Die Transplantation von hämatopoetischen Stammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut ist heute ein Standardverfahren, das an allen größeren Tumorzentren angeboten wird. Bei einer autologen Stammzelltransplantation werden Blutstammzellen des Patienten zunächst über eine Leukapherese gesammelt und kryokonserviert. Anschließend erhält der Patient eine sehr hoch dosierte Chemotherapie mit oder ohne Ganzkörperbestrahlung, auf die nach 1–2 Tagen die Reinfusion der Stammzellen folgt. Die Stammzelltransplantation hat hier ausschließlich die Funktion, eine rasche und zuverlässige Erholung der Knochenmarkfunktion nach einer sehr myelotoxischen Therapie zu sichern, während die antitumoröse Wirkung allein durch die Chemo- und Strahlentherapie vermittelt wird.

Die allogene Stammzelltransplantation dient insbesondere der immunologischen Tumorkontrolle

Im Gegensatz dazu liegt der Hauptvorteil einer allogenen Stammzelltransplantation, bei der die Zellen einem gesunden Spender entnommen wurden, in der immunologischen Tumorkontrolle durch die Reaktion der Spenderimmunzellen gegen die Leukämie- oder Lymphomzellen des Empfängers. Die Transplantation der Spenderstammzellen dient daher im Falle der allogenen Stammzelltransplantation zwei Zielen: Zum einen wird nach einer myelotoxischen Vorbehandlung die Knochenmarkfunktion wiederhergestellt, zum anderen wird durch die ebenfalls von den Stammzellen ausgehende Nachbildung von Immunzellen nach und nach das Immunsystem des Empfängers durch Effektorzellen des Spenders ersetzt; auf diese Weise stellt sich eine lebenslange Immuntherapie ein. Dies schützt den Patienten vor einem Wiederauftreten der Grunderkrankung, erklärt aber auch, warum ein lange andauerndes erhöhtes Risiko für Abstoßungsreaktionen und sekundär für Infektionen besteht.

Entwicklung der Stammzelltransplantation

Unter dem Eindruck des Atombombeneinsatzes in Japan und der beginnenden atomaren Aufrüstung nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ab 1950 intensiv an Behandlungsmöglichkeiten für Strahlenopfer geforscht. Aus Tierversuchen war bekannt, dass durch Verpflanzung der Tibia eines gesunden Tiers ein zuvor mit letaler Dosis bestrahltes zweites Tier gerettet werden konnte. Weitere Versuche zeigten dann, dass diese Wirkung durch die im Knochenmark vorhandenen Leukozyten vermittelt wurde, die man später als hämatopoetische Stammzellen charakterisierte. Im Jahr 1959 wurde zum ersten Mal das Knochenmark eines gesunden Geschwisterspenders einem Patienten infundiert, was heute als allogene Knochenmarktransplantation eine Routinebehandlung darstellt. Im gleichen Jahr erfolgte auch die Rückübertragung von vorher kryokonservierten eigenen Knochenmarkzellen im Sinne einer autologen Stammzelltransplantation. Diese ersten Versuche einer Zelltherapie waren von zahlreichen Komplikationen mit tödlichem Ausgang geprägt, sodass sich die Zahl der weltweit auf diese Weise durchgeführten Transplantationen bis in die 1970er-Jahre auf wenige Patienten pro Jahr beschränkte.

Zwei Entwicklungen ermöglichten die Etablierung der autologen und allogenen Stammzelltransplantation als Routineverfahren:

  • Die Entdeckung der humanen Leukozytenantigene (HLA) auf Chromosom 6 ermöglichte erstmals, die Wahrscheinlichkeit einer Immunreaktion zwischen Empfänger- und Spenderzellen vor einer allogenen Stammzelltransplantation einzuschätzen. Heute können durch eine hochauflösende molekulargenetische Typisierung der HLA-Loci A, B, C sowie DR und DQ zuverlässig HLA-kompatible Spender identifiziert werden. Die Transplantation erfolgt in der Regel mit Übereinstimmung von 10 von 10 oder 9 von 10 HLA-Merkmalen zwischen Spender und Empfänger. Dank der HLA-Testung und Verfügbarkeit von über 10 Mio. registrierten Stammzellspendern in den weltweiten Spenderregistern ist es heute möglich, allein in Europa fast 15.000 allogene Stammzelltransplantationen pro Jahr durchzuführen.

  • Nachdem die für die hämatopoetische Regeneration verantwortlichen Stammzellen gefunden waren und anhand des Oberflächenmoleküls CD34 einfach im Knochenmark quantifiziert werden konnten, entdeckte man diese Zellen – in sehr geringer Menge – auch im peripheren Blut. Die Ausschwemmung der knochenmarkständigen Zellen ins periphere Blut nahm aber deutlich zu, wenn ein Patient sich nach einer intensiven, knochenmarksupprimierenden Chemotherapie mit den Leukozyten erholte. Die Erholung der Knochenmarkfunktion nach einer myleotoxischen Noxe, z. B. nach Bestrahlung oder Chemotherapie, wird von zahlreichen hämatopoetischen Wachstumsfaktoren vermittelt. Der klinisch relevanteste ist der granulozytenkoloniestimulierende Faktor G-CSF, der 1986 kloniert wurde und seit 1991 in rekombinanter Form für die klinische Anwendung zur Verfügung steht [9]. Die Gabe von G-CSF allein oder in Verbindung mit einer Chemotherapie ermöglicht es heute, mithilfe der Leukapherese aus dem Blut eine Stammzellmenge zu sammeln, die für eine erfolgreiche autologe oder allogene Stammzelltransplantation ausreicht. Heute erfolgen autologe Transplantationen fast ausschließlich mit peripheren Blutstammzellen, während diese bei allogenen Transplantationen etwa in zwei Dritteln der Fälle zum Einsatz kommen.

Als weitere Quelle für allogene Stammzellen kommt Restblut aus der Nabelschnur infrage. Bei entsprechendem Einverständnis der Eltern kann dieses Blut bei der Geburt asserviert und in speziellen Nabelschnurbanken getestet und kryokonserviert werden. Allerdings ist die Zellzahl sehr gering und in der Folge die hämatopoetische Erholung der Patienten nach Transplantation oft verzögert. Entsprechend kommt dieses Verfahren nur in wenigen Fällen zum Einsatz, so bei schwieriger Spendersuche und bei Patienten mit einem Körpergewicht < 50 kg.

Deutlich zugenommen hat dagegen die Zahl der allogenen Transplantationen unter Beteiligung haploidenter verwandter Spender. Dies sind Spender, bei denen in der Regel nur die Hälfte der HLA-Merkmale übereinstimmen, so wie dies für leibliche Eltern, Kinder oder – statistisch betrachtet – für die Hälfte der Geschwister zutrifft. Trotz der hohen HLA-Disparität kann heute durch veränderte Verfahren der Immunsuppression eine eigentlich zu erwartende erhöhte Rate an Abstoßungsreaktionen vermieden werden.

Indikationen

Autologe Stammzelltransplantation

Da die antitumoröse Wirkung einer autologen Stammzelltransplantation allein auf der zuvor durchgeführten Chemotherapie beruht, kommt dieses Verfahren bei Erkrankungen mit grundsätzlich guter Chemotherapieempfindlichkeit zum Einsatz. Beim multiplen Myelom ist Melphalan eine hochaktive Substanz, die aufgrund der ausgeprägten Knochenmarktoxizität üblicherweise nur in niedriger Dosis alle 4–6 Wochen gegeben werden kann. In Verbindung mit einer autologen Stammzelltransplantation kann die Dosis auf das 20-Fache gesteigert werden, weshalb diese Therapie ein wesentlicher Bestandteil der Erstlinientherapie des Myeloms darstellt. Beim Hodgkin-Lymphom und bei hochmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen wird die autologe Stammzelltransplantation regelhaft im ersten Rezidiv nach Versagen der Erstlinientherapie angewendet.

Allogene Stammzelltransplantation

Die Antitumorwirkung der Spenderimmunzellen ist bei myeloischen Leukämien besonders ausgeprägt. Daher ist die allogene Stammzelltransplantation ein Standardverfahren bei Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) im Rezidiv bzw. mit erhöhtem Risiko (z. B. einem komplexen Karyotyp) oder bei chronischer myeloischer Leukämie (CML) in fortgeschrittener Phase bzw. bei Resistenz auf die Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren.

Unter den lymphatischen Neoplasien wird die allogene Stammzelltransplantation bei akuter lymphatischer Leukämie (ALL) im Rezidiv oder bei hohem Risiko eingesetzt, so etwa wenn ein Philadelphia-Chromosom vorliegt. Bei den Lymphomen kommt das Verfahren im Rezidiv nach einer autologen Stammzelltransplantation infrage.

Auch bei Zuständen mit Knochenmarkinsuffizienz stellt die allogene Stammzelltransplantation die einzige kurative Therapieoption dar.

Dies gilt beispielsweise bei schwerer aplastischer Anämie oder einem myelodysplastischen Syndrom, insbesondere mit erhöhter Blastenzahl oder zytogenetischen Risikofaktoren.

Die Indikationsstellung zur Stammzelltransplantation ist einem steten Wandel unterworfen, da sich aus neuen Therapieoptionen weniger stark eingreifende Alternativen ergeben können. So sind die Ergebnisse nach Behandlung der CML in chronischer Phase mit einer allogenen Stammzelltransplantation hervorragend. Das leukämiefreie Überleben liegt in diesem Zusammenhang bei etwa 90 %. Da aber durch die Einführung der Tyrosinkinaseinhibitoren gleich gute Ergebnisse mit einer einfachen Tablettentherapie erreicht werden können, ist eine allogene Stammzelltransplantation bei diesen Patienten in der Erstlinienbehandlung nicht mehr indiziert.

Eignung für eine Stammzelltransplantation

Wenn angesichts der Grunderkrankung eine Stammzelltransplantation indiziert ist, muss die Eignung des Patienten für dieses Verfahren geprüft werden. Grundsätzlich kommen Patienten bis zu einem Alter von 75 Jahren infrage, wobei immer weniger auf das kalendarische Alter und vielmehr auf die Fitness des Patienten geachtet wird. Für die allogene Stammzelltransplantation wurde der „hematopoietic cell transplant-specific comorbidity index“ (HCT-CI) entwickelt. Dieser Risikoscore dient der Erfassung der Komorbidität und wurde in Bezug auf die Vorhersage des Überlebens und der therapieassoziierten Letalität validiert (Tab. 1). Er erfasst sowohl Vorerkrankungen, wie Diabetes und frühere Malignome, als auch aktuelle Organfunktionen. Ein prognostisch ungünstiger Punktwert (> 2) führt nicht automatisch zur Ablehnung der Transplantationseignung, dient aber als Grundlage für die Beratung und Aufklärung des Patienten und die Abwägung von Behandlungsalternativen.

Tab. 1 „Hematopoietic cell transplant-specific comorbidity index“ (HCT-CI). (Modifiziert nach [8])

Graft-vs.-host-Erkrankung

Eine der wesentlichen Komplikationen nach allogener Stammzelltransplantation ist die Graft-vs.-host-Erkrankung (GvHD), auch als Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion bezeichnet. Dabei werden Gewebe des Empfängers, insbesondere Haut, Darm oder Leber, von den Immunzellen des Spenders als different erkannt und v. a. von T-Zellen angegriffen. Zur Vermeidung der GvHD erfolgt während der ersten Monate nach Transplantation eine Prophylaxe mit verschiedenen Immunsuppressiva, z. B. Ciclosporin und Mycophenolatmofetil oder Methotrexat. Antithymozytenglobulin (ATG) wird bei Transplantationen mit nichtverwandtem Spender oft zusätzlich verabreicht. Es senkt das Risiko einer akuten oder chronischen GvHD [2]. Dennoch muss bei etwa der Hälfte der Patienten mit dem Auftreten einer GvHD gerechnet werden. Neben der Schädigung der Empfängergewebe führt eine GvHD zur Notwendigkeit einer intensivierten immunsuppressiven Behandlung, wodurch wiederum das Risiko für opportunistische Infektionen steigt.

Intensivmedizinische Betreuung und Triage

Indikationsstellung

Das intensivmedizinische Management von Patienten nach Stammzelltransplantation ist anspruchsvoll. Hinsichtlich der Indikationsstellung zur Intensivaufnahme bei onkologischen und hämatologischen Patienten herrscht sehr große Unsicherheit. Häufig wird hämatologischen Patienten eine zu schlechte Prognose gegeben und eine intensivmedizinische Versorgung sogar vorenthalten. Wenn auch in historischen Kollektiven das Überleben von hämatologischen Patienten auf der Intensivstation mit Zwei- oder Mehrorganversagen < 20 % lag, so zeigen neuere Studien, dass spezialisierte Zentren inzwischen Überlebensraten von 60–70 % erreichen, trotz Beatmung und Mehrorganversagen.

In einer Untersuchung von Azoulay et al. [1] konnte kürzlich gezeigt werden, dass von 1011 Patienten, die auf eine Intensivstation aufgenommen wurden, 61 % den Krankenhausaufenthalt und 43 % das erste Jahr überlebten. 80 % der befragten Patienten konnten ohne Dosisreduktion weiter hämatologisch behandelt werden und 80 % gaben an Tag + 90 eine unveränderte Lebensqualität an. Im Vergleich zur Gesamtkohorte war für die 252 Patienten nach Stammzelltransplantation das Merkmal „allogen“ mit einer signifikant erhöhten Mortalität assoziiert, das Merkmal „autolog“ allerdings nicht. Die gleiche Arbeitsgruppe berichtete, dass von 54 hämatologischen Patienten, denen die Aufnahme auf die Intensivstation aufgrund der Einschätzung als „zu schlecht“ für eine Intensivversorgung versagt blieb, nach 30 Tagen noch 26 % lebten. Im Gegensatz dazu waren 22 % der Patienten, die als „zu gut“ für eine Intensivversorgung eingestuft wurden, an Tag 30 bereits verstorben.

Mehrere in den letzten 12 Monaten veröffentlichte Arbeiten unterstreichen, dass die positive Entwicklung des Krankenhausüberlebens hämatologischer Patienten auch auf die Subgruppe der Stammzelltransplantierten zutrifft [10]. In einer Kohorte von 319 Intensivpatienten nach allogener Stammzelltransplantation zeigte sich eine Abnahme der 100-Tages-Mortalität von 78 % im Jahr 2004 auf 35 % im Jahr 2009. Unabhängige negative Prädiktoren waren eine myeloablative Konditionierung und ein nichtverwandter Spender. Bayraktar et al. berichteten ein Krankenhausüberleben von 36 % bei 377 Patienten nach allogener Stammzelltransplantation; myeloablative Konditionierung und ein hoher HCT-CI wurden als negative Prädiktoren identifiziert [12]. Das Langzeitüberleben nach Verlegung von der Intensivstation lag in einer britischen Studie bei 51 % nach 5 Jahren [11].

Intensivmedizinische Aufnahme- und Managementalgorithmen sind dringend erforderlich

Zusammenfassend bedarf es dringend einer Etablierung von Aufnahme- und Managementalgorithmen für stammzelltransplantierte Patienten in der Intensivmedizin, da die Anzahl an Transplantationen auch in Zukunft weiter zunehmen wird. Zum einen ist es in den vergangenen Jahren aufgrund der Entwicklung dosisreduzierter Konditionierungsschemata möglich geworden, auch ältere Patienten in der achten Lebensdekade und Patienten mit hoher Komorbidität einer Transplantation zu unterziehen und langfristig in Remission zu bringen. Aufgrund der großen Spenderdateien und der Entwicklung von Nabelschnurblut- und haploidenten Transplantationsverfahren erhöht sich darüber hinaus die Spenderverfügbarkeit. Der Bedarf an klaren Managementstrategien mit Leitliniencharakter wird aber auch durch die wachsende Zahl kleiner Transplantationszentren begründet, in denen zunächst die kritische Masse und die klinische Erfahrung aufgebaut werden müssen.

Als erste Gruppe stellten Azoulay et al. ein Triagekonzept vor, dass einen sinnvollen Algorithmus darstellen kann: „Full-code management“ könnte ein Versorgungskonzept für Patienten mit kurativ behandelbaren Erkrankungen und begrenzter Komorbidität sein, z. B. für einen 22-jährigen Patienten ohne Vorerkrankungen mit einer Hochrisiko-ALL [4]. Hier würde das gesamte Spektrum der intensivmedizinischen Versorgung, u. a. die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO), für eine zunächst unbegrenzte Dauer eingesetzt werden. Der ICU Trial beschreibt eine zunächst im Umfang unlimitierte, aber zeitlich begrenzte Versorgungsstrategie, beispielsweise für 3–5 Tage, an deren Ende verbindlich eine Therapiezielüberprüfung steht. Ein Beispiel wäre eine 64-jährige Patientin mit koronarer Herzkrankheit und chronischer Niereninsuffizienz im Stadium 2, bei der wegen AML mit Blastenpersistenz (10 %) eine Transplantation erfolgt. „Palliative“ reflektiert Patienten, bei denen eine Intensivaufnahme vermieden werden soll, z. B. bei einem 55-jährigen Patienten mit steroidrefraktärer, akuter GvHD von Grad 3–4 des Darms und synchronem Rezidiv eines multiplen Myeloms.

Infektionen und Sepsis

Patienten nach Stammzelltransplantation sind besonders im ersten Jahr nach der Transplantation aus verschiedenen Gründen hochgradig immunkompromittiert. Erstens führen die längerfristigen Krankheitsverläufe mit multiplen Vortherapien zu einer Schwächung der zellulären und humoralen Immunantwort. Zweitens bedingt die Konditionierungstherapie mit konsekutiver Neutropenie eine zusätzliche, passagere Verstärkung dieser Immundefizienz. Drittens müssen alle allogen transplantierten Patienten für Monate bis Jahre mit einer dualen Immunsuppression behandelt werden, z. B. mit einem Calcineurininhibitor (CNI) plus Methotrexat. Bei HLA-inkompatiblem Fremdspender wird häufig zusätzlich eine präventive T-Zell-Depletion durchgeführt, u. a. mit ATG.

In den ersten Wochen nach der Transplantation sind die neutropenen Patienten besonders durch bakterielle und fungale Infektionen gefährdet, im Verlauf treten als Folge der verminderten Lymphozytenfunktion virale Infektionen in den Vordergrund. Die Immunrekonstitution, also die Erholung aller zellulären Subtypen, dauert etwa ein Jahr. Aufgrund dieses komplexen und längerfristigen Immundefekts waren bis vor etwa 10 Jahren infektiöse Komplikationen regelhaft für die transplantationsassoziierte Mortalität verantwortlich.

Mittlerweile sind prophylaktische und präemptive antiinfektive Strategien wie Pilzprophylaxen fester Bestandteil internationaler Leitlinien. Kommt es trotz dieser umfassenden hygienischen und prophylaktischen Maßnahmen zu Infektionen, sind diese nicht selten schwer zu beherrschen. Der primäre Grund für die Aufnahme auf eine Intensivstation ist in dieser Situation die Diagnose akutes respiratorisches Versagen (ARV), in der Regel als Ausdruck einer Pneumonie bzw. Sepsis. Die Diagnose Sepsis (Kriterien s. Tab. 2) ist bei diesem Patientengut allerdings erschwert.

Tab. 2 Sepsiskriterien nach der S2k-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

Die etablierten Sepsiskriterien sind nach Stammzelltransplantation nur bedingt anwendbar

Die etablierten Sepsiskriterien können bei Patienten nach Stammzelltransplantation nicht oder nur begrenzt zur Diagnosestellung einer Sepsis im Sinne einer kreislaufrelevanten, systemischen Infektion mit Minderversorgung auf zellulärer Ebene herangezogen werden. Leukopenie, Leukozytose, vermehrte Vorläuferzellen im Blut und Fieber können Ausdruck der Krankheitsaktivität, der Konditionierung oder des sog. „engraftments“ sein. Krankheits- oder therapiebedingt kommt es regelhaft zu einer Thromobopenie und Anämie. Letztere bedingt Tachypnoe und Tachykardie. Hinsichtlich der Kriterien der Organkomplikationen können Niereninsuffizienz und Enzephalopathie auch eine CNI-Unverträglichkeit zur Ursache haben. Hyperlaktatämie und falsch-niedrige pAO2-Messungen finden sich bei leukämiebedingter Hyperleukozytose.

Zusammenfassend kann die Diagnose Sepsis anhand gültiger Kriterien bei Patienten nach allogener Stammzelltransplantation häufig nicht sicher gestellt werden. Vielmehr muss die Indikation zur Sepsistherapie anhand der klinischen Gesamteinschätzung getroffen werden. Häufig präsentieren die Patienten Symptomkomplexe, die Mischbilder aus Infektionen, GvHD und Nebenwirkungen der Konditionierungschemotherapie bzw. Immunsuppression darstellen. Die Therapie einer Sepsis orientiert sich an den Standards der Surviving Sepsis Campaign, da es allgemein akzeptierte Leitlinien für Patienten nach Stammzelltransplantation nicht gibt (http://www.sccm.org/Documents/SSC-Guidelines.pdf; http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/079-001l_S2k_Sepsis_Leitlinientext_01.pdf; https://www.dgho-onkopedia.de/de/onkopedia/leitlinien/management-der-sepsis-bei-neutropenen-patienten).

Eine Besonderheit stellt das Engraftment-Syndrom dar. Bei der Erholung der neutrophilen Leukozyten aus der konditionierungsbedingten Aplasie kann es zu einer passageren klinischen Verschlechterung der Infektion bzw. Sepsis kommen. Häufig werden

  • ein Anstieg des C-reaktiven Proteins,

  • Fieber,

  • die Zunahme einer Mukositis,

  • Hyperbilirubinämie,

  • Hypoxie bei progredienten, pulmonalen Infiltraten und

  • zunehmende Vasopressorenpflichtigkeit

beobachtet. Klare Therapiestrategien für dieses gelegentlich letal verlaufende Krankheitsbild gibt es nicht. Steroidstöße können in Einzelfällen zu einer Besserung führen.

Akutes respiratorisches Versagen

Besonders bei immunsupprimierten Patienten nach allogener Transplantation ist eine invasive mechanische Ventilation mit einem deutlich erhöhten Risiko ventilatorassoziierter Pneumonien verbunden. Mortalitätsraten von 80–90 % wurden hier berichtet. Als alternativer Ansatz erscheint die nichtinvasive Beatmung (NIV) prima vista sehr vielversprechend, allerdings galt bisher, dass eine sekundäre Intubation bei NIV-Versagen mit einer hohen periinterventionellen Komplikationsrate und einer sehr hohen Letalität verbunden ist. In einer aktuellen italienischen Studie konnte bei über 1300 hämatologischen Patienten gezeigt werden, dass eine primäre NIV-Form mit einem besseren Outcome verbunden war als eine primäre invasive Ventilation und dass NIV-Versager keine signifikant schlechtere Prognose als primär intubierte Patienten hatten [3]. Mittlerweile gibt es eine Expertenempfehlung zu einer 3-stufigen Vorgehensweise bei hämatoonkologischen Patienten [7]:

  1. 1.

    NIV-fähiger Patient (Fehlen von Koma, kardiopulmonaler Reanimation, Herzrhythmusstörungen, Myokardinfarkt u. a.): NIV

  2. 2.

    NIV-fähiger, Hochrisikopatient („acute respiratory distress syndrome“, Multiorganversagen, Katecholaminpflichtigkeit u. a.): Intubation erwägen

  3. 3.

    NIV-fähiger Patient ohne Risikofaktoren? Abbruch der NIV bei Intoleranz, fehlender Besserung der Blutgasanalyse nach 6 h, Atemfrequenz > 30/min, allgemeiner klinischer Verschlechterung, NIV-Dauer > 3 Tage

Ein inzwischen in vielen großen Zentren etabliertes Verfahren ist die ECMO. Kürzlich wurde in einer retrospektiven Analyse von > 2000 Patienten ein Überleben von > 57 % berichtet. Für hämatologische Patienten, insbesondere nach Stammzelltransplantation, gibt es bisher keinen gesicherten Stellenwert [6]. Als besondere Risikofaktoren sind die in diesem Patientengut häufige Thrombopenie und Immunsuppression zu erwähnen. Eine erste Untersuchung an 14 hämatologischen Patienten ergab ein ECMO-Überleben von 59 % und ein Krankenhausüberleben von 50 %. Alle primär Überlebenden waren nach 36 Monaten am Leben, darunter ein Patient mit insgesamt 3 ECMO-Episoden [13]. Allerdings verstarben alle 3 Patienten, die einer allogenen Transplantation unterzogen worden waren.

Die Mortalität von hämatologischen Patienten mit Sepsis oder ARV steht in linearem Zusammenhang zur Anzahl der mit diesen Diagnosen pro Jahr behandelten Patienten („volume dependency“). „High-volume intensive care units“ sind v. a. in Tertiärkrankenhäusern mit hämatologischen Abteilungen vorhanden. Darüber hinaus erfordert die Behandlung stammzelltransplantierter hämatologischer Patienten zusätzliche Expertise und technische Infrastruktur, z. B. eine schnelle Verfügbarkeit von Messungen der Wirkspiegel von Immunsuppressiva und virologisch-mikrobiologische Untersuchungen wie Zytomegalievirus- oder Epstein-Barr-Virus-PCR und Galaktomannan-ELISA [15]. Darüber hinaus muss auch eine umfassende klinische Erfahrung in der Diagnose und Therapie assoziierter Komplikationen bei anderen Fachdisziplinen vorliegen: u. a. Endoskopiealgorithmus bei Darm-GvHD, augenärztliche Expertise bei Sicca-Syndrom, sichere und schnelle Diagnosestellung in der Pathologie.

Mikroangiopathien

Nach allogener Stammzelltransplantation wird gelegentlich ein Symptomkomplex aus

  • prolongierter oder progressiver Thrombozytopenie,

  • einem Fragmentozytenanteil > 4 %,

  • einem Hämoglobinabfall,

  • einem Anstieg der Laktatdehydrogenase und

  • vermindertem Haptoglobin

beobachtet, der als transplantationsassoziierte thrombotische Mikroangiopathie (TA-TMA) bezeichnet wird [5]. Zahlreiche Ursachen wurden hierfür beschrieben: vorhergehende Strahlen- oder Chemotherapie, akute GvHD, systemische Infektionen, venookklusive Erkrankung der Leber (sinusoidales Obstruktionssyndrom) oder – am häufigsten – eine Immunsuppression mit CNI und/oder mTOR-Inhibitoren. Wichtig bezüglich des Managements ist, dass die Bestimmung der ADAMTS13-Aktivität und inhibitorischen Antikörper keinen Stellenwert wie beim hämolytisch-urämischen Syndrom hat. Einzig effektive Therapie ist das sofortige Absetzen des auslösenden Agens bei klinischem Verdacht, z. B. von Ciclosporin. Plasmapheresen und eine B-Zell-Depletion sind keine gesicherten Strategien bei refraktären Verläufen.

Notwendigkeit der psychoonkologischen und palliativmedizinischen Begleitung

Analog zu anderen kritisch kranken Patienten erleben stammzelltransplantierte Intensivpatienten belastende Symptome wie Angst, Hunger, Unruhe, Durst, Atemnot, Obstipation, Traurigkeit oder Schmerzen. Hinzu kommen transplantationsspezifische Symptome wie krampfartige, blutige Durchfälle bei der Darm-GvHD (bis zu 10 l am Tag), entstellende Hautveränderungen bei der akuten und chronischen Haut-GvHD, ein Sicca-Syndrom bei mukokutaner GvHD und Haarverlust durch Konditionierungstherapien. Diese Situationen erzeugen regelmäßig eine hohe Belastung für Patienten, Angehörige, Pflegende und Ärzte.

Wichtig ist, dass bei diesen Patienten der Umfang der hämatologischen bzw. intensivmedizinischen Behandlung in der letzten Lebenswoche negativ mit der Sterbensqualität korreliert [14]. Deshalb sollten frühzeitig Psychoonkologen und Palliativmediziner in die Behandlung einbezogen werden, auch wenn sie (noch) kurativ intendiert ist und Maßnahmenbündel wie „Improving Palliative Care in the ICU“ zum Einsatz kommen.

Fazit für die Praxis

  • Der Anstieg der Stammzelltransplantationen hat in den letzten Jahren zu einer Zunahme dieses komplexen Patientenguts in der Intensivmedizin geführt.

  • Häufig liegen Mischbilder mehrerer Krankheiten oder Arzneimittelnebenwirkungen vor.

  • Wichtig ist eine umgehende Behandlung in Zentren, in denen eine rasche und standardisierte interdisziplinäre Versorgung etabliert ist.

  • Neue Entwicklungen in der Intensivmedizin wie „Sepsisbündel“, NIV und ECMO verbessern potenziell die Prognose.

  • Umso wichtiger ist die Etablierung von Algorithmen zur Indikationsstellung sowie zur Festlegung von Umfang und Dauer der intensivmedizinischen Behandlung.