Zirkulierende Metabolite, Tumorzellen und -anteile nehmen eine immer wichtigere Rolle in der Verlaufsbeobachtung und Rezidiverkennung von Tumoren ein und werden zusammengefasst als flüssige Biopsie bezeichnet oder als „liquid biopsy“. In der folgenden Zusammenfassung wird eine Übersicht der aktuellen Studien gegeben, die zuletzt beim Jahreskongress der ASCO (American Society of Clinical Oncology) und der ESMO (European Society of Medical Oncology) vorgestellt wurden. Neben dem dominierenden Thema der zirkulierenden Tumor DNA und -zellen werden weitere Arbeiten zu diversen Themen der Diagnostik einschließlich des Wirts- und Tumorstoffwechsels dargestellt.

Definition von „liquid biopsy“

Als flüssige Biopsie werden aus Körperflüssigkeiten gewonnene Zellbestandteile bezeichnet, die einen Rückschluss auf Veränderungen wie Mutationen bei Tumorzellen erlauben. Aktuell am weitesten verbreitet ist die zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA). Auch zirkulierende Tumorzellen werden erforscht sowie Tumorexosomen und RNA-Bestandteile, Proteine oder Metabolite. Im Folgenden wird etwas genauer auf die ctDNA, zirkulierende Tumorzellen und Tumorexosomen eingegangen.

Aus der Menge der nachweisbaren ctDNA lässt sich i. d. R. eine Korrelation zur Tumormasse ableiten

Zirkulierende zellfreie DNA (cfDNA) ist ein normaler Bestandteil im Blutplasma und besteht aus stark fragmentierten DNA-Anteilen. Diese entstehen zumeist aus apoptotischen Zellen und insbesondere apoptotischen Leukozyten. Eine Subgruppe dieser zirkulierenden zellfreien DNA stellt die zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) dar, die oft in Fragmenten von weniger als 100 Basenpaaren vorliegt. Aus der Menge der nachweisbaren ctDNA lässt sich i. d. R. eine Korrelation zur Tumormasse ableiten [1]. Auch in anderen Körperflüssigkeiten lässt sich ctDNA isolieren. Konkret für den HNO-Bereich relevant ist zudem die Isolation aus Speichel, die aber in der aktuellen Studienauswahl nicht weiterführend untersucht wird [2].

International wird ctDNA bereits routinemäßig zur Therapiekontrolle von gastrointestinalen, urologischen, gynäkologischen, dermatologischen und Lungentumoren eingesetzt [3]. In Deutschland wird der Einsatz von ctDNA in der aktuellen S1-Leitlinie für Tumorgenetik und Diagnostik maligner Erkrankungen diskutiert, eine konkrete Zulassung außerhalb des Einzelfalls gibt es bislang aber nur für die Diagnose von EGFR-Mutationen bei geplanter Tyrosinkinaseinhibitortherapie nichtkleinzelliger Lungenkarzinome [4].

Zirkulierende Tumorzellen dienen am ehesten als der Ursprung von Tumorzellausstreuung und Metastasierung. Sie sind ausgesprochen selten. Die Zellen zeichnen sich durch eine ausgeprägte Plastizität durch ihre Umdifferenzierung von epithelialen zu mesenchymalen Zellen („epithelial to mesenchymal transition“, EMT) aus und weisen ähnliche Mutationen des Erbguts auf wie der ursprüngliche Tumor. Im Review von Aktar et al. wurden bereits mehrere Studien im Kopf-Hals-Bereich diesbezüglich zusammengefasst [5]. Mit stetig verbesserter Isolation dieser Zellen steigt der potenzielle klinische Stellenwert.

Exosomen werden von vielen Zellen im Körper gebildet, was auch Tumorzellen einschließen kann. Sie enthalten verschiedene Proteine, aber auch genetische Informationen von der Ursprungszelle und sind von einer Plasmamembran umgeben. Im gesunden Organismus dient dieser Mechanismus der Weitergabe von genetischer Information. Tumorzellen erzeugen Exosomen, die eine Vielzahl von Botenstoffen einschließlich DNA und RNA enthalten können und somit zur Erkennung von Tumorzellen dienen können. Die Schwierigkeit beim Einsatz von Exosomen besteht in der hohen Menge von gesunden Exosomen gegenüber einer vergleichsweise geringen Zahl von veränderten Exosomen. Dafür sind die Exosomen aber gegenüber ctDNA biologisch stabiler [6].

Hofmann et al. haben kürzlich in einem Kollektiv von 22 Patienten gezeigt, dass Operationen und/oder Radiochemotherapie unterschiedliche Veränderungen der Tumorexosomen bedingen [7]. Die Induktion von epithelialer zu mesenchymaler Differenzierung bei Applikation von Tumorexosomen an Zellen ist ein mögliches Maß für das Tumoransprechen.

„Minimal residual disease“

Übereinstimmend in fast allen hier vorgestellten ctDNA-Studien ist die Betrachtung der „minimal residual disease“ (MRD). Hiermit werden kleinste verbliebene Tumoranteile bezeichnet, die sich nicht klinisch oder bildmorphologisch nachweisen lassen, aber als potenzieller Ursprung eines Residuums oder Rezidivs dienen.

In der Prognose von Rezidiven ist der ctDNA-Nachweis nach Therapie aussagekräftiger als sonstige Werte

Eine hervorragende Übersicht, die weiterführend die Nachweismethoden und Datenlage darstellt, ist das Review von Masfarré et al. zum kolorektalen Karzinom [8]. Die Autoren stellen mehrere bereits abgeschlossene Phase-II- und -III-Studien vor, die einen Mehrwert durch die postoperative ctDNA-Analyse beschreiben. In der Prognose von Rezidiven ist der Nachweis von ctDNA nach abgeschlossener Therapie in den vorliegenden Studien deutlich aussagekräftiger als die Tumordifferenzierung, das T‑Stadium, N‑Stadium, die Lymphinvasion und der postoperative Wert für CEA (karzinoembryonales Antigen).

Für den Kopf-Hals-Bereich zeigt u. a. die Subgruppenanalyse der IMSTAR-HN-Studie durch Jonas et al. ähnlich wie bei den vorbeschriebenen gastrointestinalen Tumoren eine hohe Korrelation zwischen der Abwesenheit oder Persistenz von ctDNA nach kurativ intendierter Therapie und der Wahrscheinlichkeit von Residuen oder Rezidiven [9].

Aktuelle Kongressbeiträge zu ctDNA und zirkulierenden Tumorzellen

Die hier vorgestellten Studien zeigen übereinstimmend eine hohe Rate von nachweisbarer ctDNA in Kopf-Hals-Tumoren im Plasma. Ähnliches gilt für zirkulierende Tumorzellen, die aber nur in einer Studie übergreifend betrachtet wurden. In dieser großen Kohorte von Shafi et al. konnte aber eine gute Übereinstimmung mit klinischen Parametern unter Zuhilfenahme eines „Machine-Learning-Algorithmus“ gezeigt werden [10].

Alle Studien sind zusammengefasst in Tab. 1 aufgeführt.

Tab. 1 Studien zu zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) und zirkulierenden Tumorzellen. Wichtigste Parameter der Studien sowie kurze Zusammenfassung des Ergebnisses

Insgesamt 5 Studien beschäftigen sich hierbei mit der Detektion von ctDNA [3, 11,12,13,14]. Nach Hochdurchsatzsequenzierung wurden unterschiedliche kommerzielle ctDNA-Systeme angewandt. In 2 Studien wurde das RaDaR(Residual-Disease-and-Recurrence)-System eingesetzt (Fa. Inivata, Cambridge, MA, USA), alternativ kamen Guardant360 CDx (Fa. Guardant, Redwood City, CA, USA), ein nicht genauer bezeichnetes Signatera-System (Fa. Natera, San Carlos, CA, USA) sowie SafeSeq HPV (Fa. Novartis, Basel, Schweiz) zur Quantifizierung von ctDNA aus humanen Papillomaviren (HPV) zum Einsatz. Eine Übersicht findet sich in Tab. 2.

Tab. 2 Übersicht der ctDNA-Systeme in den ausgewählten Studien vom Kongress der ASCO (American Society of Clinical Oncology) und ESMO (European Society of Medical Oncology) mit deren jeweiligen Fallzahlen und der Nachweisrate

Übereinstimmend konnte ctDNA häufig nachgewiesen werden und war bei Wiederauftreten oder Persistenz mit dem Auftreten von Progress oder Rezidiven verbunden. Umgekehrt war es ein positives prognostisches Zeichen, wenn die Menge an ctDNA abnahm oder ctDNA gar nicht mehr nachweisbar war.

Keiner der Patienten ohne postoperativ nachweisbare ctDNA entwickelte ein Rezidiv

Das Untersuchungsmaterial wurde nicht durchgehend beschrieben. Von Interesse ist, dass die mittlerweile im British Journal of Cancer publizierte Studie von Flach et al. eine formalinfixierte Gewebeprobe für die initiale Sequenzierung zur Typisierung vor ctDNA-Nachweis einsetzen konnte, was logistisch eine Erleichterung gegenüber frisch gefrorenen Proben darstellt [12]. In dieser Studie wurden postoperative Rezidive mittels ctDNA um 108–253 Tage früher festgestellt, als diese klinisch erkennbar waren. Keiner der Patienten ohne postoperativ nachweisbare ctDNA entwickelte ein Rezidiv.

Die Kohorte von Kasi et al. über mehrere Entitäten bietet den zahlenmäßig größten Überblick. In diese Studie wurden 40.000 Patienten, die eine Guardant360 und Guardant360 CDx-Liquid-Biopsy-Untersuchung erhielten, eingeschlossen. Hierbei handelt es sich um ein breitangelegtes Panel, dass für alle soliden Tumoren von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zugelassen ist und 73 Mutationen untersucht. Die Kohorte bezieht sich auf einen Untersuchungszeitraum von 6 Monaten. Unklar bleibt die genaue Größe der Kopf-Hals-Kohorte. Letztlich kann man der Studie nur entnehmen, dass bei unklarer Gruppengröße die Nachweisrate mit 85 % erneut hoch ist [3].

Innovative diagnostische Verfahren

NLM-Wert

Das Verhältnis von Neutrophilen zu Lymphozyten („neutrophile to lymphocyte ratio“, NLM) ist ein bereits seit einigen Jahren vielfach diskutiertes Hilfsmittel zur Darstellung der immunologischen Homöostase. Ein erhöhter NLM-Wert ist mit einer erhöhten Mortalität verbunden – sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch bei verschiedene Erkrankungen wie Pneumonie, Sepsis, COVID-19 oder Tumorerkrankungen [15]. Die erhöhte Mortalität ist am ehesten im proinflammatorischen Zustand begründet, der sich in einer Erhöhung der neutrophilen Granulozyten äußert. Die Arbeitsgruppe von Kao et al. betrachtet diesen Wert bei Kopf-Hals-Patienten in einer sehr großen Kohorte der amerikanischen Veteranenkrankenhäuser. Hierbei wurden 2084 Patienten mit Stadium III–IVb retrospektiv ausgewertet. Patienten in einer Subgruppe mit erhöhtem NLM hatten ein höheres allgemeines Sterberisiko. Dies traf sowohl für die Gesamtkohorte als auch bei einer anhand multipler Parameter gematchten Gruppe zu. Hiermit kann der NLM-Wert möglicherweise ein Hilfsmittel in der allgemeinen Risikostratifizierung im Rahmen der Behandlungsplanung sein [16].

Lipidomics

Lipidomics sind bereits seit 20 Jahren ein wachsendes Thema in verschiedenen Krankheitsbildern. Die Analyse von Fettsäuren im Plasma erlaubt einen Blick auf den Zustand des Stoffwechsels, und die Analyse mittels direkter Massenspektrometrie ist vergleichsweise einfach umsetzbar [17]. Castro et al. betrachten das Lipidprofil von 61 Patienten mit Mundhöhlenkarzinomen gegenüber einer Kontrollgruppe von 60 gesunden Probanden.

Das metabolische Profil war bei Patienten mit Mundhöhlenkarzinom charakteristisch verändert

Neben der Analyse der Fettsäuren mittels Massenspektrometrie erfolgte eine Analyse der auf den Fettstoffwechsel bezogenen Genexpression. In der Analyse zeigte sich eine charakteristische Veränderung des metabolischen Profils bei Patienten mit Mundhöhlenkarzinom, was eine weitere Untersuchung nahelegt [18].

„Peripheral blood mononuclear cells“

„Peripheral blood mononuclear cells“ (PBMC) setzen sich v. a. aus Lymphozyten zusammen und können Rückschlüsse auf die Immunaktivität geben. In der Studie von Economopoulou et al. werden PBMC von Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren analysiert in Bezug auf deren Aussagekraft bezüglich des Ansprechens von PD-L1-Inhibitoren [19]. Untersucht wurden hierbei Hinweise für oxidativen Stress und damit verbundene DNA-Schäden, die in der Aktivität des DNA-Damage-Response(DDR)-Signalwegs gemessen wurden. Es wurde eine Kohorte von 50 Patienten mit rezidivierten oder metastasierten Kopf-Hals-Tumoren, die eine Immuntherapie im Rahmen einer Phase-II-Studie erhielten, untersucht. Hierbei war eine erhöhte Aktivität der DDR-Pathways mit einer schlechteren Prognose sowie einem schlechteren Ansprechen der Immuntherapie verbunden.

Ausblick

Insbesondere im Bereich der ctDNA zeigten sich in mehreren hier vorgestellten Studien vielversprechende Daten unter Einsatz von praxistauglichen Assays. Was für den Kopf-Hals-Bereich bislang fehlt, sind Fallzahlen, die eine Einführung in die Praxis bedingen können. Aktuell laufende und geplante Studien werden diese Frage wahrscheinlich absehbar klären können. Eine Auswahl ist in Tab. 3 aufgeführt.

Tab. 3 Auswahl geplanter und laufender Studien mit Schwerpunkt ctDNA laut Datenbankabfrage mit den Begriffen „ctDNA“ und „HNSCC“ von clinicaltrials.gov am 20.01.2023

Die Kosteneffektivität der ctDNA-Detektion muss je Anwendungsfall geklärt werden. Kowalchuk et al. rechnen für HPV-positive Oropharynxkarzinome mit Kosten von 500 US-Dollar pro Test und Gesamtkosten von 8500–9000 US-Dollar innerhalb von 2 Jahren bei Testung alle 3 Monate [20]. Dies wird verglichen mit einer Nachsorge entsprechend NCCN-Empfehlung (National Comprehensive Cancer Network) mit mindestens einer Positronenemissionstomographie-Computertomographie (PET-CT) sowie Endoskopie alle 3 Monate für 2 Jahre. Anhand amerikanischer Preise für die entsprechenden Untersuchungen wäre die ctDNA-basierte Nachsorge ökonomisch wesentlich günstiger in der Erkennung von Rezidiven als die konventionelle Nachsorge und mit weniger invasiven Untersuchungen verbunden.

Sánchez-Calderón et al. kommen in ihrer Kostenanalyse zum Einsatz von ctDNA-basierter „liquid biopsy“ bei der Erstlinientherapie von HER2-positivem Brustkrebs auf Mehrkosten von 7333 US-Dollar gegenüber konventioneller Surveillance [21]. Eingesetzt würde die ctDNA-Diagnostik zur früheren Vorhersage von Behandlungsresistenz. Anhand der Modellrechnung, basierend auf vorhandenen Effektivitätsdaten, wurde keine signifikante Verbesserung der qualitätsadjustierten Lebensjahre für die hypothetische Intervention gefunden.

Neue Methoden werden möglicherweise auch soziale und psychoonkologische Herausforderungen bereiten

Abschließend erscheinen die Daten insbesondere für ctDNA bereits sehr vielversprechend. Sollten sich die Ergebnisse auf große Kohorten übertragen lassen, erlauben flüssige Biopsien potenziell eine deutlich bessere Risikostratifizierung von Patienten. Personalisierte Behandlungspfade erlauben eine Verringerung der Toxizität für Niedrigrisikopatienten und bestmögliche Reaktion auf hochmaligne Tumoren. Abseits der rein technischen Umsetzung werden neue Methoden aber möglicherweise auch soziale und psychoonkologische Herausforderungen bereiten: Wie geht man mit einer persistierenden ctDNA-Erhöhung ohne nachweisbaren Tumor um – als Behandler, aber v. a. auch als Patient? Bei aller Euphorie um die „objektive“ Diagnostik darf die multidisziplinäre multimodale klinische Betreuung von Patienten nicht in den Hintergrund treten.

Fazit für die Praxis

  • Die große Zahl an Studien zur zirkulierenden Tumor-DNA lässt vermuten, dass ein Einsatz in der Zukunft wahrscheinlich ist.

  • Studien an größeren Patientenkohorten sind notwendig für eine etwaige Kassenzulassung.

  • Neben der Bestätigung der Wirksamkeit der Methode müssen die Kosten in den Kontext der bisherigen Behandlungs- und Nachsorgestrategien gesetzt werden.

  • Sinkenden Kosten, beispielsweise von „next-generation sequencing“ sind förderlich für den Einsatz in der Routine.

  • Weitere Assays, wie Lipidomics, erweitern in Zukunft möglicherweise das Portfolio an vorhandenen Tests, die eine bessere Stratifizierung von Risikogruppen zu erlauben.