Depressionen zählen zu den häufigen chronischen Erkrankungen des Erwachsenenalters. Erste Anzeichen der Krankheit treten schon im Kindes- und Jugendalter auf. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts bezeichnete der Kinderarzt Spitz [4] das Rückzugsverhalten und die Bekümmerung schwer deprivierter Säuglinge als anaklitische Depression. Der Krankheitsverlauf wird durch genetische Disposition, Belastungen und Schutzfaktoren beeinflusst [3]. Kinder sind in stärkerem Maß von ihrer Umgebung abhängig als Erwachsene. Es ist damit zu rechnen, dass in der kinderärztlichen Praxis Kinder und auch Eltern mit einer depressiven Symptomatik anzutreffen sind.

Alltägliche Symptome bei Kindern können Ausdruck einer depressiven Verstimmung sein

Alltägliche Themen bei Kindern wie Bauchweh und Unaufmerksamkeit können Ausdruck und erste Anzeichen einer depressiven Symptomatik sein. Die hausärztliche Praxis hat die Wächterfunktion („gate keeper“), eine depressive Symptomatik zu erkennen, zu beraten und zu begleiten. Gespräche mit Kind und Eltern bilden die Grundlage für das Entwickeln einer Halt gebenden Beziehung, die Diagnostik und die weitere Betreuung. Eine strukturierte Dokumentation des psychischen Befunds unterstützt die Einordnung der Symptomatik und die Beurteilung. Bei längerem Verlauf und hohem Schweregrad sind weitere fachliche Unterstützung und Kooperation mit Spezialisten notwendig.

In der kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis erfolgt eine umfassende Diagnostik, die in ein Behandlungskonzept und eine Koordination der Therapie mündet. Das Risiko von Suizidalität muss immer wieder aufs Neue geprüft werden. Depressive Jugendliche benötigen eine Behandlung über einen längeren Zeitraum. Dem Bericht aus der Kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis liegt ein umfassendes Projekt zur Qualitätssicherung zugrunde, insbesondere zu Ergebnissen der Behandlung und zur Zufriedenheit der Patienten.

Die notfallmäßige Aufnahme in stationäre Behandlung bei einer Krisensituation wie Suizidalität kann zur Klärung einer schon lange bestehenden belastenden Lebenssituation führen. Kinder und Jugendliche in Kliniken sind in ihren Lebensbezügen schwer beeinträchtigt. In Rahmen der multidisziplinären und multimodalen Behandlung kann häufig eine rasche Rückbildung der Symptomatik erzielt werden. Die Weiterführung der Therapie muss in Kooperation mit niedergelassenen Ärzten, Psychotherapeuten, Schule und Jugendhilfe abgestimmt werden.

In der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird verbindlich eine standardisierte Basisdokumentation geführt. Sie beschreibt die wesentlichen diagnostischen und therapeutischen Elemente. Auf der Grundlage routinemäßig erhobener Daten ist ein Vergleich zwischen ambulantem, teilstationärem und stationärem Setting sowie zwischen Institutionen möglich.

Die Auswirkungen der depressiven Erkrankungen von Erwachsenen auf ihre Kinder werden in der Erwachsenenpsychiatrie nicht sehr oft berücksichtigt. Aus einer Kooperation zwischen Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie entwickelte sich eine in einer psychiatrischen Klinik angesiedelte Sprechstunde für Kinder – SprechKid, die diesen Gehör und Unterstützung anbietet. Für Kinderärzte kann der Aufbau einer Kooperation mit Erwachsenenpsychiatern sehr anregend und unterstützend sein.

Basis aller (psycho-)therapeutischen Ansätze ist eine tragfähige Beziehung

Für Depressionen stehen wirkungsvolle Behandlungsoptionen zur Verfügung. Grundlage aller (psycho-)therapeutischen Ansätze ist die Entwicklung einer tragfähigen Arzt-Patienten-Beziehung [1], deren Bedeutung in allen Beiträgen herausgestellt wird. Die Wirksamkeit von Psychotherapien ist belegt. Für das Kindesalter liegen nur begrenzt Wirksamkeitsnachweise medikamentöser Behandlungen vor, sodass diese „off label“ durchgeführt werden müssen. Für die Gruppe der selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI: „selective serotonin reuptake inhibitor“) wurde diskutiert, ob sie eine Erhöhung der Suizidgefahr bewirken. Eine umfassende, methodenkritische Übersichtsarbeit [1] berücksichtigte auch Daten für Kinder und Jugendliche. In ihr wurde der Schluss gezogen, dass bei allen antidepressiv wirksamen Medikamenten die erwünschte Verbesserung der depressiven Symptomatik gleichzeitig mit einer Erhöhung des Suizidrisikos einhergehen kann. Nutzen und Gefährdungen der medikamentösen Behandlung sind deshalb im Einzelfall abzuwägen [1]. Nach erfolgreicher Behandlung sollte auf die Möglichkeit von Rückfällen unter Belastungssituationen hingewiesen werden.

Die Beiträge dieses Themenhefts zeigen den Wert standardisierter Daten. Erst im Rahmen der Versorgung lassen sich Nutzen und Anwendbarkeit der unter Forschungsbedingungen festgestellten Wirksamkeit von Behandlungen überprüfen.

Im Kindes- und Jugendalter werden Diagnosen einer Depression nicht sehr oft gestellt. Depressive Verstimmungen sind hingegen häufig anzutreffen. Für Ärzte in Klinik und Praxis ist es eine Herausforderung, Emotionen zu erkennen, sie anzusprechen und damit umgehen zu können. Ein wertschätzender Umgang schafft Vertrauen und stärkt Kinder und Eltern.

Die Beiträge des vorliegenden Themenhefts gehen auf Vorträge auf Münchner kinder- und jugendpsychiatrischen Symposien zurück. Den Autoren gebührt Dank, dass sie ihre Beiträge aktualisiert und ausgearbeitet haben. Der Gastherausgeber dankt Herausgebern und Verlag für die Möglichkeit zur Publikation und für die gute Kooperation. Er verbindet dies mit dem Wunsch, dass die Beiträge in der Praxis von Nutzen sein mögen.

Prof. Dr. Reiner Frank

Prof. Dr. Reinhold Kerbl