Hintergrund

Auch wenn in den vergangenen Jahren eine rasante technologische Entwicklung zu verzeichnen ist und digitale Medien bereits fester Bestandteil unseres Alltags geworden sind, fanden diese in Deutschland bis vor Kurzem nur schleppend Einzug in die klinische Routine. Die COVID-19-Pandemie hat diese Situation grundlegend geändert [19]. Über Nacht mussten digitale Lösungen gefunden und implementiert werden, um die medizinische und therapeutische Versorgung der Patienten zu gewährleisten [13, 17, 20]. Dies trifft auch auf die Hörrehabilitation nach einer Cochleaimplantation zu [3, 4].

Basierend auf der Sk2-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie gliedert sich der postoperative Rehabilitationsprozess nach einer Cochleaimplantation in drei Phasen [14]. Im Rahmen der Basistherapie, beginnend zwischen dem ersten postoperativen Tag und bis 6 Wochen postoperativ, werden unter stationären Bedingungen oder bei günstigen Voraussetzungen und enger Strukturierung unter ambulanten Bedingungen u. a. die Ersteinstellung und Optimierung des Sprachprozessors, die Initiierung der Hör-Sprach-Therapie sowie technische und audiometrische Kontrollen durchgeführt, während in der dann bei erwachsenen CI-Trägern anschließenden 6‑ bis 24-monatigen Folgetherapie die auditiven Fähigkeiten weiter ausgebaut werden. Hieran schließt sich die lebenslange Nachsorge an mit dem Ziel, eine kontinuierliche medizinische, therapeutische und technische Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Dem Hörtraining selbst liegt eine 4‑stufige Struktur zugrunde, welche systematisch durchlaufen wird, beginnend mit der Wahrnehmung (Detektion) auditiver Reize, der Analyse ihrer Eigenschaften (Länge, Lautstärke, Tonhöhe), dem Unterscheiden (Differenzierung) und Erkennen (Identifikation) derselben. Hilfen, wie das Schriftbild, semantische Einschränkungen oder das Mundbild werden sukzessive abgebaut, bis Patienten Sprache ohne Mundbild im Störgeräusch verstehen können.

Bislang fand die postoperative Rehabilitation im Rahmen der Folgetherapie nach einer Cochleaimplantation in Deutschland meist Face-to-Face in speziellen Rehabilitationseinrichtungen ambulant oder stationär statt [14, 24, 38, 44, 48]. Im Zuge der Digitalisierung finden zunehmend auch Onlineangebote Einzug in den CI-Rehabilitationsprozess. Aktuell handelt es sich hierbei meist um Applikationen, die Patienten additiv zur konventionellen Therapie nutzen. Diesen mangelt es häufig an Komplexität, Adaptivität, Feedback- und Motivationselementen [43]. Computerbasierte Trainingsplattformen, die eine standardisierte Online-Hörrehabilitation in Analogie zum Training vor Ort beinhalten, sind noch in der Entwicklung [45]. Videotherapeutische Settings wurden bisher in der Logopädie vornehmlich zur Behandlung sprachtherapeutischer Störungsbilder, wie der Aphasie, Dysphagie, Dysphonie und des Stotterns bei Patienten unterschiedlichen Alters eingesetzt [6, 16, 22, 29, 33, 34, 46].

Demgegenüber erfolgt in der Psychotherapie seit Jahren eine digitale Betreuung von Patienten. Diese wird nicht nur von den Patienten selbst als positiv wahrgenommen [32], sondern ihre Effektivität konnte auch bereits in verschiedenen Studien belegt werden [13, 27, 35].

Ein wichtiger Einwand gegen jede Form der Videotherapie ist die Befürchtung aufseiten der Therapeuten, dass sich durch videotherapeutische Interventionen die Beziehung zwischen Patient und Therapeut negativ verändere und es ohne einen persönlichen Kontakt schwieriger sei, eine therapeutische Allianz aufzubauen oder diese aufrechtzuerhalten [17]. Das Konzept der therapeutischen Allianz, das nicht nur das emotionale Band zwischen Patient und Therapeut, sondern auch die Übereinstimmung im Hinblick auf die Ziele und die Art der therapeutischen Übungen umfasst, wird jedoch als einer der Schlüsselfaktoren für den Erfolg einer Therapie angesehen [10, 36]. Im Hinblick auf Videotherapien wurde dieser Aspekt bislang nicht ausreichend untersucht [7, 8, 40].

Ziel der vorliegenden Studie war es, den Einsatz der Videotherapie im Rahmen der postoperativen Rehabilitation bei erwachsenen CI-Trägern aus Sicht der Therapeuten und der Patienten im Hinblick auf Nutzerfreundlichkeit, die therapeutische Allianz sowie die technische und inhaltliche Umsetzung zu evaluieren.

Material und Methoden

Teilnehmer

In die Studie wurden 42 erwachsene CI-Träger, die sich in der Folgetherapie nach Cochleaimplantation befanden, mit einem Durchschnittsalter von 58,8 (±15,4) Jahren, einer Hörerfahrung von mindestens zwei Monaten (Ø 11,2; ±7,1) und einem Einsilberverstehen von 51 % (±25 %) gemessen am Freiburger bei 65 dB eingeschlossen (Tab. 1). Bei 33 CI-Trägern lag eine bilaterale (hiervon in 6 Fällen eine bilaterale CI-, in 27 Fällen eine bimodale Versorgung), bei 9 eine einseitige Hörstörung (Single-Sided Deafness, SSD) vor. Als Einschlusskriterien galten: (1) Alter ≥ 18 Jahre, (2) keine schwere motorische, visuelle oder kognitive Beeinträchtigung, (3) Vorhandensein einer entsprechenden technischen Ausstattung beim Patienten (Tab. 1). Daneben nahmen 5 Logopäden im Alter von 27–59 Jahren mit Erfahrung in der Hörrehabilitation teil.

Tab. 1 Stammdaten Patienten (n = 42)

Videotherapie

Die während der COVID-19-Pandemie kostenlos zur Verfügung stehende Plattform sprechstunde.online® (https://sprechstunde.online/) ist nach Anlage 31b zur IT-Sicherheit und zum Datenschutz zertifiziert und gewährleistet eine End-zu-End-Verschlüsselung über die gesamte Therapielaufzeit [26]. Nach der Registrierung erhalten die Therapeuten einen persönlichen Account, die Patienten dagegen erhalten über einen einmaligen, individuellen Sicherheitscode Zugriff auf die Plattform. Dieser wird nach der Terminerstellung durch den Therapeuten automatisch generiert und dem Patienten via E‑Mail oder SMS zur Verfügung gestellt.

Im Rahmen der Videotherapie können Beratungs- und Übungssequenzen durchgeführt werden. Neben einer simultanen Bild- und Tonübertragung erlaubt das Programm auch ein Teilen des Bildschirms sowie das Senden und Empfangen von pdf-Dokumenten und den Austausch schriftlicher Informationen per Chat. Im Rahmen der vorliegenden Studie arbeiteten Therapeuten an feststehenden Computern mit einer externen Webcam der Fa. Logitech (Apples, Schweiz) (Modell C270), die die Bild- und Tonübertragung gewährleistete. Um möglichst vielen Patienten die Teilnahme am Videotherapieangebot zu ermöglichen, wurde das Endgerät nicht eingegrenzt. Die Nutzung von Smartphone, Tablet, Laptop und Computern war möglich. Eine Verbindung über eine Audioschleife wurde empfohlen.

Studienaufbau

Alle Therapeuten erhielten eine interne Einweisung. Registrierungen, Terminvergabe, Equipment und mögliche Störungsgründe wurden thematisiert. Im Rahmen von internen Testdurchläufen wurde der Umgang gefestigt. Basierend auf den Erfahrungen wurde eine Bedienungsanleitung für die Patienten erstellt. Telefonisch standen Therapeuten für Rückfragen zur Verfügung. Alle Patienten erhielten einmal wöchentlich eine Videotherapie à 45 min als Einzeltraining über 5 Wochen. Nach jeder Therapieeinheit bewerteten die Therapeuten die Sitzung mittels eines eigens hierfür entwickelten Kurzfragebogens zur Videotherapie (Tab. 2). Daneben wurde nach Studienende die Anwendbarkeit des Programms, die Therapeuten-Patienten-Beziehung und die Qualität des Trainings mithilfe folgender Fragebögen sowohl durch den Patienten als auch den Therapeuten erfasst.

Tab. 2 Kurzfragebogen zur Videotherapie für Therapeuten (offene Fragen sind kursiv gedruckt. Sie wurden ausschließlich qualitativ ausgewertet)

System Usability Scale (SUS)

Die Nutzerfreundlichkeit wurde anhand der SUS erfasst und entsprechend der Arbeit von Lewis (2018) [31] ausgewertet. Dabei werden die Rohwerte basierend auf einer Likert-Skala von 0–4 entsprechend der Konnotation der Fragestellung umgewandelt. Dabei entsprechen 4 Punkte der bestmöglichen und 0 Punkte der schlechtesten Bewertung. Die umgewandelten Werte werden mit dem Faktor 2,5 multipliziert, um einen Maximalscore von 100 zu erhalten. Des Weiteren werden die Einzelfragen separat beurteilt. Anhand der in Tab. 3 dargestellten Werte wird deutlich, wie hoch die prozentuale Bewertung der Fragen im Vergleich mit deren Maximalwert ist.

Tab. 3 System Usability Scale (Brooke, 1996). Patienten n = 42 (100 %) und Therapeuten n = 5 (100 %) für jede Aussage

Skala Therapeutische Allianz – Revised (STA-R)

Die Therapeuten-Patienten-Beziehung wurde mit dem STA-R-Fragebogen [10] auf einer Likert-Skala von 0–4 (von „Ich stimme gar nicht zu“ bis „Ich stimme voll zu“) evaluiert. Hierin finden sich 17 Items auf 4 Skalen zur zuversichtlichen Zusammenarbeit mit dem Therapeuten (1), der positiven emotionalen Beziehung zum Therapeuten (2) und Fragen, wie gut es dem Patienten in der Videotherapie gelingt, sich zu öffnen (3), aber auch Fragen nach einer möglichen Interferenz mit der Therapeutenpersönlichkeit (4).

Abschlussfragebogen zur Videotherapie

Der Fragebogen für Patienten (Tab. 4) umfasste 6, der für Therapeuten (Tab. 5) 9 verschiedene Aspekte. Mit Ausnahme der Fragen 42 und 43 des Therapeutenfragebogens wurden alle Items in Bezug auf jeden einzelnen Teilnehmer auf einer Likert-Skala von 0–4 bewertet. Höhere Punktzahlen verweisen auf bessere Ergebnisse. Um die Bewertung der Einzelfragen darzustellen, wurden Prozentwerte gewählt. Diese zeigen auf, wieviel Prozent der Maximalpunktzahl der entsprechenden Frage erreicht wurde. Zusätzlich wurden ökonomische Daten auf Basis der Entfernung zum CI-Zentrum und der Zeit, um CI-Zentrum zu erreichen, und Daten zur technischen Vorerfahrung der Patienten erhoben.

Tab. 4 Abschlussfragebogen zur Videotherapie für Patienten. n = 42 (100 %) für jede Aussage
Tab. 5 Abschlussfragebogen zur Videotherapie für Therapeuten. Patientenbezogene Aussagen n = 42 (100 %); therapeutenbezogene Aussagen n = 5 (100 %)

Kurzfragebogen zur Videotherapie

Der eigens für die Studie entwickelte Kurzfragebogen für Therapeuten umfasste die Bereiche Beurteilung der Qualität und Therapieinhalte (Tab. 2). Die 10 Auswahlfragen wurden in Bezug auf jeden einzelnen Teilnehmer auf einer Likert-Skala von 0–4 bewertet. Eine höhere Punktzahl in Bezug auf technische Fragen bedeutete ein besseres, in Bezug auf das Therapiematerial und die therapeutische Umsetzung ein schlechteres Ergebnis. Außerdem beinhaltete der Fragebogen vier offene Fragen, die der Spezifizierung der Rückmeldung dienen. Der Fragebogen wurde nach jeder Therapieeinheit (TE) (1–5) ausgefüllt.

Trainingsmaterial

Gearbeitet wurde vorrangig Screen-to-Screen mit im Live-Voice-Modus präsentierten Inhalten, wobei die Lautstärke entsprechend dem Pegel eingestellt wurde, der für den Patienten angenehm war. Abhängig vom Leistungsstand der Patienten wurden Übungen angepasst an die individuellen Voraussetzungen und das Lerntempo ausgewählt [47]. Übergeordnetes Ziel war es, phonetische, semantische und visuelle Hilfen schrittweise abzubauen, um ein freies Sprachverstehen zu erzielen. Dazu wurden zunächst die Geräuschwahrnehmung und -diskrimination sowie die Wahrnehmung von rhythmisch-prosodischen Sprachstrukturen (Wort- und Satzlänge) trainiert. Es folgten Vokal- und Konsonantenunterscheidung sowie Identifikationsaufgaben in Bezug auf Zahlen, Wörter und Sätze im Closed und Open Set, zunächst in Ruhe, später im Störgeräusch.

Ökonomische Analyse

Um eine Gegenüberstellung der Kosten seitens der Patienten und der Therapeuten zu ermöglichen, wurden die Kosten der Patienten basierend auf den Reisekosten ermittelt. Pro gefahrenen Kilometer für die Anreise zum CI-Zentrum wurde die aktuell gültige Kilometerpauschale von 0,30 € veranschlagt. Die Kosten seitens der Therapeuten wurden basierend auf der investierten Arbeitszeit berechnet, wobei ein Stundenlohn von 35 €, basierend auf der aktuellen Vergütungssituation in der Einrichtung, angesetzt wurde. Kosten für die Nutzung des Internets, Raummiete oder Neuanschaffungskosten für technisches Equipment wurden nicht berücksichtigt.

Statistische Auswertung

Zunächst wurde eine deskriptive Analyse der Daten mithilfe des Mittelwerts und der Standardabweichung durchgeführt. Korrelationen zwischen den Aussagen und den soziodemografischen Faktoren wie Alter und Geschlecht wurden berechnet. Falls keine Normalverteilung vorlag, wurde die Kendall-Rangkorrelation bei Rangbindung angewendet. Der Vergleich zwischen den Therapeuten- und Patientendaten wurde mit dem Mann-Whitney-U-Test vorgenommen. Das Signifikanzniveau wurde auf p = 0,05 festgelegt. Die statistische Analyse erfolgte mit Medas (Fa. Grund, Margetshöchheim).

Ein positives Ethikvotum (Nr. 20-6936) der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum lag vor.

Ergebnisse

System Usability Scale (SUS)

Mit einem Durchschnittswert von 93,0 (±3,6) bewerteten die Therapeuten die Benutzerfreundlichkeit des Programms als ausgezeichnet. Die Bewertung der Patienten fiel etwas geringer aus (87,9 ±13,85), unterschied sich jedoch nicht signifikant (p = 0,67). Eine Analyse der einzelnen Fragen (Tab. 3) zeigt, dass sich sowohl Patienten (90,5 % ±14,56) als auch Therapeuten (95,0 % ±11,18) im Umgang mit dem Programm sicher fühlten und die Bedienung des Programms als einfach einschätzten (Patienten: 91,7 %  ±18,03; Therapeuten: 95,0 % ±11,18). Kritisch wurde die Frage nach einem selbstständigen Gebrauch des Programms gesehen. Therapeuten (30,0 % ±20,92) gingen häufiger als Patienten (19,0 ±23,9) davon aus, dass einige Anwender auf die Unterstützung von Angehörigen oder Therapeuten angewiesen seien.

Skala Therapeutische Allianz – Revised (STA-R)

Insgesamt wurde die therapeutische Allianz während der Videotherapie als hoch eingeschätzt. Dabei unterschied sich der Score der Patienten (87,8 % ±9,44) und der Therapeuten (84,8 % ±10,23) nicht signifikant (p = 0,14). In den einzelnen Untertests (Abb. 1 und 2) fand sich Folgendes:

Abb. 1
figure 1

Skala Therapeutische Allianz – Revised (STA‑R; Patienten, n = 42)

Abb. 2
figure 2

Skala Therapeutische Allianz – Revised (STA‑R; Therapeuten, n = 5)

  • Die Zuversicht der Patienten hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit mit dem Therapeuten (Skala 1) war hoch. In 82,1 % (±27,77) gaben diese an, dass sie ihre Therapieziele durch die Videotherapie erreichen können. Dies galt auch für die Therapeuten (69,01 % ±26,94) (p = 0,33).

  • Die Auswertung der zweiten Skala zeigte, dass 93,9 % der Patienten keine Angst hatten, sich ihrem Therapeuten zu öffnen. Die Wahrnehmung der Patienten unterschied sich nicht signifikant von der Sichtweise der Therapeuten (p = 0,63). Dabei hatte weder das Alter (p = 0,75) noch das Geschlecht (p = 0,75) einen Einfluss auf die Ängstlichkeit der Patienten, allerdings die Dauer der Hörerfahrung mit dem CI. Je länger die Patienten versorgt waren, desto weniger Angst hatten sie vor der Videotherapie (p = 0,0025; τ = 0,325).

  • Die dritte Skala, welche die emotionale Beziehung zwischen dem Patienten und dem Therapeuten erfasst, belegte, dass sich die Patienten durch die Videotherapie wertgeschätzt fühlten (94,0 % ±13,31). Dabei zeigte sich ein signifikanter Unterschied zu der Meinung der Therapeuten, die kritischer waren (p = 0,00011).

  • Im Hinblick auf die Frage einer möglichen Interferenz der Videotherapie mit der Therapeutenpersönlichkeit (Skala 4) unterschied sich die Meinung der Patienten von der ihrer Therapeuten. Während Letztere angaben, dass ihr eigenes Verhalten die Therapie manchmal beeinflusse (81,0 % ±18,51), verneinten alle Patienten dies (100,0 % ±0,0; p = 0,0001).

Die Benutzerfreundlichkeit des Programms (SUS-Score) und die therapeutische Allianz waren stark miteinander assoziiert. Je besser die Benutzerfreundlichkeit von den Patienten (p = 0,0025; τ = 0,324) und den Therapeuten (p = 0,013; τ = 0,265) eingeschätzt wurde, desto stabiler war ihre Beziehung. Darüber hinaus schätzten Therapeuten, die sich sicher in der Anwendung des Programms fühlten (SUS-Score), ihre Patienten als weniger ängstlich ein (STA‑R, Score 2) (p = 0,0020; τ = 0,332).

Kurzfragebogen zur Videotherapie (Tab. 2)

Über den Therapieverlauf zeigten sich zwischen der ersten und fünften Therapieeinheit nur geringfügige Änderungen in der Einschätzung der Therapeuten in Bezug auf die Gesamtqualität der Videotherapie (TE1: 2,56/4 ±0,98; TE5: 3,0/4 ±0,86) sowie deren Umsetzbarkeit (TE1: 2,45/4 ±1,43; TE5: 3,0/4 ±1,22), wobei die Spannweite der Beurteilung durch die einzelnen Therapeuten groß war. Technische Probleme traten in der letzten Sitzung deutlich weniger als zu Beginn auf. Während in der ersten Therapieeinheit vor allem über Schwierigkeiten in der Handhabung, im Umgang mit dem Endgerät, beim Starten des Programms und beim Koppeln des Endgeräts mit der Audioschleife berichtet wurde, zeigten sich diese am Ende der Studie nur noch bei 11,9 % der Sitzungen. Nur die Tonübertragung blieb während des gesamten Studienverlaufs problematisch. Zu einem technisch bedingten Abbruch der Therapieeinheit kam es während der ersten Einheit in vier Fällen (9,5 %). Demgegenüber konnte die 5. Therapieeinheit bei allen Patienten regelrecht durchgeführt werden.

Abschlussfragebogen zur Videotherapie

In diesem Fragebogen, welcher von Patienten und Therapeuten beantwortet wurde, wurde jeder Bereich separat bewertet (Tab. 4 und 5).

Der Gesamtnutzen der Telemedizin wurde von den Patienten signifikant besser beurteilt als von den Therapeuten (p = 0,0065). Patienten mit einer längeren Anreise schätzten die Videotherapie signifikant mehr (p = 0,045). Die Qualität des Programms hinsichtlich Verständlichkeit und Bedienbarkeit wurde von Patienten (87,31 % ±17,57) ebenfalls besser bewertet als von den Therapeuten (85,62 % ±16,47). Dieser Unterschied war jedoch nicht signifikant (p = 0,49). Eine Ausnahme bildet die Frage, ob das System einfach und leicht zu erlernen sei. Hier antworteten die Therapeuten signifikant positiver (p = 0,0033).

Die Qualität der Interaktion erhielt von beiden Usergruppen ein positives Feedback, auch wenn die Patienten etwas kritischer (86,57 % ±15,96) als die Therapeuten (89,26 % ±11,93) waren. Die Zufriedenheit mit dem Konzept der Videotherapie war bei Patienten und Therapeuten ähnlich (p = 0,43). Alle Therapeuten (100 %) und 92,86 % der Patienten hielten Videotherapien für eine positive Ergänzung zum Hörtraining vor Ort, und mehr als 80 % der befragten CI-Träger wollten die Videotherapie auch nach der COVID-19-Pandemie weiterhin nutzen.

Die Auswahl und Umsetzung der Therapieinhalte wurden von den Patienten als sehr positiv bewertet (92,33 ±12,79). Je älter die Personen waren, desto besser fiel die Bewertung aus (p = 0,019; τ = 0,251).

Auch die Therapeuten gaben an, dass der Einsatz von Text‑, Satz- und Wortmaterial über die Videotherapie problemlos möglich war. Demgegenüber sahen sie die Arbeit auf Silbenebene kritischer. Geräusche wurden kaum eingesetzt (19 %). In 88,0 % konnten die Therapeuten auf bereits vorhandenes Therapiematerial zurückgreifen, um die Videotherapie durchzuführen. Der Einsatz der normalen Sprechstimme gelang in 95 % gut, während dies für eine künstliche Stimme über zusätzliche Computerprogramme nur in 39 % zutraf. Als Hilfestellung wurde das Mundbild häufiger als das Schriftbild verwendet, auch wenn sich Ersteres als störungsanfälliger erwies (29 %).

Die Zufriedenheit mit der Videotherapie korrelierte stark mit der Einschätzung der Beziehung zwischen dem Therapeuten und dem Patienten. Je besser die therapeutische Allianz war, desto zufriedener waren die Patienten (p = 0,00064; τ = 0,366) und die Therapeuten (p = 0,0020; τ = 0,331) mit der Videotherapie. Außerdem bestand ein größerer subjektiver Nutzen, wenn die therapeutische Allianz positiver eingeschätzt wurde (Patienten: p = 0,0042; τ = 0,307; Therapeuten: p = 0,029; τ = 0,233). Das Gleiche galt für die Qualität der Interaktion. Je besser die Interaktion bewertet wurde, desto nützlicher wurde die Videotherapie von Patienten (p = 0,039; τ = 0,247) und Therapeuten (p < 0,000005; τ = 0,568) wahrgenommen.

In den offenen Fragen zu den Vor- und Nachteilen der Videotherapie wurde sowohl von den Patienten (61,9 %) als auch von den Therapeuten (21,4 %) die Zeit- und Kostenersparnis als der größte Vorteil wahrgenommen. Des Weiteren nannten 14,3 % der Patienten und 11,9 % der Therapeuten die verbesserte Trainingseffizienz bei Patienten mit einseitiger Taubheit (SSD), die während der gesamten Therapieeinheit im Unterschied zur Vor-Ort-Therapie über eine Audioschleife trainierten, als Vorteil. Darüber hinaus wurden die Fortführung des Trainings während des Lockdowns (9,5 %) und die flexible Terminvereinbarung (4,8 %) positiv hervorgehoben.

Negativ wurden von den Patienten vor allem technische Probleme bewertet (47,6 %). Des Weiteren gaben 30,9 % der Patienten an, dass der fehlende persönliche Kontakt für sie ein Problem darstellte. Für 7,1 % der Nutzer hatte die Videotherapie keinerlei Nachteil. Fünf Patienten sahen Verbesserungsbedarf hinsichtlich des geteilten Bildschirms. Sie würden den Therapeuten gern auch in dieser Einstellung sehen können. Drei Patienten äußerten den Wunsch nach professionellerer technischer Ausstattung der Patienten und der Therapeuten. Die Möglichkeit der technischen Anpassung würde während der Videotherapie fehlen. Insgesamt 14 Patienten (33,3 %) sahen keinen Verbesserungsbedarf. Für die Therapeuten bestand dieser vor allem im Bereich der Technik (57,1 %). So klagten 34,2 % über Kommunikationsschwierigkeiten aufgrund technischer Probleme. Außerdem fehlten ihnen der persönliche Kontakt und die emotionale Bindung (23,7 %). Des Weiteren erwies sich die Integration von Hintergrundgeräuschen als problematisch.

Ökonomische Analyse

Wirtschaftliche Vorteile fanden sich vor allem hinsichtlich der Reisekosten. So sparten die Patienten Ø 107,4 (±53,9) min Fahrzeit pro Therapieeinheit. Hochgerechnet auf einen Gesamtrehabilitationsumfang von 40 h Hörtraining im Rahmen der Folgetherapie bei Erwachsenen ergäbe dies eine Einsparung von 76 h. Die Entfernung, die jeder Patient pro Therapiesitzung zurücklegte, betrug Ø 79,5 km (±60,6). Basierend auf einer Fahrtkostenpauschale von 0,30 €/km entfielen für die Patienten Kosten in Höhe von 23,85 €/Therapie (±18,18) und durchschnittlich 954 € für den gesamten Rehabilitationszeitraum. Allerdings benötigten die Therapeuten mehr Zeit für die Vorbereitung (7,5 min/vor Ort vs. 10,5 min/Videotherapie (±5,61)). Dabei hing die Vorbereitungszeit stark vom einzelnen Therapeuten ab. Hierdurch entstanden zusätzliche Kosten von 8,75 €/Patient.

Diskussion

Wie die vorliegende Studie zeigen konnte, erfährt die Videotherapie eine hohe Akzeptanz bei erwachsenen CI-Trägern und wird auch von Therapeuten gut angenommen, selbst wenn von letztgenannter Seite initial oft Bedenken bestehen [41].

Vor allem die Zeitersparnis wird als Vorteil der Videotherapie gesehen [20, 21]. Dabei treten die ökonomischen Vorteile lediglich auf der Seite der Patienten auf. Für die Rehabilitationseinrichtung dürfte die Videotherapie vor allem in der Anfangszeit, bis digitale Materialien erstellt sind, nicht kosteneffizienter sein. Dies konnte auch Lauer in ihren Experteninterviews an teletherapieerfahrenen Fachtherapeuten aus der Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie belegen [29]. Dabei hängt das Ausmaß einer Kosteneinsparung durch Videotherapien, welche in der Literatur zwischen 12,2 % und 72 % variiert, vor allem von der Entfernung zur Klinik ab [2]. Eine Entfernung von 30 km wird hier als Grenzwert gesehen, ab der die Kosteneinsparung signifikant im Vergleich zur ambulanten Therapie ist [42].

Der Nachteil einer Videotherapie wird seitens der Patienten hauptsächlich im Bereich der Technik gesehen, so in der begrenzten technischen Ausstattung, Problemen in der Handhabung, einer verzögerten Audio- und Videoübertragung oder einer instabilen Internetverbindung [9, 13, 17]. Dies konnte auch durch die vorliegende Studie bestätigt werden, wobei die technischen Probleme mit zunehmender Erfahrung der Patienten abnahmen. Demgegenüber blieb die schwankende Qualität der Audio- und Videoübertragung nahezu unverändert. Dennoch ist davon auszugehen, dass die technischen Probleme in Zukunft mit zunehmender Weiterentwicklung der Digitalisierung lösbar sein werden [29].

Ein in der Literatur kontrovers diskutierter Bereich ist der fehlende persönliche Kontakt zwischen Therapeuten und Patient als Folge des Online-Settings. In der vorliegenden Arbeit vermissten 69 % der Patienten diesen nicht. Diese Beobachtung deckt sich mit einer Studie an 25 Patienten mit depressiven Störungen, Angststörungen oder bipolaren Störungen [9]. Auch wenn eine Videotherapie im Vergleich zu nichtsynchronen Onlineangeboten, wie den zuvor erwähnten Online-Plattformen, einer Vor-Ort-Therapie ähnlicher ist, so stellt diese nach Kühne und Hintenberger keine Face-to-Face-Behandlung, sondern einen „Camera-to-Camera-Kontakt“ dar, der Veränderungen mit sich bringt [28]. So sind Mimik und Gestik der beteiligten Personen durch die Ausschnitthaftigkeit des Videobilds und die Zweidimensionalität nur begrenzt wahrnehmbar und dadurch der direkte Blickkontakt erschwert und Emotionen weniger gut zu erfassen. Des Weiteren sind Unterbrechungen aufgrund technischer Störungen für die Gestaltung einer guten Therapeuten-Patienten-Beziehung hinderlich [18].

Insgesamt beurteilten Patienten, die bereits länger mit einem Cochleaimplantat versorgt waren, die neue Therapieform positiver als solche mit noch geringer Hörerfahrung mit dem CI. Ob dies durch den sichereren Umgang mit dem neuen technischen Gerät, dem besseren Sprachverstehen im Laufe der Rehabilitation oder aber durch den bereits aufgebauten persönlichen Kontakt zum Therapeuten bedingt ist, bleibt offen. Patienten mit einer längeren Anreisedauer schätzen den Nutzen der Videotherapie höher ein [21], solche mit größeren sensorischen, motorischen und kognitiven Problemen haben die größten Schwierigkeiten [16]. Hierzu ist aufgrund der Einschlusskriterien durch die vorliegende Studie keine Aussage möglich.

Allerdings hatte das Alter der Patienten in dieser Studie keinen Einfluss auf die Einschätzung der Benutzerfreundlichkeit, der Zufriedenheit mit dem Medium oder der Qualität der therapeutischen Allianz. Unsere Daten zeigen, dass auch ältere Patienten gut mit dem videotherapeutischen Setting zurechtkommen. Dabei wurden die Therapieinhalte sogar umso besser bewertet, je älter der Patient war (p = 0,019). Andere Studien fanden jedoch heraus, dass das Alter, ein unsicherer Umgang mit technischem Equipment und eine instabile psychische Situation Risikofaktoren für das Scheitern von digitalen Angeboten darstellen [5, 11]. Diese unterschiedliche Erfahrung Älterer im Umgang mit digitalen Angeboten liegt womöglich darin begründet, dass die Studienteilnehmer in unserer Studie ausführlich in das Videotool eingewiesen wurden und als Folge der vorangegangenen Vor-Ort-Therapie bereits eine stabile Patienten-Therapeuten-Beziehung bestand. Dies soll entscheidend zum Erfolg einer Online-Therapie beitragen, wie in Studien in der Psychotherapie bereits angemerkt [29, 37].

Demgegenüber stehen Therapeuten einer Videotherapie insgesamt kritischer gegenüber als die Patienten. So soll durch den Einsatz der Videotherapie die emotionale Unterstützung und das Vermitteln von Empathie nach Meinung der Therapeuten weniger gut vermittelt werden und der Kontaktaufbau mit neuen Patienten erschwert sein [7, 40]. Nach Rees bewerten Therapeuten die therapeutische Allianz als signifikant schlechter, wenn sie davon ausgehen, dass der ihnen vorgestellte Therapiemitschnitt aus einer Videotherapie stammt [37]. Möglicherweise ist dies durch das Phänomen des beruflichen Selbstzweifels bedingt, das in der Videotherapie ausgeprägter als im ambulanten Setting sein soll [1].

Ursächlich hierfür könnte die fehlende Sicherheit im Umgang mit Online-Therapie sein. So müssen die Therapeuten sich daran gewöhnen, ihre Verhaltens- und Kommunikationsstrategien an das Online-Setting anzupassen [30, 39]. Daneben ist die konzentrative Belastung höher als durch eine Face-to-Face-Therapie [18]. Um Sprachtherapeuten besser in Theorie, Praxis und Selbsterfahrung für ein qualitätssicherndes Arbeiten im Videosetting zu schulen, erscheint es daher sinnvoll, neue digitale Trainingsformen in das Ausbildungs- und Weiterbildungscurriculum von Therapeuten aufzunehmen [34] und Standards für die Durchführung von Videotherapien zu definieren [18].

Von großer Bedeutung für den Einsatz der Videotherapie in der Hörrehabilitation ist die Bewilligung der Kostenübernahme durch die Kostenträger. Während Telemedizin in Teilen der USA bereits vor der COVID-19-Pandemie komplett finanziert wurde [23], war diese Therapieform vor März 2020 in Deutschland im logopädischen Bereich nicht abrechenbar [15].

Ob eine Videotherapie im Rahmen der Hörrehabilitation ähnlich effektiv wie in einem Face-to-Face-Setting in einem Rehabilitationszentrum ist und dieses phasenweise ergänzen bzw. ersetzen kann, müssen prospektive Studien zeigen. Ein entscheidender Vorteil in der Implementierung teletherapeutischer Konzepte besteht jedoch in einer stärkeren Einbindung des Patienten (Empowerment) [12, 25]. Dies könnte sich langfristig auch positiv auf das Outcome der Rehabilitation auswirken [40].

Fazit

Unter den evaluierten Gesichtspunkten scheinen Videotherapien nicht nur während der COVID-19-Pandemie eine gute Alternative im Rahmen der Rehabilitation erwachsener CI-Träger darzustellen. Eine erfolgreiche Implementierung setzt jedoch neben einer hohen Motivation, Interesse und Vertrautheit des Therapeuten mit dem neuen Medium auch eine gewisse Technikaffinität des Patienten voraus. Eine stabile therapeutische Allianz, Face-to-Face bereits zuvor aufgebaut, kann hierbei hilfreich sein. Prospektive Langzeitstudien zur Effektivität eines videotherapeutischen Rehabilitationssettings stehen derzeit noch aus und sollten Gegenstand zukünftiger Forschungsprojekte sein.