FormalPara Originalliteratur

Lugunov DY, Dolzhikova IV, Shcheblyakom DV et al for the Gam-COVID-Vac Vaccine Trial Group (2021) Safety and efficacy of an rAd26 and rAd5 vector-based heterologous prime-boost COVID-19 vaccine: an interim analysis of a randomised controlled phase 3 trial in Russia. Lancet 397:671–681

Nachdem in Ausgabe 1/2021 ein erster Beitrag und in Ausgabe 3/2021 ein zweiter Beitrag über Impfstoffe zur Prävention der „coronavirus disease 2019“ (COVID-19; https://link.springer.com/article/10.1007/s00108-020-00937-3 [1]; https://link.springer.com/article/10.1007/s00108-021-00985-3 [2]) publiziert wurde, werden wir im Folgenden den sich im Zulassungsverfahren der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) befindlichen Impfstoff Gam-COVID-Vac, besser bekannt als „Sputnik V“, vorstellen. Bei Sputnik V handelt es sich um einen Vektorimpfstoff, der anders als die anderen bereits vorgestellten Vektorimpfstoffe zwei unterschiedliche nichtreplikationsfähige Adenoviren (rAd) als Vektoren verwendet: rAd26 bei der ersten und rAd5 bei der zweiten Impfstoffgabe im Abstand von 21 Tagen.

Ziel der im Folgenden diskutierten Studie war es, die Wirksamkeit der Sputnik-V-Impfung hinsichtlich der Vermeidung einer COVID-19-Infektion zu verifizieren.

Zusammenfassung der Studie

Studiendesign

Laufende doppelblinde, placebokontrollierte, randomisierte Multicenterimpfstudie an 25 Zentren in Moskau, Russland, mit einem heterologen rekombinanten adenovirusbasierten Vektorimpfstoff, der für ein Severe-acute-respiratory-syndrome-coronavirus-2(SARS-CoV-2)-Spike-Protein in voller Länge codiert, mit einer durchschnittlichen Nachuntersuchungszeit von 48 Tagen nach der ersten Impfung

Einschlusskriterien

  • Über 18-jährige nichtschwangere Probanden mit negativem Anti-SARS-CoV-2-Immunglobulin-M- und -Immunglobulin-G-Antikörper-Nachweis sowie negativem SARS-CoV-2-Polymerase-Kettenreaktions(PCR)-Test

Ausschlusskriterien

  • Impfreaktion in der Anamnese

  • Akute Infektion oder respiratorische Erkrankung sowie Kontakt mit COVID-19-positiver Person 2 Wochen vor Studienbeginn

  • Positiver Human-immunodeficiency-virus(HIV)-, Hepatitis-B-/-C- bzw. Syphilistest

  • Alkohol‑/Drogennachweis im Urin

  • Impfung, Steroid- oder Immunglobulintherapie binnen 30 Tagen vor Studienbeginn

  • Immunsuppression binnen 3 Monaten vor Studienbeginn sowie diverse chronische Erkrankungen (unter anderem koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, Tuberkulose)

Endpunkte

Primär

  • Patienten mit positivem COVID-19-PCR-Nachweis mehr als 21 Tage nach der ersten Dosis

Sekundär

  • Schweregrad der COVID-19-Infektion

  • Antikörpernachweis gegen SARS-CoV-2-Glykoprotein S und -N-Protein

  • Titeranstieg der SARS-CoV-2-neutralisierenden Antikörper

  • Veränderungen der antigenspezifischen Zellimmunität

  • Häufigkeit und Schweregrad von Nebenwirkungen

Methodik

Die 21.977 Probanden wurden in 5 Alterskategorien differenziert und 3:1 auf Verum bzw. Placebo stratifiziert randomisiert. Bei Studienbeginn wurden die Probanden einer körperlichen Untersuchung unterzogen und Begleiterkrankungen sowie ein erhöhtes SARS-CoV-2-Infektionsrisiko erfasst. Die Impfungen wurden mit je 0,5 ml i.m. (1011 Viruspartikel/Impfdosis) durchgeführt, zunächst mit rAd26‑S und 21 Tage später mit rAd5‑S.

Follow-up-Untersuchungen waren nach 28, 42 und 180 Tagen vorgesehen. Ein PCR-Test wurde zusammen mit einer körperlichen Untersuchung am Tag der zweiten Impfung vorgenommen. Bei positivem PCR-Test und Zeichen einer respiratorischen Erkrankung wurde die zweite Impfung nicht gegeben und die Probanden einer klinischen Behandlung zugeführt. Ohne Zeichen einer respiratorischen Erkrankung wurde auch bei positivem PCR-Test die zweite Impfung verabreicht und die Probanden als asymptomatisch klassifiziert und nicht als COVID-19-Patienten betrachtet. Weitere PCR-Tests wurden nur durchgeführt, wenn die Probanden COVID-19-Symptome aufwiesen. Eine immunologische Analyse wurde bei der Follow-up-Untersuchung an Tag 42 durchgeführt.

Ergebnisse

Es werden die Daten einer geplanten Interimsanalyse (78 COVID-19-positive Patienten nach der zweiten Impfung) der noch laufenden Studie vorgestellt. Von den 21.977 Probanden erhielten 16.501 zumindest eine Verum- und 5476 Probanden zumindest eine Placeboimpfung. 14.964 bzw. 4902 Probanden haben bereits die zweite Impfdosis erhalten und gehen in die Endpunktanalyse ein.

Das Durchschnittsalter der Probanden betrug 45,3 Jahre, knapp 11 % waren älter als 60 Jahre. Etwas über 61 % der Probanden waren Männer. Der durchschnittliche Body-Mass-Index betrug 26,75 kg/m2. Über 70 % der Probanden wiesen ein normales Infektionsrisiko auf, nur 0,4 % ein hohes.

Primärer Endpunkt

In der Verumgruppe wurden mehr als 21 Tage nach der ersten Impfung 16 COVID-19-Fälle erfasst, in der Placebogruppe 62 (0,1 % vs. 1,3 %; Tab. 1). Dies entspricht einer Impfeffektivität von 91,6 %. In allen Subgruppen (Alter und Geschlecht) betrug die Impfeffektivität >87 %, bei den über 60-Jährigen 91,8 %. Mittelschwere bis schwere Verläufe (n = 20) mehr als 21 Tage nach der ersten Impfung traten nur bei Placeboprobanden auf (Tab. 1).

Tab. 1 Endpunktanalyse

Sekundäre Endpunkte

In der Verumgruppe wurde 42 Tage nach der Impfung bei 98 % Receptor-binding-domain(RBD)-spezifisches Immunglobulin G und eine Serumkonversionsrate von 98,25 % mit einem Durchschnittstiter von 8996 nachgewiesen, verglichen mit 15 % (Durchschnittstiter 30,55) bzw. 14,91 % in der Placebogruppe (bei geringer Probandenzahl für die immunologischen Untersuchungen von n = 342 bzw. n = 114). Bei den 18- bis 30-Jährigen war die Immunantwort signifikant besser als bei allen anderen Altersgruppen, zwischen denen keine Unterschiede bestanden; ebenso wie keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Bei 100 Probanden wurden neutralisierende Antikörper an Tag 42 nach der ersten Impfung bestimmt: durchschnittlich 44,5 mit einem Serokonversionslevel von 95,83 % in der Verum- und 1,6 bzw. 7,14 % in der Placebogruppe. Hier konnten keine Alters- oder Geschlechtsunterschiede gezeigt werden.

Die häufigsten Nebenwirkungen waren Erkältungssymptome, lokale Reaktionen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen sowie Abgeschlagenheit, und dies zumeist von leichter Ausprägung. Insgesamt wurden bei 68 der 16.427 und 23 der 5435 Probanden schwere Nebenwirkungen angegeben (0,3 % vs. 0,4 %).

Take home message

Zusammengefasst stellt der hier vorgestellte Impfstoffkandidat Gam-COVID-Vac (besser bekannt als Sputnik V) einen sicheren und effektiven Impfstoff zur Prävention von COVID-19 dar. Die hier vorliegenden, vielversprechenden Zwischenergebnisse sollten zügigst durch finale Endergebnisse bestätigt werden, um einen weiteren wichtigen Schritt in der Pandemiebekämpfung zu gehen.

Kommentar

Mit aktuell 82 Impfstoffkandidaten in der klinischen und 182 in der präklinischen Prüfung [3] könnten die in der Europäischen Union bereits zugelassenen Impfstoffe zur Prävention von COVID-19 (BNT162b2 von BioNTech/Pfizer, mRNA-1273 von Moderna, AZD1222 von AstraZeneca/University of Oxford und Ad26.COV2.S von Johnson & Johnson) bald Verstärkung bekommen (Stand 24.05.2021). Aktuell prüft die EMA unter anderem die Zulassung des umstrittenen russischen Vektorimpfstoffkandidaten Gam-COVID-Vac vom russischen Gamaleya Research Institute – besser bekannt als Sputnik V [4].

Die Kontroverse um den Impfstoffkandidaten entstand am 11. August 2020, als für Sputnik V nur in Russland eine Notfallzulassung erteilt wurde, ohne dass die Daten der wichtigen Phase-III-Zulassungsstudie vorlagen. Im Dezember konnte anhand der offenen, nichtrandomisierten Phase-I/II-Studie Sputnik V als sicher und zufriedenstellend immunogen bewertet werden [4]. Mittlerweile liegen Zwischenergebnisse der in diesem Beitrag vorgestellten methodisch korrekten, 3:1-randomisierten, placebokontrollierten und doppelblinden Phase-III-Studie zur Evaluation der Sicherheit und Effektivität einer zweizeitigen Verabreichung von jeweils 0,5 ml Sputnik V vs. Placebo (Intervall 21 Tage) vor. Um die bei zweizeitigen Impfregimen schnell auftretende Vektorimmunität auf einem Minimum zu halten, wurde hier auf zwei verschiedene humane, adenovirale Vektoren gesetzt: zu Zeitpunkt 1 rAd26 und zu Zeitpunkt 2 rAd5 [4]. So konnte an insgesamt 19.866 Probanden (14.964 Verum- sowie 4902 Kontrollprobanden) eine Sputnik-V-Impfeffektivität von 91,6 % nachgewiesen werden. Während vermehrt Männer (61,2 %) sowie fast ausschließlich kaukasische Studienprobanden (98,5 %) eingeschlossen wurden, wurde auf eine ausgeglichene Altersverteilung geachtet. So wurde in 5 Altersgruppen stratifiziert (Tab. 1) und insgesamt konnte in allen Altersgruppen bei Männern und Frauen eine Impfeffektivität von über 87 % erreicht werden. Außerdem konnten in allen Alters- und Geschlechtsgruppen bereits 14 Tage nach der zweiten Impfung bei 98 % der Probanden spezifische Immunglobuline G gegen das SARS-CoV-2-Spike-Protein nachgewiesen werden. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse („adverse events“ [AE]) waren Schmerzen an der Einstichstelle, grippeähnliche Symptome sowie Kopfschmerzen. Diese konnten in 94,0 % der Fälle als Grad-1-AE eingestuft werden (5,66 % Grad 2 bzw. 0,38 % Grad 3). Schwere unerwünschte Ereignisse kamen in 0,3 % der Verum- und 0,4 % der Placebogruppe vor, sodass der Impfstoffkandidat Sputnik V insgesamt als sicher bewertet werden konnte.

Die Diskussion über Risiken und Nebenwirkungen von Vektorimpfstoffen erreicht aktuell bei ihrem bekanntesten Vertreter – AZD1222 von AstraZeneca/University of Oxford – große mediale Aufmerksamkeit. Hier ist es in Deutschland bei insgesamt 4,8 Mio. verabreichten Impfdosen nach der ersten Impfung in 63 Fällen (0,000021 %; Stand 29.04.2021) zu Sinusvenenthrombosen mit simultaner Thrombozytopenie gekommen, insbesondere bei jüngeren Frauen [5]. Der zugrunde liegende Mechanismus dieser vakzininduzierten immunogenen thrombotischen Thrombozytopenie (VITT; [6]) ist dem Mechanismus der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) sehr ähnlich: Antikörper gegen Plättchenfaktor 4 (PF4) bilden Immunkomplexe, die sowohl Thrombozyten als auch die plasmatische Gerinnungskaskade mit Zeichen massiver Verbrauchskoagulopathie aktivieren (Thrombozytopenie, D‑Dimer-Anstieg, Fibrinogenabfall). Das Auftreten einer VITT ist eine sehr seltene Nebenwirkung, die mit den Adenovirusvektoren in Verbindung stehen und somit auch bei Sputnik V auftreten könnte. Auch die letzte aktualisierte Empfehlung der EMA nach der Sitzung des Sicherheitsausschusses am 07.04.2021 bestätigt die Auffassung, dass der Nutzen die Risiken von AZD1222 übersteigt. Insbesondere starke Kopfschmerzen, Petechien, Schwellung der Extremitäten, Kurzatmigkeit sowie Brustschmerzen ab dem dritten Tag nach Impfung sollten dennoch abgeklärt werden (kleines Blutbild, Gerinnungsdiagnostik, gegebenenfalls Magnetresonanztomographie des Schädels). Aktuell hat die EMA (26.05.2021) das Auftreten des Thrombose-Thrombozytopenie-Syndroms binnen 3 Wochen nach der Erstimpfung als Kontraindikation für eine Zweitimpfung mit AZD1222 aufgeführt. Aufgrund der fortlaufenden Nebenwirkungsüberwachungen können jederzeit aktualisierte Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) herausgegeben werden.

Zusammengefasst stellt Sputnik V einen sicheren und effektiven Impfstoff zur Prävention von COVID-19 dar. Die vorliegenden vielversprechenden Zwischenergebnisse sollten zügig durch finale Endergebnisse bestätigt werden, um einen weiteren wichtigen Schritt in der Pandemiebekämpfung zu gehen. Es ist zu erwarten, dass das Zulassungsverfahren der EMA aufgrund der anfänglich umstrittenen Debatte um die Qualität der Vakzine und das voreilige Vorgehen der russischen Behörden mehr Zeit brauchen wird. Ob dies im Hinblick auf die vorliegenden vielversprechenden Daten in der aktuellen Pandemie zu vertreten ist, sollte kritisch hinterfragt werden.