Prüfungssimulation

Fallschilderung

Ihre 35-jährige chirurgische Kollegin der Nachbarstation berichtet Ihnen Ende Oktober erfreut von ihrer zweiten Schwangerschaft, aktuell in der 21. Schwangerschaftswoche. Ihr gehe es prächtig, sie frage sich aber, ob sie an der aktuellen Influenzaimpfaktion der Klinik teilnehmen soll. Sie mache sich Sorgen über mögliche Auswirkungen auf die Schwangerschaft oder Nebenwirkungen für das Baby. Bei ihr seien keine Erkrankungen bekannt, mit Ausnahme von Heuschnupfen auch keine Allergien. Bis auf die „Schwangerschaftsvitamine“ und Paracetamol bei Bedarf nehme sie keine Medikamente ein. In der Vergangenheit habe sie nach Impfungen gelegentlich Schmerzen an der Einstichstelle und nach der Grippeimpfung im Vorjahr auch über 1 bis 2 Tage eine erhöhte Temperatur bis 38 ºC gehabt. Vor 2 Jahren habe sie eine 4‑fach-Impfung gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis und Polio aber gut toleriert. Ihr 18-monatiger Sohn sei ebenfalls gesund. Bei ihrem 37-jährigen Bruder sei ein gut eingestelltes Krampfleiden bekannt.

Prüfungsfragen

  • Wie beraten Sie Ihre Kollegin bzgl. Indikationen oder Kontraindikationen für die Influenzaimpfung in ihrer Situation? Wenn Sie diese Impfung empfehlen, wann kann/sollte sie erfolgen?

  • Welche andere Impfung ist bzw. welche anderen Impfungen sind spezifisch während der Schwangerschaft indiziert, wann sollte(n) sie erfolgen?

  • Welche Aussagen bzw. Vorgaben zur Masern-Mumps-Röteln(MMR)-Impfung lassen sich aus dem Masernschutzgesetz für die Kollegin selbst und ihren 18-monatigen Sohn ableiten?

  • Besteht ein Zusammenhang zwischen MMR-Impfung und Autismusrisiko?

  • Ist die aktuelle Schwangerschaft der Mutter eine Kontraindikation für die Impfung des Sohns?

Antworten

Wie beraten Sie Ihre Kollegin bzgl. Indikationen oder Kontraindikationen für die Influenzaimpfung in ihrer Situation? Wenn Sie diese Impfung empfehlen, wann kann/sollte sie erfolgen?

Bei Ihrer Kollegin liegen die folgenden Indikationen für eine Influenzaimpfung vor:

  • Schwangerschaft: Frauen sind in der Schwangerschaft signifikant stärker gefährdet, aufgrund von Influenza stationär behandelt werden zu müssen. Eine Influenzainfektion stellt zusätzlich einen Risikofaktor für Komplikationen während der Schwangerschaft dar. Daher sollte jeder Schwangeren die saisonale Influenzaimpfung aktiv empfohlen werden (Tab. 1).

  • Für alle Beschäftigten im Gesundheitswesen besteht eine klare Indikation für die Influenzaimpfung, einerseits zum eigenen Schutz, andererseits zur Verhinderung nosokomialer Infektionen der von ihnen betreuten Patienten (Tab. 1).

  • Zur Reduktion des persönlichen Risikos einerseits und der Belastung des Gesundheitssystems andererseits ist die Influenzaimpfung im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie aktuell von besonderer Bedeutung.

Tab. 1 Ausgewählte Indikationen für die Influenzaimpfung. (Empfehlungen der Ständigen Impfkommission 2020/2021 [1])

Keine Kontraindikationen stellen dar (Tab. 2):

  • Schwangerschaft: Ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen oder Schädigung des Kindes besteht durch die Influenzaimpfung nicht.

  • Zustand nach (milder) lokaler oder systemischer Reaktion: Die geschilderten Symptome sind gut vereinbar mit erwartbaren, ungefährlichen Reaktionen nach Impfungen. Der prädiktive Wert früherer Nebenwirkungen in Bezug auf zukünftige Reaktionen ist sehr beschränkt. Allenfalls schwere Komplikationen nach Impfungen sind mögliche Kontraindikationen für weitere Dosen derselben Vakzine.

  • Krampfleiden in der Familie sind keine Kontraindikation für Impfungen, auch nicht bei Kindern.

  • Genauso wenig wäre z. B. ein akuter, selbst mild fieberhafter Infekt eine Kontraindikation.

  • Weitere Beispiele von oft fälschlicherweise als Kontraindikation betrachteten Umständen finden sich in den jeweils aktuellen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI; [1]; Tab. 2).

Tab. 2 Beispiele von Situationen, die keine Kontraindikation für eine Impfung darstellen. (Empfehlungen der Ständigen Impfkommission 2020/2021 [1])

Damit ergibt sich im Fall Ihrer Kollegin ganz klar die Empfehlung für die Influenzaimpfung. Die STIKO empfiehlt die Influenzaimpfung „im Herbst“, damit zum Beginn der Grippewelle (meist im Dezember) der Impfschutz bereits besteht. Da sie bei Schwangeren ab dem zweiten Trimenon ohne Einschränkung erfolgen kann, ist sie also ab sofort möglich. Das Abwarten bis zum zweiten Trimenon wird v. a. empfohlen, um die Fehldeutung einer zeitlichen Assoziation der Impfung mit im ersten Trimenon generell häufigen Schwangerschaftskomplikationen als kausal zu vermeiden.

Merke.

Kontraindikationen für Impfungen und insbesondere die Influenzaimpfung liegen extrem selten vor.

Welche andere Impfung ist bzw. welche anderen Impfungen sind spezifisch während der Schwangerschaft indiziert, wann sollte(n) sie erfolgen?

  • Seit 2020 empfiehlt die STIKO die zusätzliche Gabe einer Dosis (azelluläre) Pertussisvakzine (als Tdap-Impfung in Kombination mit Tetanus- und Diphtherieimpfstoff, da ein Einzelimpfstoff nicht verfügbar ist) in jeder Schwangerschaft unabhängig vom Zeitabstand der letzten Dosis. So wird durch die transplazentare Übertragung von Pertussisantikörpern eine passive Immunisierung erreicht, die das Ziel der „Reduktion von Erkrankungen, Hospitalisierungen und Todesfällen durch Erkrankungen mit Bordetella pertussis bei Neugeborenen und jungen Säuglingen“ hat [2]. Die aktive Immunisierung (üblicherweise mit einem 6‑fach-Impfstoff) beginnt dann ab dem zweiten Lebensmonat.

  • Der ideale Zeitpunkt für diese Schwangerenimpfung ist zu Beginn des dritten Trimenons. Bei drohender Frühgeburtlichkeit kann die Impfung aber auch im zweiten Trimenon gegeben werden. Sie sollte spätestens 2, besser 4 Wochen vor Geburt erfolgen. Ein relevantes Sicherheitsrisiko durch diese Impfung ist nicht erkennbar, mit gelegentlichem Fieber kann gerechnet werden. Ein gering, aber statistisch signifikant erhöhtes Risiko für ein Amnioninfektionssyndrom ist nicht mit Komplikationen in der Schwangerschaft oder für das Neugeborene assoziiert.

Merke.

In jeder Schwangerschaft soll zu Beginn des dritten Trimenons eine Pertussisimpfung (als Tdap-Impfung) erfolgen. Außerdem stellt eine Schwangerschaft eine klare Indikation für die Influenzaimpfung dar.

  • Aufgrund der guten Erfahrung Ihrer kompetenten Beratung (und der gut tolerierten Influenzaimpfung) spricht die Kollegin Sie eine Woche später erneut an. Bei ihrem Sohn stehe jetzt die zweite MMR-Impfung an, allerdings sei sie durch Diskussionen der Eltern in der Kindertagesstätte verunsichert worden, da gerade die MMR-Impfung mit einem erhöhten Risiko für Autismus in Zusammenhang gebracht werde. Auf der anderen Seite sei aber doch seit 2020 das Masernschutzgesetz in Kraft, das zur MMR-Impfung zwinge.

Welche Aussagen bzw. Vorgaben zur Masern-Mumps-Röteln-Impfung lassen sich aus dem Masernschutzgesetz für die Kollegin selbst und ihren 18-monatigen Sohn ableiten?

Das im März 2020 in Kraft getretene „Masernschutzgesetz“ [3] legt u. a. Folgendes fest:

  • Alle Beschäftigten (ab Jahrgang 1971) in (u. a.) Einrichtungen des Gesundheitswesens müssen einen (nach STIKO-Definition) ausreichenden Impfschutz oder Immunität bzgl. Masern nachweisen können. Das bedeutet üblicherweise die Dokumentation der Gabe von mindestens 2 Dosen MMR-Impfstoff, alternativ ist auch eine serologische Untersuchung mit einem ausreichend hohen Anti-Masern-Titer möglich.

  • Alle Beschäftigten (ab Jahrgang 1971) und betreuten Kinder in (u. a.) Kindertagesstätten und Schulen müssen ebenfalls einen ausreichenden Impfschutz oder Immunität bzgl. Masern nachweisen können. Das bedeutet spätestens ab dem Alter von 15 Monaten 1 Dosis, ab dem Alter von 24 Monaten dann 2 Dosen MMR-Impfstoff. Auch hier kann ersatzweise die Dokumentation eines ausreichend hohen Anti-Masern-Titer vorgelegt werden.

  • Verantwortlich sind die Leiter der jeweiligen Einrichtung. Bei fehlendem Nachweis des (Impf‑)Schutzes kann ein Besuchs- bzw. Tätigkeitsverbot verhängt werden, auch Bußgelder bis 2500 € sind möglich.

Merke.

Für Erwachsene ab Jahrgang 1971 ist (u. a.) im Gesundheitswesen die dokumentierte Gabe von 2 Dosen MMR-Impfstoff sowohl beruflich indiziert als auch vom Masernschutzgesetz für entsprechende Einrichtungen gefordert.

Cave.

Die ersatzweise Dokumentation eines Masernantikörpertiters ist zwar vom Masernschutzgesetz vorgesehen, die Korrelation der Titerhöhe mit einer klinischen Schutzwirkung ist aber unsicher.

Besteht ein Zusammenhang zwischen Masern-Mumps-Röteln-Impfung und Autismusrisiko?

  • Die Publikation, die ein erhöhtes Risiko für Autismus durch die MMR-Impfung 1998 erstmals beschrieb [4], wurde bald zurückgezogen, der Erstautor wegen Wissenschaftsbetrug schließlich 2010 mit einem Berufsverbot belegt.

  • Zahlreiche weitere Studien widerlegen inzwischen die Hypothese eines solchen Zusammenhangs, eher lässt sich sogar eine protektive Wirkung der MMR-Impfung bzgl. der Entwicklung von Autismus-Spektrum-Störungen vermuten [5].

  • Auch bzgl. anderer Impfungen existieren keine seriösen Belege für eine Erhöhung des Risikos von Autismus.

Ist die aktuelle Schwangerschaft der Mutter eine Kontraindikation für die Impfung des Sohns?

  • Nein (Tab. 2)