Hintergrund

Die COVID-19-Pandemie hat den Alltag der Menschen weltweit schlagartig verändert. Nicht nur die steigenden Opferzahlen von mittlerweile mehr als 114.000 (Stand 12.04.2020) [1], sondern auch insbesondere die enorme Infektiosität mit einer Basisreproduktionszahl (R0) von 2,6–4,7 lassen erahnen, welches Ausmaß diese Krise hat und noch entwickeln kann [2]. Das Virus hat innerhalb weniger Wochen die Gesundheitssysteme führender europäischer Industrienationen punktuell an die Belastungsgrenze gebracht, und die aktuellen Entwicklungen aus den USA zeigen, dass ein Ende weltweit noch nicht in Sicht ist [3].

Die bisher beschriebenen Symptome der Infektion mit SARS-COV‑2 sind sowohl allgemeine Erkältungssymptome wie trockener Husten, Fieber und Gliederschmerzen als auch bekannte Symptome aus dem Fachbereich der Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Heilkunde, wie Rhinitis, Halsschmerzen und Niesreiz [4]. Neueste Berichte zeigen, dass bis zu 60 % der Patienten als Frühsymptome sowie im Rahmen von leichtgradigen Infektionen als einzige Symptome Riech- und/oder Schmeckstörungen angegeben haben [5]. Die HNO-Heilkunde kann folglich durch Identifikation von Infizierten mit konsekutiver Isolation, deren milde Verläufe sonst womöglich unentdeckt blieben, einen entscheidenden Beitrag dabei leisten, die Infektionsketten effizient zu unterbrechen und somit die pandemische Ausbreitung einzudämmen [6].

Die offiziellen Zahlen aus Spanien berichten, dass mehr als 12 % aller SARS-COV-2-infizierten Personen dem Gesundheitssektor angehören (Stand 20.03.2020) [7]. Dies macht deutlich, dass gerade der direkte Patientenkontakt ein deutliches Ansteckungsrisiko darstellt. Ausfälle des medizinischen Personals verschärfen zudem die Situation der Gesundheitssysteme, welche ohnehin schon durch das überproportionale Patientenaufkommen überlastet sind. Aus dem Epizentrum der Krise – Wuhan, China – gibt es Berichte, dass sich insbesondere HNO-Fachärzte überproportional mit SARS-COV‑2 infiziert haben im Vergleich zu ärztlichen Kollegen anderer Fachdisziplinen [8]. Eine mögliche Erklärung hierfür liefern Studienergebnisse, die im oberen Respirationstrakt von den höchsten Viruslasten berichten [9].

Die COVID-19-Pandemie macht es notwendig, dass neue Wege bei den Themen Personalengpässe, Infektionsschutz und Sicherstellung der Patientenversorgung beschritten werden. Um diese Ziele zu erreichen, sollte es höchste Priorität sein, die Infektionsraten im ärztlichen Bereich zu minimieren. Möglich ist dies durch Reduktion von Arzt-Patienten-Kontakten. Eine sinnvolle Maßnahme kann dabei der Einsatz von Telemedizin sein [10]. Die COVID-19-Pandemie könnte als Katalysator dem bisher nur schleppenden Wachstum der Telemedizin neue Impulse verschaffen. Die technischen Voraussetzungen haben die HNO-Patienten schon längst erfüllt, wie eine Umfrage an der HNO-Universitätsklinik Tübingen aus dem Jahr 2017 zeigt: Dort besaßen 95 % aller Patienten ein Handy, und 94 % benutzten regelmäßig das Internet [11].

Aus aktuellstem Anlass sollen in dieser Übersichtsarbeit die Chancen und Möglichkeiten des Einsatzes von Telemedizin bei der spezifischen Diagnostik von COVID-19-Symptomen sowie der Bewältigung der Pandemie betrachtet werden.

Methodik

Zur Erstellung dieses Reviews wurde eine Literaturrecherche unter www.pubmed.gov durchgeführt mit den Suchbegriffen „Telemedicine“, „eHealth“, gepaart mit den gängigen Fachbezeichnungen für HNO: „ENT“, „Otorhinolaryngology“ sowie „Otolaryngology“. Die Auswahl der aufgenommenen Studien erfolgte nach den Kriterien Publikationsdatum sowie nach dem Bezug zum Thema Verwendung von Telemedizin bei der Diagnostik und Therapie von COVID-19-spezifischen Symptomkomplexen. Aufgrund des technologischen Fortschritts, u. a. durch die Verbreitung von Smartphones sowie den Internet-Breitbandausbau seit dem letzten Jahrzehnt, wurden Artikel, die vor 2010 veröffentlicht wurden, ausgeschlossen. Zur Recherche der aktuellen Entwicklungen der Telemedizin in Deutschland wurde unter www.news.google.de mit den Begriffen „Telemedizin“ und „COVID-19“ eine Suche durchgeführt. Berücksichtigt wurden einschlägige ärztliche Fachzeitungen und Fachzeitschriften, Zeitungsartikel überregionaler Tageszeitungen sowie offizielle Veröffentlichungen der Akteure im Gesundheitssystem (kassenärztliche Vereinigungen, Ärztekammern, Behörden, Institute).

Definition und skizzierende Taxonomie des Begriffs Telemedizin

Laut Bundesärztekammer (BÄK) ist Telemedizin ein Begriff mit „erheblicher Unschärfe“. Sie wird definiert als „Versorgungskonzepte […] in den[en] […] Entscheidungsberatung[en] über räumliche Entfernung (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden“ [12]. Aus diesem Grund kann dieser Artikel niemals den Anspruch auf vollständige Abbildung des Themas Telemedizin erheben. Dennoch soll mit der folgenden taxonomischen Einordnung des Begriffs eine Orientierung geschaffen werden. Wie bereits in der Definition der BÄK erwähnt, ist auch der zeitliche Versatz der Leistungserbringung ein Unterscheidungskriterium. Im Englischen wird daher zwischen synchroner und asynchroner Telemedizin unterschieden. Synchron bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Kontakt zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger, beispielsweise durch einen Live-Video-Stream, in Echtzeit stattfindet. Asynchron bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Leistungserbringung zeitversetzt erfolgt, beispielsweise im Rahmen einer Nachbefundung oder als Konsilleistung [13]. Ein weiteres Unterscheidungskriterium sind die beteiligten Leistungsempfänger. So kann die telemedizinische Entscheidungsberatung sowohl direkt an einen Patienten adressiert sein, z. B. per Video-Anamnese, oder auch an einen weiteren mitbehandelnden Arzt gerichtet sein, beispielsweise im Rahmen einer Konsilleistung (Abb. 1; [12]).

Abb. 1
figure 1

Taxonomie des Begriffs Telemedizin

Ergebnisse

Rechtliche Erleichterungen und Angebote aufgrund von COVID-19

Die Grundsteine für die Telemedizin in Deutschland wurden durch die Verabschiedung des eHealth-Gesetzes 2015 [14] sowie die Streichung des Fernbehandlungsverbots aus der Musterberufsordnung (MBO) auf dem 121. Bundesärztetag im Mai 2018 gelegt [15]. Die Möglichkeit der Abrechnung von Online-Videosprechstunden (OVS) wurde zum 01.04.2017 eingeführt [16] und in den letzten Jahren sukzessive erweitert. Seit dem 01.10.2019 ist bereits ab dem ersten Arzt-Patienten-Kontakt die fachgruppenspezifische Versicherten‑, Grund- oder Konsiliarpauschale abrechenbar und der erste Patientenkontakt ist physisch nicht mehr notwendig. Sollte im Quartal kein physischer Kontakt stattfinden, wird in der HNO-Heilkunde ein Abschlag von 30 % vorgenommen. (Dieser variiert von Fachdisziplin zu Fachdisziplin.) Zudem wurde mit der Gebührenordnungsposition 01451 zeitlich befristet eine Anschubförderung für Videosprechstunden implementiert. Diese sieht ab 15 Videosprechstunden pro Quartal je Arzt-Patienten-Kontakt einen Zuschlag von 9,96 € vor, allerdings limitiert auf maximal ca. 500 € pro Quartal [17]. Im Zuge der COVID-19-Pandemie wurden weitere Beschränkungen gelockert. Mit Wirkung für das zweite Quartal 2020 wurde die Limitation auf maximal 20 % telemedizinisch erbrachte Leistungen aufgehoben. Ab sofort können telemedizinische Leistungen unbegrenzt durchgeführt und abgerechnet werden [18]. Die kassenärztlichen Vereinigungen der Länder Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben zudem befristet die bisher notwendigen Prüfverfahren zur Erlangung einer Abrechnungsgenehmigung von Videosprechstunden im Zusammenhang mit COVID-19 ausgesetzt. Ärzten ist somit ohne Prüfung die Abrechnung von Online-Videosprechstunden möglich [19, 20]. Zudem stellen im Rahmen der COVID-19-Pandemie die Mehrheit der Anbieter telemedizinischer Lösungen ihre Dienstleistungen kostenlos zur Verfügung. Eine Auflistung der Anbieter ist unter www.hih-2025.de/corona zu finden. Auch die Auflagen zur Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wurden gelockert. Bis auf Weiteres sind Krankschreibungen für 14 Tage ohne physische Anwesenheit des Patienten möglich, um die Infektionsgefahr zu minimieren [21]. Ein zukunftsweisendes Modellprojekt für die Erweiterung der telemedizinischen Versorgung ist das eRezept GERDA (Geschützter eRezept-Dienst der Apotheken). Seit Anfang November 2019 können Patienten in den Regionen Stuttgart und Tuttlingen Rezepte, welche ihnen im Rahmen der Online-Videosprechstunden des Portals „docdirect“ ausgestellt wurden, per App erhalten und in der Apotheke einlösen [22].

Direkte Patientenkontakte (Patient zu Arzt)

Eine Studie aus Israel mit 48 HNO-Patienten eines ambulanten Versorgungszentrums ergab, dass durch Telemedizin 50 % der Arztbesuche hätten vermieden werden können. In der Studie wurden Patienten mit allen Krankheitsbildern des HNO-Bereichs eingeschlossen. Die Untersuchung und Anamnese vor Ort wurden durch einen Studenten im Praktischen Jahr (PJ) durchgeführt. Die endoskopische Untersuchung wurde mit einem Smartphone mittels eines Spezialadapters für Endoskope durchgeführt. Ein HNO-Facharzt war per Live-Video-Stream zugeschaltet und konnte Instruktionen geben und Nachfragen stellen. Im Anschluss erfolgte vor Ort der traditionelle Arzttermin bei einem separaten HNO-Facharzt. In 79 % der Fälle stimmten die Diagnosen des Arztes vor Ort und des Telemediziners überein. In einem Bewertungsfragebogen (Skala 1–10) ergaben sich im Durchschnitt eine Patientenzufriedenheit von 9,5, eine Zufriedenheit der Telemediziner von 8,7 sowie ein Vertrauen der Telemediziner in ihre Online-Diagnose von 8,3. Aufgrund der fehlenden Verwendung von flexiblen Endoskopien fielen die Resultate der Symptomgruppe Larynx/Pharynx signifikant schlechter aus als in den Gruppen Nase und Ohr. Unter optimalen Bedingungen wären daher bessere Durchschnittswerte zu erwarten [23].

In Taiwan wurden im Rahmen einer Humanitätsmission in einer abgelegenen Bergregion 6 HNO-Patienten via Smartphone-Endoskopie telemedizinisch untersucht. Die Befundbilder wurden per Internet an 3 HNO-Fachärzte übermittelt. Unabhängig voneinander sollten sie zunächst nur anhand der vorliegenden Bilder eine Diagnose stellen. In 17 von 18 Fällen stimmten die abgegebenen Diagnosen ohne Anamnese mit den vor Ort gestellten Diagnosen überein. Anschließend wurde ihnen die Anamnese der Patienten zur Verfügung gestellt, und es wurde erneut um eine Diagnose gebeten. Alle abgegebenen Diagnosen nach Übermittlung der Anamnese stimmten überein. Die Bildqualität wurde übereinstimmend als mindestens ausreichend bewertet. Nur bei einer der 6 Endoskopieaufnahmen wurde die Bildqualität (bei einer Otoskopie) von allen 3 Ärzten als schlecht bewertet [24].

In Ohio, USA, wurden 21 Patienten eines ambulanten Versorgungszentrums in einer abgelegenen Region telemedizinisch untersucht. Da in der Studie explizit die Fähigkeit der sicheren Diagnostik im Fokus stand, wurden postoperative Arztbesuche und Routinenachsorgen ausgeschlossen. Vor Ort wurden die Patienten von einem HNO-Facharzt untersucht und die Anamnese erhoben, während per Live-Video-Stream ein HNO-Arzt telemedizinisch zugeschaltet war und bei beispielsweise schlechter Bildqualität Kontakt aufnehmen konnte. Anschließend konnte der Telemediziner bei Bedarf klärende Fragen an den Patienten stellen. Dann wurde die Übertragung unterbrochen und vor Ort mit dem Patienten über die Diagnose und Therapie gesprochen sowie ein Fragebogen von dem Patienten und dem Telemediziner ausgefüllt. In 20 von 21 Fällen wurde per Telemedizin dieselbe Diagnose gestellt wie vom HNO-Arzt vor Ort. In 100 % der Fälle wurde die Bildqualität als zufriedenstellend bezeichnet und die Handhabung der Technik als unkompliziert eingestuft. Dass sie die Telemedizin erneut nutzen würden, gaben 90 % der Patienten an, und 62 % würden ohne Telemedizin auf einen Arztbesuch verzichten, wenn es keinen HNO-Arzt vor Ort gäbe [25].

In Vermont, USA, zeigte eine Studie zur telemedizinischen HNO-Versorgung im Kontext des Veteranen-Gesundheitsprogramms, dass 62 % aller Arztbesuche via Telemedizin durchführbar waren. Insgesamt wurden 1385 telemedizinische Arztkonsultationen untersucht. Die Patienten wurden in einem lokalen Gesundheitszentrum von einer medizinischen Fachhilfskraft (MFA) angeleitet und per Video-Live-Stream mit einem HNO-Arzt verbunden. Spezielle Prozeduren, beispielsweise Biopsien, Zerumenentfernung oder endoskopische Untersuchungen, wurden von der MFA nicht durchgeführt. Patienten, bei denen dies notwendig war, wurden in ein HNO-Facharztzentrum überwiesen. Insbesondere Diagnosen, welche das Mittel- und Innenohr, Haut, Mundhöhle und Nase betrafen, konnten zu über 75 % ausschließlich telemedizinisch versorgt werden [26].

Unterstützung von Allgemeinmedizinern (Arzt zu Arzt)

Zur besseren Vernetzung von Allgemeinmedizinern mit Fachärzten gibt es in Nordamerika die Möglichkeit, über gesicherte Online-Plattformen elektronische Konsile (eConsults) an Facharztzentren zu stellen. Bisher wurden 2 Studien zu eConsults im Fachbereich HNO veröffentlicht.

In Ontario, Kanada, wurden 105 eConsults von HNO-Fachärzten retrospektiv untersucht. Es ergab sich, dass fast 50 % der ursprünglich geplanten Überweisungen durch diese Plattform vermieden werden konnten. Zudem resultierten aus 15 % der ursprünglich nicht geplanten Überweisungen Empfehlungen zur Weiterbehandlung durch einen HNO-Facharzt. Für die Beantwortung der elektronischen Konsile benötigten die HNO-Fachärzte in mehr als 3 Viertel der Fälle weniger als 10 min, und in 40 % der Fälle wurden die Anfragen in weniger als 24 h bearbeitet. Verglichen mit herkömmlichen Überweisungen ergab dies im Median eine 29-fach schnellere Bearbeitungszeit. Über 90 % der Allgemeinärzte waren zufrieden mit den elektronischen Konsilen. Zudem gaben 92 % an, dass das eConsult für sie mit einem Wissenszuwachs verbunden sei [27].

In Kalifornien, USA, wurden 64 eConsults von HNO-Fachärzten untersucht. Auch hier zeigte sich, dass durch den Einsatz von elektronischen Konsilen 82 % der ursprünglich geplanten Überweisungen vermieden werden konnten. Die gestellten Konsile wurden zu 41 % aufgrund von Ohrbeschwerden, 15 % aufgrund nasaler Beschwerden, 28 % aufgrund oraler Beschwerden und in 16 % aufgrund von Kopf-Hals-Beschwerden (Schilddrüse, Speicheldrüsen usw.) durchgeführt. Bei 100 % der nasalen Beschwerden, 89 % der oralen Beschwerden, 77 % der Ohrbeschwerden und 70 % der Kopf-Hals-Beschwerden war kein klassischer Arzttermin notwendig [28].

Die einzige deutsche Studie zum Thema Telemedizin wurde 2013 veröffentlicht. Dabei wurden die Möglichkeiten von Telemedizin zur Unterstützung von Hausärzten durch HNO-Fachärzte untersucht. Hausärzte konnten bei HNO-spezifischen Fragen HNO-Fachärzte live konsultieren. Die audiovisuelle Live-Kommunikation beinhaltete auch endoskopische Untersuchungen, welche vom Allgemeinmediziner durchgeführt wurden. Eine Anzahl vermeidbarer Überweisungen wurde in der Arbeit nicht ausgewiesen. Die Diagnosequalität wurde von den HNO-Fachärzten mit der Schulnote 2,0 angegeben. Die höchste subjektive Diagnosesicherheit ergab sich bei der Beurteilung von zentralen Trommelfellperforationen, endonasalen Polypen, der Uvula sowie Gehörgangsverletzungen. Am unsichersten war die subjektive Diagnosesicherheit hingegen bei Rhinitis allergica und bei der Beurteilung der Nasenschleimhaut. Mehr als 70 % der Hausärzte und HNO-Fachärzte bestätigten, dass die Telekonsultationen zur Verbesserung der Diagnose- und Therapiesicherheit führten. In mehr als einem Drittel der Fälle hatte die Telekonsultation nennenswerten Einfluss auf das weitere diagnostische und therapeutische Vorgehen des Allgemeinmediziners [29].

Nasenuntersuchung

In Pennsylvania, USA, wurden 190 telemedizinische Arztbesuche per Live-Video-Stream mit traditionellen Arztbesuchen in der Notaufnahme verglichen. In die Auswertung eingeschlossen wurden Fälle mit typischen Symptomen einer Infektion der oberen Atemwege. Es konnte kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der leitliniengerechten Behandlung, insbesondere der Verschreibung von Antibiotika, festgestellt werden [30].

In Michigan, USA, zeigte eine ähnliche Studie zu Sinusitisbeschwerden, dass telemedizinische Arztbesuche signifikant häufiger zu leitliniengerechter Therapie führten als traditionelle Arztbesuche. Der telemedizinische Kontakt basierte auf einem textbasierten Fragealgorithmus. Bei den virtuellen Arztbesuchen wurden zudem signifikant mehr Symptome erfasst als bei den traditionellen Arztbesuchen [31].

Mundhöhle

In Iowa, USA, wurde an 62 Patienten die traditionelle und die telemedizinisch durchgeführte Untersuchung der Mundhöhle und des Rachens miteinander verglichen. Eingeschlossen in die Studie wurden Patienten mit Halsschmerzen. Zunächst erfolgte eine traditionelle Untersuchung der Mundhöhle und des Rachens. Anschließend wurden die Patienten mittels Video-Live-Stream untersucht. Per iPad (Fa. Apple, Cupertino, CA, USA) wurden die Patienten angeleitet, unter Zuhilfenahme von Taschenlampe und Mundspatel die Untersuchung der Mundhöhle durchzuführen. Die Übereinstimmung der Untersuchungsbefunde betrug im Durchschnitt nur 70 %. Über eine hohe Konkordanz wurde für Beurteilungen der anterioren Strukturen, Gaumenbogenasymmetrie, Epitheldefekte und Lymphknotenschwellungen berichtet, niedrige Übereinstimmungsraten gab es für posteriore Strukturen sowie für die Beurteilung von Rötungen [32].

Diskussion

Hohe Akzeptanz für Telemedizin und wachsende Einsatzmöglichkeiten

Der Einzug von Telemedizin in die Gesundheitsversorgung wird sowohl von Patienten als auch Ärzten wohlwollend akzeptiert. Grund dafür ist u. a., dass die dafür benötigten Programme anwendungsfreundlicher geworden sind und die Bild- und Tonqualität durch den technischen Fortschritt ständig besser werden. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Smartphone. Die flächendeckende Verbreitung bietet die Möglichkeit, Telemedizin weltweit anbieten zu können. Die ausreichende Bild- und Tonqualität konnte bereits in Studien bestätigt werden. Bisher notwendige technische Nachrüstungen und Investitionen zum Anbieten von Telemedizin könnten in Zukunft wegfallen.

Eine Hürde beim Ausbau der Telemedizin ist der fehlende flächendeckende Internet-Breitbandausbau. Nicht selten paart sich in vornehmlich ländlichen Regionen ein Ärztemangel mit dem Fehlen von Handyempfang oder Breitband-Internet. Anstrengungen, diese Lücken zu schließen, sollten also auch unter dem Gesichtspunkt der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesundheitsversorgung unternommen werden.

Der technologische Fortschritt revolutioniert zwar die Einsatzmöglichkeiten von Telemedizin, die Idee des zeitlich versetzten (asynchronen) Austausches von medizinischen Informationen ist aber nicht neu. Ein Beispiel dafür sind Fallbesprechungen zwischen ärztlichen Kollegen auf Kongressen, per Post oder per Telefon, die seit jeher existieren.

Vorteile von Telemedizin – nicht nur in Zeiten von COVID-19

Unabhängig von der COVID-19-Pandemie kann die Verwendung von Telemedizin allgemein 3 große Vorteile, unabhängig von der jeweiligen Fachdisziplin, bringen: Reduzierte Morbidität und Mortalität mit folglich geringeren Kosten für das Gesundheitssystem durch Früherkennung von schweren Erkrankungen, Einsparungen an Fahrtkosten, Gesundheitsausgaben und Zeit durch Vermeidung unnötiger Arztbesuche sowie effiziente Nutzung von Facharztressourcen [33]. Profitieren von Telemedizin würden gerade Patienten mit körperlichen Einschränkungen oder ohne fachärztliche Versorgung vor Ort [25]. Durch die Vermeidung von unnötigen Facharztbesuchen könnten zudem die Wartezeiten auf einen Facharzttermin sinken [23]. Ein weiterer Vorteil von Telemedizin ist die Möglichkeit, Untersuchungsergebnisse digital speichern zu können. Befunde können dadurch objektiv mit Kollegen diskutiert werden. Dies ermöglicht es, v. a. Patienten, die außerhalb der regulären Sprechzeiten untersucht werden, eine optimale Behandlung zukommen zu lassen. Des Weiteren ermöglicht es, das Expertenwissen von ärztlichen Kollegen optimal nutzen zu können. Beispielsweise kann der Rat von Kollegen eingeholt werden, die aufgrund von Teilzeit, Quarantäne oder zeitgleichen operativen Eingriffen nicht physisch anwesend sein können. Digitalisierte Befunde könnten zudem anonymisiert zu Lehrzwecken verwendet werden.

In Zeiten von COVID-19 bekommen diese Vorteile zudem aufgrund des Infektionsschutzes zusätzlich herausragende Bedeutung. Aus Sicht des Gesundheitssystems kann Telemedizin dazu beitragen, das Infektionsrisiko des ärztlichen Personals zu reduzieren, mit dem Ziel der drohenden Überlastung durch Ärzteausfall entgegenzuwirken.

Telemedizin kann bei regionalem Ärztemangel helfen. Sowohl chronischer Ärztemangel als auch akute Personalengpässe durch COVID-19 können die unkontrollierte Ausbreitung von SARS-COV‑2 beschleunigen. Der Einsatz von Telemedizin benötigt im Vergleich zu traditioneller Hilfe vor Ort keinen logistischen Aufwand, ist sofort verfügbar und birgt kein Infektionsrisiko für die Helfer. Die Ergebnisse von Wu et al., welche die Möglichkeiten von Smartphone-Endoskopie und Diagnosestellung allein anhand von Bildgebung untersuchten, lassen zudem hoffen, dass auch eine internationale Hilfe im Kampf gegen COVID-19 möglich ist. Gerade vor dem Hintergrund, dass weltweit erneute regionale Ausbrüche in den nächsten Jahren wahrscheinlich sind. Von Vorteil ist auch das Einsparpotenzial von medizinischen Gütern wie Schutzkleidung und Desinfektionsmittel. Jeder unnötige Arztbesuch verschärft die ohnehin schon bestehende Mangelsituation bei der Schutzkleidung und gefährdet damit indirekt die Sicherheit der Patienten und des ärztlichen Personals.

Auch für die Bevölkerung ergeben sich Vorteile. Patienten mit COVID-19-typischen Symptomen können schnell und unkompliziert einen ärztlichen Rat erhalten. Der Zeitraum bis zur ärztlich verordneten Quarantäne würde sich reduzieren. Durch Vermeidung von traditionellen Arztbesuchen entfielen zudem die entsprechende An- und Abreise beispielsweise mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowie der Kontakt zu anderen Patienten im Wartezimmer. Auch hierdurch ließe sich die Infektionsgefahr für andere Patienten sowie die Bevölkerung insgesamt senken. Der gezielte Einsatz von Telemedizin bei COVID-19-Patienten könnte somit das Risiko für all jene mit schweren Erkrankungen senken, für die der traditionelle Arztbesuch unumgänglich ist.

Insbesondere größere medizinische Einrichtungen wie Universitätskliniken haben bereits eine Vielzahl von telemedizinischen Anwendungen umgesetzt. Ein Vorteil ist die bereits existierende digitale Infrastruktur mit vereinheitlichten Kommunikationsmitteln. Teambesprechungen und Zusammenkünfte müssen nicht vertagt werden, sondern können virtuell durchgeführt werden, z. B. Tumorboards, Forschungsgruppentreffen, Fortbildungsveranstaltungen und Lehre, organisatorische Planungsgremien zu Themen wie Infektionsprävention, Materialbeschaffung oder Kapazitätsplanungen von Op.-Sälen und Betten sowie interprofessionelle Besprechungen (Arzt – Pflege). Der Betrieb der größeren medizinischen Einrichtungen konnte somit weitestgehend problemlos weitergeführt werden, und Infektionsschutzmaßnahmen konnten gleichzeitig eingehalten und das Ansteckungsrisiko von Arzt zu Arzt minimiert werden. Durch die Ausweitung von Telearbeit muss zudem auf die Arbeitskraft von Kollegen in Quarantäne nicht verzichtet werden.

Grenzen der Telemedizin

Allgemeine Nachteile der Anwendung von Telemedizin sind die fehlende flexible zeitliche Anpassung der Arztgespräche und die Anonymisierung des Arzt-Patienten-Kontakts. Durch Telemedizin wird die zeitliche Verfügbarkeit zum wichtigen Kriterium bei der Arztwahl. Die Anzahl von Erstkontakten könnte folglich steigen, die Kenntnis der detaillierten Vorgeschichte und des Charakters eines Patienten seltener werden. Auch die fehlende ganzheitliche Wahrnehmung des Patienten ist ein Problem. Die Wahrnehmung von Gerüchen, Gangbild oder Habitus beispielsweise fehlen bei der ärztlichen Einschätzung des Patienten. Der Kontakt zwischen Patienten und medizinischem Fachpersonal kann wichtige Beobachtungen liefern. Auch er entfällt bei der Telemedizin.

Es ergeben sich zudem spezifische Nachteile und Grenzen der Telemedizin in der HNO-Heilkunde. Aufgrund der Komplexität lassen sich nicht alle Untersuchungsmethoden telemedizinisch durchführen. Diverse Untersuchungsmethoden sind aufgrund der Störanfälligkeit (z. B. Audiometrie) oder der Notwendigkeit von Lokalanästhetika (z. B. Rhinoskopie) nicht von Patienten durchführbar. Die Qualität gewisser ärztlicher Untersuchungen ist u. a. von der Erfahrung des Anwenders abhängig (z. B. Ultraschalluntersuchung oder stroboskopische Larynxuntersuchung).

Des Weiteren ist nicht selten die aktive Behandlung von Patienten im Rahmen eines Arztbesuchs erforderlich: Die Zerumenentfernung zur otologischen Befunderhebung, Parazentesen bei akuter Otitis media, Streifeneinlage bei Otitis externa, Abszesspunktionen oder Sekretabsaugungen – die HNO-Heilkunde ist eine praxisorientierte Fachdisziplin.

Trotz der Vielzahl positiver Effekte von Telemedizin bleibt festzuhalten, dass in keiner Studie der traditionelle Arztbesuch zu 100 % ersetzbar war. Allein die Schwankungsbreite vermeidbarer traditioneller Arztbesuche zeigt, dass die Anwendungsmöglichkeiten von Telemedizin situations- und patientenabhängig abzuwägen sind.

Weitere Untersuchungen zum Einsatz von Telemedizin in der HNO, z. B. zum Remote-Fitting von Hörhilfen, zum Schlafapnoesyndrom oder zur Allergiediagnostik, wurden durchgeführt. Aufgrund des fehlenden direkten Bezugs zur Diagnostik von COVID-19-typischen Symptomen wurden diese Studien in dieser Übersichtsarbeit nicht berücksichtigt. Demgegenüber wurden bisher keine telemedizinischen Untersuchungen zur gezielten Abklärung von Riech- und/oder Schmeckstörungen durchgeführt.

Fazit für die Praxis

  • Die Telemedizin hat das Potenzial, durch Reduktion von Arzt-Patienten-Kontakten das Infektionsrisiko für Ärzte zu minimieren.

  • Studien haben gezeigt, dass die Untersuchungen im HNO-Bereich mit erhöhtem Infektionsrisiko für COVID-19 einhergehen.

  • Telemedizin hat das Potenzial, bei lokalen Engpässen in der Gesundheitsversorgung Teilbereiche der medizinischen Versorgung zu übernehmen.

  • Telemedizin ermöglicht durch die Vermeidung von Arztbesuchen die Reduktion sozialer Kontakte, wodurch die Ausbreitung von COVID-19 verlangsamt werden kann.

  • Verschiedene Untersuchungsmethoden in der HNO können via Telemedizin durchgeführt werden und benötigen keinen physischen Arztkontakt mehr.

  • Die technologische Entwicklung von Smartphones wird die Einsatzmöglichkeiten von Telemedizin erweitern und erschwinglicher machen.