transmembrane conductance regulator“ (CFTR) nach sich ziehen. Bemerkenswert ist der Beitrag durch die in die Zukunft zielende Aussicht auf mutationsklassenübergreifende Therapieansätze z. B. mit dem neuen „genome editing“ („clustered regularly interspaced short palindromic repeats“ [CRISPR]/Cas9). Völlig neue Wege bei dieser Erkrankung auf dem Weg zur personalisierten Therapie eröffnen sich durch aus Stammzellen gewonnene Organoide, in denen neue pharmakologische Ansätze getestet und je nach individueller Schleimhautbiopsie mutationsspezifisch bewertet werden können.

J. Mirza et al. widmen sich im 4. Beitrag unserer ausgewählten Leitthemen am Beispiel des Diabetes mellitus bei Kindern und Jugendlichen den besonderen neuen Herausforderungen der Telemedizin. Mit dem zunehmenden digitalen Wandel, der Etablierung und Akzeptanz von Insulinpumpen schon bei sehr jungen Patienten, der Miniaturisierung von Aufzeichnungsmedien und der drahtlosen Übertragung von Blutzuckerdaten bis zur automatisierten computergestützten Analyse und Rückmeldung an den Patienten (oder an die Eltern !?) entstehen Chancen, aber auch Risiken. Bei der Datenflut wird es eine verantwortungsvolle Steuerungsaufgabe betreuender Haus‑, Kinder- und Jugendärzte und der Diabetesspezialisten sein, die richtigen Auswahlkriterien für den Umfang der „Überwachung“ von Blutzuckerwerten bei Diabetes-mellitus-Patienten zu finden. Offen sind ethisch einzuhaltende Grenzen der kompletten Datenerfassung und mögliche fundamentale Interessenunterschiede zwischen Eltern und z. B. jugendlichen/adoleszenten Patienten zu diskutieren. Der Beitrag von J. Mirza illustriert, dass Innovationen wie die Telemedizin (ein Beispiel für Digitalisierung 4.0) trotz allen Spezialisierungs- und Optimierungsdrucks die grundsätzliche Kompetenz und Positionierung von Kinder- und JugendärztInnen für die betreuten chronisch kranken Patienten einfordern.

Wir freuen uns auf die Diskussion dieser Beiträge und der vielen Einsendungen, Poster und Vorträge bei der 113. Jahrestagung der DGKJ in der zweiten Septemberhälfte in Köln.

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Michael Weiß

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Jörg Dötsch