Prüfungssimulation

Fallschilderung

Ein 58-jähriger Patient stellt sich während seines Skiurlaubs im Januar in einer Notfallpraxis vor, da er seit zwei Tagen an Fieber mit Abgeschlagenheit, trockenem Husten und Kopf- und Gliederschmerzen leidet. Kontakte mit anderen kranken Personen oder Tierkontakt werden verneint.

An Vorerkrankungen ist ein metabolisches Syndrom mit arterieller Hypertonie und einem bisher unbehandelten Diabetes mellitus Typ 2 bekannt. Der Patient hat bis vor 5 Jahren geraucht (50 Packungsjahre). Gegen die saisonale Influenza oder Pneumokokken ist er nicht geimpft. Es wird eine symptomatische Therapie mit Paracetamol verschrieben.

Vier Tage später sucht der Patient die Notaufnahme Ihres Krankenhauses auf, da seine Beschwerden deutlich zugenommen haben: Er ist kaltschweißig und das Atmen fällt ihm in Ruhe zunehmend schwer. Beim Husten berichtet er seit heute Morgen über gelb-grünen Auswurf.

Untersuchungsbefund.

Bei Eintreffen auf der Notfallstation präsentiert sich der Patient tachypnoisch (Atemfrequenz 28/min) und in deutlich reduziertem Allgemeinzustand. Blutdruck 154/70 mm Hg, Herzfrequenz 90/min, Körpertemperatur 38,4 °C, periphere Sauerstoffsättigung unter Raumluft 74 %, unter 10 l O2/min via Maske 85 %. Es fällt eine Lippenzyanose auf, auskultatorisch beidseits grobblasige Rasselgeräusche, sonorer Klopfschall.

Die laborchemische Untersuchung und die Blutgasanalyse deuten auf ein septisches Geschehen mit Nierenversagen und schwerer Oxygenierungsstörung hin (Tab. 1 und 2).

Tab. 1 Laborwerte
Tab. 2 Blutgasanalyse

Prüfungsfragen

  • Was würden Sie als Erstes veranlassen, um eine vitale Gefährdung zu vermeiden?

  • Was ist anhand der Anamnese und Klinik die wahrscheinlichste Diagnose?

  • Welche Diagnostik würden Sie veranlassen?

  • Wie würden Sie den Patienten behandeln?

  • Welche Risikofaktoren spielen für diese Komplikation eine Rolle?

  • Hat diese Erkrankung auch kardiovaskuläre Risiken?

  • Welche krankenhaushygienischen Maßnahmen treffen Sie?

  • Was wäre die wichtigste präventive Maßnahme in diesem Fall gewesen und für welche Personen ist diese empfohlen?

  • Wie hoch ist die geschätzte Schutzwirkung dieser Maßnahme?

Antworten

Was würden Sie als Erstes veranlassen, um eine vitale Gefährdung zu vermeiden?

  • Aufgrund der schweren Oxygenierungsstörung ohne wesentliche Besserung nach Sauerstoffgabe ist als erste Maßnahme eine Intubation des Patienten indiziert, um einen adäquaten Gasaustausch zu gewährleisten.

  • Eine nichtinvasive Beatmung wird bei schwerer Influenza wegen des hohen Risikos eines Therapieversagens nicht empfohlen. Evtl. kann eine High-flow-Sauerstoffgabe versucht werden [1].

  • Nach der notfallmäßigen Intubation und Stabilisation wird der Patient auf eine medizinische Intensivstation verlegt.

Was ist anhand der Anamnese und Klinik die wahrscheinlichste Diagnose?

  • Die initiale Symptomatik mit Fieber, trockenem Husten und Arthralgien ist am ehesten mit einem viralen Infekt vereinbar.

  • Eine wichtige Differenzialdiagnose in den Wintermonaten, insbesondere bei diesem schweren Verlauf, ist eine Influenza A oder B.

  • Andere mögliche virale Erreger sind das respiratorische Synzytialvirus (RSV), das v. a. bei Kleinkindern und älteren Erwachsenen ebenfalls schwere Infektionen hervorrufen kann, Parainfluenzavirus, Adenoviren, Rhinoviren, das humane Metapneumovirus, endemische Coronaviren sowie neu seit 2020 auch das „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2).

Der Fall.

Die rasche sekundäre Verschlechterung der Patienten mit zunehmender Dyspnoe und Sättigungsabfall sowie das neue produktive Sputum sind Hinweise auf das Auftreten einer respiratorischen Komplikation im Sinne einer Pneumonie. Differenzialdiagnostisch ist hier sowohl an eine primäre Viruspneumonie als auch an eine mögliche Superinfektion zu denken. Während die primäre Viruspneumonie rapide zu einer respiratorischen Insuffizienz mit einem „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) führen kann und die höchste Mortalität hat, weist der Verlauf in diesem Fall aufgrund der sekundären Verschlechterung eher auf eine sekundäre Superinfektion hin.

Merke.

Die häufigsten bakteriellen Erreger einer Superinfektion im Rahmen einer Influenza sind Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken), Streptococcus pyogenes, Staphylococcus aureus, Haemophilus influenzae und Klebsiella pneumoniae.

Merke.

Die sekundäre bakterielle Pneumonie ist eine häufige und wichtige Komplikation einer Influenza.

  • In den letzten Jahren wurden auch vermehrt fungale Superinfektionen (am häufigsten mit Aspergillus) bei Patienten mit schwerer Influenza auf Intensivstationen beobachtet. In manchen Studien stellen fungale Erreger bereits die häufigste Ursache einer Superinfektion dar [2].

  • Risikofaktoren sind eine Vorbehandlung mit Steroiden und ein Asthma, während die für andere Aspergilleninfektionen typischen Risikofaktoren wie Neutropenie oder Immunsuppression meist fehlen.

Cave.

Die gelb-grüne Farbe des Sputums kommt von der Myeloperoxidase aus den azurophilen Granula der neutrophilen Granulozyten als unspezifische Reaktion des angeborenen Immunsystems sowohl bei bakteriellen als auch bei viralen Infekten. Diese hat eine hohe Sensitivität bei allerdings nur niedriger Spezifität für einen bakteriellen Infekt [3] und kann daher nicht als Beweis für einen bakteriellen Infekt dienen!

Merke.

Bei schwerer Influenza, die intensivmedizinischer Maßnahmen bedarf, wird zunehmend auch eine pulmonale Superinfektion mit Aspergillus beobachtet, mit schwerem Verlauf und hoher Mortalität auch ohne sonstige Risikofaktoren.

Der Fall.

Als Korrelat unserer Hypothese findet man in der Computertomographie (CT) des Thorax ausgeprägte Infiltrate in beiden Unterlappen sowie in den Oberlappen und Mittellappen, vereinbar mit einem schweren ARDS (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Computertomographie mit multiplen bilateralen Milchglasverdichtungen (engl. „ground glass opacities“) und Konsolidierungen

Es wird nun die Diagnose einer ausgeprägten bilateralen Pneumonie gestellt, deren Ursache noch unklar ist.

Welche Diagnostik würden Sie veranlassen?

  • In diesem Fall ist eine mikrobiologische Diagnostik mittels bronchoalveolärer Lavage (BAL) sinnvoll, um die Verdachtsdiagnose einer Influenza mit bakterieller oder fungaler Superinfektion zu bestätigen.

  • Für die Diagnose der Influenza und anderer respiratorischer Viren stehen mehrere Tests zur Verfügung.

    • Goldstandard ist der molekulare Nachweis mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Das Ergebnis einer PCR-Untersuchung liegt in der Regel innerhalb eines Tages vor und erlaubt die Typisierung des Isolats.

    • Molekulare Schnelltests wie isothermale Amplifikationsassays liefern die Resultate in weniger als 30 min und können bei fast gleich hoher Sensitivität wie eine Singleplex-PCR und bei sehr guter Spezifität als sehr gute Point-of-Care-Tests verwendet werden [4].

    • Für die Diagnose von anderen respiratorischen Viren, Mykoplasmen und Legionellen stehen verschiedene Multiplex-PCR-Verfahren zur Verfügung, die in der Regel ebenfalls Influenza A und B abdecken.

  • Für die Diagnose einer bakteriellen Superinfektion sind Kulturen aus respiratorischen Sekreten (Sputum oder BAL) sowie mindestens 2 aerobe und anaerobe Blutkulturen empfohlen.

  • In der BAL sollte auch das Galaktomannan, ein Polysaccharid der Aspergillenzellwand, bestimmt werden, das eine höhere Sensitivität als eine Pilzkultur aufweist. Dagegen hat das Galaktomannan im Serum bei nichtneutropenischen Patienten eine deutlich geringere Sensitivität.

  • Zudem sollte nach Legionellen und Pneumokokken mittels Antigentest im Urin gesucht werden.

  • Der Serumbiomarker Prokalzitonin ist in dieser Situation ein hilfreicher Parameter, der insbesondere einen hohen negativen prädiktiven Wert zum Ausschluss einer bakteriellen Superinfektion hat [5].

Wie würden Sie den Patienten behandeln?

  • Therapie der Wahl bei schwerer Influenza A ist eine antivirale Behandlung mit Neuraminidaseinhibitoren (orales Oseltamivir, inhalatives oder intravenöses Zanamivir oder intravenöses Peramivir).

    • Sie blockieren die virale Neuraminidase der Influenza-A- und Influenza-B-Viren und damit die Freisetzung der neugebildeten Viren aus den infizierten Zellen.

    • Ihre Wirksamkeit ist insbesondere in den ersten Stunden (bis 48 h) nach Symptombeginn der schweren Influenza belegt [6].

    • Bei schwer kranken Patienten insbesondere auf Intensivstationen, wie in dem geschilderten Fall, ist jedoch auch nach 48 h eine antivirale Therapie empfohlen [7, 8].

Merke.

Patienten, die aufgrund einer Influenza im Krankenhaus hospitalisiert sind, sollten möglichst früh mit einem Neuraminidasehemmer behandelt werden, wobei der größte Nutzen innerhalb von 48 h nach Auftreten influenzatypischer Symptome zu erwarten ist.

  • Der Stellenwert von Baloxavir-Marboxil, einem neuen Inhibitor der Cap-abhängigen Endonuklease, ist noch nicht klar. Zwar hat es einen schnelleren Wirkungseintritt als Oseltamivir, jedoch stehen dem ein höheres Risiko der Resistenzentwicklung und fehlende Daten zu kritisch kranken Patienten gegenüber.

  • Bei V. a. oder bestätigter bakterieller Superinfektion ist eine empirische bzw. gezielte Antibiotikatherapie indiziert. Aufgrund des erwarteten Erregerspektrums ist hier beispielsweise Amoxicillin/Clavulansäure eine gute empirische Option.

  • Falls möglich, sollte bei intubierten Patienten mit V. a. invasive Aspergillose eine mikrobiologische Diagnostik mit Bestimmung von Galaktomannan in der BAL vor empirischem Therapiebeginn stattfinden.

    • Das Galaktomannan ist ein Polysaccharid der Zellwand von Aspergillen (aber auch von Histoplasma, Fusarium, Penicillium oder Paecilomyces), das mittels Enzymimmunoassay („enzyme-linked immunosorbent assay“ [ELISA]) nachgewiesen wird.

    • Es wird während des Wachstums des Pilzes im Gewebe in die Blutbahn abgegeben.

    • Das Testergebnis wird quantitativ in Form eines Index der optischen Dichte angegeben (GM[Galactomannan]-Index).

Cave.

Das Galaktomannan fällt schon bald nach Therapiebeginn ab. Daher ist die Diagnostik vor Therapieeinleitung erforderlich.

  • Diagnostisch für eine influenzaassoziierte Aspergillose (IAA) ist

    • ein pulmonales Infiltrat plus GM-Index in der BAL ≥ 1,0 oder im Serum ≥ 0,5 oder eine positive Aspergillenkultur in einer BAL oder

    • ein kavernierendes Infiltrat plus positive Sputumkultur oder positive Kultur aus Trachealsekret [9].

  • Therapie der Wahl bei IAA ist Voriconazol oder Isavuconazol, Alternativen sind liposomales Amphotericin B oder Posaconazol [10].

Merke.

Bei klinischer Verschlechterung auf der Intensivstation sollten bakterielle Superinfektionen sowie eine influenzaassoziierte pulmonale Aspergillose mit CT des Thorax sowie Kultur und Galaktomannantest aus einer BAL abgeklärt werden.

Der Fall.

Bei dem Patienten in diesem Fall wurde neben einer empirischen Antibiotikatherapie mit Amoxicillin/Clavulansäure eine antivirale Therapie mit oralem Oseltamivir eingeleitet. Bei positivem Galaktomannantest aus einer BAL (Wert 1,1) und V. a. IAA wurde zudem eine antifungale Therapie mit Voriconazol durchgeführt (zunächst intravenös, nach 7 Tagen oral).

Aus der BAL waren die PCR für Influenza A sowie die Kultur für S. aureus positiv (pansensibel). Die PCR für SARS-CoV‑2 war negativ. Blutkulturen sowie Legionellen- und Pneumokokkenantigen im Urin waren negativ.

Welche Risikofaktoren spielen für diese Komplikation eine Rolle?

  • Eine Influenza ist ein unabhängiger Risikofaktor für eine Aspergillose; andere Risikofaktoren sind

    • Steroidgabe,

    • männliches Geschlecht und

    • ein hoher Schweregrad der Erkrankung, z. B. mit hohem Acute-Physiology-and-Chronic-Health-Evaluation(APACHE)-II-Score [11].

  • Pathophysiologisch spielen eine Schädigung des respiratorischen Epithels durch Influenzaviren und eine durch die akute Infektion bedingte reduzierte Lokalimmunität eine wichtige Rolle, wodurch Eindringen und Sporulation von Aspergillen erleichtert werden [9].

Merke.

Bei Patienten mit IAA fehlen meist die klassischen Risikofaktoren für eine pulmonale Aspergillose, z. B. eine schwere zugrunde liegende Immunsuppression. Ein Screening auf das „human immunodeficiency virus“ (HIV) wurde ergänzt und war negativ. Der Diabetes mellitus, der bis zur Hospitalisation noch nicht behandelt war, dürfte eine Rolle gespielt haben [11].

Hat diese Erkrankung auch kardiovaskuläre Risiken?

  • Akute Influenzainfektionen sind mit einem erhöhten Risiko von kardiovaskulären Ereignissen wie akutem Myokardinfarkt, Arrhythmien und Schlaganfällen assoziiert.

  • Eine kürzlich publizierte Studie zeigte, dass das Risiko eines akuten Myokardinfarkts in den ersten 7 Tagen nach Influenzadiagnose um das 6‑fache erhöht war [12].

Welche krankenhaushygienischen Maßnahmen treffen Sie?

  • Patienten mit nachgewiesener Influenzainfektion sollten im Krankenhaus für 7 Tage ab Symptombeginn in einem Einzelzimmer isoliert werden.

  • Gemäß Robert Koch-Institut ist eine Kontakt- und Tröpfchenisolation obligat [13].

Merke.

Bei nachgewiesener Influenzainfektion ist im Krankenhaus eine Kontakt- und Tröpfchenisolation für 7 Tagen ab Symptombeginn indiziert.

Was wäre die wichtigste präventive Maßnahme in diesem Fall gewesen und für welche Personen ist diese empfohlen?

  • Die einfachste und wirksamste Maßnahme, um Influenzainfektionen zu reduzieren, ist die jährliche Grippeimpfung.

  • Diese wird empfohlen für alle Personen mit erhöhtem Komplikationsrisiko sowie für alle Gesundheitsfachpersonen.

  • Gemäß Ständiger Impfkommission (STIKO) ist sie indiziert bei Personen ≥ 60 Jahre, Schwangeren ab dem zweiten Trimenon, Personen aus Senioren- und Pflegeheimen, Personen mit chronischen respiratorischen oder kardiovaskulären Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, angeborenen oder erworbenen Immundefekten und HIV-Infektion.

  • Weiterhin sollte medizinisches Personal unbedingt geimpft werden, um nosokomiale Übertragungen zu verhindern, wie auch Kontaktpersonen besonders gefährdeter Personen.

Merke.

Bei Erwachsenen ist auf die Verwendung eines quadrivalenten inaktivierten Impfstoffs vor Beginn der Influenzasaison, also vor dem Frühwinter zu achten.

Wie hoch ist die geschätzte Schutzwirkung dieser Maßnahme?

  • Die Schutzwirkung der saisonalen Influenzaimpfung hängt von der Übereinstimmung der zirkulierenden Influenzavirusstämme mit den jeweiligen Impfstämmen ab.

  • Über die Jahre gemittelt beträgt die Schutzwirkung bezüglich einer Influenzainfektion zwischen 40 und 60 % [14], wobei in Populationsstudien in den USA und Schweden gezeigt werden konnte, dass die Influenzaimpfung sogar die Gesamtsterblichkeit der geimpften Bevölkerung um ca. 5 % reduziert [15].

  • Die Influenzaimpfung schützt auch vor schweren kardiovaskulären Ereignissen (kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisation wegen Myokardinfarkt, instabiler Angina, Schlaganfall, Herzinsuffizienz oder dringlicher Koronarrevaskularisation) mit einer Risikoreduktion von 36 %, bei Personen mit einem derartigen Ereignis im letzten Jahr sogar um 55 % („number needed to vaccinate“ lediglich 8!).

  • Damit ist die Influenzaimpfung vermutlich eine der wirksamsten volksgesundheitlichen Maßnahmen zur Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse.

Merke.

Die jährliche Impfung ist die wichtigste Maßnahme zur Prävention der influenzaassoziierten Morbidität und Mortalität und sollte bei allen Risikopatienten erwogen werden.