FormalPara Originalliteratur

Ackermann M, Verleden ST, Kuehnel M et al (2020) Pulmonary vascular endothelialitis, thrombosis, and angiogenesis in Covid-19. N Engl J Med 383:120–128. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2015432

Primäre Todesursache der im Dezember 2019 erstmals beschriebenen Infektion mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) ist das progressive Lungenversagen. Über die pathophysiologischen Ursachen der Coronavirus-disease-2019(COVID-19)-Infektion ist bislang wenig bekannt, was eine zielgerichtete Therapie erschwert. Morphologische und molekulare Veränderungen der Lungen von COVID-19-Patienten sind weitgehend unbekannt. Pulmonale Fibrinthromben wurden berichtet, aber nicht systematisch untersucht. Auch wurden erhöhte D‑Dimer-Werte und mikroangiopathische Veränderungen der Haut beschrieben, was Hinweis auf eine entzündliche vaskuläre Genese ist.

Ziel der im Folgenden vorgestellten Studie war es, die morphologischen und molekularen Veränderungen der Lungen von verstorbenen COVID-19-Patienten im Vergleich zu anderen autopsierten Lungen zu eruieren.

Zusammenfassung der Studie

Studiendesign

Kontrollierte (Todesursache COVID-19 vs. Influenza A vs. nichtpulmonal) Untersuchung an 7 vs. 7 vs. 10 Lungenautopsien mit Mikrocomputertomographie (Mikro-CT), histopathologischen und immunhistochemischen Untersuchungen, Transmissions- und Elektronenmikroskopie sowie Multiplexgenanalyse.

Methodik

Die Lungen von 7 verstorbenen COVID-19-Patienten, die während der Autopsie erhalten worden waren, wurden analysiert und mit 7 Lungen von im Jahr 2009 aufgrund eines „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) im Rahmen einer Influenza-A(H1N1)-Infektion Verstorbenen sowie 10 Spenderlungen, die nicht abgerufen worden waren, verglichen. Hierbei wurde auf eine bestmögliche Übereinstimmung von Alter, Geschlecht und Krankheitsschwere vor dem Tod geachtet.

Ergebnisse

Es wurden 2 Lungen von Frauen (Durchschnittsalter 68,2 ± 9,2 Jahre) und 5 Lungen von Männern (Durchschnittsalter 80,0 ± 11,5 Jahre) mit COVID-19 untersucht. Die Kontrolllungen wurden bestmöglich gematcht: 2 weibliche (Durchschnittsalter 62,5 ± 4,9 Jahre) und 5 männliche Lungen (Durchschnittsalter 55,4 ± 10,9 Jahre) von Influenzapatienten sowie 10 Spenderlungen: 5 weibliche (Durchschnittsalter 68,2 ± 6,9 Jahre) und 5 männliche Lungen (Durchschnittsalter 79,2 ± 3,3 Jahre). Das Gewicht der Lungen der Influenzapatienten (2404 ± 560 g) war signifikant höher als das der COVID-19-Patienten (1681 ± 49 g) und dieses wiederum signifikant höher als das der Spenderpatienten (1045 ± 91 g).

Sowohl bei den Patienten, die an einem COVID-19-assoziierten Lungenversagen verstorben waren, als auch bei den Patienten, bei denen die Todesursache ein influenzaassoziiertes Lungenversagen war, wurde eine diffuse alveoläre Schädigung mit perivaskulären T‑Zell-Infiltraten in der Lungenperipherie histologisch nachgewiesen: Die COVID-19-Lungen zeigten diffuse, nekrotische Alveolarschäden, eine Typ-2-Pneumozyten-Hyperplasie sowie lineare intraalveoläre Fibrinablagerungen. Die immunhistochemischen Untersuchungen zeigten bei den COVID-19- und Influenzalungen eine erhöhte Angiotensin-converting-enzyme-2-Expression in Alveolar- und Kapillarendothelzellen sowie im perivaskulären Gewebe und den Alveolen verglichen mit den Spenderlungen. Perikapillär wurde eine vergleichbare Anzahl von CD3-positiven T‑Zellen bei COVID-19- und Influenzalungen detektiert, während bei den COVID-19-Lungen CD4-positive T‑Zellen häufiger und CD8-positive T‑Zellen sowie Neutrophile seltener gezeigt wurden. Die Multiplexanalyse der entzündungsbedingten Genexpression von 249 Genen zeigte bei 79 Genen ein COVID-19-spezifisches, bei 2 Genen ein influenzaspezifisches und bei 7 Genen ein vergleichbares Expressionsmuster.

Die histologische Untersuchung der Lungengefäße zeigte bei 4 der 7 COVID-19-Lungen und bei 4 der 7 Influenzalungen präkapilläre Thromben ohne vollständige Lumenobstruktion. Fibrinthromben der Alveolarkapillaren konnten in allen Lungen beider Gruppen gezeigt werden. Alveoläre Mikrothromben waren in den COVID-19-Lungen 9‑mal häufiger zu finden (p < 0,001), während postkapilläre Thromben in den Venolen seltener waren als in den Influenzalungen. Die histologischen Ergebnisse wurden durch 3‑dimensionale Mikro-CT-Untersuchungen unterstützt, die einen nahezu vollständigen Verschluss der prä- und postkapillären Gefäße sowohl der COVID-19- als auch der Influenzalungen zeigten.

Elektronenmikroskopisch konnten bei den COVID-19-Lungen strukturelle Kapillardeformitäten, Kalibersprünge, Gefäßelongationen sowie Merkmale intussuszeptiver Angiogenese gezeigt werden. Mittels Transmissionselektronenmikroskopie konnten Endothelschäden sowie intrazellulär und extrazellulär SARS-CoV‑2 nachgewiesen werden. Signifikant (2,7-mal) häufiger als bei den Influenza- und Spenderlungen waren intussuszeptive angiogene Merkmale sowie Merkmale der konventionellen Keimangiogenese in den COVID-19-Lungen (p < 0,001). In Relation zur Krankenhausverweildauer nahm der Grad der intussuszeptiven Angiogenese signifikant zu, verglichen mit den Influenzalungen. Die Multiplexanalyse der angiogeneseassoziierten Expression von 323 Genen zeigte bei 69 Genen ein COVID-19-spezifisches, bei 26 Genen ein influenzaspezifisches und bei 45 Genen ein vergleichbares Expressionsmuster.

Take home message

Zusammengefasst konnten Ackermann et al. zeigen, dass in der Pathogenese der „coronavirus disease 2019“ (COVID-19) charakteristische vaskuläre Komponenten (Endothelitis, Thromboseneigung und intussuszeptive Angiogenese) eine zentrale Rolle einnehmen und die langwierigen und besonderen Verläufe des sekundären „acute respiratory distress syndrome“ bei COVID-19 erklären könnten. Um aus diesen Erkenntnissen neue Therapieansätzen zu entwickeln, bedarf es weiterführender Untersuchungen der klinischen Implikation.

Kommentar

Seit Beginn der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus im Dezember 2019 (SARS-CoV-2) konnte die klinische Wirksamkeit zweier Medikamente in der Therapie von COVID-19 nachgewiesen werden: Remdesivir [1] und Dexamethason [2]. Nichtsdestoweniger stellen insbesondere schwere COVID-19-Verläufe mit Entwicklung eines ARDS nach wie vor eine besondere Belastung für die Gesundheitssysteme dar.

Um die Entdeckung neuer, zielgerichteter Therapien voranzutreiben, ist das genaue Verständnis der Pathogenese und möglicher Schlüsselschritte essenziell. Aus diesem Grund wurden in der hier vorgestellten Arbeit die morphologischen und molekularen Veränderungen der Lungenautopsien von 7 COVID-19-Patienten, 7 Patienten mit sekundärem ARDS bei Influenzainfektion und 10 pulmonal gesunden Kontrollen untersucht.

Wie bereits bei anderen viralen Pneumonien mit ARDS beschrieben [3], konnte gezeigt werden, dass auch die Lungen von Patienten mit COVID-19 eine diffuse alveoläre Schädigung mit Infiltration perivaskulärer Lymphozyten aufweisen. Allerdings konnten Ackermann et al. in den Lungen von COVID-19-Patienten drei vor allem die Gefäße betreffende charakteristische Störungen nachweisen, die in den Lungen der Patienten mit Influenza zu vernachlässigen waren:

  • Schwere Endothelschädigung mit einhergehendem intrazellulärem Nachweis von SARS-CoV‑2 (Endothelitis)

  • Ausgedehnte Gefäßthrombosen mit Mikroangiopathie und Verschluss der alveolären Kapillaren

  • Vermehrte intussuszeptive Gefäßneubildungen

Es ist zu vermuten, dass die ausgeprägte Endothelitis mit einhergehender Störung des Blutflusses und mikrovaskulärer Thromboseneigung zu einer vermehrten intussuszeptiven Gefäßneubildung führt, die mit Dauer des stationären Aufenthalts zunimmt. Diese charakteristischen angiozentrischen Störungen könnten sowohl das vermehrte Vorkommen arterieller Thromben [4] als auch die abweichenden, langwierigen Verläufe des sekundären ARDS im Rahmen einer COVID-19-Infektion [5] – insbesondere ausgeprägte Hypoxämien trotz guter Lungencompliance – erklären.

Es ist zu betonen, dass lediglich 7 Lungen von Patienten mit COVID-19 bzw. Influenza untersucht wurden, die statische Momentaufnahmen darstellen. Außerdem wurden die 7 Patienten mit COVID-19 zu Lebzeiten nicht mechanisch beatmet, während 5 der 7 Patienten mit Influenza unterstützend beatmet wurden, was die Auswertung beeinflusst haben könnte.

Zusammengefasst konnten Ackermann et al. zeigen, dass charakteristische vaskuläre Komponenten (Endothelitis, Thromboseneigung und intussuszeptive Angiogenese) in der Pathogenese der COVID-19 eine zentrale Rolle einnehmen und die langwierigen und besonderen Verläufe des sekundären ARDS bei COVID-19 erklären könnten. Um aus diesen Erkenntnissen neue Therapieansätze entwickeln zu können, bedarf es weiterführender Untersuchungen der klinischen Implikation.