Im Oktober 2022 wurde ein Update der Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) Clinical Practice Guideline von 2020 zum Diabetesmanagement bei chronischer Nierenerkrankung („chronic kidney disease“ [CKD]) veröffentlicht [1, 2]. Zeitgleich wurde ein Consensus Report der KDIGO und American Diabetes Association (ADA) publiziert [3].

Ein neues Element der Leitlinien sind Top-10-Empfehlungen für Patient*innen und Ärzt*innen

Neue Aspekte im Vergleich zur Leitlinie von 2020 [4] ergaben sich in der allgemeinen und allumfassende Behandlung (umfassende medizinische Versorgung), aber auch bei den blutzuckersenkenden und organprotektiven Therapien mit Natrium-Glukose-Kotransporter-2-Inhibitoren (SGLT-2i), nichtsteroidalen Mineralokortikoidrezeptorantagonisten (nsMRA) und Glucagon-like-peptide-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA). Die bisherigen Empfehlungen zu Blutzuckermonitoring, Zielwerten, Lebensstilinterventionen und der allgemeinen Herangehensweise blieben unberührt [4]. Neu sind auch Top-10-Empfehlungen sowohl für Patient*innen als auch für Ärzt*innen (https://www.kdigo.org; Tab. 1 und 2). Inhalte des vorliegenden Beitrags sind 3 neue Kernleitlinien, separate Praxisempfehlungen, die Top-10-Empfehlungen und zwei graphisch aufbereitete, anschauliche Abbildungen (Abb. 1 und 2).

Tab. 1 Top-10-Empfehlungen für Ärzt*innen zum Diabetesmanagement bei CKD
Tab. 2 Top-10-Empfehlungen für Patient*innen zum Diabetesmanagement bei CKD
Abb. 1
figure 1

Allgemeine und allumfassende Behandlung (umfassende medizinische Versorgung) von Patient*innen mit Diabetes mellitus Typ 2 und chronischer Nierenerkrankung. Maßeinheit der angegebenen eGFR-Werte: ml/min pro 1,73 m2. ACE „angiotensin-converting enzyme“, ASCVD „atherosclerotic cardiovascular disease“ (atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung), CGM kontinuierliche Glukosemessung, CKD „chronic kidney disease“ (chronische Nierenerkrankung), CVD „cardiovascular disease“ (kardiovaskuläre Erkrankung), eGFR geschätzte („estimated“) glomeruläre Filtrationsrate, GLP-1-RA Glucagon-like-peptide-1-Rezeptor-Agonist, HbA1c Hämoglobin A1c, nsMRA nichtsteroidaler Mineralokortikoidrezeptorantagonist, RAS Renin-Angiotensin-System, SGLT‑2 Natrium-Glukose-Kotransporter 2, SMBG Selbstmessung der Blutglukose, T2D Diabetes mellitus Typ 2, UACR Albumin/Kreatinin-Verhältnis im Urin. (Aus [5]. Mit freundl. Genehmigung © KDIGO, alle Rechte vorbehalten)

Abb. 2
figure 2

Kardiovaskuläres und renales Diabetesmanagement bei Patient*innen mit chronischer Nierenerkrankung. ASCVD „atherosclerotic cardiovascular disease“ (atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung), GLP-1-RA Glucagon-like-peptide-1-Rezeptor-Agonist, MRA Mineralokortikoidrezeptorantagonist, RAS Renin-Angiotensin-System, SGLT‑2 Natrium-Glukose-Kotransporter 2, T2D Diabetes mellitus Typ 2. (Aus [1]. Mit freundl. Genehmigung © KDIGO. Published by Elsevier Inc. on behalf of the International Society of Nephrology, alle Rechte vorbehalten)

Allumfassende Behandlung

Patient*innen mit Diabetes und CKD sollten mit einem ganzheitlichen Ansatz behandelt werden, um das Risiko der Nierenfunktionsverschlechterung und einer kardiovaskulären Erkrankung zu reduzieren (Abb. 1).

Natrium-Glukose-Kotransporter-2-Inhibitoren

Wir empfehlen, Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 (T2D), CKD und einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von ≥20ml/min pro 1,73m2 mit einem SGLT-2i zu behandeln (1A).

Praktische Aspekte

  1. 1.

    Die Empfehlung zur SGLT-2i-Therapie dient der Nieren- und kardiovaskulären Protektion. Für SGLT-2i ist belegt, dass sie sicher sind und Vorteile für Patient*innen bieten, einschließlich derer ohne T2D. Falls Patient*innen bereits mit anderen blutzuckersenkenden Therapien behandelt werden, kann ein SGLT-2i zum bestehenden Therapieregime hinzugefügt werden.

  2. 2.

    Die Auswahl des SGLT-2i sollte Substanzen priorisieren, deren renaler oder kardiovaskulärer Nutzen belegt ist. Zudem sollte die eGFR einbezogen werden.

  3. 3.

    Es ist angemessen, SGLT-2i während prolongierter Nüchternphasen, chirurgischer Eingriffe oder kritischer Erkrankungen (sofern Patient*innen ein größeres Risiko einer Ketoazidose haben) zu pausieren.

  4. 4.

    Sofern eine Patient*in ein Risiko für eine Hypovolämie aufweist, sollte vor Beginn einer Therapie mit einem SGLT-2i die Dosisreduktion eines Thiazid- oder Schleifendiuretikums erwogen werden. Patienten sollten über Symptome eines Volumenmangels oder niedrigen Blutdrucks aufgeklärt werden, und der Volumenstatus sollte nach Therapiebeginn beobachtet werden.

  5. 5.

    Zu Beginn einer Therapie mit einem SGLT-2i kann ein reversibler Abfall der eGFR auftreten. Dies ist im Allgemeinen keine Indikation, die Therapie zu unterbrechen.

  6. 6.

    Sobald eine SGLT-2i-Therapie begonnen wurde, ist es sinnvoll, die Therapie auch bei einem Abfall der eGFR auf < 20 ml/min pro 1,73 m2 fortzusetzen, es sei denn, sie wird nicht toleriert oder eine Nierenersatztherapie wird eingeleitet.

  7. 7.

    SGLT-2i wurden bei Patienten nach Nierentransplantation, die von SGLT-2i profitieren könnten, nicht ausreichend untersucht. Patienten nach Nierentransplantation sind immunsupprimiert und mit einem potenziell erhöhten Infektionsrisiko behaftet, weshalb sich die Empfehlung zum Gebrauch von SGLT-2i nicht auf Nierentransplantatempfänger bezieht (siehe Empfehlung 1.3.1).

Nichtsteroidale Mineralokortikoidrezeptorantagonisten

Wir schlagen für Patient*innen mit T2D, die trotz Therapie mit einer maximal tolerierten RAS-Hemmer-Dosis (RAS Renin-Angiotensin-System) eine eGFR ≥25ml/min pro 1,73m2, ein normales Serumkalium und eine Albuminurie (≥30mg/g bzw. 3mg/mmol) aufweisen, einen nsMRA, mit belegtem Nieren- und kardiovaskulärem Nutzen, vor (2A).

Praktische Aspekte

  1. 1.

    Nichtsteroidale MRA sind am besten für Patient*innen mit T2D geeignet, die ein hohes Risiko einer CKD-Progression oder kardiovaskulärer Ereignisse aufweisen, was sich in einer persistierenden Albuminurie trotz anderer Standardtherapien zeigt.

  2. 2.

    Ein nsMRA kann der Therapie mit RAS-Hemmer und SGLT-2i für die Behandlung des T2D und der CKD hinzugefügt werden.

  3. 3.

    Um das Risiko einer Hyperkaliämie abzumildern, sollten Patient*innen mit einer anhaltend normalen Serumkaliumkonzentration ausgewählt werden und die Serumkaliumspiegel sollten nach einem Therapiebeginn mit nsMRA anhaltend kontrolliert werden.

  4. 4.

    Die Auswahl eines nsMRA sollte Substanzen priorisieren, die einen belegten renalen oder kardiovaskulären Nutzen haben.

  5. 5.

    Steroidale MRA sollten für die Behandlung einer Herzinsuffizienz, eines Hyperaldosteronismus oder einer therapierefraktären arteriellen Hypertonie eingesetzt werden, können jedoch eine Hyperkaliämie oder einen reversiblen Abfall der glomerulären Filtrationsrate (GFR) bewirken, insbesondere bei Patient*innen mit einer niedrigen GFR.

Glucagon-like-peptide-1-Rezeptor-Agonisten

Wir empfehlen für Patient*innen mit T2D und CKD, die trotz Behandlung mit Metformin und SGLT-2i noch nicht das individualisierte Blutzuckerziel erreicht haben oder die nicht in der Lage sind, diese Therapie zu nutzen, einen lang wirksamen GLP-1-RA (1B).

Praktische Aspekte

  1. 1.

    Die Auswahl des GLP-1-RA sollte Substanzen mit dokumentiertem kardiovaskulärem Nutzen bevorzugen.

  2. 2.

    Um gastrointestinale Nebenwirkungen zu minimieren, sollte mit einer niedrigen Dosis des GLP-1-RA begonnen werden und die Dosis langsam gesteigert werden.

  3. 3.

    GLP-1-RA sollten nicht in Kombination mit Dipeptidylpeptidase-4(DPP-4)-Hemmern verwendet werden.

  4. 4.

    Das Hypoglykämierisiko ist unter der Monotherapie mit GLP-1-RA in der Regel gering. Das Risiko ist erhöht, sofern GLP-1-RA zusammen mit anderen Medikamenten, wie Sulfonylharnstoffen oder Insulin, verwendet werden. Die Dosis von Sulfonylharnstoffen und/oder Insulin muss eventuell reduziert werden.

  5. 5.

    GLP-1-RA sollten bevorzugt bei Patient*innen mit Adipositas, T2D und CKD verwendet werden, um eine gewollte Gewichtsabnahme herbeizuführen.

Diskussion

Die aktualisierte KDIGO-Leitlinie zum Diabetesmanagement bei CKD von Herbst 2022 bietet einen praktischen und evidenzbasierten Behandlungsansatz, der von Patient*innen und Behandler*innen begrüßt werden dürfte. Neue Erfassungen belegen, dass im Jahr 2021 bereits ein halbe Milliarde Menschen weltweit an Diabetes erkrankt waren. Die Vorhersagen bis 2040 erfüllen mit Sorge. Im Allgemeinen entwickeln 4 von 10 Personen mit Diabetes eine Nierenbeteiligung [1], potenziell mit Progression der Nierenerkrankung. Daraus ergibt sich die Empfehlung, bevorzugt den Erhalt der Nierenfunktion anzustreben, statt sie mittels Dialyse oder Transplantation zu ersetzen [1, 2]. Des Weiteren kann die Belastung durch kardiovaskuläre Erkrankungen verringert werden. SGLT-2i, nsMRA und GLP-1-RA eröffnen eine Perspektive, diese Ziele zu erreichen, um somit das Leben vieler Betroffener zu verbessern und Millionen Leben zu retten.

Ein Ziel ist jetzt die Implementierung der Leitlinie auf breiter Ebene

Dies bedarf jedoch des breiten und rechtzeitigen Einsatzes dieser Medikamente [2] und somit der Umsetzung der existierenden Evidenz in die tägliche Praxis. Die Kosten der neuen Therapien wurden von den Kostenträgern verhandelt und die Therapien erhielten aufgrund ihres besonderen Nutzens einen besonderen Stellenwert. SGLT-2i wurden in spezieller Indikation als Praxisbesonderheit anerkannt, und die Kostenersparnis durch Verhinderung einer Dialyse ist belegt. Das weitere Ziel wäre jetzt die Implementierung der Leitlinie auf breiter Ebene, aber auch das Screening auf Nierenerkrankungen. Letztere Empfehlung folgt aus einer gewissen Freude bzw. Erleichterung darüber, dass die Medizin 2023 den Betroffenen ein Angebot zur Beherrschung der Erkrankung unterbreiten kann. Unter Miteinbezug von Patient*innen besteht nun die besondere Hoffnung, diese wertvollen Therapien rechtzeitig und interdisziplinär implementieren zu können.

Um eine Inkonsistenz verschiedener Empfehlungen zu vermeiden, kooperiert KDIGO mit der ADA. Ganz aktuell ist auch der Consensus Report von KDIGO und ADA erschienen [3], der eine breite Übereinstimmung evidenzbasierter Empfehlungen beider Fachgesellschaften darstellt. „Die Wissenschaft ist global, aber umgesetzt wird sie lokal“ („Science is global, but implementation is local“) ist eine viel zitierte Erkenntnis aus KDIGO. Alle KDIGO-Leitlinien wurden bisher von der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie geprüft und unterstützend gebilligt. Die KDIGO-Leitlinie zum Diabetesmanagement bei CKD stellen den aktuellen evidenzbasierten Therapiestandard für Patienten mit Diabetes mellitus und CKD dar. Diesen gilt es nunmehr umzusetzen, um den betroffenen Patienten den Nutzen der Therapien zukommen zu lassen und somit ihr Leben zu verbessern [2].

Fazit für die Praxis

  • Die aktualisierte Leitlinie von Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) zum Diabetesmanagement bei chronischer Nierenerkrankung bietet einen praktischen und evidenzbasierten Behandlungsansatz, der von Patient*innen und Behandler*innen begrüßt werden dürfte.

  • Neue Aspekte im Vergleich zu den Leitlinien von 2020 finden sich in der allgemeinen und allumfassende Behandlung, aber auch in der Therapie mit Natrium-Glukose-Kotransporter-2-Inhibitoren, nichtsteroidalen Mineralokortikoidrezeptorantagonisten und Glucagon-like-peptide-1-Rezeptor-Agonisten.

  • Die bisherigen Empfehlungen zu Blutzuckermonitoring, Zielwerten, Lebensstilinterventionen und der allgemeinen Herangehensweise blieben unberührt.

  • Es gilt nun, die Neuerungen umzusetzen, damit betroffene Patienten vom neuen Therapiestandard profitieren können.