Chronische Infektionen mit dem Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Virus sind weltweit für >1,5 Mio. Todesfälle verantwortlich. Auch in Deutschland stellen die viralen Hepatitiden sowie damit verbundene Risiken der Entwicklung einer Zirrhose und deren Folgen, einschließlich des Leberzellkarzinoms (hepatozellulären Karzinoms, HCC), eine kontinuierliche medizinische Herausforderung dar. Die Zahl der neu gemeldeten aktiven Infektionen stieg in den letzten Jahren kontinuierlich an.

Hintergrund

Die Zahl der neu gemeldeten aktiven Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Virus-Infektionen stieg in den letzten Jahren kontinuierlich an, ist aber im letzten Jahr vermutlich durch die Coronapandemie bedingt abgefallen (Abb. 1). Im Jahr 2020 wurden jeweils 24 % weniger neu diagnostizierte Fälle der Virushepatitiden B und C an das Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet. Die durch die „coronavirus disease 2019“ (COVID-19) ausgelöste Pandemie hatte durch die Belastung des öffentlichen Gesundheitsdienstes erhebliche Auswirkungen auf die Erfassung, Meldung und Übermittlung auch von anderen meldepflichtigen Infektionskrankheiten. Ob es sich daher um einen tatsächlichen Abfall der Neudiagnosen handelt, oder ob dieser durch Untererfassung und Rückgang der Diagnostik artifiziell bedingt ist, lässt sich erst im Laufe der nächsten Jahre bewerten [1, 2].

Abb. 1
figure 1

Anzahl (n) der jährlich gemeldeten neu diagnostizierten Hepatitis B und C Fälle in Deutschland in den Jahren 2017–2020. (Modifiziert nach [1, 2])

Das hauptsächliche Problem in den Industrieländern ist die Identifikation der Erkrankten. Mit der Devise „Find the missing millions“ ruft die WHO seit 2013 zum Screening insbesondere bei Risikogruppen auf [3]. Diagnostisch und therapeutisch stehen vielfältige Konzepte zur Verfügung, mit denen die Identifikation der Erkrankten, die Stratifizierung der Therapieindikation sowie eine sichere, effektive und nebenwirkungsarme Therapie für die chronische Hepatitis B als auch Hepatitis C möglich sind.

Hauptsächliches Problem in Industrieländern ist die Identifikation der an einer Hepatitis Erkrankten

Für beide Hepatitiden stehen aktualisierte deutsche Leitlinien zur Verfügung. Die letzten therapeutischen Entwicklungen bei der Hepatitis C sind im Addendum, Erscheinungsjahr 2020, zur S3-Leitlinie des Jahres 2018 [4] und für die Hepatitis B in der 2021 neu erschienenen S3-Leitlinie [5] zusammengefasst. Im Folgenden wird auf die etablierten Diagnostik- und Therapieverfahren, mit Fokus auf die Neuerungen in diesen Leitlinien, eingegangen.

Hepatitis B

Grundlagen

Mit einer Prävalenz von ca. 3 % und ca. 240 Mio. Erkrankten gehört die Hepatitis B global zu einer der häufigsten Infektionskrankheiten. In Deutschland beträgt die Prävalenz der Hepatitis B bei der erwachsenen Bevölkerung ca. 0,3 % [6]. Eine relativ hohe Prävalenz findet sich bei Migranten aus Osteuropa und Asien.

Während bei Erwachsenen eine Chronifizierung mit positivem „HBV surface antigen“ (HBsAg) über mehr als 6 Monate in weniger als 5 % der Fälle auftritt, findet sich diese bei vertikaler Übertragung unter oder nach der Geburt und bei Kleinkindern in bis zu 90 % der Fälle und nimmt im Verlauf des Erwachsenwerdens langsam ab [7, 8]. Bei 10–20 % der Patienten sind extrahepatische Manifestationen zu verzeichnen [9]. Die spontane Ausheilung einer chronischen Hepatitis B wird sehr selten beobachtet.

Aktuell wird die Unterscheidung der chronischen Hepatitis B anhand von 4 Phasen empfohlen: Phase 1 ist durch eine hohe Replikation bei positivem Nachweis des „HBV extracellular antigen“ (HBeAg) und normalen Transaminasenkonzentrationen charakterisiert (HBeAg-positive Infektion, früher immuntolerante Phase). Während in der Phase 2 erhöhte Transaminasenkonzentrationen gefunden werden (HBeAg-positive Hepatitis), wird in der Phase 3 eine HBeAg-Serokonversion beobachtet. Es kommt typischerweise zum Abfall der Viruslast und zur Normalisierung der Leberwerte (HBeAg-negative Infektion, früher „HBsAg carrier“). Phase 4 ist charakterisiert durch eine hohe Virusreplikation (>2000 IU/ml) und erhöhte Transaminasenkonzentrationen bei negativem HBeAg (HBeAg-negative Hepatitis; [5]).

Da sich die Replikationsaktivität des Hepatitis-B-Virus und die Entzündungsaktivität im Laufe der chronischen Erkrankung ändern können und auch bei geringer Virusreplikation ein Risiko für die Entwicklung eines HCC besteht, ist eine kontinuierliche Überwachung der Patienten phasenspezifisch risikostratifiziert in 3‑ bis 12-monatigen Abständen notwendig [5].

Diagnostik

Zur Basisdiagnostik bei nachgewiesener chronischer Hepatitis B gehören neben den Untersuchungen der serologischen Marker die Bestimmungen von Transaminasen, Gammaglutamyltransferase (γ-GT), alkalischer Phosphatase (AP), Bilirubin, Blutbild und International Normalized Ratio (INR)/Quick-Wert. Sonographisch werden der morphologische Zustand und die Perfusion der Leber, Zeichen der portalen Hypertension sowie mögliche Leberherde beurteilt. Die Anwendung der transienten Elastographie zur Beurteilung des Fibrosestadiums wird von der neuen Leitlinie explizit empfohlen [5]. Eine Leberbiopsie sollte durchgeführt werden, wenn deren Ergebnis einen Einfluss auf die Therapieentscheidung haben könnte.

Die aktuellen Leitlinien empfehlen die möglichst frühe Testung auf HBsAg bei Schwangeren

Bei jedem Patienten mit einem positiven Nachweis des HBsAg sollte zusätzlich eine mindestens einmalige Diagnostik bezüglich der Delta-Hepatitis (HDV-Antikörper) erfolgen. Ebenfalls sollte diese bei einer Exazerbation einer bekannten chronischen Hepatitis B durchgeführt werden.

Eine Testung auf HBsAg bei Schwangeren wird im Unterschied zu den aktuell geltenden Mutterschaftsrichtlinien möglichst früh empfohlen, damit bei positivem Nachweis ggf. rechtzeitig (vor der 28. Schwangerschaftswoche) eine virostatische Therapie eingeleitet werden kann [5].

Verlauf und Therapieindikation

Eine akute Hepatitis B sollte bei Zeichen eines schweren Verlaufs mit Abfall der Lebersyntheseparameter (ca. ab einem Quick-Wert <70 %) antiviral mit einem Nukleos(t)idanalogon behandelt werden. In den meisten Fällen ist jedoch eine symptomatische Therapie ausreichend. Eine Therapieindikation der chronischen Hepatitis B besteht bei folgenden Konstellationen:

  • Viruslast >2000 IU/ml und wiederholt erhöhte Transaminasenkonzentrationen oder histologisch nachgewiesene Entzündungsreaktion oder Fibrose (als Korrelat der entzündlichen Aktivität),

  • Nachweisbare HBV-DNA jeder Höhe und gleichzeitig vorhandene Zirrhose,

  • Patienten mit hoher Viruslast und normalen Transaminasenkonzentrationen (Phase 1) ab dem 30 Lebensjahr,

  • Patienten mit familiärem HCC-Risiko oder extrahepatischen Manifestationen der chronischen Hepatitis B.

Ein entsprechender Patientenwunsch sowie berufliche und soziale Aspekte, die mit einem hohen Übertragungsrisiko assoziiert sind, können eine Entscheidung für die Therapie begründen [5, 10].

Pharmakologische Therapieoptionen bei chronischer Hepatitis B

Zur Therapie der Hepatitis B stehen Daueranwendungen von Nukleos(t)idanaloga sowie zeitlich begrenzte Peginterferon-alfa-Gaben zur Verfügung. Die Möglichkeit der Letzteren sollte bei allen neu diagnostizierten Patienten, insbesondere in der Phase 2, geprüft werden. Allerdings bleibt diese Option im klinischen Alltag Einzelfällen vorbehalten, da sie mit einer Vielzahl von Kontraindikationen, schlechter Verträglichkeit, den Polymeraseinhibitoren ähnlicher Effektivität bei HBeAg-positiven Patienten und einer sehr geringen Effektivität <10 % bei HBeAg-negativen Patienten einhergeht.

Die direkt antivirale Therapie der Hepatitis B sollte mit Inhibitoren der HBV-Polymerase erfolgen

Bei der direkt antiviralen Therapie der Hepatitis B kommen aktuell praktisch ausschließlich Inhibitoren der HBV-Polymerase mit einer hohen Resistenzbarriere zum Einsatz. Dabei handelt es sich um das Nukleosidanalogon Entecavir (ETV) sowie um die Nukleotidanaloga Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) bzw. Tenofoviralafenamid (TAF). Die übrigen zugelassenen Substanzen sollten nicht mehr neu angesetzt werden [5].

Tenofovir.

Tenofovir gehört zur Gruppe der nukleotidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NtRTI). Tenofovir entsteht nach der Aufnahme der beiden als Medikamente zur Verfügung stehenden Pro-Drugs TDF und TAF im Darm und wird intrazellulär zum aktiven Tenofovirdiphosphat phosphoryliert. Tenofovir konkurriert bei der Replikation mit dem natürlichen Substrat Desoxyadenosintriphosphat und hemmt dadurch die DNA-Polymerase des Hepatitis-B-Virus mit der Folge eines Kettenabbruchs [11].

Die orale Bioverfügbarkeit von Tenofovir beträgt nach Einnahme im nüchternen Zustand etwa 25 % und erhöht sich im Zusammenhang mit einer Nahrungsaufnahme auf 40 %. Die Plasmaproteinbindung ist gering. Das Potenzial für Zytochrom-P450(CYP)-vermittelte Wechselwirkungen zwischen Tenofovir und anderen Arzneimitteln wird als gering eingeschätzt. Tenofovir wird größtenteils unverändert renal sowohl durch glomeruläre Filtration als auch durch aktive tubuläre Sekretion ausgeschieden. Die terminale Plasmahalbwertszeit beträgt 12–18 h.

Tenofovirdisoproxilfumarat wurde 2002 zur Behandlung einer Infektion mit dem humanen Immundefizienzvirus‑1 (HIV-1) und 2008 als Monosubstanz zur Behandlung der Hepatitis B zugelassen. Die übliche Dosierung beträgt einmal täglich 245 mg p.o. Die Wirksamkeit und gute Verträglichkeit sind u. a. in Metaanalysen belegt [12]. Die Nierenfunktion sollte unter der Therapie regelmäßig kontrolliert werden [13].

Tenofoviralafenamid wurde2017 zur Therapie der chronischen Hepatitis B zugelassen. Es ist im Plasma stabiler als TDF und wird intrazellulär über eine Tenofoviralaninzwischenstufe zum Tenofovir hydrolysiert [14]. Aus diesen Gründen ist eine niedrigere Tagesdosis, 25 mg einmal täglich p.o., ausreichend. In den Zulassungsstudien fand sich sowohl bei HBeAg-positiven als auch -negativen Patienten eine identische virostatische Wirksamkeit von TAF im Vergleich zu TDF [15]. Im Nebenwirkungsprofil konnten eine geringere Abnahme der Kreatinin-Clearance-Rate im Vergleich zu TDF als Zeichen einer besseren Nierenverträglichkeit sowie ein geringerer Abfall der Knochendichte im Vergleich zu TDF belegt werden [14, 15].

Entecavir.

Im Jahr 2005 wurde der nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitor ETV als ein 2’-Desoxyguanosin-Analogon zur Therapie der Hepatitis B zugelassen. Entecavir wird als Pro-Drug intrazellulär zum aktiven Metaboliten ETV-Triphosphat phosphoryliert [16]. Die Bioverfügbarkeit nach oraler Aufnahme wird auf mindestens 70 % geschätzt. Die Aufnahme mit einer fettreichen Mahlzeit verzögert die Resorption des Wirkstoffs im Darm, weswegen eine Einnahme auf nüchternen Magen mit einem Abstand von mindestens 2 h zu der nächsten Mahlzeit empfohlen wird. Die Proteinbindung ist gering, ebenso wie das Interaktionspotenzial mit CYP. Entecavir wird unverändert renal ausgeschieden. Die Dosierung beträgt einmal täglich 0,5 mg p.o. bei Patienten ohne Zirrhose und mit kompensierter Zirrhose der Leber; bei Patienten mit dekompensierter Erkrankung (Child-Pugh-Stadien B und C) sowie bei Versagen einer Vortherapie wird eine Dosierung von 1 mg/Tag empfohlen. Aufgrund der zumindest partiellen Kreuzresistenz zu anderen Nukleosidanaloga (Lamivudin, Telbivudin) wird bei einer entsprechenden Vortherapie ein erhöhtes resistenzbedingtes Therapieversagen beobachtet, weshalb der Einsatz eines Nukleotidanalogons wie TDF oder TAF zu empfehlen ist [17].

Diskussion der Behandlungsoptionen

Auswahl des Polymeraseinhibotors

In jedem Fall sollte eine Substanz mit hoher antiviraler Aktivität und hoher Resistenzbarriere gegeben werden, was die Auswahl auf die Tenofovirderivate TDF oder TAF und ETV einschränkt.

Bei einer Ersttherapie wird sowohl unter ETV als auch unter Tenofovir auch nach Jahren praktisch kein resistenzbedingtes Therapieversagen beobachtet. Aufgrund der Kreuzresistenz zwischen Nukleosidanaloga sollte bei einer Vortherapie mit z. B. Lamivudin oder Telbivudin und virologischem Therapieversagen anstatt der Gabe von ETV bevorzugt Tenofovir als Nukleotidanalogon eingesetzt werden.

Das virologische Ansprechen therapienaiver Patienten auf ETV- und Tenofovirpräparate ist ähnlich und beträgt >92–100 %, sodass die Therapieentscheidung sich nach den individuellen Gegebenheiten des Patienten wie Alter, Familienplanung und Komorbiditäten richten sollte [5].

Schwangerschaft

Bei Kinderwunsch bzw. einer vorhandenen Schwangerschaft ist die Gabe von ETV aufgrund bekannter fruchtschädigender Eigenschaften kontraindiziert. Tenofovir ist ebenfalls nicht in der Schwangerschaft zugelassen. Es liegt allerdings eine große Zahl von Erfahrungsberichten ohne Hinweise auf Missbildungen oder sonstige Nebenwirkungen vor. Daher kann eine Therapie mit Tenofovir bei mütterlicher hoher Erkrankungsaktivität der Hepatitis B und auch zur Verhinderung einer Übertragung auf das Kind unter der Geburt insbesondere ab dem 2. Trimenon durchgeführt werden [5].

Vorerkrankungen

Bei Patienten mit vorbestehenden Nieren- oder Knochenerkrankungen sowie bei älteren Patienten sollte TDF aufgrund des Nebenwirkungsprofils nicht eingesetzt werden. Als Alternative stehen ETV und TAF zur Verfügung. Im Fall einer fortgeschrittenen bzw. terminalen Niereninsuffizienz mit Dialyse sind ggf. Dosisanpassungen notwendig.

Koinfektion mit humanem Immundefizienzvirus/Hepatitis-C-Virus

Für Patienten mit einer HIV-Koinfektion ist die Therapie mit einem tenofovirbasierten Wirkstoff zu empfehlen, da der Wirkstoff als Teil der Kombinationstherapie auch zur Behandlung bei HIV-Infektion zugelassen ist.

Die HCV-basierte Therapie von Patienten mit einer HBV/HCV-Koinfektion kann zur Reaktivierung der HBV-Infektion führen, weshalb eine entsprechende Überwachung empfohlen wird. Eine HBV-Therapie hat dagegen keinen Einfluss auf die Effektivität der HCV-Therapie.

Immunsuppression und Chemotherapie

Bei Patienten mit Immundefekten und vor einer immunsuppressiven bzw. Chemotherapie sollte immer auf das Vorliegen einer HBV-Infektion getestet werden. Für HBsAg-positive Patienten ist eine prophylaktische Therapie mit Tenofovir oder ETV zu empfehlen. Im Fall des negativem HBsAg und positivem Anti-HBc sollten Patienten mit einer starken Immunsuppression z. B. durch myeloablative Therapie oder den Einsatz von CD20-Antikörpern ebenfalls prophylaktisch behandelt werden, da andernfalls eine schwere Reaktivierung der HBV-Infektion droht. Die Einnahme ist mindestens ein Jahr über das Ende der immunsuppressiven Therapie hinaus fortzuführen. Die neue Leitlinie gibt einen detaillierten Überblick über die Indikation zur prophylaktischen Therapie bei verschiedenen Konstellationen der immunsuppressiven Therapie [5].

Therapiebeendigung

Bei der Behandlung mit Nukleos(t)idanaloga handelt es sich um eine lebenslange Therapie. Diese kann lediglich beendet werden, wenn es zum bestätigten HBsAg-Verlust mit oder ohne Anti-HBs bei negativer HBV-DNA kommt. Im Einzelfall kann ein engmaschig überwachter Auslassversuch bei HBeAg-negativen Patienten ohne fortgeschrittene Fibrose bzw. Zirrhose nach langjähriger erfolgreicher Nukleos(t)idanalogaanwendung und fehlenden Zeichen einer entzündlichen Aktivität erwogen werden. Häufig kommt es zu einer Reaktivierung mit Konzentrationsanstieg der Transaminasen, die jedoch nicht selten zu einer niedrig replikativen chronischen Hepatitis B oder gar in eine Serokonversion zu Anti-HBs führt [5, 18].

Delta-Hepatitis

Die Delta-Hepatitis ist in Deutschland selten, geht aber mit einer raschen Progression der Lebererkrankung einher. Bisher stand zur Therapie lediglich die Gabe von (Peg‑)Interferon alfa über 48 bis 96 Wochen zur Verfügung, die jedoch in weniger als 20 % der Fälle die Ausheilung der HDV-Infektion erzielt. Seit September 2020 ist eine virostatische Therapie mit dem HBV/HDV-Entry-Inhibitor Bulevirtid zugelassen. Durch die einmal tägliche s.c.-Gabe von 2 mg Bulevirtid konnte in der Mehrzahl der Fälle eine Hemmung der HDV-Replikation erreicht werden, sodass erstmals eine effektive Therapieoption zur Verfügung steht. Aktuell ist diese Therapie als Daueranwendung vorläufig zugelassen worden, sollte jedoch nur bei entsprechender Indikation und in erfahrenen Zentren durchgeführt werden [19].

Fazit

Die Diagnose einer Hepatitis B basiert auf serologischen Parametern, wobei das Bestehen eines positiven HBsAg-Nachweises für mehr als 6 Monate die Chronizität definiert. In jedem Fall sollte eine zusätzliche Hepatitis-D-Koinfektion ausgeschlossen werden. Bei der Indikationsstellung zur Therapie einer chronischen Hepatitis B sollten die Kriterien Viruslast, Vorhandensein einer Entzündung, Stadium der Lebererkrankung, extrahepatische Manifestationen sowie die konkrete Situation des Patienten berücksichtigt werden. Zur Therapie werden aktuell praktisch ausschließlich die hochaktiven Polymeraseinhibitoren Tenofovir oder ETV als Daueranwendungen eingesetzt. Neue Therapieoptionen befinden sich aktuell in klinischen Studien; diese haben eine funktionelle Ausheilung der HBV-Infektion zum Ziel. Eine virostatische Therapie für die Hepatitis-B/D-Koinfektion steht seit 2020 neu zur Verfügung. Sowohl behandelte als auch unbehandelte Patienten sollten regelmäßig hinsichtlich der Entzündungsaktivität, der Leberfibrose und der möglichen Entwicklung eines Leberzellkarzinoms überwacht werden.

Hepatitis C

Epidemiologische Daten

Circa 2–2,5 % der Weltbevölkerung leiden an einer chronischen Hepatitis C. In Deutschland wird mit einer Zahl von ca. 300.000 chronisch infizierten Patienten gerechnet, von denen jedoch erst ca. die Hälfte diagnostiziert ist. Im Jahr 2020 wurden insgesamt 4542 neu diagnostizierte Hepatitis-C-Fälle an das RKI gemeldet, entsprechend einer bundesweiten Inzidenz von 5,5/100.000, was einem Rückgang um 24 % im Vergleich zu den Vorjahren entsprach. Die nächsten Jahre werden zeigen, zu welchem Anteil dieser Rückgang artifiziell durch Untererfassung und Rückgang der Diagnostik im COVID-19-Pandemie-Jahr 2020 bedingt war.

Der häufigste Übertragungsweg war mit 67,8 % der intravenöse Drogenkonsum (IVDA), davon 4,4 % in Haft. In 6,6 % der Fälle konnte eine Blutübertragung vor 1992 eruiert werden; es waren 5,7 % der Betroffenen Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Bei 5,3 % der Erkrankten ist von einer Übertragung über Piercings oder Tattoos auszugehen. Diese Zahlen spiegeln die Prävalenzen in den entsprechenden Risikogruppen wider [1].

Intravenöser Drogenkonsum stellt den häufigsten Übertragungsweg der Hepatitis C dar

Mithilfe neuer Screeningmaßnahmen, z. B. des Einschlusses der HCV-Antikörper-Testung in das hausärztliche „Check-up 35“, sowie niedrigschwelliger Diagnostik- und Therapieangebote für Risikogruppen sollen die vorhandenen hervorragenden Managementoptionen, auf die im Folgenden eingegangen wird, in der Praxis umgesetzt werden. So sollte es gelingen, das WHO-Ziel der HCV-Elimination zum Jahr 2030 zu erreichen [3].

Therapieindikation

Allgemeingültige Aspekte

Eine Behandlungsindikation besteht grundsätzlich bei jeder replikativen Hepatitis C [20]. Nach einer Erstdiagnose einer HCV-Infektion mit typischer Konstellation einer chronischen Infektion kann die antivirale Therapie umgehend begonnen werden. Im seltenen Fall einer nachgewiesenermaßen akuten Hepatitis C besteht die Therapieindikation ebenfalls, wenn der Verlauf schwer ist, und wenn andere aggravierende Faktoren vorliegen. Liegen kein Transmissionsrisiko und keine fortgeschrittene Fibrose oder Zirrhose vor, kann bei Patienten ohne Therapiewunsch in fortgeschrittenem Alter auf eine antivirale Therapie verzichtet werden [4].

Besondere Patientengruppen

Ein kontrollierter Alkoholkonsum und eine etablierte Opiatsubstitutionstherapie stellen keine Kontraindikation der Therapie dar. Ebenfalls möglich und besonders dringend indiziert ist die Therapie mithilfe von „direct acting antiviral agents“ (DAA) bei Patienten mit fortgeschrittener Fibrose und kompensierter Leberzirrhose. Bei Patienten im terminalen Stadium der Lebererkrankung auf der Transplantationswarteliste sollte die Entscheidung zusammen mit einem Transplantationszentrum getroffen werden [21, 22].

Im Fall des kurativen Ansatzes bzw. einer entsprechend langen Lebenserwartung im Bezug auf ein neu diagnostiziertes HCC sollte eine Therapie, parallel oder im Anschluss zur spezifischen Therapie des HCC, durchgeführt werden [20].

Liegen eine eingeschränkte Nierenfunktion (glomeruläre Filtrationsrate [GFR] <30 ml/min) und eine Dialysepflicht vor, muss die Auswahl der richtigen DAA geachtet werden (s. Abschn. „Diskussion der Behandlungsoptionen“).

Vor der Therapie: Diagnostik

Eine Genotypisierung des Hepatitis-C-Virus ist nicht mehr in jedem Fall notwendig, aber in einigen Fällen, wie beim Vorliegen einer Leberzirrhose und einer Vortherapie, sehr sinnvoll, da die Wahl und die Kombinationstherapie der DAA optimiert werden können. Im Fall einer unkomplizierten chronischen Hepatitis C ohne Zirrhose und ohne Vortherapie kann die Behandlung mit einem pangenotypischem Therapieregime ohne eine Genotypisierung sofort begonnen werden. Eine Resistenztestung ist im Standardfall bei pangenotypischen Therapien ebenfalls nicht erforderlich [4]. Ein Staging bezüglich des Stadiums der Lebererkrankung (Fibrosegrad/Zirrhosestadium), ggf. eine HCC-Surveillance, sowie die Evaluierung der extrahepatischen Manifestationen vervollständigen die prätherapeutische Diagnostik.

Pharmakologische Therapieoptionen bei chronischer Hepatitis C

Das Ziel der Therapie ist die Eradikation des Hepatitis-C-Virus. Die neuen DAA-Optionen haben in den letzten Jahren die eingeschränkt wirksame und nebenwirkungsreiche Interferon-alfa-basierte Therapie abgelöst. Aktuell stehen Protease‑, NS5A(non-structural protein 5A)- und Polymeraseinhibitoren zur Verfügung, die als orale Kombinationstherapien bei praktisch allen Konstellationen einer chronischen Hepatitis C in über 95 % der Fälle zu einer dauerhaften Viruseradikation führen. Von einem dauerhaften Therapieerfolg („sustained virological response“, SVR) kann ausgegangen werden, wenn 12 Wochen nach dem Therapieabschluss keine HCV-RNA mehr nachweisbar ist [20]. Die Protease-Inhibitoren (die Substanzen sind an der Endigung „‑previr“ zu erkennen) hemmen die „Non-structural-protein-3/4A“(NS3/4A)-Serinprotease, die zur proteolytischen Spaltung des für die Virusreplikation essenziellen HCV-Polyproteins notwendig ist. Die nukleotidischen RNA-abhängigen RNA-Polymerase-Inhibitoren (Endigung „‑buvir“) binden nach einer Phosphorylierung durch zelleigene Kinasen als Triphosphate am aktiven Zentrum der HCV-eigenen nichtstrukturellen (NS)-5B-Polymerase, was zum Kettenabbruch bei der Synthese der viralen RNA führt. Die gegen das virale nichtstrukturelle (NS) 5A gerichteten NS5A-Inhibitoren (Endigung „‑asvir“) interagieren ebenfalls mit dem viralen Replikationskomplex und bewirken die Modulation von zellulären Funktionen [23]. Die Abb. 2 verdeutlicht die Angriffspunkte einzelner Substanzklassen im Zusammenhang mit dem Virusreplikationszyklus.

Abb. 2
figure 2

Replikationszyklus des Hepatitis-C-Virus und Angriffspunkte der antiviralen Medikamente. (Aus Zeuzem [23], mit freundl. Genehmigung © Deutscher Ärzteverlag GmbH, alle Rechte vorbehalten)

Bei den heute angewendeten Therapieregimen handelt es sich ausschließlich um Fixkombinationen aus 2 oder 3 DAA. Alle DAA-Kombinationen sind sehr gut verträglich, sodass praktisch keine relevanten Nebenwirkungen beobachtet werden.

Grazoprevir 100 mg/Elbasvir 50 mg.

Hierbei handelt es sich um eine NS3/4A-Protease/NS5A-Inhibitor-Kombination, die bei Vorliegen der HCV-Genotypen 1 und 4 eingesetzt werden kann. Im Zusammenhang mit dem Genotyp 1a muss insbesondere bei hoher Viruslast (>800.000 IU/ml) eine evtl. NS5A-Resistenz beachtet werden, sodass eine vorherige Resistenztestung durchgeführt werden sollte. Bei Nachweis bestimmter Resistenzen wären eine Therapieergänzung mit Ribavirin und eine Therapieverlängerung notwendig. Zum HCV-Genotyp 4 liegen nur relativ wenige Erfahrungen vor. Daher wird Grazoprevir/Elbasvir praktisch ausschließlich bei vorliegendem HCV-Genotyp 1b eingesetzt. Die Einnahme erfolgt einmal täglich mit einer Therapiedauer von 12 Wochen. Die Kombination kann bei Patienten ohne und mit kompensierter, jedoch nicht bei dekompensierter Leberzirrhose angewendet werden. Die Einnahme kann mahlzeitenunabhängig erfolgen. Elbasvir und Grazoprevir werden z. T. über die oxidative Metabolisierung eliminiert, hauptsächlich durch CYP3A. Mögliche Medikamenteninteraktionen sind zu beachten. Die SVR-Rate beträgt je nach Genotyp über 96 % [24].

Sofosbuvir 400 mg/Velpatasvir 100 mg.

Diese Kombination aus einem pangenotypischen RNA-Polymerase-Inhibitor und einem NS5A-Inhibitor ist bei allen HCV Genotypen wirksam und erfordert keine Resistenztestung. Die Therapiedauer beträgt für alle Patientengruppen 12 Wochen. Ist eine Anwendung bei Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose (Child-Pugh-Stadien B und C) geplant, wird die Kombination mit Ribavirin empfohlen [25]. Patienten mit einer HCV-Genotyp-3-Infektion und kompensierter Zirrhose kann ebenfalls zusätzlich Ribavirin verabreicht werden.

Die Resorptionsunterschiede in Abhängigkeit von den Mahlzeiten sind klinisch irrelevant, sodass das Medikament nahrungsunabhängig eingenommen werden kann. Es wird täglich eine Filmtablette eingenommen. Die Elimination von Sofosbuvir erfolgt hauptsächlich renal, weshalb keine Zulassung für Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz vorliegt; Velpatasvir wird hauptsächlich biliär eliminiert. Sofosbuvir und Velpatasvir sind Substrate des Wirkstofftransporters P‑Glykoprotein (P-gp) und des „breast cancer resistance protein“ (BCRP); Velpatasvir ist ebenfalls ein Substrat des „organic anion transporting polypeptide-1B“ (OATP1B). In vitro wurde ein langsamer metabolischer Umsatz von Velpatasvir durch CYP2B6, CYP2C8 und CYP3A4 beobachtet. Interaktionen mit anderen Medikamenten sind möglich und sollten vor Therapiebeginn sorgfältig evaluiert werden [25]. Patienten ohne Zirrhose erzielen SVR-12-Raten von 97–100 %; bei Patienten mit Zirrhose ist mit SVR12-Raten von 91 bis 100 % zu rechnen [26, 27].

Pibrentasvir 40 mg/Glecaprevir 100 mg.

Diese Wirkstoffkombination aus einem NS3/4A-Protease- und einem NS5A-Inhibitor ist ebenfalls pangenotypisch wirksam. Eine Resistenztestung ist nicht notwendig. Es bestehen insbesondere für Glecaprevir relevante Resorptionsunterschiede im Darm in An- oder Abwesenheit von fettreichen Mahlzeiten, was eine Einnahme zur Mahlzeit notwendig macht. Galenisch bedingt besteht die einmal tägliche Einnahme aus 3 Tabletten. Für Patienten ohne Zirrhose beträgt die Therapiedauer unabhängig vom HCV-Genotyp 8 Wochen und verlängert im Fall einer kompensierten Zirrhose auf 12 Wochen. Beim HCV-Genotyp 3 und Vortherapie mit einem interferonbasierten Regime ist eine Therapieverlängerung auf 16 Wochen notwendig. Beide Wirkstoffe weisen eine ausgeprägte Plasmaproteinbindung >90 % auf. Die Elimination beider Wirkstoffen erfolgt biliär. Beide Wirkstoffe sind Substrate von P‑gp und BCRP, im Fall von Glecaprevir auch von OATP1B1/OATP1B3. Die SVR-Raten verschiedener Genotypen wurden in den Studien ENDURANCE 1–4 sowie SURVEYOR 1 und 2 untersucht und betragen insgesamt 97 % mit geringen Unterschieden bei den einzelnen Genotypen. (In der EXPEDITION-4-Studie konnte zudem gezeigt werden, dass das Medikament bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz [GFR <30 %] und bei Dialysepatienten sicher und mit vergleichbaren SVR-12-Raten angewendet werden kann, [28, 29]).

Voxilaprevir 100 mg/Sofosbuvir 400 mg/Velpatasvir 100 mg.

Die Kombination verbindet alle 3 Wirkprinzipien der DAA-Therapie. Zu der bereits beschriebenen Kombination Sofosbuvir/Velpatasvir kommt Voxilaprevir als pangenotypischer Inhibitor der NS3/4A-Protease des HCV hinzu. Voxilaprevir wirkt als nichtkovalenter, reversibler Inhibitor der NS3/4A-Protease. Diese Kombination ist der Situation nach DAA-Therapie-Versagen vorbehalten und zeigte in dieser Indikation SVR-12-Raten von 96 %, ohne relevante Unterschiede zwischen den HCV-Genotypen oder zwischen Patienten mit unterschiedlichen Resistenzmutationen. Die Therapiedauer der beträgt ebenfalls 12 Wochen. Das Medikament kann unabhängig von der Nahrungsaufnahme angewendet werden; es wird täglich eine Filmtablette eingenommen. Die Kombination ist wegen des Proteaseinhibitors Voxilaprevir nicht zur Therapie von Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose geeignet. Auf die pharmakologischen Eigenschaften von Sofosbuvir und Velpatasvir wurde bereits eingegangen. Voxilaprevir ist im humanen Plasma zu >99 % an Proteine gebunden. Voxilaprevir ist hauptsachlich ein Substrat von CYP3A4 mit langsamem Umsatz. Der Haupteliminationsweg für Voxilaprevir ist die biliäre Ausscheidung [30]. Durch die Gabe von Voxilaprevir werden etwas vermehrt gastrointestinale Nebenwirkungen beobachtet [4].

Diskussion der Behandlungsoptionen

Auswahl des therapeutischen Regimes

Die Auswahl des therapeutischen Regimes sollte individuell unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Patienten erfolgen. Nicht selten, insbesondere bei Patienten mit einer Polypharmazie, ist es das etwas unterschiedliche Medikamenteninteraktionsprofil, dass zur Auswahl eines bestimmten DAA-Regimes führt. Dabei sollten alle eingenommenen Medikamente, Phytopharmaka und evtl. Substitutionsmedikamente einbezogen werden. Zum Interaktionscheck kann die Fachinformation des jeweiligen Medikaments hinzugezogen werden; eine praktische Möglichkeit bieten auch Internetseiten, z. B. www.hep-druginteractions.org.

Alle oben genannten Therapieregime sowie die Retherapie-Option sind mittlerweile für Patienten mit kompensierter Leberzirrhose (Child-Pugh-Stadium A) zugelassen. Bei Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose (Child-Pugh-Stadium B und insbesondere -Stadium C), die inzwischen selten geworden sind, wird die Kombination Velpatasvir/Sofosbuvir mit Ribavirin ergänzt. Hier sollte die Therapie in einem erfahrenen Zentrum durchgeführt werden [4]. Einen Überblick über die relevanten Therapieregime und deren sinnvolle Einsatzmöglichkeiten bietet die Tab. 1.

Tab. 1 Relevante Therapieregime und sinnvolle Einsatzmöglichkeiten bei chronischer Hepatitis C

Fazit

Die wichtigste Herausforderung bei der Hepatitis C stellt das Suchen und Finden der zahlreichen betroffenen Patienten dar, die nichts von ihrer Infektion wissen. Eine Therapieindikation mit den neuen DAA(„direct acting antiviral agents“)-Regimen besteht praktisch bei allen HCV-RNA-positiven Patienten. Für jede Konstellation stehen passende Therapiekonzepte zur Verfügung. Diese sind einfach in der Durchführung, ausgesprochen nebenwirkungsarm und erreichen in >95 % der Fälle eine komplette, dauerhafte Viruseradikation. Auch bei Versagen einer DAA-Therapie steht eine wirksame Retherapie-Option zur Verfügung.