Herr Univ.-Prof. Dr. med. Wolfgang Stoll ist am 8.8.2009 im 61. Lebensjahr verstorben. Die bestürzende Nachricht von seinem vollkommen unerwarteten Tod hat viele von uns tief erschüttert.

Wolfgang Stoll (Abb. 1) wurde am 23.9.1947 in Gettenau/Hessen geboren. Nach dem Abitur am altsprachlichen Ludwig-Georg-Gymnasium in Darmstadt studierte er zunächst Chemie und ab 1967 Medizin in Giessen, Kiel und Heidelberg. 1972 erhielt er seine Approbation, schloss seine Promotion mit einem kardiologischen Thema erfolgreich ab und nahm seine ärztliche Tätigkeit in der Chirurgischen Klinik in Darmstadt auf. 1974 wechselte er in die HNO-Klinik Heidelberg zu Prof. Dr. Boenninghaus. Dort lernte er Prof. Dr. H. Feldmann kennen, dem er 1976 nach Münster folgte. 1978 erwarb W. Stoll die Qualifikation als Facharzt. Früh konzentrierte er sich wissenschaftlich auf die Erforschung des Gleichgewichtssinnes und entwickelte Verfahren zur Objektivierung vestibulospinaler Abweichreaktionen. Hierzu zählten der vertikale Zeichentest und der Kippbühnenstehtest als Vorläufer der Posturographie.1981 habilitierte er sich und wurde 1983 zum Professor ernannt.

Abb. 1
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Univ.-Prof. Dr. med. Wolfgang Stoll, 23.09.1947–08.08.2009

Im selben Jahr wurde er für seine wegweisenden Beiträge zur Vestibularisforschung mit dem renommierten Anton-von-Tröltsch-Preis der Deutschen HNO-Fachgesellschaft ausgezeichnet. Seine international anerkannten Publikationen ergänzte er durch zahlreiche Fach- und Lehrbuchbeiträge sowie Monographien. Interdisziplinär bekannt wurde sein Standardwerk „Schwindel und Gleichgewichtsstörungen“, das in mehreren Auflagen im Thieme-Verlag erschien. Neben der Vestibularisforschung entwickelte W. Stoll bereits in den 1980er-Jahren innovative Konzepte für die plastische Kopf-Hals-Chirurgie, insbesondere die plastische Nasenchirurgie. Regelmäßig veranstaltete er fachlich und didaktisch anspruchsvolle Operationskurse zur Nasen- und Nasennebenhöhlenchirurgie, die internationale Anerkennung erlangten. Vielen von uns sind sie auch wegen der harmonischen und humorvollen Kursabende in sehr angenehmer Erinnerung geblieben.

1988 übernahm W. Stoll für ein Jahr die kommissarische Leitung der HNO-Klinik der Gesamthochschule Essen und wurde 1991 zum Direktor der HNO-Universitätsklinik in Münster berufen. Hier trat er dynamisch und leistungsorientiert das berufliche Erbe seines zeitlebens hochgeschätzten Lehrers und Förderers H. Feldmann an. Bereits kurze Zeit nach seiner Amtsübernahme entstanden in Münster eines der ersten deutschen Cochlear-Implant-Programme sowie ein interdisziplinäres Orbitazentrum. Hohes Ansehen verschaffte er der Klinik durch eine systematische Weiterentwicklung der fachgebundenen Onkologie. Für sein außerordentliches Engagement für die Rehabilitation von Tumorpatienten und Kehlkopflosen wurde ihm im Jahr 2003 das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland verliehen. In Anerkennung seiner Verdienste um die wissenschaftlichen Belange der HNO-Heilkunde, insbesondere der Vestibularisforschung, erhielt er 2008 den Prof.-Dr.-Ludwig-Haymann-Preis unserer Fachgesellschaft.

Wolfgang Stoll genoss einen weitreichenden Ruf als exzellenter Operateur und als Kliniker vom „alten Schlag“ mit überragender Fachkompetenz auf dem gesamten Gebiet der HNO-Heilkunde. Sein Klinikteam schätzte ihn sehr trotz oder gerade wegen seiner direkten, schnörkellosen Wesensart mit der er unmissverständlich Einsatzbereitschaft, Teamgeist und Loyalität einforderte. Wer diese Vorgaben akzeptierte, konnte sich aber sicher auf seinen uneingeschränkten Beistand und seine nachhaltige Unterstützung verlassen.

Wolfgang Stoll war nicht nur ein begnadeter Arzt, sondern eine multitalentierte Persönlichkeit. Seit seiner Jugend liebte er die bildenden Künste und erlernte weitgehend autodidaktisch die Malerei und das künstlerische Zeichnen. So entstanden im Laufe der Zeit bewundernswerte Grafiken, farbenfrohe Aquarelle und operationstechnische Illustrationen. Mit intelligentem Humor entwarf er tiefsinnige, mitunter selbstironische Karikaturen, die er mit witzigen Sprüchen und Gedichten kommentierte. In späteren Jahren komponierte er eingängige Songs zu verschiedenen HNO-ärztlichen Themen und trat mit seinem Schüler Dr. W. Herrmann als „Wolf & Hermann“ im Duett auf. Viele von uns haben das amüsante Ensemble live oder auf CD kennen gelernt und erinnern sich an den grandiosen Auftritt beim Festabend auf Schloss Albrechtsberg in Dresden anlässlich der Jahrestagung unserer Fachgesellschaft 2003.

Wolfgang Stoll war ein vorbildlicher Kollege, ein ausgezeichneter Lehrer und für viele von uns ein persönlicher Freund. Wir werden uns dankbar an ihn erinnern und empfinden tiefes Mitgefühl mit seiner lieben Frau Ulrike und seinen drei Kindern.