Weh mir! Es sitzt mir in der Brust,

Und drückt und nagt mich sehr;

Mein Leben ist mir keine Lust

Und keine Freude mehr.

Ich bin mir selber nicht mehr gleich,

Bin recht ein Bild der Not,

Bin Haut und Knochen, blaß und bleich,

Und huste mich fast tot

(Mathias Claudius, 1775 [1]).

Mit Ende des Zweiten Weltkriegs betrug die Tuberkuloseinzidenz in Deutschland 277 Fälle pro 100.000 Einwohner und die Tuberkulosesterblichkeit 9,3 Todesfälle pro 10.000 Lebende, wobei knapp 90 % dieser Todesfälle auf eine pulmonale Tuberkulose entfielen [2]. Seither ist die Tuberkuloseinzidenz in Deutschland kontinuierlich gefallen, in den letzten Jahren lag sie konstant knapp über 5 Fällen pro 100.000 Einwohner, die Sterblichkeit ging auf 0,12 Todesfälle pro 100.000 Einwohner zurück [3]. Verantwortlich für diesen Rückgang waren zunächst in erster Linie die sich schnell verbessernden sozialen Bedingungen und der Aufbau strukturierter infektionsepidemiologischer Maßnahmen, später dann die Entwicklung tuberkulostatischer Medikamente, die eine Heilung der Erkrankung möglich machten.

Weltweit kam es mit der raschen Verbreitung von HIV und der zunehmenden Zahl an AIDS-Erkrankungen zu einem Anstieg der Tuberkuloseerkrankungen. Heute geht jedoch die Tuberkuloseinzidenz auch weltweit zurück, was sicher auch als ein Erfolg der zielgerichteten Strategie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu werten ist. Dennoch rechnet die WHO weltweit weiterhin mit 9 Mio. Neuerkrankungen pro Jahr und etwa 1,5 Mio. tuberkulosebedingten Todesfällen [4].

Mykobakterien sind Erreger mit besonderen Eigenschaften, die über lange Zeit im Menschen überleben können und vielfältige Mechanismen entwickelt haben, mit der körpereigenen Abwehr zu interagieren. Diese Komplexität der Interaktion beschreiben P. Hartmann und A. Nowag im einführenden Beitrag dieses Schwerpunkts.

Wir müssen das Wissen über die Tuberkulose reaktivieren und erweitern

Viele Infektionserkrankungen mit einer ähnlichen weltweiten Bedeutung, beispielsweise Polio oder Pocken, konnten durch die Entwicklung von Impfstoffen und die Implementierung von Impfprogrammen dramatisch reduziert oder gar eradiziert werden. Eine solche Strategie wäre für die Tuberkulose naheliegend, scheiterte in der Vergangenheit aber an der schlechten Effektivität und Verträglichkeit der eingesetzten Impfstoffe. In den letzten Jahren, gerade und vor allem auch dank der Unterstützung durch die Bill & Melinda Gates Stiftung, wurde viel in die Impfstoffentwicklung investiert. Der endgültige Durchbruch steht zwar noch aus, es wurden aber in jüngster Zeit Kandidaten identifiziert, die Hoffnung auf eine wirksame Impfprävention machen.

In Deutschland ist, bedingt durch die zurückgehende Inzidenz, das Wissen über Tuberkulose in der Bevölkerung, aber auch bei klinisch tätigen Ärzten immer weiter zurückgegangen. Differenzialdiagnostisch wird selbst bei typischen klinischen Zeichen wie Hämoptysen, Nachtschweiß und Gewichtsverlust nicht mehr primär an die Tuberkulose gedacht, die Zeit bis zur Diagnosestellung kann lang sein. Die entsprechenden diagnostischen und therapeutischen Algorithmen gehören nicht mehr unbedingt zum Allgemeinwissen. Das erhöhte Risiko von Migranten für eine Tuberkuloseerkrankung ist bekannt [5], auch wenn die genauen Effekte der jetzigen Flüchtlingsbewegungen unklar sind. Die Zahl an Tuberkuloseerkrankungen wird jedoch in Deutschland sicher zunehmen – 2014 ist sie zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg auf 6,2/100.000 Einwohner angestiegen. Wir müssen das essenzielle Wissen über diese Erkrankung bei Internisten, aber gerade auch im allgemeinärztlichen Bereich reaktivieren und erweitern. Der Beitrag von R. Otto-Knapp fasst die für Deutschland geltenden Empfehlungen zusammen und gibt klare Empfehlungen für die tägliche Praxis.

Wie in allen Bereichen der antimikrobiellen Therapie ist auch bei Mykobakterien eine zunehmende Resistenzentwicklung gegenüber den wichtigsten Tuberkulostatika zu beobachten.

Die Gründe sind vielfältig: Eine falsche oder nicht ausreichend lang durchgeführte Therapie spielt eine wesentliche Rolle. Weltweit ist die multiresistente Tuberkulose (MDR-TB) bereits ein großes Problem, in Deutschland nimmt die Zahl der Fälle langsam zu, der Anstieg wird sich jedoch durch die Migrationsbewegungen beschleunigen. M. Grobusch et al. beschreiben in ihrem Beitrag Gründe und Konsequenzen dieser Entwicklung.

Die Zunahme der MDR-TB-Fälle lässt den Ruf nach neuen Antituberkulostatika schnell lauter werden. Fast 50 Jahre lang wurden keine neuen Substanzen entwickelt, in erster Linie weil sich die Tuberkulose für die pharmazeutische Industrie nicht als attraktives, Gewinne versprechendes Feld dargestellt hat. Nun sind mit staatlicher und privater Unterstützung wieder neue Substanzen auf den Markt gekommen, die zumindest in der Behandlung der MDR-TB einen Platz finden können. T. Schaberg beschreibt diese Entwicklung in seinem Beitrag und zeigt Nutzen, aber auch Risiken der neuen Tuberkulostatika auf.

Die Inzidenz nichttuberkulöser Mykobakterien ist in Deutschland höher als die der Tuberkulose

Der Nachweis von Mykobakterien wurde lange mit der Tuberkuloseerkrankung gleichgesetzt. Nichttuberkulöse Mykobakterien (NTM) als Auslöser rückten erst im Zusammenhang mit der HIV-Erkrankung und dem zunehmenden medizinischen Gebrauch von Immunsuppressiva stärker in den Blickpunkt. Nicht alle NTM sind pathogen und selbst potenziell pathogene NTM machen bei Weitem nicht jeden Menschen krank. Trotzdem ist heute die Inzidenz von NTM in Deutschland höher als die der Tuberkulose, und in vielen Fällen sind diese Infektionen ein ernstes klinisches Problem [6]. Die Unsicherheit, wann an NTM gedacht werden muss und wie mit solchen Erregern umzugehen ist, ist jedoch hoch. F.C. Ringshausen und J. Rademacher geben in ihrem Beitrag einen Überblick über das aktuell empfohlene Vorgehen.

Alle Beiträge demonstrieren eindringlich, dass die Migrationsbewegungen nur einer von vielen Gründen sind, warum wir uns in Deutschland wieder mehr mit der Tuberkulose beschäftigen müssen. Seit der Entdeckung von Mycobacterium tuberculosis haben deutsche Wissenschaftler und Ärzte Bedeutendes im Kampf gegen diese globale Infektionskrankheit geleistet. Die vorliegende Ausgabe von Der Internist soll dem Leser einen Überblick über die aktuelle Situation geben und Hilfestellungen für den praktischen Alltag bieten.

figure c

T. Welte

figure d

B. Salzberger