Prüfungssimulation

Fallschilderung

Anamnese.

Der 67-jährige Patient ist bekannt in Ihrer allgemeininternistischen Praxis. Letzte Vorstellung vor 2 Monaten: Erstdiagnose Magenkarzinom, Beginn neoadjuvante Chemotherapie (FLOT-Protokoll mit 5‑Fluorouracil, Folinsäure, Oxaliplatin und Docetaxel) in potenziell kurativem Setting im lokalen Klinikum

Heutige Vorstellung: seit etwa 10 Tagen zunehmende Dyspnoe (erst unter Belastung, mittlerweile auch in Ruhe, Orthopnoe nachts). Gelegentlich etwas trockener Husten, zweimalig Temperatur von 37,7 °C in den letzten 10 Tagen. In 3 Tagen steht der nächste Chemotherapiezyklus an. Der Patient legt einen Arztbrief vor. Inhalt: stationäre Behandlung vor 3 Wochen aufgrund einer Pneumonie (linksseitig)

Vorerkrankungen.

Linksherzinsuffizienz („heart failure with preserved ejection fraction“ [HFpEF], linksventrikuläre Ejektionsfraktion 50 %), chronisch-obstruktive Lungenerkrankung im Stadium I nach Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD), Risikoklasse A, florider Nikotinabusus (kumulativ 20 Packungsjahre), Magenkarzinom Stadium IIA

Körperliche Untersuchung.

Auskultation: beidseits vesikuläres Atemgeräusch mit gering verlängertem Exspirium und basaler Dämpfung links, keine Rasselgeräusche. Perkussion: sonorer Klopfschall bis auf links basal – hier hyposonor, Lungengrenze links nicht atemverschieblich. Herztöne rhythmisch, rein und normofrequent. Knöchelödeme

Prüfungsfragen

  • Was ist Ihre Verdachtsdiagnose und an welche Differenzialdiagnose denken Sie?

  • Welche initiale Diagnostik veranlassen Sie/führen Sie durch?

  • Bitte interpretieren Sie kurz den Bildbefund von Sonographie und Röntgenuntersuchung des Thorax.

  • Sie diagnostizieren einen Pleuraerguss. Nennen Sie Ursachen. Geben Sie sowohl häufige als auch seltene Ursachen an.

  • Erklären Sie den Unterschied zwischen Transsudat und Exsudat. Wie kann diagnostisch differenziert werden?

  • Sie entscheiden sich für eine Punktion. Bitte beschreiben Sie kurz das Vorgehen und die von Ihnen angeforderte Diagnostik.

  • Bitte interpretieren Sie die zwei vorgelegten Befunde der laborchemischen Ergussdiagnostik. Sind Ihnen diese Befunde ausreichend oder benötigen Sie weitere Informationen? Interpretieren Sie ggf. weitere vorliegende Befunde.

  • Skizzieren Sie bitte das weitere therapeutische Vorgehen in den beiden Fällen.

Antworten

Was ist Ihre Verdachtsdiagnose und an welche Differenzialdiagnose denken Sie?

  • Es ergibt sich der V. a. eine linksbasale thorakale Störung – am ehesten V. a. einen Pleuraerguss, dessen Ätiologie im vorliegenden Fall (post-)infektiös, maligne oder kardiozirkulatorisch sein könnte.

Relevante Differenzialdiagnosen.

  • Erneute Pneumonie

  • Pleuraempyem (Spezialfall des Ergusses)

  • Pleurakarzinose oder eine andere solide Tumormanifestation – hier besonders bei Nikotinabusus an das Lungenkarzinom denken

Welche initiale Diagnostik veranlassen Sie/führen Sie durch?

  • Thoraxsonographie. Fragestellung: Pleuraerguss?

  • Röntgenuntersuchung des Thorax. Fragestellung: Pleuraerguss? Pneumonisches Infiltrat?

  • Labor: Blutbild, C‑reaktives Protein, aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT), International Normalized Ratio, Serumeiweiß oder -albumin, Laktat-Dehydrogenase (LDH). Fragestellung: systemische Entzündungszeichen (Differenzialdiagnose Pneumonie, Differenzialdiagnose Pleuraempyem)? Punktion aus hämostaseologischer Sicht möglich? LDH und Serumproteine (spätere Ergussbewertung)

Merke.

Die Thoraxsonographie (Abb. 1) ist in der Detektion von Pleuraergüssen der Röntgenaufnahme des Thorax (Abb. 2) überlegen (ab 15 ml in Sonographie gegenüber ab 150 ml im Röntgenbild des Thorax). Weitere Vorteile: schnell verfügbar, keine Strahlenexposition, Quantifizierung, ggf. Ursachenanalyse (Ergussmorphologie? Pleurakarzinose? Infiltrat?)

Abb. 1
figure 1

a Thoraxsonographie. b Approximation der Ergussmenge. BLZ basaler Lungen-Zwerchfell-Abstand (kürzeste Distanz), L Lunge, M Milz, ME maximale kraniokaudale Ergusshöhe entlang Thoraxwand, P Pleura, PE Pleuraerguss. (Mit freundl. Genehmigung, © Charité – Universitätsmedizin Berlin, alle Rechte vorbehalten)

Abb. 2
figure 2

Röntgenbild des Thorax. a p.-a.-Aufnahme. b Seitaufnahme links. (Mit freundl. Genehmigung, © Charité – Universitätsmedizin Berlin, alle Rechte vorbehalten)

Bitte interpretieren Sie kurz den Bildbefund von Sonographie und Röntgenuntersuchung des Thorax

  • Interpretation des sonographischen Befunds: echoarmer linksseitiger Pleuraerguss über ca. 3 Wirbelkörperhöhen, begleitende Atelektase der basalen Lunge, V. a. Septierung/Adhäsion zwischen basaler Lunge und Pleura diaphragmatica, vergröberte Struktur der Pleura parietalis (möglicher Hinweis auf eine Pleurakarzinose), Ergussmenge (s. folgender Merke-Abschnitt und Abb. 1b): 70 ∙ (7,3 cm + 4 cm) = ca. 791 ml (800 ml)

Merke.

Formel zur Abschätzung der Ergussmenge am sitzenden Patienten (nach [4]): Volumen (ml) = 70 ∙ (BLZ + ME) (cm). BLZ basaler Lungen-Zwerchfell-Abstand (kürzeste Distanz), ME maximale kraniokaudale Ergusshöhe entlang Thoraxwand

  • Pleuraerguss links, etwa 4–5 Wirbelkörperhöhen. Kein Anhalt für pneumonische Infiltrate. Herzgröße linksseitig nicht beurteilbar. Mediastinum nicht verbreitert. Keine pulmonalvenöse Stauung, kein Pneumothorax. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

Sie diagnostizieren einen Pleuraerguss. Nennen Sie Ursachen. Geben Sie sowohl häufige als auch seltene Ursachen an

  • Infektiöse Genese – Exsudate: bronchopulmonale Infekte, Pneumonie, Tuberkulose

  • Maligner Erguss in Verbindung mit einer Pleurakarzinose – Exsudate

  • Kardiozirkulatorisch – Transsudat durch Stauung: dekompensierte Herzinsuffizienz, Lungenarterienembolie

  • Reduzierter kolloidosmotischer Druck – Transsudat: Leberzirrhose, nephrotisches Syndrom, Urämie

  • Seltene Ursachen s. vollständige Aufstellung in Tab. 1

Tab. 1 Differenzialdiagnosen des Pleuraergusses. Einteilung nach transsudativen und exsudativen Ergüssen und Häufigkeit des Vorkommens. (Mod. nach [1, 6, 9])

Merke.

Faustregel zur Ätiologie von Pleuraergüssen: 1/3 dekompensierte Herzinsuffizienz, 1/3 infektiös, 1/3 maligne. Die häufigste Ursache von Pleuraergüssen unter dem 40. Lebensjahr ist die Tuberkulose (weltweit).

Merke.

Infolge einer Lungenembolie kann Transsudat oder Exsudat entstehen. Die Lungenembolie ist die häufigste übersehene Differenzialdiagnose.

Merke.

Die häufigste Beschwerde ist Dyspnoe, die nicht mit dem Ausmaß des Ergusses korreliert.

Erklären Sie den Unterschied zwischen Transsudat und Exsudat. Wie kann diagnostisch differenziert werden?

  • Transsudat: systemische Faktoren von Bildung und Resorption der Pleuraflüssigkeit in einem Missverhältnis verändert, z. B. Stauung (erhöhter hydrostatischer Druck), Proteinmangel (reduzierter kolloidosmotischer Druck)

  • Exsudat: lokale Faktoren von Bildung und Resorption der Pleuraflüssigkeit in einem Missverhältnis verändert, z. B. erhöhte Gefäßpermeabilität im Rahmen von Entzündungen (infektiös, steril) oder malignen Prozessen

  • Die Light-Kriterien ermöglichen eine Differenzierung (Tab. 2).

Tab. 2 Light-Kriterien. (Mod. nach [5])

Sie entscheiden sich für eine Punktion. Bitte beschreiben Sie kurz das Vorgehen und die von Ihnen angeforderte Diagnostik

  • Indikationsstellung: diagnostische Punktion bei unklarem Erguss, V. a. malignen Erguss, V. a. parapneumonischen Erguss. Therapeutische Punktion bei Dyspnoe, (Schmerzen), bei refraktärer diuretischer Therapie

  • Kontraindikation: Gerinnungsstörung, Fibrinolyse, unkooperativer Patient, simultane beidseitige Punktion, Thrombozyten < 50.000/µl, Quick-Wert < 50 %, aPTT > 50 s, Anti-Xa-Spiegel > 0,3 IE/ml

  • Ausführliche Patientenaufklärung, bei elektiver Punktion > 24 h vor Punktion, schriftliches Einverständnis des Patienten

  • Würdigen: Vormedikation, Labor

  • Ultraschallgestützte Punktion gegenüber Blindpunktion bevorzugen

  • Vorbereitung: Patientenlagerung, steriler Tisch mit Material

  • Ablauf: sonographisch unterstütztes Aufsuchen und Markieren der Punktionsstelle, Desinfektion, steriles Abdecken, Lokalanästhesie, Punktion mit Parazentesenadel (häufig wird ein peripherer Venenkatheter verwendet), ggf. mit aufgesetzter Spritze. Materialasservierung

Cave.

Alle Punktionen immer am Oberrand der unteren Rippe des jeweiligen Interkostalraums, da Gefäßnervenbündel am Unterrand der Rippe verlaufen

Cave.

Abhängig von Patientengröße und -konstitution sollten maximal 1,2–1,5 l einmal drainiert werden (Komplikation: Reexpansionsödem bei Thorakozentese eines größeren Volumens).

  • Abbruch der Punktion: Blutung, plötzliche Dyspnoe, Sättigungsabfall, Synkope, Schmerzexazerbation, Luftaspiration

  • Befunddokumentation (Ergussmorphologie, Komplikationen, Prozedere), Materialversand

  • Nachsorge: Verband, Auskultation, Sonographie (Resterguss? Pneumothorax?), Nachbeobachtung, ggf. Röntgenuntersuchung nach 4–24 h in Exspiration (Ausschluss Pneumothorax)

  • Materialentnahme:

    • LDH + Gesamteiweiß (Differenzierung: Transsudat, Exsudat), Zellzahl (Leukozyten, Erythrozyten), Hämoglobinwert, Glukose, ggf. Adenosin-Desaminase (V. a. Tuberkulose), ggf. Triglyzeride (V. a. Chylothorax), ggf. Lipase (V. a. Pankreatitis)

    • pH-Wert-Analyse (Differenzierung parapneumonischer Ergüsse, s. Tab. 3)

    • Ggf. 2 Blutkulturflaschen (mikrobiologische Erregerdiagnostik), ggf. spezifische Erregerdiagnostik (V. a. Mykobakteriose)

    • 20–50 ml zur zytologischen Beurteilung (Malignität?)

  • Diagnostischer Algorithmus s. Abb. 3

Tab. 3 Ergussdiagnostik Fallvariante 1
Abb. 3
figure 3

Diagnostischer Algorithmus. CT Computertomographie, LDH Laktat-Dehydrogenase. (Mod. nach [3])

Merke.

Pleuraergüsse bei dekompensierter Linksherzinsuffizienz sind häufig bilateral. Bei eindeutiger Diagnose und Fehlen von Fieber und thorakalen Schmerzen kann eine diuretische Therapie versucht werden. Sofern frustran, dann therapeutische und diagnostische Punktion

Bitte interpretieren Sie die zwei vorgelegten Befunde der laborchemischen Ergussdiagnostik. Sind Ihnen diese Befunde ausreichend oder benötigen Sie weitere Informationen? Interpretieren Sie ggf. weitere vorliegende Befunde

Fallvariante 1.

Siehe Tab. 3

  • Exsudat nach Light-Kriterien sowie pathologischer Ergussaspekt → weitere Diagnostik erforderlich (Tab. 4)

  • Diagnose eines Pleuraempyems, am ehesten infolge der stattgehabten Pneumonie, s. Tab. 5

Tab. 4 Ergussdiagnostik Fallvariante 1, weitere Befunde
Tab. 5 Einteilung parapneumonischer Ergüsse und des Pleuraempyems. (Mod. nach [2])

Fallvariante 2.

Siehe Tab. 6

  • Exsudat nach Light-Kriterien sowie pathologischer Ergussaspekt → weitere Diagnostik erforderlich (Tab. 7)

  • pH-Wert normal, Glukose grenzwertig, polymorphkernige Neutrophile gering erhöht, zellreicher Erguss

  • Zytologische Zusatzinformation: Nachweis maligner Zellen

  • Diagnose eines malignen Ergusses

  • Fallbezogen V. a. pleurale Metastasierung des Magenkarzinoms, weitere pathologische Diagnostik

Tab. 6 Ergussdiagnostik Fallvariante 2
Tab. 7 Weitere Diagnostik Fallvariante 2

Merke.

75 % aller malignen Ergüsse gehen auf drei Tumorarten zurück: Lungenkarzinom, Mammakarzinom, maligne Lymphome.

Skizzieren Sie bitte das weitere therapeutische Vorgehen in den beiden Fällen

Der Fall (Variante 1 Pleuraempyem).

Ziel: Infektsanierung, Verhinderung pleuraler Adhäsionen (Abkapselung, Verschwartung)

  • Pneumologisches Konsil

  • Systemisch: kalkulierte Breitbandantibiose, Berücksichtigung von Patienten- (Pneumonieart, Immunsuppression, Vorerkrankungen) und Standortfaktoren (Resistenzlage), Deeskalation auf resistenzgerechte Therapie

  • Lokal: Thoraxdrainage, regelmäßige Spülung der Pleurahöhle („ubi pus, ibi evacua“)

  • Adhäsionen: lokales Fibrinolytikum plus Desoxyribonuklease erwägen [7]

  • Ultima Ratio: Thoraxchirurgie, interventionelle oder operative Adhäsiolyse

Der Fall (Variante 2 maligner Erguss).

Ziele:

  • Diagnostik: Metastasierung oder Pleuramesotheliom

  • Onkologisches Konsil

  • Rezidivierende Ergüsse – Symptomkontrolle mit:

    • Pleurodese: Instillation von asbestfreiem Talkum oder Tetracyclin in den Pleuraspalt nach Ergussdrainage. Effekt: sterile Entzündung, Verklebung. Adäquate Schmerztherapie

    • Permanente getunnelte Thoraxdrainage zur intermittierenden (ambulanten) Ergussdrainage

Merke.

Pleurodese und Thoraxdrainage sind etwa gleich effektiv in der Symptomkontrolle. Thoraxdrainage – Vorteil: kürzere Hospitalisierung, Nachteil: Infektionsrisiko. Eine Pleurodese ist bei schnell nachlaufenden Ergüssen nicht empfehlenswert. Problematisch sind abgekapselte/septierte Ergüsse. [8]

Merke.

Bei metastasierten Erkrankungen soll früh ein palliativmedizinisches Erstgespräch erfolgen (siehe S3-Leitlinie Palliativmedizin).