Liebe Leserin, lieber Leser,

braucht es ein Schwerpunktheft über Leitsymptome bei Urtikaria? Zunächst hat uns der Wunsch, ein Themenheft in Die Dermatologie mit diesem Titel zu disponieren, irritiert. Schließlich handelt es sich bei der Urtikaria mit den typischen juckenden Quaddeln und/oder Angioödemen meist um eine Blickdiagnose, und die Diagnose ist sogar rein anamnestisch möglich, wenn der oder die Betroffene aktuell keine Symptome aufweist, idealerweise unterstützt durch Bildmaterial (z. B. mitgebrachte Aufnahmen auf dem Handy).

Jedoch ist Urtikaria eben nicht gleich Urtikaria und Angioödem nicht gleich Angioödem. Wir unterscheiden akute und chronische Urtikaria und grenzen die spontanen Urtikariaformen von den induzierbaren Formen ab. Das Management der Urtikariasubtypen unterscheidet sich teilweise erheblich. Einige Therapien sind nur für chronische spontane Urtikaria (CSU) zugelassen. Für viele chronische induzierbare Urtikariaformen (CIndU) gibt es bislang überhaupt keine explizit zugelassene Therapie.

Urtikaria ist nicht gleich Urtikaria und Angioödem nicht gleich Angioödem

Wir haben bereits seit vielen Jahren nationale und internationale Leitlinien zur Urtikaria von höchster Evidenz (Entwicklungsstufe S 3, AWMF-Register-Nr. 013–028, www.amwf.org), die im klinischen Alltag eine wertvolle Unterstützung bieten. Nichtsdestotrotz stellen Leitlinien gerade auf internationalem Niveau einen Konsens her, der die Belange der/des einzelnen Betroffenen oft nicht adressiert. Nicht selten werden Fragestellungen, die sich im klinischen Alltag ergeben, in Leitlinien nicht ausreichend berücksichtigt. Leider ist auch die Implementierung von konsentierten Leitlinienempfehlungen in der Breite meist deutlich schlechter als erwartet. Trotz dieser Tatsachen verwundert es Urtikariaspezialisten, wenn noch in 2021, 7 Jahre nach Zulassung von Omalizumab für die Urtikaria, die Patientenorganisation Urtikaria-Helden eine Petition zur Krankheitsbekämpfung beim Deutschen Bundestag einreicht (Nr. 123715): „Wir wollen und brauchen dringend Hilfe! Es ist nicht mehr hinnehmbar, wie mit uns Betroffenen umgegangen wird.“ Die Petenten fordern u. a. bessere Behandlungsmöglichkeiten, Akzeptanz und Verständnis der Krankheit, und „Ärzte müssen erkennen, dass die Erkrankung sich komplex darstellt und der Patient nicht an einer psychologischen Erkrankung leidet“.

Dass der Umgang mit den Leitsymptomen der Urtikaria nicht ganz trivial ist, hat Prof. Dr. Markus Magerl aus Berlin in dem ersten Beitrag dieses Themenhefts herausgearbeitet. Das Erkennen der Leitsymptome mag einfach sein, besonders komplex sind aber ihre umfassende systematische Erfassung und Beurteilung und das Erkennen von Folgeerscheinungen. Es befinden sich zahlreiche neue Medikamente in klinischer Prüfung, deren Effektivität und Sicherheit sich an den bisher zugelassenen H1-Antihistaminika und insbesondere am jetzt seit 10 Jahren für die chronische Urtikaria ohne Ansprechen auf H1-Antihistaminika zugelassenen Anti-Ig(Immunglobulin)E-Antikörper Omalizumab messen müssen. Hierzu zählen beispielsweise der Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor Remibrutinib als orales „small molecule“ und subkutan zu applizierende monoklonale Antikörper gegen IL(Interleukin)-4Rα (Dupilumab) sowie gegen KIT (Barzolvolimab, Briquilimab), den Rezeptor für den Stammzellfaktor (SCFR). Um die Effektstärke dieser Therapien gezielt vergleichen zu können, ist eine systematische Erfassung der Symptome der Urtikaria besonders wichtig.

Dr. Dorothea Wieczorek und Prof. Dr. Bettina Wedi aus Hannover nehmen bisher zugelassene Therapien näher unter die Lupe. Hilft viel auch viel bei den H1-Antihistaminika? Welche Therapieoptionen gibt es bei Nichtansprechen auf H1-Antihistaminika? Wir gut wirkt Omalizumab im klinischen Alltag?

Das Vermeiden von Triggerfaktoren sowie die adäquate Behandlung klinisch relevanter Komorbiditäten wirkt sich ebenfalls auf die Urtikariaaktivität aus und bestimmt somit den Therapieerfolg und die Zufriedenheit der Betroffenen. Gerade Komorbiditäten wird bei allen chronisch entzündlichen Erkrankungen immer mehr Bedeutung beigemessen. Auch bei der Urtikaria gibt es klinisch relevante Komorbiditäten abseits der recht bekannten Autoimmunthyreoiditis, die erkannt und gemanagt werden müssen. Dies verdeutlichen uns PD Dr. med. Nicola Wagner und Prof. Dr. Carola Berking aus Erlangen. Sie legen besonderes Augenmerk auf Mechanismen, die über eine geringgradige systemische Inflammation oder auch über psychoimmunologische Faktoren zur Aktivität der Urtikaria beitragen.

Ihr Beitrag leitet über zu Trigger- und Augmentationsfaktoren einer Urtikaria. Frau Dr. Julia Zarnowski und Frau Prof. Regina Treudler aus Leipzig (Letztere seit 01.01.2024 in Berlin) präsentieren ihre Ergebnisse einer aktuellen Literaturrecherche, wie sich die Einnahme bestimmter Medikamente, begleitende Infekte, Nahrungsmittel, Stress sowie physikalische, psychologische und hormonelle Faktoren auf die Urtikariaaktivität auswirken.

Last but not least nähert sich Prof. Dr. Guido Heine aus Kiel der Fragestellung, ob es eine Spontanremission der Urtikaria gibt und, wenn ja, wann? Das ist die entscheidende Frage, denn niemand ist lebenslang betroffen. Wir wissen aber, dass die bisherigen Therapieoptionen rein symptomatisch sind und bis zur Spontanremission gegeben werden müssen. Das bedeutet meist mehrere Jahre Therapie. Bei so einer Langzeittherapie ist die Sicherheit der Medikamente besonders wichtig. Auch hier müssen sich zukünftige Therapien am ausgezeichneten Sicherheitsprofil von Omalizumab messen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass wir dringend zugelassene Therapieoptionen für Omalizumab-Nonresponder und für chronische induzierbare Urtikariaformen benötigen. Diesbezüglich ist es sehr erfreulich, dass verschiedene Hersteller randomisierte klinische Studien in diesen Indikationen durchführen, bei den Anti-KIT-Antikörpern sind CSU und CIndU sogar die ersten Nicht-Krebs-Indikationen in klinischer Prüfung.

Sie lesen, es gibt immer noch zahlreiche offene Fragen zur Urtikaria, nicht nur rund um Leitsymptome (Abb. 1). Daher freuen wir uns sehr, dass wir kompetente Experten und Expertinnen zur Beantwortung gewinnen konnten.

Abb. 1
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Leitthema auf einen Blick

Wir danken allen Autorinnen und Autoren sehr herzlich für ihre wertvollen Beiträge und wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

Prof. Dr. med. Markus Magerl

Prof. Dr. med. Bettina Wedi