Die Verbesserung der Patientensicherheit ist sowohl im ambulanten als auch im klinischen Bereich eine stete Herausforderung und von großer Bedeutung. Die Anzahl der Vorwürfe von Behandlungsfehlern im Gesundheitswesen variiert sehr stark in Abhängigkeit von der Facharztgruppe. Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) hat eine Liste von Behandlungsfehlermeldungen nach einer Begutachtung des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung (MDK) aus dem Jahr 2018 veröffentlicht [1]. Ganz oben auf dieser Liste stehen die Orthopäden und Unfallchirurgen, denen 2018 insgesamt 4349 Behandlungsfehler vorgeworfen wurden, von denen sich allerdings nach Angaben des MDK nur 1164 bestätigen ließen. An zweiter Stelle stehen die Kollegen der Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit 1231 vorgeworfenen und 336 bestätigten Behandlungsfehlern, gefolgt von der Zahnmedizin mit 943 vorgeworfenen und 358 bestätigten Fällen. Die Innere Medizin (ohne Schwerpunkt) hat 792 vorgeworfene und 155 bestätigte Behandlungsfehler aufzuweisen [2].

Im Jahr 2018 wurden der Inneren Medizin deutschlandweit 155 bestätigte Behandlungsfehler zugeschrieben

Unabhängig von der Qualität dieser Daten sind es doch erschreckende Zahlen, hinter denen sich häufig tragische menschliche Schicksale verbergen. Zudem muss man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS) sowie der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) haben vor Kurzem sieben konkrete Forderungen aufgestellt mit dem Ziel, eine Verbesserung der Patientensicherheit zu erreichen [3]. Die Forderungen dieses Bündnisses lauten:

  1. 1.

    Verantwortliche für Patientensicherheit einsetzen

  2. 2.

    Hygiene in Krankenhäusern weiter verbessern

  3. 3.

    Verpflichtende Teilnahme an einem Fehlermeldesystem

  4. 4.

    Verbindlich zu führendes Implantatregister

  5. 5.

    Patientensicherheit bereits in der Aus- und Weiterbildung thematisieren

  6. 6.

    Patienten und Angehörige als aktive Partner einbinden

  7. 7.

    Regelmäßig Patienten- und Angehörigenbefragungen durchführen

Mit welchen Maßnahmen auch immer, unser Ziel muss sein, die Sicherheit der uns anvertrauten Patienten weiter zu verbessern und alles Menschenmögliche dafür zu tun, dass wir niemanden durch unser Handeln (oder Nichthandeln) gefährden.

Mit dieser Ausgabe von Der Internist versuchen wir einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, wobei wir als achten Punkt die Nutzung modernster Technologien zur Verbesserung der Patientensicherheit einfügen würden. Diesen Punkt decken die Beiträge der Autoren um T. Kaiser aus Leipzig und von T. Müller aus Marburg bzw. Bad Neustadt ab. Dort werden innovative technologische Verfahren vorgestellt, mit denen perspektivisch eine Verbesserung der Patientensicherheit erreicht werden soll. Prof. Kaiser fokussiert sich dabei auf die Bedeutung der Erhebung und Übermittlung von Labordaten anhand des in Leipzig entwickelten AMPEL-Systems (Analyse- und Meldesystem zur Verbesserung der Patientensicherheit durch Echtzeitintegration von Laborbefunden). Dr. Müller beschreibt als Informatiker und Mediziner die neuesten Entwicklungen im Bereich von Informationstechnologiesystemen, die als Ziel eine Verbesserung der Patientensicherheit auf unterschiedlichen Ebenen haben. Hier trifft der Satz von R. Hecker, Vorsitzende des APS und Mitautorin dieses Schwerpunkts, zu: „Wir brauchen Sicherheitskultur auf allen Ebenen, indem sich eben alle für Patientensicherheit stark machen, jeder auf seinem Platz“ [4].

Sehr seltene Nebenwirkungen müssen auf Basis von Krankenkassendaten erforscht werden dürfen

Aus unserer Sicht könnte eine sinnvolle wissenschaftliche Nutzung der bereits heute verfügbaren Daten im Sinne des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) zu einer Verbesserung der Patientensicherheit führen, wie die Beispiele aus neuerer Zeit zeigen. Gerade sehr seltene, aber zum Teil doch gravierende Nebenwirkungen, die nicht durch Zulassungsstudien erfasst werden können, müssen mithilfe von Big-Data-Auswertungen der Krankenkassendaten erforscht werden dürfen. Dann könnte man solche seltenen Nebenwirkungen – wie das Auftreten von Aortenaneurysmen oder Aortendissektionen nach Einnahme von Fluorchinolonen – wesentlich früher erkennen. Aber so wurde erst am 26. Oktober 2018 in einem Rote-Hand-Brief auf obiges Risiko hingewiesen [5]. Mehr noch, wegen zum Teil irreversibler Schädigungen am Nervensystem und Bewegungsapparat wurde am 8. April 2019 die systemische Anwendung von Fluorchinolonen stark eingeschränkt [6]. Und dies alles, nachdem Fluorchinolone schon seit etwa 40 Jahren auf dem deutschen Markt sind. Hier muss ein sinnvoller Kompromiss zwischen Daten- und Patientenschutz gefunden werden – es darf aber nicht sein, dass wir die Patientensicherheit auf dem Altar eines fraglichen Datenschutzes opfern und so Tag für Tag das Leben unserer Patienten aufs Spiel setzen. Hier gilt es, tragfähige Kompromisse zu finden, bei denen die berechtigten Interessen der Patienten im Hinblick auf Sicherheit wie auch Datenschutz gewahrt werden.

Der Beitrag von E. Opitz et al. befasst sich mit dem Thema Patientensicherheit in der studentischen Lehre. Es freut uns, dass hier ein Curriculum beschrieben wird, für das Dr. Opitz und seine Arbeitsgruppe im Jahr 2019 mit dem Hessischen Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre ausgezeichnet wurden.

Selten haben wir die Ehre, einen renommierten Chirurgen in unserer Zeitschrift als Autor präsentieren zu können. Daher freut es uns, dass wir mit M. Rothmund – von 1987 bis 2008 Ordinarius der Klinik für Visceral‑, Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Marburg – einen der Vorreiter in der Verbesserung der Patientensicherheit im Bereich der Chirurgie gewinnen konnten. Prof. Rothmund hat wie kein anderer die Patientensicherheit bereits in seiner aktiven Dienstzeit thematisiert. Er hat auch einen Leitspruch neben der Tür seines Büros anbringen lassen, der dem Chirurgen Prof. Dr. Ferdinand Sauerbruch (*03.07.1875, †02.07.1951), von 1907 bis 1910 auch Oberarzt in Marburg, zugeschrieben wird. Es spricht für den Nachfolger im Amt, aber auch für die Zeitlosigkeit und Sinnhaftigkeit der Aussage, dass dieser Spruch, der bereits Generationen von Medizinstudierenden zu denken gab, immer noch dort hängt. Dort steht: „Dem Chirurgen wird ein schlechter Ausgang im höheren Sinn zur persönlichen Schuld. Tragbar wird diese Belastung durch Gewissenhaftigkeit in der Indikationsstellung, Beherrschung der Technik und ein berechtigtes Selbstbewusstsein. Seine sicherste Stütze aber ist die Wahrhaftigkeit. Der Chirurg, der deutelt, Fehlschläge zu entschuldigen sucht, verstößt gegen das vornehmste Gesetz seiner Zunft.“

Die Ursache von Fehlschlägen muss ganz im Sinne von Ferdinand Sauerbruch offen aufgeklärt werden

Unser Bemühen, Schuld zu verhindern, fängt bereits vor Stellung der Indikation an. Hier sind strukturelle Maßnahmen ebenso wichtig wie die sichere Durchführung von – auch im internistischen Bereich – immer invasiver werdenden Verfahren. Was aber unverändert ganz im Sinne von Sauerbruch gilt, ist die Forderung, die Ursache von Fehlschlägen offen aufzuklären und alles daran zu setzen, dass sich Fehler nicht mehr wiederholen. Auf die Komplexität und Vielschichtigkeit einer adäquaten Fehlerkultur weisen auch M. Schrappe von der Universität Köln und seine Koautoren hin. Prof. Schrappe ist eine der herausragenden Persönlichkeiten, die sich seit jeher um Patientensicherheitsaspekte kümmern, und Autor des „Weißbuchs Patientensicherheit“ [7].

Wir sind froh und dankbar, dass alle von uns angesprochenen Autoren diesem Projekt, ohne zu zögern, zugestimmt haben, und wünschen Ihnen eine spannende, unterhaltsame, aber vor allem auch erhellende Lektüre dieses Schwerpunkts.

figure c

J.R. Schäfer

figure d

H. Haller