Schilddrüsenfunktionsstörungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland und sind das tägliche Brot eines jeden Internisten. Daher ist es eine wichtige Aufgabe von Der Internist, dieses Thema regelmäßig aufzugreifen und nach neuestem Stand von Experten referieren zu lassen. Zuletzt haben wir im Mai 2010 einen Schwerpunkt mit dieser Thematik gestaltet und die Physiologie der Schilddrüsenfunktion sowie die klassischen Krankheitsbilder Hypothyreose und Hyperthyreose abgehandelt. Die vorliegende Ausgabe von Der Internist will einen neuen Weg gehen, indem interdisziplinäre Themen an den Schnittstellen zu anderen Fachgebieten der Inneren Medizin und angrenzenden Disziplinen behandelt werden.

Funktionsstörungen der Schilddrüse können klassisch in Über- und Unterfunktionszustände eingeteilt werden. Liegt dabei die Ursache im Bereich der Schilddrüse, sprechen wir von einer primären Funktionsstörung, liegt die Ursache im übergeordneten Zentrum des Regelkreises, also im Bereich von Hypothalamus und Hypophyse, sprechen wir von einer sekundären Störung. Mehr als 99 % aller Schilddrüsenfunktionsstörungen sind primärer Natur, während hypothalamisch-hypophysär bedingte Über- und Unterfunktionszustände wie TSHom oder Hypophysenvorderlappeninsuffizienz in der internistischen Praxis selten sind. Die Abgrenzung einer sekundären von einer primären Störung erfolgt durch die parallele Bestimmung des thyreoideastimulierenden Hormons (TSH) als übergeordnete Stellgröße und der untergeordneten peripheren Hormone Thyroxin und Trijodthyronin (Abb. 1).

Abb. 1
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Primäre und sekundäre Funktionsstörungen der Schilddrüse und ihr Verhältnis zu TSH- und freien T3- und T4-Werten. T 3  Trijodthyronin, T 4  Thyroxin, TSH thyreoideastimulierendes Hormon

Dieses diagnostische Testprinzip, für das sich der Begriff der diagnostischen Paarbildung etabliert hat, ist bei allen klinisch vermuteten Schilddrüsenfunktionsstörungen einzusetzen, während zum Ausschluss von Schilddrüsenfunktionsstörungen, auch aufgrund der geringen Prävalenz sekundärer Hyper- und Hypothyreosen, das isolierte TSH-Screening hinreichend ist.

Die Verordnungshäufigkeit von Schilddrüsenhormonen hat deutlich zugenommen

Die Verordnungshäufigkeit von Schilddrüsenhormonen hat in Deutschland in den letzten 10 Jahren deutlich zugenommen. Dem „Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2015“ zufolge stieg die Verordnung bei jungen Berufstätigen zwischen 2006 und 2014 von 2,8 auf 5,5 % [1]. Schon 2013 wies Prof. Helmut Schatz, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, darauf hin, dass fallende obere TSH-Grenzwerte in vielen Ländern einschließlich Deutschland zu einer starken Zunahme der Thyroxinverordnungen geführt hätten [2]. Daten der UK Clinical Practice Research Database zeigen, dass eine liberale Thyroxinverordnung neben der fragwürdigen medizinischen Begründung und Wirtschaftlichkeit durchaus auch ein Schädigungspotenzial hat. In der genannten Studie von Taylor et al. [3] wurde in den Jahren 2001–2009 rund 52.000 Personen in Großbritannien Thyroxin verschrieben. Über den Beobachtungszeitraum von 8 Jahren nahm die Wahrscheinlichkeit einer Thyroxinverordnung bei latenter Hypothyreose signifikant um 30 % zu. Auch die Behandlungsqualität änderte sich: 5 Jahre nach Einleitung der Thyroxinbehandlung wiesen 5,8 % der Patienten ein supprimiertes TSH und damit eine Übertherapie auf, 10 % hatten TSH-Werte im sehr niedrigen Normalbereich zwischen 0,1 und 0,5 mU/l. Die in Norddeutschland durchgeführte Study of Health in Pomerania (SHIP) ergab noch deutlich höhere Prävalenzen außerhalb des Zielbereichs gelegener TSH-Werte unter Thyroxintherapie [4].

Es ist deshalb außerordentlich wichtig, die Begrifflichkeiten beim Thema Schilddrüse genau zu definieren. So bedeutet die Laborkonstellation einer latenten Hypothyreose, das heißt eines erhöhten TSH-Werts bei normalem freiem Trijodthyronin und Thyroxin, nicht automatisch, dass eine Thyroxintherapie eingeleitet werden muß. Normbereich, Behandlungsbereich und Zielbereich einer Thyroxintherapie unterscheiden sich. Der Normbereich wird anhand einer definierten Population von gesunden Probanden erstellt. Hier steckt der Teufel allerdings schon im Detail: Ist für die Definition von „Normalität“ der anamnestische Ausschluss von Schilddrüsenerkrankungen ausreichend oder werden zusätzliche Kriterien, wie eine normale Schilddrüsenmorphologie in der Sonographie oder normale Thyreoperoxidaseantikörper, mit einbezogen? Im ersteren Fall wird der Normbereich weiter gefasst sein als im letzteren bei Zugrundelegung von „Supernormalen“. Vor etwa 10–15 Jahren bestand der Trend, die obere Grenze des TSH-Referenzbereichs auf 2,5 µU/ml abzusenken und die Indikation zum Beginn einer Schilddrüsenhormonsubstitution großzügiger zu stellen. Aufgrund der schlechten Datenlage für dieses Vorgehen und der Gefahr der Übersubstitution ist man national wie international prinzipiell zu einem sehr viel zurückhaltenderen Vorgehen unter Zugrundelegung des altbewährten TSH-Normbereichs von 0,4 bis 4,0 µU/ml zurückgekehrt. Auch der Behandlungsbereich, das heißt derjenige Cut-off, der zur Einleitung einer Thyroxingabe führen sollte, ist keine eindimensionale Größe, die nur von der Höhe des TSH-Werts abhängt; hier gehen auch das Beschwerdebild, das Alter, Komorbiditäten und weitere Faktoren ein. Der Zielbereich einer Thyroxintherapie ist als derjenige Bereich definiert, in dem nach Einleitung der Thyroxintherapie der TSH-Wert liegen soll; zumeist ist er innerhalb des Normbereichs. Auch der Zielbereich ist allerdings je nach Lebensalter und zugrunde liegender Problematik unterschiedlich (Stichwort: Kinderwunsch; Abb. 2).

Abb. 2
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Schematische Darstellung von Normbereich, Behandlungsbereich und Zielbereich. TSH Thyreoideastimulierendes Hormon

Nach dieser Einführung ins Thema geht es nun zurück zum vorliegenden Schilddrüsenschwerpunkt und seinem Aufbau. Im ersten Beitrag widmen sich Köhler et al. der Frage, wann und wie eine Hypothyreose behandelt werden sollte. Hierbei ist neuesten Daten zufolge das Lebensalter als wichtiger Faktor zu berücksichtigen. Hochbetagte Menschen zeigen physiologisch eine Verschiebung zu höheren TSH-Werten, sodass hier die Indikation für eine Thyroxintherapie sehr kritisch und erst bei deutlich erhöhten TSH-Werten gestellt werden sollte. In den Diskussionen der letzten Jahre und in den neuen Leitlinien wird deutlich, dass man auch bei den jüngeren Patienten insgesamt wieder zu einem sehr viel zurückhaltenderen Vorgehen für die Schilddrüsenhormonsubstitution bei der subklinischen Hypothyreose zurückgekehrt ist. Wichtig ist die Beachtung von Medikamenteninteraktionen, die zum Teil den Thyroxinbedarf deutlich erhöhen können.

Schilddrüsenhormone werden heute bei der subklinischen Hypothyreose zurückhaltender substituiert

Iwen u. Lehnert gehen in ihrer Übersicht auf das hochrelevante Thema der Schilddrüsenfunktionsstörungen in der Schwangerschaft ein. Im ersten Trimenon ist die fetale Schilddrüse noch nicht zur Schilddrüsenhormonbiosynthese in der Lage und der Fetus somit komplett abhängig von den mütterlichen Schilddrüsenhormonen. Bei der Klassifikation einer mütterlichen Schilddrüsendysfunktion müssen aufgrund der schwangerschaftsspezifischen physiologischen Veränderungen andere TSH-Grenzwerte beachtet werden, die optimalerweise assayspezifisch definiert werden. Eine manifeste Hyperthyreose in der Schwangerschaft wird, wie auch die manifeste Hypothyreose, leitliniengerecht behandelt, wobei die ungünstigen hyperthyreosebedingten Wirkungen auf den Fetus und den Schwangerschaftsverlauf gegen mögliche fetale Nebenwirkungen der Thioamide abgewogen werden müssen.

Tsourdi et al. behandeln die komplexen Auswirkungen von Schilddrüsenfunktionsstörungen auf den Knochen. Während eine Hypothyreose zu einem verlangsamten Knochenumsatz mit einer Zunahme der Mineralisierung führt, geht eine latente oder manifeste Hyperthyreose mit einer sekundären Osteoporose und Frakturneigung einher. Bei postmenopausalen Patientinnen mit einer laufenden TSH-suppressiven Thyroxintherapie kann damit die Indikation zu einer spezifischen Osteoporosetherapie bestehen.

Der Beitrag von Dischinger u. Fassnacht schließlich beschäftigt sich mit den Effekten von Schilddrüsenhormonen auf die Herz-Kreislauf-Funktion. Die Auswirkungen von Hyper- und Hypothyreose sowie Hyperthyroxinämie auf Vorhofflimmern, myokardiale Pumpfunktion, koronare Herzkrankheit und pulmonale Hypertonie werden genauso beleuchtet wie der „Klassiker“ einer amiodaroninduzierten Hyperthyreose.

Schilddrüsenknoten sind bei einer Strumaprävalenz von etwa 30 % über alle Altersgruppen in Deutschland bekanntermaßen sehr häufig. Forschungen der letzten 15 Jahre haben wesentlich dazu beigetragen, die Knoten- und Karzinomentstehung auf genetische Signaturen zurückzuführen. Hierbei handelt es sich nicht nur um qualitative, sondern auch um quantitative Veränderungen. Im Beitrag von Führer wird plausibel dargestellt, wie die Mutationslast, abhängig von der Aggressivität des Tumors, ansteigt: von einer sehr niedrigen Mutationslast bei differenzierten papillären Schilddrüsenkarzinomen zu einer hohen bis sehr hohen bei gering differenzierten bzw. anaplastischen Schilddrüsenkarzinomen. Die therapeutische Relevanz des Mutationsspektrums ist Gegenstand aktueller Studien.

Wir hoffen, dass wir einen gleichermaßen informativen und interessanten Schwerpunkt zusammengestellt haben, und wünschen den Lesern eine gute Lektüre.

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M. Reincke

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H. Lehnert