Aus der Sicht der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, dem Dachverband der deutschen kindermedizinischen Gesellschaften und Verbände (DAKJ) gibt es grundlegende Gemeinsamkeiten in den Empfehlungen zur Kariesprophylaxe in beiden Ländern, Österreich und Deutschland. Beispielsweise empfiehlt auch die DAKJ fluoridiertes Speisesalz für alle Haushalte in fluoridarmen Gebieten oder – mit geringen Einschränkungen – die regelmäßige Pflege der Zähne mit ausreichend fluoridierter Zahnpasta.

Wenn der vorliegende Beitrag die Unterschiede zu den österreichischen Empfehlungen herausarbeitet, dann nicht, um einen Konflikt mit der befreundeten kinderärztlichen Fachgesellschaft auszulösen, sondern vielmehr, um die Kinderärzte in Deutschland, die sich um die Kariesprävention sehr verdient gemacht haben, durch die österreichischen Positionen nicht verunsichern zu lassen.

Ausgewogene Ernährung

Die beiden österreichischen Gremien gehen auf den kinderärztlichen Beratungsbedarf zu einer Ernährung für optimale Zahngesundheit nicht ein:

  • Im Säuglings- und Kleinkindesalter verursachen schlechte Ernährungsgewohnheiten die frühe Zahnkaries, v. a. das Flaschennuckeln zur Beruhigung und das dauernde Essen, was hierzulande von Kinderärzten als „Grasen“ bezeichnet wird.

  • Es ist wohl weniger der Gesamtkonsum an Zucker als vielmehr die Häufigkeit und die Dauer der Exposition der Zähne gegenüber Süßem.

Zahn- und Mundhygiene

Dazu beraten in den ersten Jahren hierzulande die Kinderärzte, weil die Zahnärzte erst viel später mit den Kindern in Kontakt kommen.

  • Kariesbakterien werden von den Eltern, v. a. von der Mutter, auf das Kind übertragen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass sich die Eltern spätestens vor dem Durchbruch der ersten Zähne ihres Kindes die eigenen Zähne gründlich sanieren lassen und stets sehr gut pflegen.

  • Die Kinder schlucken Zahnpasta in den ersten Lebensjahren, anfangs vollständig. Zahnpasta ist aber ein kosmetisches Mittel mit mindestens 20 verschiedenen Substanzen, die alle nicht zum regelmäßigen Verzehr bestimmt sind und deren langfristige Verträglichkeit bei Kindern nicht einmal untersucht ist. Aus der Sicht der DAKJ fehlen damit die Voraussetzungen für eine allgemeine Empfehlung an die Bevölkerung. Zahnpasta sollte erst verwendet werden, wenn die Kinder sie in der Regel ausspucken. Vom 4. Lebensjahr an ist ein zunehmender Anteil der Kinder dazu in der Lage.

  • Das Konsenspapier empfiehlt eine Aufklärung der Eltern dahingehend, wie „Zähneputzen auch bei unwilligen Kindern“ bewerkstelligt werden kann. Auf einer internationalen Tagung in Obergurgl 2011 bezeichnete der bekannte Schweizer Zahnmediziner Giorgio Menghini die frühe Zahnpflege (ab Durchbruch des ersten Zahnes) als „nicht verhandelbar“. Zwang ist aus unserer Sicht bei Säuglingen und Kleinkindern keine besonders wirksame Strategie und hat wahrscheinlich langfristig ungünstige Effekte. Er ist zudem überflüssig, weil in diesem Alter Zähneputzen der Karies nicht vorbeugt [2].

Anwendung von Fluoriden

  • Präeruptive Fluoridwirkung: Die Zähne sind viele Jahrzehnte den destruktiven aber auch den schützenden Kräften in der Mundhöhle exponiert. Insofern spielt, über die Lebensspanne gerechnet, die Fluoridexposition nach dem Zahndurchbruch eine größere Rolle als die während der viel kürzeren präeruptiven Zahnentwicklung. Aber schon die frühen Studien über die Trinkwasserfluoridierung konnten zeigen, dass der Karies hemmende Effekt von Fluorid deutlich stärker war, wenn die Kinder bereits lange vor dem Zahndurchbruch der Trinkwasserfluoridierung exponiert waren (z. B. [1]). Diese präeruptive Wirkung von Fluorid konnte in zahlreichen Untersuchungen bestätigt werden und war der Grund für die früher auch in Deutschland stets gemeinsamen Empfehlungen der Kinder- und Zahnmedizin für den Beginn von Fluoridsupplementen bereits während der päeruptiven Zahnentwicklung.

Die Fluoridsupplementierung sollte bereits präeruptiv begonnen werden.

  • Vergleich der Wirksamkeit von Fluoridzahnpasta und Fluoridtabletten: Die wenigen Studien zu diesem Anliegen zeigen durchweg eine bessere Wirksamkeit von Fluoridtabletten als von fluoridierter Zahnpasta [2].

  • Verminderter Fluoridgehalt von Kinder- und Juniorzahnpasten: Bei Konzentrationen zwischen 1000 und 2800 mg Fluorid pro kg (ppm) Zahnpasta wurde in Studien unter kontrollierten Bedingungen eine dosisabhängige Verminderung neuer Karies von durchschnittlich etwa 25% beobachtet [3, 6, 7]. Die bei uns üblichen Konzentrationen zwischen 1000 und 1500 ppm vermindern die Entstehung neuer Karies um etwa 10–15% ([3]; 85–90% der neuen Karies werden dadurch also nicht verhindert). Für Fluoridkonzentrationen von 500 oder gar nur 250 ppm konnte eine kariespräventive topische Wirkung nicht nachgewiesen werden, wie neuere Cochrane-Analysen bestätigten [6, 7]. Auch für die von der Zahnmedizin empfohlenen erbsengroßen Zahnpastaportionen, die nach unserer Kritik jetzt auf einen „dünnen Film“ reduziert wurden, gibt es keinerlei Nachweis einer topischen Wirkung. Es ist deshalb schwer nachzuvollziehen, warum dies hier der allgemeinen Bevölkerung empfohlen wird.

  • Systemische Wirkungen von Zahnpasta: Da Zahnpasta auch systemische Wirkungen im Sinne von Dentalfluorose hat, je nachdem, wie viel davon geschluckt wird [5], kann man sich auch durchaus vorstellen, dass Zahnpasta, während der präeruptiven Phase geschluckt, über den systemischen Weg auch einen gewissen kariespräventiven Effekt haben könnte. Das ist aber noch nicht nachgewiesen. Die DAKJ gibt auch aus diesem Grund den auf ihre Verträglichkeit geprüften Fluoridtabletten mit einem erprobten, altersspezifisch genau dosierten Fluoridgehalt klar den Vorzug gegenüber Zahnpasta.

Empfehlungen der DAKJ

  • Die Eltern sollen ihren Zahnarzt aufsuchen, ihre Zähne perfekt sanieren lassen und sie sorgfältig mit fluoridierter Zahnpasta pflegen. Alle Familien, die in (den vorherrschenden) fluoridarmen Gebieten Deutschlands wohnen, sollten fluoridiertes Speisesalz verwenden.

  • Weil der Salzkonsum in den ersten Lebensjahren gering ist, wird für Kinder in dieser Lebensphase empfohlen, Fluoridsupplemente in der Form von Tabletten in altersgerechter Dosierung zu verabreichen (Tab. 1; [4]). Im 1. Jahr und im 2. Lebenswinter sollten sie mit Vitamin D kombiniert sein.

  • Die Milchzähne können von ihrem Durchbruch an vorsichtig mit feuchten Wattestäbchen oder Säuglingszahnbürsten gereinigt werden – mit dem Kind, nicht gegen das Kind!

  • Auf Beruhigung mit Nuckelflaschen wird verzichtet, das Kind wird (jenseits der Stillperiode) in Mahlzeiten ernährt und erhält nicht ständig irgendetwas zu essen. Es soll speisen und nicht grasen!

  • Was Zahnpasta, insbesondere fluoridierte, angeht, sollte man warten, bis die Kinder sie in aller Regel ausspucken; das ist meist ab dem 4. Lebensjahr der Fall und lässt sich einfach ausprobieren. Der Fluoridgehalt sollte wirksam sein, d. h. mindestens 1000 ppm betragen.

  • Bei der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) ist ein Merkblatt für Eltern abrufbar: Gesunde Zähne für mein Kind (www.dgkj.de, unter „Eltern“ und „Elterninformationen“).

Tab. 1 Empfohlene Fluoriddosierung unter Standardbedingungena [4]