Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags …

  • kennen Sie Prinzipien des Bilirubinmetabolismus sowie Definitionen und Grenzwerte der indirekten und direkten Hyperbilirubinämie.

  • sind Ihnen Pathomechanismen und klinische Manifestationen des prä- und des intrahepatischen Ikterus in Abgrenzung zum posthepatischen Ikterus bekannt.

  • wissen Sie, welche klinischen und laborchemischen Untersuchungen zur Differenzialdiagnostik eines pathologischen Ikterus nötig sind.

  • sind Sie in der Lage, die Therapie eines Icterus neonatorum leitliniengerecht einzuleiten.

  • verfügen Sie über Basiswissen zu Ursachen, Diagnostik, Therapien und Prognose jener primären Bilirubinstoffwechselstörungen, die durch die indirekte Hyperbilirubinämie auffallen.

Bilirubin, -bildung und -ausscheidung

Bilirubin (lat. „bilis“: Galle, „ruber“: rot), gelbes Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin, ist der wesentliche Gallenfarbstoff . Es kommt in menschlichem, tierischem und pflanzlichem Organismus vor und wurde 1942 von Hans Fischer synthetisiert, der für Arbeiten zu Struktur von Blut- und Pflanzenfarbstoffen sowie Häminsynthese mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet worden war.

Bilirubin entsteht beim Abbau „überalterter“ Erythrozyten durch Makrophagen; täglich fallen ~300 mg an. Da es fett-, aber nicht wasserlöslich ist, wird es für den Transport im Blut nichtkovalent an Albumin gebunden und gelangt so in die Leber. Dieses nichtkovalent gebundene, unkonjugierte Bilirubin reagiert in einer Diazoreaktion indirekt und wird auch als „indirektes Bilirubin“ bezeichnet (Anm.: Bilirubin kann auch kovalent an Albumin gebunden sein: „δ-Bilirubin“). Indirektes Bilirubin wird in der Leber durch das Enzym UDP-Glucuronyltransferase 1‑A1 (UDP-GT1-A1) konjugiert und damit wasserlöslich. Das konjugierte Bilirubin reagiert in der Diazoreaktion direkt („direktes Bilirubin“). Es wird über die Gallenwege sezerniert und gelangt in den Darm; hier wird es zu Uro- und Sterkobilinogen abgebaut. Beide Abbauprodukte werden zu ~80 % über den Stuhl ausgeschieden, unterliegen aber zu ~20 % dem „enterohepatischen Kreislauf“, werden also teils rückresorbiert (Abb. 1; Tab. 1).

Abb. 1
figure 1

Bilirubinbildung und -ausscheidung

Tab. 1 Indirektes vs. direktes Bilirubin

Hyperbilirubinämie

Definitionen und Grenzwerte

Durch vermehrten Anfall oder verminderte Ausscheidung des Bilirubins kommt es zuerst zum Anstieg des Bilirubinwerts im Serum (>1,1 mg/dl [>18,8 µmol/l]), der „Hyperbilirubinämie“, sodann zum Austritt von Bilirubin durch das Gefäßendothel und zur Einlagerung ins Gewebe. Für die Einschätzung ursächlicher Erkrankungen ist die Unterscheidung in indirekte und direkte Hyperbilirubinämie essenziell:

Bei der indirekten Hyperbilirubinämie ist der Gesamtserumbilirubin(GSB)-Wert erhöht und der Anteil direkten Bilirubins beträgt <15 % des GSB (meist ohne Angabe eines Referenzbereichs, da es sich um einen Rechenwert handelt: indirektes Bilirubin = GSB − Wert des direkten Bilirubins). Bei der direkten Hyperbilirubinämie ist der GSB ebenfalls erhöht, aber der Anteil direkten Bilirubins beträgt >15 % des GSB (= >0,25 mg/dl [>4,3 µmol/l]; [1]).

Generell gelten bei Abweichungen die Referenzbereiche des bestimmenden Labors und bei Säuglingen mit Neugeborenenikterus völlig andere Referenzbereiche, die sich mit jedem Lebenstag ändern.

Leitsymptom „Ikterus“

Klinisches Leitsymptom der Hyperbilirubinämie ist der Ikterus (altgriech. „Ικτερυσ“: Gelbsucht), mit einer Gelbfärbung von Skleren, Haut und Schleimhaut: Die Farbveränderung ist ab einem GSB von ~2 mg/dl (>34,2 μmol/l) – dem Doppelten der Norm – sichtbar. Diese zeigt sich zunächst an den Skleren (Sklerenikterus), bei weiterem GSB-Anstieg dann an Haut und Schleimhaut.

Wesentliche Abläufe des Bilirubinstoffwechsels finden in der Leber statt, weshalb ein Ikterus je nach Störungslokalisation wie folgt eingeteilt werden kann:

  • prähepatisch: Ursache „vor der Leber“,

  • intrahepatisch: Leberschädigung oder -funktionsstörung und

  • posthepatisch: Störung im der Leber nachgeschalteten Gallengangssystem.

Diese Klassifizierung erlaubt Rückschlüsse auf Ursachen und damit Differenzialdiagnosen (Abb. 34 und 5).

Abb. 2
figure 2

Bilirubinmetabolismus beim Neugeborenen

Abb. 3
figure 3

Prinzipielle Ursachen eines Ikterus

Abb. 4
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Ursachen eines prähepatischen Ikterus

Prähepatischer Ikterus

Der prähepatische wird auch als hämolytischer Ikterus bezeichnet, da indirektes Bilirubin u. a. bei Hämolyse vermehrt anfällt, s. „Icterus haemolyticus neonatorum“ im Abschn. „[Schwere] indirekte Hyperbilirubinämie, Patientenalter < 24 Lebensstunden“. Typischerweise ist der Wert des indirekten Bilirubins erhöht (> 80 % des GSB).

Wesentliche Ursachen eines prähepatischen Ikterus sind:

  • beeinträchtigte Erythrozytenfunktion/-synthese (megaloblastäre/sideroblastische Anämie),

  • Erythrozytenschädigung (Bleiintoxikation),

  • ineffektive Hämatopoese mit verstärktem Hämoglobinabbau/verstärkter Hämolyse (intra-/extravaskuläre Hämolyse, hämolytische Anämien, Rhabdomyolyse, Verbrennungen).

Intrahepatischer Ikterus

Da mehrere Schritte des Bilirubinmetabolismus in der Leber erfolgen, gibt es verschiedene Entstehungsmöglichkeiten des intrahepatischen Ikterus. Grundsätzlich sind die Hepatozyten funktionell beeinträchtigt (gestörte Bilirubinaufnahme bzw. -konjugation oder -sekretion). Folgende Abläufe können betroffen sein:

  • Aufnahme des Bilirubins in die Hepatozyten,

  • Konjugation des Bilirubins (bei Störungen des Bilirubinmetabolismus),

  • Transport des konjugierten Bilirubins aus den Hepatozyten hinaus,

  • intrahepatische Sezernierung des Bilirubins (aus Gallenkanälchen in Gallengänge).

Die Aufnahme des Bilirubins in die Leber ist bei Neugeborenen wegen relativer Unreife eingeschränkt und führt zum Icterus neonatorum. Die Bilirubinkonjugation ist bei primären ([Gilbert-]Meulengracht-Syndrom) oder sekundären Störungen (Leberparenchymschaden im Rahmen von intrahepatischer Cholestase, Cholangitis, Virushepatitis, Leberzirrhose, Intoxikation) beeinträchtigt, wobei Letztere auch Transport- oder Sezernierungsprobleme bedingen.

Posthepatischer Ikterus

Der posthepatische Ikterus mit Anstieg des direkten Bilirubins wird vollständigkeitshalber erwähnt: Ursache dieses „cholestatischen“ Ikterus ist der gestörte Galleabfluss aus der Leber (z. B. aufgrund von Choledocholithiasis, Tumoren des Duodenums, Pankreas, der Gallenblase).

Die für die Pädiatrie bedeutsamste Ursache ist die extrahepatische Gallengangsatresie . Deren Diagnose ist beim reifen Neugeborenen bis zum Alter von maximal 8 Lebenswochen zu stellen, um die primäre Therapie zeitgerecht umsetzen zu können (Kasai-Operation, [2]).

Icterus neonatorum

Der Icterus neonatorum ist eine Kombination aus prä- und intrahepatischem Ikterus (Abb. 2):

  • Aufgrund des Abbaus des fetalen Hämoglobins, der auf 70 Tage verkürzten Lebensdauer der Erythrozyten und reduzierter Eiweißbindung fällt mehr indirektes Bilirubin an.

  • Beim reifen Neugeborenen beträgt die Aktivität der UDP-Glucuronyltransferase nur 1 % des Erwachsenenwerts, sodass die Konjugation des Bilirubins eingeschränkt ist.

  • Über den enterohepatischen Kreislauf wird mehr Bilirubin rückresorbiert, u. a. aufgrund der verzögerten Darmpassage, aber auch aufgrund der Abspaltung durch intestinale Mikrobiota.

Abb. 5
figure 5

Ursachen eines intrahepatischen Ikterus

Meist handelt es sich um einen physiologischen Ikterus , der epidemiologischen Daten zufolge fast jedes Neugeborene betrifft und ohne klinische Relevanz ist.

Da der neonatale Ikterus aber Zeichen einer ernsthaften Erkrankung sein kann, ist dies der häufigste Grund, Säuglinge erneut stationär aufzunehmen. Dabei geht es stets um die Differenzierung zwischen physiologischem und pathologischem Ikterus: Klinisch fallen die Kinder durch unterschiedlich ausgeprägte Gelbfärbung der Skleren und der Haut auf (Abb. 6). Laborchemisch wird meist eine milde indirekte Hyperbilirubinämie gefunden:

Abb. 6
figure 6

Reifes Neugeborenes, 72 h alt, Gesamtserumbilirubinkonzentration 99,2 µmol/l

Bei reifen Neugeborenen beträgt der GSB durchschnittlich 5–6 mg/dl (85,5–102,6 µmol/l); als gerade noch tolerabel gelten Werte im Bereich 16 bis 18 mg/dl (273,6–307,8 µmol/l), wobei 299,3 µmol/l als Grenzwert angesehen wird. Im Alter von 72–96 h erreicht der GSB das Maximum, bei Frühgeborenen <37 Wochen etwas später (~7. Lebenstag).

Inwiefern ein Kind ein niedriges, moderates oder hohes Risiko hat, eine schwere Hyperbilirubinämie zu entwickeln, kann anhand von, international unterschiedlich gestalteten, Nomogrammen altersbezogener Bilirubinkonzentrationen (transkutan oder invasiv gemessen; in Milligramm pro Deziliter bzw. Mikromol pro Liter) punktuell und im Verlauf eingeschätzt werden. Wichtig ist, dass zusätzliche Risikofaktoren berücksichtigt werden können (Abb. 7: Blatt zur Einlage ins gelbe Untersuchungsheft; Tab. 2).

Abb. 7
figure 7

Messungen der Bilirubinkonzentration im Verlauf. G6PD Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase. (Aus [3])

Tab. 2 Risikofaktoren und Ursachen der schweren Hyperbilirubinämie des Neugeborenen

Der pathologische Ikterus des reifen Neugeborenen wird in der deutschsprachigen – nicht aber der angloamerikanischen – Literatur weiter spezifiziert:

  • Icterus praecox: GSB >7 mg/dl (>119,7 µmol/l) in den ersten 24 h,

  • Icterus gravis (schwere Hyperbilirubinämie): GSB >20 mg/dl (>342 µmol/l),

  • Icterus prolongatus: Ikterus >14 Lebenstage.

Bei jeder Form eines pathologischen Ikterus ist die Bilirubinenzephalopathie (Kernikterus) die gefürchtetste Komplikation: Dabei führt die massive indirekte Hyperbilirubinämie zu einer schweren Schädigung des Zentralnervensystems (ZNS), da die albuminbindende Kapazität im Organismus überstiegen wird, „freies“ Bilirubin die Blut-Hirn-Schranke somit passiert und sich selektiv in Basalganglien und Hirnstammkernen einlagert. Prinzipiell sollte daher der Bilirubinwert keinesfalls 17,5 mg/dl (299,3 μmol/l) übersteigen; Bilirubinwerte darunter gelten als relativ sicher.

Derzeit geht man davon aus, dass eine akute Bilirubinenzephalopathie 0,4–2,7/100.000 Lebendgeborene >34. SSW betrifft [4, 5]. Leitsymptome sind Lethargie, Hypotonie und Trinkschwäche (Phase 1), schrilles Schreien, Retrocollis und Fieber (Phase 2) sowie Stupor, Apnoen und Krampfanfälle (Phase 3; [6]). Den wenigen Studien zufolge sistieren die Symptome bei ~95 % der Kinder. Bei 5 % besteht aber die Gefahr der chronischen Bilirubinenzephalopathie mit dramatischen Folgen (choreoathetoide Zerebralparese, sensoneuronale Taubheit, vertikale Blickparese, schwerste psychomotorische Retardierung, einschließlich globale Sprachentwicklungsstörung und autistische Züge, [7, 8]). Der Zeitpunkt des Auftretens einer (schweren) indirekten Hyperbilirubinämie erlaubt Rückschlüsse auf die Ursache. Die Manifestation in den ersten 24 h ist sehr ernst zu nehmen (Tab. 3).

Tab. 3 Ursachen der indirekten Hyperbilirubinämie im zeitlichen Zusammenhang

(Schwere) indirekte Hyperbilirubinämie

Patientenalter <24 Lebensstunden

Die häufigsten Ursachen einer sich früh manifestierenden schweren indirekten Hyperbilirubinämie sind Infektionen und hämolytische Erkrankungen.

Der „M. haemolyticus neonatorum“ ist dabei von zentraler Bedeutung. Er resultiert aus der Einwirkung mütterlicher Immunglobulin(Ig)G-Alloantikörper auf Erythrozyten des Kindes während der Schwangerschaft bzw. nach der Geburt: Die Mutter ist „vorimmunisiert“ (z. B. durch vorherige Schwangerschaften), und die fetalen kindlichen Erythrozyten tragen das Antigen. Klinische Leitsymptome sind Anämie und Hyperbilirubinämie. Je nach auslösenden Antikörpern gibt es unterschiedliche Entitäten, die eines differenzierten diagnostischen Zugangs bedürfen (Tab. 2 und 4):

Tab. 4 Diagnostik bei Verdacht auf hämolysebedingte indirekte Hyperbilirubinämie (<24 h)

Rhesusinkompatibilität.

Diese Inkompatibilität betrifft das Rhesusfaktorantigen „D“ und entsteht zwischen einer Rh-negativen („dd“) Mutter und einem Rh-positivem („Dd, dD, DD“) Kind: Die Rhesus-D-Negativität der Mutter kann im kindlichen Organismus eine Hämolyse variabler Ausprägung bewirken – von milder Anämie über Hepatosplenomegalie (kompensatorisch gesteigerte extramedulläre Blutbildung) bis zum Vollbild des Hydrops fetalis mit progredientem schwerem Ikterus.

Seit Einführung der Rhesusprophylaxe bei Rh-negativen Frauen ist der M. haemolyticus neonatorum durch Anti-D-Antikörper in Industrienationen selten geworden, und das Risiko einer Rh-negativen Frau, durch eine Schwangerschaft mit ihrem Rh-positiven Kind immunisiert zu werden, beträgt unter 0,1 % (seltenere Unverträglichkeiten bei „Rhesus-Buchstaben“ wie Anti-c, Anti-C usw. und im Kell-System [Anti-K] werden vollständigkeitshalber erwähnt).

AB0-Inkompatibilität.

Bei Müttern mit Blutgruppe 0 rufen plazentagängige IgG-Antikörper gegen die Blutgruppenantigene A und/oder B im kindlichen Organismus eine Hämolyse hervor, wobei die 0 (Mutter)-/A (Kind)-Konstellation sehr häufig ist. Obwohl ~25 % aller Schwangerschaften AB0-inkompatibel sind, wird ein M. haemolyticus neonatorum klinisch nur selten beobachtet (1:100, mit schwerer Hämolyse 1:1000): Häufig bleibt der Hämoglobinwert normal, und eine Hepatosplenomegalie findet sich kaum.

Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel.

Der Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase(G6PD[H])-Mangel („Favismus“) basiert auf einer Mutation im G6PD-Gen (Xq28), das auf dem X‑Chromosom lokalisiert ist. Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase dient der Prävention oxidativer Schädigung (Hämolyse) der Erythrozyten; ihr Mangel ist der „häufigste Erythrozytenenzymdefekt“. Aktuell beträgt die Prävalenz des G6PD-Mangels in West- und Südosteuropa 3 %, in afrikanischen und südostasiatischen Staaten (Kongo, Vietnam) sogar 40 % und in den USA, Brasilien und China ~10 % [9]. Daher kommt dieser Entität so große differenzialdiagnostische Bedeutung zu: Wichtigste klinische Manifestation ist der früh auftretende neonatale Ikterus (Cave: Kernikterus ). Ansonsten variiert die Symptomatik je nach Mutation (allelische Variante) und Geschlecht der Betroffenen von Symptomfreiheit über chronisch-rezidivierende bis zu lebensbedrohlichen hämolytischen Krisen, die eher Jungen und Männer betreffen.

Hereditäre Sphärozytose.

Auch diese Erkrankung ist genetisch determiniert (autosomal-dominant). Die Mutation betrifft die skeletalen Proteine der Erythrozytenmembran, sodass die Erythrozyten „sphäroidal“ konfiguriert und – z. B. bei der Milzpassage – leichter hämolysierbar sind. Die Inzidenz der Erkrankung beträgt bei Kaukasiern 1:5000 Geburten, und die Bandbreite der klinischen Ausprägung ist groß, mit u. U. ausgeprägtem, teils intermittierendem Ikterus, Anämie unterschiedlicher Schweregrade, Splenomegalie, Gallensteinen, aber auch aplastischen Krisen bei Infektion (Parvo-B19-Virusinfektion).

Die hereditäre Sphärozytose ist insofern bedeutsam, als sie im US-amerikanischen „Kernikterus-Register“ als dritthäufigste ursächliche hämolytische Erkrankung geführt wird. Zudem ist sie die dritthäufigste hämolytische Anämie mit negativem direktem Coombs-Test, die eine Erythrozytentransfusion in den ersten Lebensmonaten notwendig macht [10]: Im klinischen Alltag sollte daher dann an eine hereditäre Sphärozytose gedacht werden, wenn ein Säugling (z. B. bei einer Infektion) durch ausgeprägte Anämie und gleichzeitige indirekte Hyperbilirubinämie auffällt (Abb. 8: Sphärozyten).

Abb. 8
figure 8

Sphärozyten in einem Blutausstrich bei Säugling mit indirekter Hyperbilirubinämie und schwerer Anämie

Patientenalter 2 bis 14 Lebenstage

In diesem Alter ist die häufigste Ursache der physiologische Ikterus, der – kausal nichtgeklärt – bisher im Rahmen von „Adaptationsprozessen“ beobachtet wird und als Ausschlussdiagnose gilt. An 2. Stelle ist der Stillikterus zu nennen: Auch hier ist die Ursache unklar, obwohl eine relative Dehydration des Säuglings eine Rolle spielen dürfte. Üblicherweise ist der Ikterus innerhalb weniger Wochen rückläufig. Letztlich können noch Infektionen, unterschiedliche hämolytische Erkrankungen oder ein Crigler-Najjar-Syndrom ursächlich sein (Tab. 3).

Patientenalter >14 Lebenstage

Einer indirekten Hyperbilirubinämie, die sich erst nach 14 Lebenstagen (protrahierter Ikterus) manifestiert, liegt ebenfalls am häufigsten ein „Stillikterus“ zugrunde, der bei zusätzlichem (Gilbert)-Meulengracht-Syndrom verstärkt sein kann. Infektionen oder Hypothyreose, seltener auch Galaktosämie, sind weitere wichtige Ursachen (Tab. 3).

Initiale Diagnostik

Da hämolytische Erkrankungen die häufigsten Ursachen eines (schweren) Icterus neonatorum sind, ist die Suche nach einer Alloimmunhämolyse wesentlich (Tab. 4):

  • Prinzipiell sollten vorgeburtlich die mütterliche Blutgruppe, einschließlich Rhesus-Faktor (D), und evtl. irreguläre Antikörper untersucht werden.

  • Bei Rh-Negativität der Mutter oder, wenn ihre Blutgruppe 0 bzw. unbekannt ist, muss gleich nach der Geburt der Rh-Faktor des Kindes aus dem Nabelschnurblut bestimmt werden.

  • Bei Rh-positivem Testergebnis oder Vorliegen irregulärer Antikörper bei der Mutter wird die Blutgruppe des Kindes festgestellt [11].

Zusätzliche Coombs-Tests erlauben eine differenziertere Einschätzung von Ursache und Verlauf: Der direkte Coombs-Test dient dem Nachweis von Antikörpern auf kindlichen Erythrozyten – bei stark positivem Resultat ist mit raschem Bilirubinanstieg zu rechnen [4]. Der indirekte Coombs-Test wird zum Nachweis plazentagängiger IgG-Antikörper im mütterlichen Serum eingesetzt.

Grundsätzlich kann die indirekte Hyperbilirubinämie über ein einfaches Screening diagnostiziert werden – laut American Academy of Pediatrics [4, 12] sollten zunächst das GSB und ergänzend das transkutane Bilirubin („TcB“, z. B. mithilfe von BiliCheck® [Fa. MedCare Visions, Unterschleißheim] oder JM-105® [Dräger Safety, Lübeck]; [4, 13]) bestimmt werden, um Kinder mit einem GSB >95. altersbezogener Perzentile zu identifizieren. Die 95. Perzentile des blutig gemessenen GSB-Spitzenwerts beträgt beim reifen Neugeborenen ~18 mg/dl (~307,8 µmol/l; [14, 15]).

Im Sinne einer sequenziellen Erfassung der Hyperbilirubinämie richtet sich weitere Labordiagnostik nach zusätzlichen Risikofaktoren [11]. Zur besseren Erfassung einer Hämolyse, bei Auftreten eines Ikterus <48 Lebensstunden und vor einer geplanten Fototherapie sind Analysen des Blutbilds mit Differenzialverteilung und Blutausstrichen, der „Hämolyseparameter“ (Retikulozyten, Laktatdehydrogenase [LDH]) und der Bilirubinfraktionen nötig [16]. Bei Icterus prolongatus wird diese Diagnostik um die Analyse der Schilddrüsenfunktionsparameter und den Beutler-Test (Bestimmung der Galaktosekonzentration im Blut: Galaktosämiediagnostik) erweitert. Parallel dazu erfolgen stets die klinische und die laborchemische Reevaluation:

Klinisch ist die kraniokaudale Ausbreitung des Ikterus charakteristisch [17]: So entspricht beim reifen Neugeborenen die Gelbfärbung der Fußsohle nach Anämisierung der Haut durch Fingerdruck einem GSB von 12–15 mg/dl (205,2–256,5 µmol/l). Laborchemisch ist wichtig, dass bei einem transkutan gemessenen Bilirubinwert (TcB) >18 mg/dl (>307,8 µmol/l) erneut der GSB-Spiegel bestimmt werden muss. Dazu ist das Ergebnis einer israelischen Studie von 282 Säuglingen mit umfassender Diagnostik vor der Fototherapie (FT) interessant: Bei 88 % zeigten sich unauffällige Laborresultate bzw. ein adäquater Bilirubinabfall unter FT. Die verbleibenden 12 % der Säuglinge, also jene mit auffälligen Laborwerten, benötigten zu 45 % eine FT innerhalb von 48 h und wiesen auch nach Beginn der FT ein erhöhtes GSB auf [18].

Initiale Therapie

Durch Anwendung einer FT wird in der Haut eingelagertes Bilirubin zu wasserlöslichem Lumirubin umgewandelt und dann ausgeschieden. Der Zeitpunkt des FT-Beginns kann anhand von Verlaufskurven des GSB über die Zeit (Nomogrammen), die es für Neugeborene sowie für Frühgeborene >35 Wochen gibt und die eine Berücksichtigung zusätzlicher Risikofaktoren ermöglichen, eingeschätzt werden (Abb. 7; [19]): Dabei ist z. B. dem entsprechenden Einlageblatt im gelben Untersuchungsheft (Deutschland) zu entnehmen, ab welcher „GSB-Perzentile“ und in welchen Zeitabständen Messungen erfolgen und wiederholt werden sollten.

In der Regel gilt als Grenzwert für den FT-Beginn bei gesunden reifen Neugeborenen (niedriges Risiko) im Alter von 72 h eine GSB-Konzentration von 18 mg/dl (307,8 µmol/l). Bei jenen Neugeborenen mit mittlerem Risiko (z. B. sonst gesunde Frühgeborene im Alter 35 bis 37 Wochen) beträgt der Grenzwert 16 mg/dl (273,6 µmol/l) und bei jenen Neugeborenen mit höherem Risiko (z. B. Frühgeborene im Alter von 35 bis 37 Wochen mit Risikofaktoren) 14 mg/dl (239,4 µmol/l; Tab. 5 und 6).

Tab. 5 Bilirubingrenzwerte für den Beginn der Fototherapie
Tab. 6 Für Beginn der Fototherapie zu beachtende Risikofaktoren

Zur praktischen Umsetzung der FT gibt es kein international verbindliches Protokoll – wesentlich sind:

  • adäquate Lichtwellenlänge (460–490 nm),

  • adäquate Strahlungsdichte und

  • Maximierung der exponierten Körperoberfläche.

Der GSB-Wert ist in variabler Weise rückläufig (6- bis 20 %iger Abfall), die FT wird aber bis zu Werten von 13–14 mg/dl (222,3–239,4 µmol/l) fortgesetzt. Anschließend ist meist keine weitere Hospitalisierung des Kindes notwendig, da rezidivierende Hyperbilirubinämien äußerst selten sind [4].

Primäre Störungen des Bilirubinstoffwechsels

(Gilbert‑)Meulengracht-Syndrom (Icterus intermittens juvenilis)

Das (Gilbert‑)Meulengracht-Syndrom gehört zu den hereditären Hyperbilirubinämiesyndromen und gilt als angeborene Stoffwechselerkrankung. Es wurde nach E. Meulengracht benannt, der wesentlich an seiner Erforschung Teil hatte – obwohl das Syndrom schon um ca. 1900 von A. Gilbert klinisch beschrieben worden war (daher „Gilbert-Meulengracht-Syndrom“).

Bei diesem Syndrom liegt eine autosomal-dominant vererbte Störung des Transports und Metabolismus der UDP-GT1-A1 vor: Die Aktivität des Enzyms ist um ~80 % reduziert, sodass die Bilirubinkonjugation und die Sezernierung über die Galle stark beeinträchtigt sind. Folge ist eine signifikante indirekte Hyperbilirubinämie, ohne dass eine hämolytische oder hepatische Erkrankung vorliegt. Die Prävalenz beträgt 5–12 % (männlich:weiblich: 1,5–7:1), die der Frequenz in betroffenen Familien 5–55 % [20].

Meist sind die Patienten bis auf gelegentliche Müdigkeit symptomfrei. Die Diagnose liegt nahe, wenn bei sonst Gesunden ein leichter Sklerenikterus ohne wesentliche Einschränkung des Allgemeinzustands vorliegt. Oft sind es Jugendliche, die bei Stress oder (gastrointestinaler) Infektion zu wenig gegessen haben, wobei es dann zum Bilirubinanstieg und (rückläufigem) Sklerenikterus kommt.

Klinisch bedeutsam ist die medikamentenassoziierte Toxizität : Der Abbau von Medikamenten kann bei Vorliegen des Meulengracht-Syndroms beeinträchtigt sein (z. B. Paracetamol, Chemotherapeutika, Medikamente gegen eine „Human-immunodeficiency-virus“(HIV)-Infektion; u. a. Blockade des UDP-GT1-A1-Gens).

Erwähnt werden soll auch die Prädisposition für Cholelithiasis , v. a. bei Kindern mit zystischer Fibrose. Selten gibt es Kombinationen mit anderen hereditären Ikterusformen (Dubin-Johnson-Syndrom; G6PD[H]-Mangel), die nur molekulargenetisch diagnostiziert werden können, im Hinblick auf das erhöhte Risiko eines Kernikterus aber bedeutsam sind [21].

Diagnostisch charakteristisch – und oft ein laborchemischer Zufallsbefund – ist die Konstellation eines etwas erhöhten Gesamtbilirubins mit 2‑ bis 5fach über die obere Normgrenze erhöhtem indirektem Bilirubin (Serum, Harn) und normalem direktem Bilirubin. Diskret erhöht können die Werte von Retikulozyten, Haptoglobin oder LDH sein. Der sonographische Befund der Leber ist unauffällig.

Mithilfe von Provokationstests kann ein Anstieg des indirekten Bilirubins hervorgerufen werden, z. B. durch 3‑tägige hypokalorische Diät oder i. v.-Gabe von 50 mg Nikotinsäure (in ≤4 h Anstieg des Bilirubinwerts um >0,9 mg/dl [>15,4 µmol/l]) über den Ausgangswert hinaus; Sensitivität/Spezifität ~100 % [20].

Der molekulargenetische Nachweis des UDP-GT1-A1-Promoter-Polymorphismus ist aber die sicherste diagnostische Methode.

Crigler-Najjar-Syndrom

Das klinische Bild dieser beiden angeborenen familiären Formen eines nichthämolytischen Ikterus wurde 1952 von den amerikanischen Pädiatern Crigler und Najjar beschrieben [22]. Es handelt sich um sehr seltene Erkrankungen mit einer kombinierten Prävalenz <1:1.000.000.

Typ I

Dem Crigler-Najjar-Syndrom Typ I liegt ein genetisch bedingtes nahezu völliges Fehlen der UDP-GT1-A1 zugrunde (Erbgang autosomal-rezessiv; [23]). Aufgrund der massiv eingeschränkten Enzymaktivität ist eine schwere indirekte Hyperbilirubinämie mit GSB-Werten von >20 mg/dl (>342 µmol/l) die Folge – ohne hämolysebedingte oder hepatische Ursache. Wesentliche klinische Manifestation ist ein kurz nach der Geburt auftretender Icterus gravis , mit rascher Entwicklung eines Kernikterus. Stuhl und Urin sind normal gefärbt, die Galle aber farblos. Der Palpationsbefund von Leber und Milz ist normal, ebenso die Werte der Aminotransferasen. Bisher wurde ein progressiver fataler Krankheitsverlauf beobachtet, mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 18 Monaten. Von den ~200 beschriebenen Patienten erreichten die wenigsten die Pubertät.

Therapeutisch versucht man initial eine rasche Enzyminduktion durch Gabe von Phenobarbital (3-mal 60 mg/Tag; [24]). Außerdem ist/sind tägliche, 8‑ bis 12-stündige Fototherapie, evtl. Blutaustauschtransfusionen oder Plasmapherese empfohlene Therapieansätze [25]. Auch Behandlungsversuche mithilfe der Leber- bzw. Hepatozytentransplantation wurden beschrieben [26, 27].

Typ II

Crigler-Najjar-Syndrom Typ II („Arias-Syndrom“) beruht ebenfalls auf einer genetisch determinierten Transport- und Stoffwechselstörung der UDP-GT1-A1(Erbgang autosomal-dominant). Die Aktivität der UDP-GT1-A1 ist auf 10 % reduziert und die indirekte Hyperbilirubinämie daher nicht ganz so ausgeprägt (6–20 mg/dl [102,6–342,0 µmol/l]). Es finden sich ebenfalls weder gesteigerte Hämolyse noch Lebererkrankungen als Ursachen.

Der Ikterus manifestiert sich während des 1. Lebensjahres, und die Prognose ist recht gut. Vor allem aber der Pruritus kann hartnäckig und daher belastend sein. Die Diagnostik wird molekulargenetisch geführt (UDP-GT1-A1-Promotor-Polymorphismus). Bei dieser milderen Form wird die tägliche Gabe von Phenobarbital empfohlen [27].

Ausblick

Die Hyperbilirubinämie ist keine eigenständige Krankheit, sondern führendes (Labor)-Symptom einer Vielzahl von, u. a. ernsten, Erkrankungen unterschiedlichster Ätiologie. Aufgrund der gefürchteten Komplikation des Kernikterus muss v. a. beim Neugeborenen rasch diagnostisch differenziert werden, ob eine schwere (indirekte) Hyperbilirubinämie mit entsprechendem Handlungsbedarf vorliegt. Generell sollte man die „Hyperbilirubinämiesyndrome“ differenzialdiagnostisch insofern stets in Betracht ziehen, als ihre Diagnose unnötige invasivere Untersuchungen zum Ausschluss einer vermuteten schweren hepatobiliären Erkrankung vermeiden hilft [27].

Fazit für die Praxis

  • Die indirekte Hyperbilirubinämie ist führendes Laborsymptom sehr heterogener Erkrankungen.

  • Beim Neugeborenen ist sie u. U. ein Hinweis auf einen pathologischen Ikterus (Cave: Bilirubinenzephalopathie); daher gilt folgende Empfehlung des diagnostischen Stufenscreenings:

    • initial Bestimmung von Hämoglobin, Bilirubin(fraktionen), LDH, Retikulozyten und zur Differenzierung hämolytischer Erkrankungen jene der Rh-Faktoren und Blutgruppen (Mutter, Kind),

    • ergänzt durch Coombs-Tests, Messung der G6PD(H)-Aktivität im Erythrozyten und der Erythrozytenresistenz, einschließlich Beurteilung von Blutausstrichen.

  • Andere Ursachen (Dehydrierung, Infektion) erfordern ihre entsprechende Diagnostik.

  • Eine Fototherapie wird bei Überschreitung von Grenzwerten der GSB-Konzentration eingeleitet (spezifische Nomogramme).

  • Ursächlich können hereditäre Störungen des Bilirubinmetabolismus (Meulengracht- und Crigler-Najjar-Syndrome) sein; diese sind molekulargenetisch zu diagnostizieren und mithilfe eines breiten Therapiespektrums (symptomatisch bis zur Lebertransplantation) zu behandeln.