Bei Omega-3-Fettsäuren kann man daher exemplarisch betrachten, was es bedeutet, ohne hinreichende Kenntnis von wichtigen Aspekten der untersuchten Substanzen wie Ausgangsspiegeln oder Bioverfügbarkeit große Interventionsstudien zu beginnen [36]. Weder Cochrane-Analysen noch Regulierungsbehörden berücksichtigen allerdings die hier diskutierten Mängel in Studiendesign und -durchführung. Daraus ergeben sich dann Stellungnahmen wie „Erhöhter Verzehr von Omega-3-Fettsäuren laut Cochrane weitgehend nutzlos.“ oder von der European Medical Agency: „Omega‑3 fatty acid medicines no longer considered effective in preventing heart disease“ (Deutsches Ärzteblatt 31.07.2018 [11], European Medical Agency 01.02.2019, deutsche Übersetzung: „Omega-3-Fettsäure-Präparate gelten nicht länger als wirksam in der Prävention von Herzerkrankungen“). Es ist fraglich, ob Methoden und Behörden, die für Pharmaka geschaffen wurden, für Substanzen, ohne die kein Mensch lebt, überhaupt adäquat sind. Die wesentlichen kardiologischen Fachgesellschaften – American Heart Association und European Society of Cardiology – empfehlen Omega-3-Fettsäuren durchaus zur Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen bzw. zur kardiovaskulären Prävention [3, 31]. Im Gegensatz zu Metaanalysen oder Statements von Regulierungsbehörden entstehen Leitlinien eher unter Mitarbeit von Experten zum jeweiligen Thema, die nicht nur die Ergebnisse von Interventionsstudien mit klinischen Endpunkten und ihre Metaanalysen bewerten, sondern die Gesamtheit der wissenschaftlichen Evidenz.
Im Folgenden wird der gegenwärtige Stand der Forschung zu einigen wesentlichen Wirkungen von EPA und DHA kurz referiert.
Herz
Kardiovaskuläre Prävention
Epidemiologisch zeigte sich in der Framingham-Studie, der Ludwigshafen Risk and Cardiovascular Health Study (LURIC) und anderen wesentlichen epidemiologischen Studien, dass höhere Spiegel von EPA und DHA in Erythrozyten mit einer niedrigeren Gesamtmortalität, einem selteneren plötzlichen Herztod sowie weniger tödlichen und nichttödlichen Myokardinfarkten, Schlaganfällen und anderen kardiovaskulären Erkrankungen einhergehen (z. B. [18, 21]). Ähnliche Ergebnisse fanden sich in anderen Fettsäurekompartments [8].
Ein niedriger Omega-3-Index korreliert mit einem erhöhten Blutdruck [14]. Eine Erhöhung des Omega-3-Index senkt den Blutdruck und die Herzfrequenz, Triglyzeride und zahlreiche Biomarker der Inflammation, erhöht die Herzfrequenzvariabilität und verbessert die Endothelfunktion; das heißt, mehrere Surrogatparameter bzw. Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen werden verbessert [2, 36]. Auch Intermediärparameter, wie Regression und Progression koronarer Läsionen, oder Parameter der linksventrikulären Struktur und Funktion werden so positiv beeinflusst [19, 36].
Wie oben diskutiert, waren Ergebnisse großer Interventionsstudien mit klinischen Endpunkten positiv, wenn bei Studiendesign bzw. -durchführung die oben diskutierten methodischen Mängel (eher zufällig) vermieden wurden. Wie erwähnt, unterstützen die Leitlinien der wesentlichen kardiologischen Fachgesellschaften den Einsatz der Omega-3-Fettsäuren in der kardiovaskulären Prävention bzw. der sekundären Prävention [3, 31].
Herzinsuffizienz
Herzinsuffizienz mit eingeschränkter systolischer Funktion.
Niedrige Spiegel von EPA+DHA gehen der Entwicklung einer Herzinsuffizienz mit eingeschränkter systolischer Funktion („heart failure with reduced ejection fraction“ [HFrEF]) voraus [6]. Patienten mit Herzinsuffizienz haben sehr niedrige Spiegel [6]. Neben den gerade genannten Besserungen von Surrogat- und Intermediärparametern weiß man aus mechanistischen Interventionsstudien, dass durch EPA+DHA Parameter der linksventrikulären Funktion wie Auswurffraktion, „fractional shortening“ sowie enddiastolisches und endsystolisches Volumen gebessert werden, was sich in einer verbesserten körperlichen Leistung, beispielsweise gemessen als maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max), bemerkbar macht [38]. Strukturelle Parameter des linken Ventrikels, wie die in der Magnetresonanztomographie erfasste Fibrose oder Infarktgröße, wurden ebenfalls verbessert, und zwar in Abhängigkeit vom Omega-3-Index [19]. In einer großen Interventionsstudie mit klinischen Endpunkten wurde – aus oben diskutierten Gründen – der Zielbereich für den Omega-3-Index nicht erreicht, aber Gesamtmortalität und Rehospitalisierungen vermindert [6].
Entsprechend empfehlen die Leitlinien der wesentlichen kardiologischen Fachgesellschaften Omega-3-Fettsäuren bei Herzinsuffizienz zusätzlich zur anderweitigen Therapie [33]. Dosierungen werden kaum noch genannt, weshalb eine individuell dosierte Gabe von EPA+DHA mit dem Ziel eines Omega-3-Index von 8 bis 11 % sinnvoll erscheint.
Herzinsuffizienz mit erhaltener systolischer Funktion.
Bei Herzinsuffizienz mit erhaltener systolischer Funktion („heart failure with preserved ejection fraction“ [HFpEF]) ist die Datenlage zu EPA+DHA noch unklar. Der Einsatz wird von den genannten Leitlinien nicht unterstützt.
Vorhofflimmern
Bei Vorhofflimmern ist die Datenlage hinsichtlich Epidemiologie, Wirkmechanismen und klinischen Studien zur Prävention und Behandlung unklar.
Blutdruck
Fraglos senken EPA und DHA auch den Blutdruck, wie in mehreren Metaanalysen von entsprechenden Interventionsstudien nachgewiesen wurde (z. B. [2]). Dies bedeutet, zusammen mit aktuellen epidemiologischen Daten, dass niedrige Spiegel von EPA+DHA in Erythrozyten eine Ursache von erhöhten Blutdruckwerten sein können [14]. In den Leitlinien der European Society of Cardiology und European Society of Hypertension zur Hochdrucktherapie hingegen wird ohne wissenschaftliche Evidenz Olivenöl, nicht EPA+DHA, als blutdrucksenkend empfohlen [13]. Olivenöl ist reich an Ölsäure. Vor dem Hintergrund, dass Ölsäurespiegel in Erythrozyten den Konsum von Olivenöl reflektieren und höhere Spiegel von Ölsäure mit einer kürzeren Lebenserwartung assoziiert sind als niedrigere Spiegel, ist diese Empfehlung unverständlich [10].
Lipide
EPA und DHA senken dosisabhängig Triglyzeride [2, 36]. Für diese Indikation gibt es ein zugelassenes und erstattungsfähiges Konzentrat, das in Abhängigkeit vom Effekt in einer Dosis von bis zu 3,6 g/Tag (4 Kapseln) verordnet werden kann. Triglyzeride werden gleichermaßen von EPA als auch von DHA gesenkt. Metaanalysen zeigen, dass die pflanzliche α‑Linolensäure unwirksam und eine Ernährungsumstellung Supplementen deutlich unterlegen ist [24]. Aktuelle Leitlinien empfehlen EPA+DHA zusätzlich zur Gabe eines Statins [12].
Bei Personen mit Diabetes senken EPA und DHA das LDL-Cholesterin, während bei Personen ohne Diabetes LDL gering steigt [30, 36]. Dies erklärt sich durch Wirkungen auf LDL-Subklassen. EPA und DHA senken Small-dense-LDL, das bei Personen mit Diabetes den wesentlichen Teil ausmacht, und heben Large-bouyant-LDL an, was in Summe zu einem LDL-Anstieg bei Personen ohne Diabetes führt [36].
Nichtalkoholische Fettleber
Laut einer aktuellen Metaanalyse senken EPA und DHA bei nichtalkoholischer Fettleber Leberfett und Leberenzyme, was die Ergebnisse früherer kleinerer Metaanalysen relativiert [45]. Wenn gemessen, korrelierte der Effekt mit dem Einbau von EPA+DHA in die Erythrozyten [41]. Trotzdem wird in einer aktuellen Leitlinie der Einsatz von EPA+DHA zur Behandlung der nichtalkoholischen Fettleber abgelehnt [32].
Gehirn
Hirnstruktur und Kognition
Wie erwähnt, ist DHA die wesentliche Strukturfettsäure des menschlichen Gehirns und muss für dessen Aufbau und Unterhalt stets verfügbar sein. Zudem modulieren EPA und DHA die Durchblutung und inflammatorische Vorgänge positiv. Epidemiologisch gehen höhere Spiegel von EPA+DHA in Erythrozyten in jedem bisher untersuchten Alter mit besseren komplexen Hirnleistungen wie exekutiver Funktion, Aspekten des Erinnerungsvermögens, Reaktionszeit und ähnlichen Parametern einher [26, 37]; in Interventionsstudien wurden die genannten Parameter durch EPA+DHA gebessert. Ein „altersbedingter“ Verlust von Hirnsubstanz wurde durch eine Erhöhung des Omega-3-Index auf ein Drittel reduziert [37]. Wenn gemessen, korrelierte die Verbesserung kognitiver Funktionen mit dem Anstieg der Omega-3-Fettsäuren in den Erythrozyten [37]. Interventionsstudien mit einer täglichen Dosis >800 mg DHA zeigten konsistent positive Resultate hinsichtlich kognitiver Parameter, da diese Dosis ausreichend gewesen sein dürfte, die Spiegel von Placebo und Verum zu trennen [37].
Die oben diskutierten Mängel in Design und Durchführung bedingten neutrale Ergebnisse zahlreicher Interventionsstudien und entsprechender Metaanalysen (s. oben). Leitlinien empfehlen EPA+DHA zur Besserung komplexer kognitiver Funktionen oder zur Prävention der Entwicklung einer Demenz bisher nicht.
Psychiatrische Erkrankungen
Vor und bei Major-Depression finden sich konsistent niedrige Spiegel von EPA+DHA [17]. Die Wahrscheinlichkeit eines Suizids hängt von den Spiegeln von EPA+DHA in Erythrozyten ab [37]. Ein wesentlicher Wirkmechanismus von EPA+DHA liegt wohl in der Hemmung von Entzündungen in Hirnarealen, die für Major-Depression charakteristisch sind [37]. Wie oben erwähnt, dürften Verbesserungen von Struktur und Durchblutung ebenfalls beitragen. In Metaanalysen von Interventionsstudien finden sich recht konsistent positive Effekte der Behandlung der Major-Depression mit EPA+DHA, insbesondere wenn der Anteil von EPA den Anteil von DHA beim verwendeten Omega-3-Fettsäure-Supplement übersteigt, was auch von ersten Leitlinien entsprechend empfohlen wird [7].
Bei der bipolaren Erkrankung fanden sich niedrige Spiegel von EPA+DHA nicht mit der gleichen Konsistenz wie bei der Major-Depression [28]. Eine Metaanalyse von Interventionsstudien war positiv [17], in Leitlinien findet sich bisher keine Empfehlung.
Psychopathologische Aspekte korrelieren invers mit dem Omega-3-Index
Omega-3-Fettsäuren können laut einer entsprechenden Metaanalyse von Interventionsstudien zur Anxiolyse eingesetzt werden [43]. Aspekte der Psychopathologie, wie Feindseligkeit oder aggressives bzw. antisoziales Verhalten, korrelierten invers mit dem Omega-3-Index [37]; Ergebnisse von Interventionsstudien waren vielversprechend [9]. Weitere psychiatrische Erkrankungen werden gegenwärtig erforscht.
Schwangerschaft und Stillzeit
Seit 2007 wird von Fachgesellschaften empfohlen, in der Schwangerschaft 200 mg DHA täglich zusätzlich zuzuführen, was 2018 in leicht abgeschwächter Form wiederholt wurde [23]. In Deutschland supplementieren etwa 15 % der Schwangeren [15]. Mit und ohne Supplementation erreichte nur eine kleine Minderheit der untersuchten Frauen den Zielbereich des Omega-3-Index von 8 bis 11 %, der auch in der Schwangerschaft gilt [15]. Diese Daten zeigen abermals, dass es keinen Sinn ergibt, Individuen eine Dosis zu empfehlen, wie oben bereits diskutiert [15].
Viele Mütter verarmen in und nach der Schwangerschaft an Omega-3-Fettsäuren
Niedrige Spiegel von Omega-3-Fettsäuren sind kausal für Frühgeburten [27, 29]. Mit Omega-3-Fettsäuren lassen sich die perinatale Mortalität, Frühgeburten und weitere perinatale Komplikationen für Kind und Mutter vermindern [27]. In mehreren Interventionsstudien mit hoher Dosierung wurden Asthma und persistierendes Keuchen vermindert sowie die kindliche körperliche Entwicklung gefördert [25, 44]. Vermutlich lassen sich auch die kognitiven Fähigkeiten des Kindes bessern, wenn ein Omega-3-Index von 8 bis 11 % angestrebt wird [23]. Da DHA und andere Fettsäuren über die Plazenta von der Mutter zum Kind gepumpt werden, um beim Kind einen Omega-3-Index von etwa 10 % zu erreichen, verarmen viele Mütter in und nach der Schwangerschaft an Omega-3-Fettsäuren, was unter anderem für Wochenbettdepression verantwortlich sein dürfte [15]. Negative Effekte sind nicht bekannt. Daher unterstützt die gegenwärtige Datenlage weniger die Empfehlung an Schwangere, 200 mg DHA zusätzlich einzunehmen, als vor, während und nach der Schwangerschaft den Omega-3-Index zu bestimmen und individuell dosiert zu supplementieren.
Weitere Anwendungen sind zahlreich und können im Rahmen dieses Beitrags nicht allumfassend erwähnt werden: Leistungssportler minimieren Muskelkater, verbessern ihre Reaktionszeit und Effektivität und mindern Folgen von Hirntraumata durch eine gezielte, Omega-3-Index-basierte, Supplementation [39]. Symptome von chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie chronischer Polyarthritis werden tolerabler bei einem Omega-3-Index um 15 % [16].
Sicherheit und Verträglichkeit
Laut der European Food Safety Authority sind bis zu 5 g/Tag EPA+DHA sicher. Wir meinen, dass ein Omega-3-Index ≥16 % vermieden werden sollte, da in JELIS und REDUCE-IT unter Verum 0,1 % mehr Blutungen pro Jahr gesehen wurden als unter Placebo [34, 36]. Bei einem Omega-3-Index <11 % sprechen epidemiologische Daten eher für höhere Werte als für niedrigere, auch bei Patienten mit Antikoagulation, da das Überleben länger und Blutungen nicht häufiger sind [35]. Die Verträglichkeit von EPA+DHA war in großen Interventionsstudien ähnlich wie die von Placebo [36].
Mangel
Bei hunderttausenden Analysen menschlicher Erythrozyten fand sich kein Omega-3-Index <2 % und keiner >20 %. Kein Mensch lebt ohne Spiegel von EPA+DHA. In Europa lagen bei 23.615 Messungen 76,15 % der Gemessenen unter 8 %, das heißt, sie hatten suboptimale Spiegel (Abb. 2). Wie oben diskutiert, manifestieren sich suboptimale EPA+DHA-Spiegel in eingeschränkter Lebenserwartung, Herzerkrankungen, Frühgeburten und in weiteren teils schwerwiegenden Gesundheitsproblemen. Ein Ausgleich dieses Mangels ist sicher und verträglich, zudem hat er zahlreiche positive gesundheitliche Effekte. Korrekt kann der Mangel nur mit dem HS-Omega‑3 Index® diagnostiziert werden.