Zusammenfassung
Hintergrund
Könnte ein Telefontriagesystem in der Pädiatrie in Deutschland Kosten einsparen, ohne die Qualität der Gesundheitsversorgung zu gefährden? Durch so genannte Telefontriage sortieren geschulte Krankenschwestern unter Abfrage von Indikatorsymptomen mit Hilfe computergesteuerter Algorithmen Kinder nach der Schwere der Krankheit vor und raten den Eltern entsprechende Maßnahmen. Derzeit finden sich diese Systeme v. a. in den USA.
Methoden und Ergebnisse
Auf der Basis von pädiatrischen Konsultationen in einer Großstadt mit Umland und den Daten in den USA berechneten wir das Einparpotenzial für Ambulanzbesuche nichtangemessener Indikation und stellten diesem die Kosten eines Telefontriagesystems gegenüber. Wären bis zu 25% der derzeitigen pädiatrischen Konsultationen in Deutschland/Jahr zu vermeiden, würde das nicht zu einer Einsparung führen.
Schlussfolgerung
Daten über andere Auswirkungen eines Telefontriagesystems in Deutschland liegen nicht vor. Ein regional begrenzter Pilotversuch mit wissenschaftlicher Begleitung zum Vorher-nachher-Vergleich von Nutzung der Ambulanzen durch die Eltern, Zufriedenheit der Eltern und des Klinikpersonals wäre wünschenswert.
Abstract
Background
Would a nationwide telephone triage and advice program (TTA) help save costs in Germany without endangering the current quality in health care? TTA programs have become quite common especially in the US. Specially trained nurses guide parents to the right level of health care after assessing the severity of their child’s sickness with computer-controlled clinical algorithms.
Methods and results
We calculated potential savings based on data provided by emergency department consultations in one German city and its surroundings and compared them to the costs for introducing and operating a TTA program. If up to 25% of all emergency department consultations could be avoided annually, it would not result in cost reductions.
Conclusions
Since data are lacking on TTA, we suggest a regional pilot to evaluate before and after parent satisfaction, gather data on when and for what reasons parents presently tend to bring in their children, and assess the clinic personnel’s contentment with their work load.
Notes
In die Debatte um die Definition der medizinischen Notwendigkeit von Arztbesuchen bei Vorliegen verschiedener Krankheitsbilder steige ich nicht ein, vgl. auch Doobinin et al. [10] zum Begriff der Angemessenheit. Ich setze deshalb die Begriffe wie nötig, notwendig in diesem Zusammenhang, in Anführungsstriche, da im Sinne der Sorge oder Angst der Eltern der Besuch nötig, eben „not-wendend“ ist. Dies trifft z. T. nicht im Sinne einer objektiv gegebenen medizinischen Notlage zu, wenn z. B. wegen Erkältungskrankheiten, Mückenstich, Verstopfung nächtliche Vorstellungen (als Notfälle) erfolgen.
Eine quantitative Untersuchung darüber liegt in Deutschland nicht vor, jedoch handelt es sich um eine explorative qualitative Erhebung des Autors. Eine ähnliche Entwicklung wird in der Schweiz beobachtet [36].
Dies ist nicht im Sinn einer Klage, sondern im Sinn einer soziologischen Analyse der veränderten Sicht des Kindes gemeint, der wir uns in dieser Form als Kinderärzte/ärztinnen zu stellen haben. Vgl. Diskussion in der Neonatologie um das „perfekte“ Kind sowie die Debatte um die Medikalisierung auch in der Pädiatrie (z. B. Seidler [35]).
Die Studien gehören im Allgemeinen in die Evidenzklassen IIb oder III (nach Glance 1997: Einteilung der AHCPR, s. auch Omery [29] zur Einteilung der Studien). Zum Teil liegen sehr kleine randomisierte kontrollierte Studien vor (Klasse Ib), bei denen fingierte Eltern mit klar definierten Problemstellungen anrufen (vgl. Perrin u. Goodman [30]). Auch wenn Repräsentativität und Übertragbarkeit eingeschränkt sind, dienen die Ausführungen über die Studien als Hintergrund für die vorliegende explorative Analyse für Deutschland mangels jedweder Daten für Deutschland.
Die Auswertung wurde verblindet durchgeführt, d. h. 2 von 3 auf dem Gebiet der pädiatrischen Notfallversorgung erfahrene Ärzte mussten darin übereinstimmen, dass es sich um einen angemessenen Besuch handelt. Dabei wurden 133 konsekutiv durch eine Telefontriage zugewiesenen Kindern die Kinder (n=260) gegenübergestellt, die im gleichen Zeitraum in der Ambulanz gesehen wurden. Für die umgekehrte Messung, kein Kind fälschlich abgewiesen zu haben, liegen keine Ergebnisse vor. Eine solche Analyse liegt für das Gebiet der Ophthalmologie vor [21], wobei ich nicht den Eindruck erwecken möchte, ophthalmologische und pädiatrische Patienten seien vergleichbar. Nach den Erfahrungen in der Ophthalmologie ist keinem Patienten, der medizinische Versorgung benötigte, diese aufgrund der Telefontriage verweigert worden.
Gegenstand der Untersuchungen ist nicht der Vergleich der Compliance nach Arztbesuchen (Medikamenteneinnahme etc.) mit der nach Anrufen bei Telefontriagesystemen. Zum einen wäre dieser Vergleich im Rahmen des Beitrags zu umfänglich, zum anderen ist Ziel der untersuchten Telefontriagesysteme die „Vermeidung“ „unnötiger“ Ambulanzbesuche unter der Gewähr, dass Eltern der Anordnung zur sofortigen Vorstellung des Kindes Folge leisten, sollte es entsprechend krank sein.
Die Einteilung der Kostenarten erfolgt nach den in der Gesundheitsökonomie anerkannten Standards, vgl. u. a. Lauterbach u. Schrappe [17].
Wir danken sowohl der kassenärztlichen Vereinigung Hannover als auch der Abrechnungsabteilung der Medizinischen Hochschule für die Bereitstellung der Daten. Für die Auswahl einer Region müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
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1.
Die Daten eines einzelnen Krankenhauses können nur eine verlässliche Basis zur Hochrechnung bieten, wenn das dazu gehörige Umland klar definiert ist. Damit scheiden Regionen mit überlappenden Einflussgebieten verschiedener Anbieter aus (z. B. Ruhrgebiet), da sich keine klare Zurechenbarkeit ergäbe.
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2.
Um Repräsentativität zu erreichen, sollten sowohl eine Stadt als auch eine ländliche Region berücksichtigt werden. Dies ist für die Region Hannover gegeben, sodass wir unsere Berechnungen aufgrund der dort erhobenen Daten durchführen.
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1.
Situation vor Zusammenlegung der Notfallversorgung der KV mit dem großen Kinderkrankenhaus ab 1.9. 2003.
Kinderchirurgische Notfälle wurden nicht berücksichtigt, da es auch aus den USA keine Angaben gibt, ob darunter vermeidbare Arztkontakte fallen.
Daten für die ambulante Versorgung liegen uns aus Köln und Hannover vor. Laut Information des Abrechnungsbüros des Städtischen Kinderkrankenhauses Köln (Amsterdamer Straße) wurden in den ersten beiden Quartalen 2002 durchschnittlich 21 EUR pro notfallmäßiger Ambulanzbehandlung (ohne Erstattung für evtl. durchgeführte Röntgenuntersuchungen) erstattet. Laut Abrechnungsbüro des Krankenhauses Porz am Rhein: 22,80 EUR/Fall einschließlich Materialkosten als Durchschnittswert des 2. Quartals 2001 und 2002. Laut Abrechnung der MHH Vergütung von etwa durchschnittlich 33 EUR. Wir danken für die Bereitstellung der Abrechnungsdaten.
Eine univariate Sensitivitätsanalyse mit einer Erstattung von 30 EUR/Besuch würde bei diesem Szenario (Tabelle 2 Zeile 2) zu einem Ergebnis von 11,25 Mio. EUR Ersparnis führen.
Die Zahlen für die Dauer der Anrufe aus den USA klaffen weit auseinander: Versicherer gehen von Gesprächen unter 5 min aus; die Kinderkrankenhäuser haben einen Mittelwert von 11 min pro Gespräch.
Der Personalbedarf wird als Vollstellen ermittelt. Bei diesem Szenario müssten die Vollstellen so in Teilzeitkräfte aufgeteilt werden, dass die Gesamtzahl der zu besetzenden Schichten abgedeckt werden kann. Damit entstehen höhere Kosten für die Ausbildung von mehr Personal. Die Fixkosten (s. unten) wie Telefone, Computer, Raummiete etc. blieben ebenfalls dieselben.
Sensitivitätsanalyse: Dauer der Anrufe 11 min zu 5 Ct/min: 825.000 EUR. Minutenpreis 1,6 Ct/min bzw. 12 Ct/min bei 5 min: 120.000 bzw. 900.000 EUR.
Kinderkrankenhaus auf der Bult, Hannover: etwa 12.000/Jahr (KV Hannover), Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße, Köln: 13.600 (Durchschnitt der Jahre 2001 und 2002). Chirurgische Notfälle bleiben unberücksichtigt.
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Gerber, A., Lauterbach, K.W. Telefontriage in der Pädiatrie . Monatsschr Kinderheilkd 153, 1089–1100 (2005). https://doi.org/10.1007/s00112-004-0968-2
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00112-004-0968-2