Anamnese

Bei einer 80-jährigen Patientin wurde im Juli 2021 eine Autoimmunhepatitis anhand typischer Laborbefunde (ANA-IIFT 1:400; ANA-Screening 2. Muster 1:3200; Sp100-AK positiv, p‑ANCA-IIFT 1:1024) und Histologie (chronisch aktive, überwiegend portale Hepatitis mit Übergreifen auf die Intermediärzone sowie periportale Fibrose) diagnostiziert und mittels Prednisolon (initial 40 mg/Tag) und Azathioprin (50 mg/Tag – entsprechend 1,5 mg/kg KG) therapiert. Nach Ansprechen folgten im Verlauf erneute Hospitalisierungen bei Herpes-simplex(HSV)-1-Pneumonie und pulmonaler Aspergillose (HR-CT Thorax mit kleinflächigem Infiltrat am kleinen Lappenspalt rechts mit Milchglastrübung; bronchoalveoläre Lavage [BAL] mit Nachweis von 248.000 HSV-1-Viruskopien/ml, später BAL-Nachweis von Aspergillus-Antigen und Kultur von Aspergillus fumigatus). Diese wurden mittels Aciclovir (1200 mg/Tag über 14 Tage) und Voriconazol (400 mg/Tag für zunächst 6 Wochen) therapiert. Aufgrund der immunsuppressionsassoziierten Infektionen erfolgte eine Immundiagnostik mit Nachweis einer absoluten CD4+-T-Lymphozytenzahl von 96 Zellen/µl. Die Kombinationstherapie wurde beendet und eine Erhaltungstherapie mittels Budesonid eingeleitet (3 × 3 mg/Tag). Sonstige Vorerkrankungen lagen nicht vor.

Klinischer Befund

09/21 erfolgte die erneute Vorstellung der Patientin, seit dem Vorabend waren Bauchschmerzen und Fieber aufgetreten. Das Abdomen zeigte sich über allen Quadranten druckschmerzhaft. Die Körpertemperatur betrug 38,3 °C tympanal. Die Therapie bestand aus Budesonid 9 mg/Tag und Voriconazol 400 mg/Tag.

Labordiagnostik (Tab. 1)

Tab. 1 Pathologische Laborbefunde bei Aufnahme

Weitere Diagnostik

Im Röntgen des Thorax zeigten sich Infiltrate im rechten Mittelfeld und beiden Unterfeldern. Aufgrund des ausgeprägten klinischen Befunds folgte eine CT des Abdomens mit Verdacht auf Peritonealkarzinose und wenig Aszites. Es zeigte sich das Bild eines Retentionsmagens bei vermutetem CUP(„cancer of unkown primary“)-Syndrom, DD infektiös-entzündliches Geschehen. Weiter fanden sich Wandverdickungen und -betonung des gesamten Kolonrahmens und der Verdacht auf Dünndarmsubileus (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Repräsentative axiale (a) und sagittale (b) Schichten der abdominellen Computertomographie: ausgedehnte infiltrative Verdichtungen (weiße Pfeilköpfe) im Omentum majus im Sinne eines „omental cake“ und der Mesenterialwurzel mit umschriebener omentaler Abszessformation (Asterisk) im rechten Mittelbauch sowie einer geringen Menge freier Flüssigkeit (Raute). Differenzialdiagnosen: Peritonealkarzinose bei unklarem Primarius vs. entzündliches Geschehen

Weiteres Vorgehen

Seitens Chirurgie wurde aufgrund des Malignitätsverdachts zunächst keine Indikation zur operativen Therapie gestellt. Unter stuhlregulierenden Maßnahmen kam es zunächst zu einer Beschwerdebesserung. Eine kalkulierte antibiotische Therapie mittels Piperacillin/Tazobactam wurde nach Asservierung von Blutkulturen eingeleitet. Es erfolgte die stationäre Aufnahme in die Gastroenterologie. Am Folgetag zeigte sich eine diffuse Abwehrspannung mit folgender Labordiagnostik (Tab. 2):

Tab. 2 Laborbefunde des Folgetages

In der erneuten chirurgischen Konsultation wurde aufgrund des progredienten Erkrankungsbilds die Indikation zur Notfalllaparotomie gestellt, die noch am selben Tag erfolgte.

Der Befund wurde als Abszess im Omentum majus des rechten Oberbauchs mit Peritonitis und kleinknotigen Raumforderungen am gesamten Dünndarmmesenterium und paralytischem Ileus zusammengefasst.

Während des postoperativen Verlaufs auf der Intensivstation kam es zu einem fulminanten Schockgeschehen und Versterben der Patientin.

Mikrobiologie

Die Blutkulturen und Op.-Materialien (Abstrich aus Bauchhöhle und Omentum) erbrachten den Nachweis von Nocardia farcinica. In der Obduktion fand sich eine Peritonitis mit Herden im gesamten Bauchraum, auf Organen, Fettgewebe und Verwachsungen des Dünn- und Dickdarms (Abb. 2 und 3). Histologisch handelte es sich um Gram- und Grocott-positive Erreger. Pulmonal zeigten sich eine akute Bronchopneumonie sowie multiple granulomartige Abszesse (Abb. 4). Im Urogenitalsystem fanden sich Abszesse in der Niere und im perirenalen Fettgewebe. In der Leber zeigten sich eine Fibrose und beginnende kleinknotige Leberzirrhose. Als Todesursache wurde ein infektiös-toxisches Herz-Kreislauf-Versagen bei Sepsis aufgrund disseminierter Nocardiose mit septikopyämischen Herden in Thorax, Abdomen und Retroperitoneum konstatiert.

Abb. 2
figure 2

Obduktionsgewebe, PE mesenterial, HE-Färbung: Rechts: konfluierende Abszesse mit Nachweis dünner, fadenförmiger Erreger (zwischen den Pfeilen). Links: mesenteriales Fettgewebe

Abb. 3
figure 3

Obduktionsgewebe, PE mesenterial, Grocott-Färbung: Grocott-positive, dünne, fadenförmige Erreger, passend zu Nocardien (zwischen den Pfeilen)

Abb. 4
figure 4

Obduktionsgewebe, PE Lunge, HE-Färbung: Rechts: Lungenparenchym. Links: Abszesse in der Lunge

Diskussion

Nocardien sind obligat aerobe, stäbchenförmige, grampositive Bakterien. Die Gattung Nocardia hat über 50 Spezies, eine zunehmende Zahl wird als potenziell pathogen für den Menschen eingestuft [2, 7]. Nocardien kommen in stehenden Gewässern, Tierfäkalien und im Boden ubiquitär vor [2]. Die Infektion erfolgt durch Inhalation oder Wundkontamination.

Risikofaktoren für die Entwicklung von Nocardiosen sind onkologische Leiden, Immunsuppression sowie zugrunde liegende Lungenerkrankungen. In 20–30 % der Fälle kann keine Immundefizienz nachgewiesen werden [2, 7, 9].

Der kulturelle Nachweis dauert etwa 2 Wochen, der Nachweis aus Blutkulturen gelingt selten – eine Alternative bietet die Polymerase-Kettenreaktion [2, 3, 5, 7].

Pulmonale und disseminierte Nocardiosen verlaufen schwerwiegend, bei Immunsuppression verlaufen trotz adäquater Therapie über 50 % der disseminierten Nocardiosen letal [9].

Als Therapie der Wahl wird Trimethoprim/Sulfamethoxazol (TMP/SMX) mit 15 mg/kg pro Tag oder eine hoch dosierte Sulfonamidmonotherapie (z. B. Sulfadiazin 1 g/4–6 h) beschrieben. Bei Immunsuppression und disseminierter Erkrankung sollte TMP/SMX zusammen mit Amikacin, Imipenem oder Meropenem verabreicht werden, bis ein Antibiogramm vorliegt – für viele Spezies sind Resistenzinterpretationen möglich [1]. Die Empfehlung zur Dauer der Therapie variiert (nach Ausprägung der Erkrankung und Immunstatus) zwischen 3 und 12 Monaten. Ab einer Therapiedauer von 3 Monaten sind Rezidive selten, unter Immunsuppression soll grundsätzlich 12 Monate behandelt werden [7, 10].

Eine Drainageanlage bei Abszessen sowie antimikrobielle Therapie ist häufig ausreichend, selten bedarf es operativer Sanierung [6].

Als häufigste Präsentationen sind Wundinfektionen, pulmonale Infektionen oder zerebrale Abszedierungen beschrieben. Isolierte abdominelle/retroperitoneale Nocardiosen sind äußerst selten mit weltweit wenigen Fällen [4, 9]. Infektionen bei peritonealer Dialyse wurden in seltenen Fällen beschrieben [8, 9]. Etwas häufiger finden sich disseminierte Nocardiosen mit abdomineller Beteiligung nach Transplantation oder Immunsuppression [1, 8].

Die häufigsten nachgewiesenen Spezies bei disseminierten Nocardiosen mit abdomineller Beteiligung waren N. asteroides und N. farcinica, wie auch in dem Fall [9].

Die Diagnosestellung ist oft schwierig; häufig wird die abdominelle Nocardiose als Peritonealkarzinose, abdomineller Tumor oder Tuberkulose interpretiert [1, 7]. Hier wurde eine Peritonealkarzinose vermutet, die anhand des Akutverlaufs und der diesbezüglich unauffälligen Sonographiebefunde in der Vorgeschichte unwahrscheinlich erschien. Beachtenswert ist die geringe Dosierung der Immunsuppression, unter der Infektion und fulminanter Verlauf auftraten. Seit 2000 sind ähnliche Verläufe unter intensiver Immunsuppression, nicht jedoch unter oraler Budesonidtherapie berichtet [9].

Die initiale Therapie der autoimmunen Lebererkrankung erfolgte leitliniengerecht mit Prednisolon und Azathioprin. Diskussionswert ist, ob Azathioprin zum Zeitpunkt der Infektion noch residual wirksam war und zum Verlauf beigetragen hat; zwischen Absetzen und Nachweis der Nocardiose lagen 18 Tage. Spekulativ bleibt, ob ein früheres Absetzen der Kombinationstherapie oder eine alleinige Budesonidtherapie den Verlauf hätte verhindern können.

Fazit für die Praxis

Die Nocardiose ist eine seltene Infektionserkrankung. Wundinfekte, pulmonale Infektionen sowie zerebrale Abszedierung sind häufiger, allerdings finden sich bei disseminierter Nocardiose seltener auch peritoneale und retroperitoneale Beteiligungen. Betroffen sind überwiegend Patienten unter Immunsuppression, mit Lungenerkrankungen oder peritonealer Dialyse. Bereits niedrige Dosen immunsuppressiver Therapie sind ein Risiko für schwerwiegende Verläufe. Die Diagnosestellung basiert auf der Identifikation des Erregers in gewonnenem Material.