Phonochirurgie ist – wie so oft in der Medizin – nichts Neues. Schon 1911 führte Brünings die Stimmlippenaugmentation, 1915 Payr die, wie wir sie heute nennen würden, Thyroplastik ein. 1930 veröffentlichte Gluck in der Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie den Artikel „Phonetikchirurgie der oberen Luft- und Speisewege und künstlicher und natürlicher Stimmersatz“. Allerdings waren die ersten Jahrzehnte der Laryngologie hauptsächlich der Entwicklung und Standardisierung der „großen“ Kehlkopfchirurgie gewidmet, und Methoden rein zur Stimmverbesserung fristeten eher ein Nischendasein. Erst in den letzten Jahren rückt die Phonochirurgie als eine funktionell orientierte wiederherstellende Chirurgie, einem allgemeinen Trend in der Medizin folgend, verstärkt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit [1].

Phonochirurgie ist prinzipiell einfach definiert: alle chirurgischen Maßnahmen mit dem Ziel der Verbesserung oder Wiederherstellung der Stimme.

Diese scheinbar einfache Definition darf nicht darüber hinweg täuschen, dass es umso schwieriger ist, die Vielzahl phonochirurgischer Methoden widerspruchsfrei zu klassifizieren, denn: Phonochirurgie ist keine Methode, sondern ein Ziel.

Phonochirurgie ist keine Methode, sondern ein Ziel

Es steht somit das gesamte Spektrum an laryngologischen Techniken, Methoden und Instrumenten zur Verfügung, um damit (auch) Phonochirurgie zu betreiben. Klassifikationen nach methodologischen Gesichtspunkten sind daher prinzipiell schwierig und nicht in sich widerspruchsfrei. Aus klinisch-praktischen Gesichtspunkten werden nach einem Vorschlag der European Laryngological Society (ELS; [1]) 4 Gruppen unterschieden:

  • Mikrochirurgie an den Stimmlippen,

  • funktionelle Chirurgie am Kehlkopfskelett („laryngeal framework surgery“),

  • neuromuskuläre Chirurgie,

  • rekonstruktive Chirurgie (nach partiellen bzw. totalen Defekten).

Darüber hinaus berücksichtigt die so einfach erscheinende Definition nicht die zahlreichen Grenzgebiete, die nicht zur Phonochirurgie im engeren Sinne zählen (d. h. der Eingriff wird nicht primär zu Stimmverbesserung durchgeführt), wo jedoch Stimmerhalt und stimmliches Ergebnis für die operative Vorgangsweise wichtige Entscheidungsparameter sind, z. B. Glottiserweiterung bei beidseitiger Stimmlippenlähmung, Chordektomie.

Ein entscheidender Impuls für die Phonochirurgie ging von der Beschreibung der funktionellen Schichtstruktur der Stimmlippen durch Hirano [2] aus. Basierend auf diesen Erkenntnissen können die folgenden phonochirurgischen Prinzipien formuliert werden:

  • Grundsätzlich nur minimale Gewebeexzisionen – freie Ränder und komplette Histologie sind kein Ziel: Weniger ist in der Phonochirurgie meist mehr.

  • Möglichst atraumatische Vorgehensweise und spezielle Beachtung der oberflächigen Schicht der Lamina propria (Reinke-Raum).

  • Möglichst kein epithelialer Defekt, im Besonderen nicht an der freien Stimmlippenkante (Mikroflap-Technik, [3]).

Die sorgfältige Beachtung dieser Grundsätze ermöglicht die Verbesserung/Erhaltung der funktionellen Struktur der Stimmlippe und damit gute und voraussagbare stimmliche Ergebnisse.

Mindestens ebenso wichtig für den Erfolg ist neben der angepassten Operationsmethode die richtige Indikationsstellung: „The decision is more important than the incision“

„The decision is more important than the incision“

Hierbei sind 3 Grundprinzipien zu beachten [4]:

FormalPara Diagnostik und Dokumentation

Nicht zuletzt aus medikolegalen Gründen dürfte heute kein phonochirurgischer Eingriff mehr ohne entsprechende Funktionsdiagnostik durchgeführt werden. Diesbezüglich hat die ELS einen sehr praxisnahen Vorschlag erarbeitet, der als Basis dienen kann und sich auch international bewährt hat [5, 6].

FormalPara Sorgfältige Aufklärung und Indikationsstellung

Phonochirurgie ist keine vital indizierte Chirurgie und unterscheidet sich somit in wesentlichen Punkten von der „traditionellen“, im Speziellen der onkologischen Larynxchirurgie. An die ärztliche Aufklärung sind daher besonders hohe Standards anzulegen, in denen auch die Risiken entsprechend berücksichtigt werden müssen. Die Indikationsstellung richtet sich nach der Funktion, nicht nach der Morphologie. Es gibt keine zwingende Indikation, eine benigne, funktionell nicht beeinträchtigende Stimmlippenveränderung zu operieren. „Ein guter Operateur zeigt sich vor allem in den Situationen, in denen er entscheidet, nicht zu operieren“ [7].

FormalPara Einbettung von Phonochirurgie in ein ganzheitliches Konzept

Stimmstörungen sind geradezu prototypisch für ein biopsychosoziales Wirkungsgefüge. Für ein optimales Stimmergebnis ist daher fast nie ein isolierter phonochirurgischer Eingriff ausreichend. In den meisten Fällen müssen konservative Maßnahmen (stimmtherapeutisch, medikamentös, psychotherapeutisch) am Anfang und am Ende des therapeutischen Prozesses und der oft lang dauernden Begleitung stehen („Sandwichkonzept“).

Phonochirurgie ist nicht – wie manchmal fälschlich dargestellt – ästhetische Chirurgie an den Stimmlippen, sondern funktionelle Chirurgie der Stimme.

Um das Themengebiet möglichst praxisnah abzuhandeln, haben wir nicht versucht, einen möglichst vollständigen tabellarischen Überblick über alle phonochirurgischen Methoden zu geben, sondern haben einige, wie wir glauben, wichtige und praxisrelevante phonochirurgische Themenkreise herausgegriffen und darüber hinaus einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen (Tissue-Engineering, Reinnervation) gegeben. Ich freue mich, dass es mir gelungen ist, ein hochrangiges Autorenteam für diese Aufgabe zu begeistern, bedanke mich für dessen Bereitschaft und Kooperation sowie auch bei Professor Sittel für die Betrauung mit dieser herausfordernden und ehrenvollen Aufgabe.