Die Oberflächen vieler Proteine und Lipide sind von Ketten aneinander gebundener Zuckermoleküle, sog. Polysacchariden, bedeckt und werden als Glykoproteine oder -lipide bezeichnet [1]. Der Rolle von Polysacchariden wurde in der Wissenschaft bislang relativ begrenzt Aufmerksamkeit geschenkt, dabei sind sie wichtig für Wachstum, Überleben, Strukturgebung, Schutz und Entwicklung eines Organismus. Auch im Immunsystem bei der Unterscheidung zwischen „fremd“ und „eigen“ spielen sie eine wichtige Rolle. In der Allergologie sind auf Xylose und Fucose aufbauende Polysaccharide als Bindungsstellen für spezifisches Immunglobulin E (sIgE) seit Langem bekannt [1]. Diese bei Pflanzen und Insekten weit verbreiteten Epitope haben keine eigenständige klinische Relevanz. Sie stellen in erster Linie eine zu falsch positiven Befunden führende Störgröße in der serologischen IgE(Immunglobulin E)-Diagnostik dar und werden in diesem Anwendungsbereich als kreuzreagierende Kohlenhydratdeterminanten (CCD) zusammengefasst [1].

Alpha-Gal – ein Zuckerepitop mit hohem immunogenem Potenzial

Das Disaccharid Galaktose-α‑1,3‑Galaktose (Alpha-Gal) ist eine im Tierreich in Polysacchariden häufig vorkommende Struktur. Für das menschliche Immunsystem ist dieses Epitop aufgrund eines evolutionären Prozesses obligat immunogen. Nach gängiger Hypothese ging infolge eines Selektionsdrucks durch Krankheitserreger vor 25 Mio. Jahren Hominiden das Gen für die Alpha‑1,3‑Galaktosyltransferase und damit die Fähigkeit, selbst Alpha-Gal in Glykanen zu bilden, verloren [2]. Dies hat zur Folge, dass der moderne Mensch Immunglobulin M (IgM) und Immunglobulin G (IgG) gegen das Alpha-Gal-Epitop infolge eines Kontaktes über das Darmmikrobiom produziert und diese Antikörper einen hohen Anteil am Pool der Immunglobuline einnehmen [2]. Dieser immunologische Unterschied zwischen Menschen und anderen Säugetieren ist in der Transplantationsimmunologie seit mehr als 30 Jahren bekannt und stellt das Haupthemmnis für Xenotransplantationen dar [2]. Im Jahr 2006 wurde durch die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) das Medikament Cetuximab, ein humanisierter, aus Maus-Myelomzellen hergestellter, gegen den epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor (Anti-EGFR) gerichteter IgG1-Antikörper zur Therapie des metastasierten Kolonkarzinoms, zugelassen. Nach Zulassung wurde im Südosten der USA eine Häufung von Anaphylaxien auf die Erstgabe des Medikamentes beobachtet [3]. Die Untersuchung dieser Fälle führte zur Entdeckung, dass diese Patienten auch Alpha-Gal-Antikörper der Spezifität IgE aufwiesen und Cetuximab in seiner variablen Domäne eine Alpha-Gal-Glykosylierungsstelle aufweist. Mit Alpha-Gal wurde das erste Zuckerepitop entdeckt, dass in der Allergologie eine hohe klinische Relevanz besitzt [3]. Durch Alpha-Gal-spezifisches IgE hervorgerufene Allergien werden terminologisch als Alpha-Gal-Syndrom (AGS) zusammengefasst [4]. Das Fleisch von Säugetieren, daraus hergestellte Nahrungs- und Genussmittel oder auch Arzneimittel, die aus Säugetierzellen gewonnen werden, sind wichtige Allergenquellen. Das Alpha-Gal-Syndrom hat für Betroffene Relevanz sowohl als Nahrungsmittel- als auch als Medikamentenallergie [4]. Nach aktuellem Verständnis führt aber nicht der enterale Kontakt zur Induktion von Alpha-Gal-sIgE. Sie gelten als Umwelt-induziert, und Zeckenstiche sind eine Sensibilisierungsquelle, für die eine hohe Evidenz besteht [5].

Alpha-Gal-Syndrom – eine komplexe Nahrungsmittelallergie

In der allergologischen Praxis ist der Aspekt Nahrungsmittelallergie die häufigste Manifestationsform des AGS [6]. In Hinsicht auf Auslösung und klinische Symptomatik allergischer Reaktionen unterscheidet sich das AGS von klassischen Nahrungsmittelallergien. Die Kenntnis dieser Spezifika ist für das Erkennen wichtig. Auslöser für allergische Systemreaktionen sind der Verzehr von Fleisch und Innereien von Säugetieren, Wurstwaren, in Sonderfällen auch Milchprodukten, Käse, Digestiva (z. B. Pepsin) oder Süßigkeiten aus Gelatine (Abb. 1; [4]). Während oder nach dem Verzehr verspüren Patienten keine orale Symptomatik oder abdominelle Schmerzen. Allergische Reaktionen mit protrahiert führender kutaner Symptomatik mit Urtikaria, Angioödemen oder lebensbedrohlich verlaufender Anaphylaxie mit Atemnot, Kreislaufdysregulation und Bewusstlosigkeit setzen typischerweise erst mit einer Verzögerung von 3–6 h ein ([6, 7]; Abb. 1). Nach einem Abendessen mit Fleischverzehr tritt die Reaktion im Verlauf der Nacht ein. Der Bezug zum Abendessen ist den Betroffenen anamnestisch zumeist nicht ersichtlich und differenzialdiagnostisch ein Verwechseln mit chronisch spontanen Angioödemen möglich.

Die allergische Reaktion setzt mit zeitlicher Verzögerung (3-6 Stunden) und regelmäßig nachts ein

Die Ursachen für das zeitlich verzögerte Einsetzen der allergischen Reaktion sind noch nicht ausreichend verstanden. Die Freisetzung von Alpha-Gal-Epitopen durch die Verdauung scheint ein wichtiger Faktor zu sein. Im aktuellen Konzept wird die Resorption Alpha-Gal-haltiger Glykolipide als Erklärungskonzept favorisiert (Abb. 2; [8]). Hierzu passt auch die klinische Beobachtung, dass der Verzehr von Fleisch mit einem hohen Fettgehalt leichter eine allergische Reaktion auszulösen scheint als mageres Fleisch (z. B. Schweinefleisch vs. Wild) [9]. Nach dem Verzehr von Innereien, v. a. Nieren von Rind und Schwein, setzt typischerweise eine allergische Reaktion innerhalb von 0,5–1 h nach Verzehr ein und verläuft mit höherer Wahrscheinlichkeit als bedrohliche Anaphylaxie (Abb. 2; [7, 10]). Nieren und andere Gewebe des Urogenitaltrakts von Säugetieren enthalten eine höhere Konzentration von Alpha-Gal-haltigen Glykoproteinen, und dieser Umstand wird ursächlich für den abweichenden klinischen Verlauf gesehen [11, 12]. Bei Nahrungsmittelallergien können die Darmpermeabilität mit Kinetik der Allergenresorption und die Suszeptibilität des Organismus entscheidende Faktoren für das Auftreten einer allergischen Reaktion sein. Erstmalig wurde dieses Phänomen für die anstrengungsinduzierte Weizenallergie (engl. „wheat-dependent exercise-induced anaphylaxis“ [WDEIA]), ausgelöst durch Omega-5-Gliadin (Tri a19), belegt [13]. Bei dieser Allergie treten nur dann nach Weizenverzehr allergische Symptome auf, wenn zugleich eine ausreichend hohe Zahl von Kofaktoren vorliegt [14]. Ist die auslösende Konstellation von Kofaktoren situativ nicht gegeben, so bleibt eine Reaktion aus, und das Nahrungsmittelallergen wird scheinbar reaktionslos vertragen. Zu den Darmpermeabilität-modulierenden Kofaktoren gehören körperliche Anstrengung, die Einnahme nichtsteroidaler Antiphlogistika oder der Genuss von Alkohol und zu den Allergiesuszeptibilität-steigernden Kofaktoren fieberhafte Infekte, die Einnahme von nichtsteroidalen Antiphlogistika und hormonelle Einflüsse (z. B. Periode bei Frauen). Die deutsche Bezeichnung für dieses Phänomen ist Summationsanaphylaxie (Abb. 3; [13]).

Auch für das AGS ist die Relevanz von Kofaktoren für die Auslösung einer allergischen Reaktion gut charakterisiert. Klinisch milde Formen des AGS sind dadurch charakterisiert, dass Reaktionen nur nach Verzehr von Schweinenieren in Verbindung mit Kofaktoren auftreten. Muskelfleisch von Säugetieren wird von diesen Patienten im Alltag zumeist vertragen [7].

Abb. 1
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Säugetierfleisch, Milch und daraus hergestellte Nahrungsmittel enthalten Alpha-Gal und können zu Anaphylaxien führen. slgE Spezifisches Immunglobulin E (Farbabbildungen: ©Servier Medical Art by Servier, CC BY 3.0, https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/; Silhouetten: digital gezeichnet durch Autor)

Abb. 2
figure 2

Die Menge Alpha-Gal-haltiger Glykolipide und Glykoproteine/-peptide hat Einfluss auf die Zeit bis zum Einsetzen einer Anaphylaxie. (Farbabbildungen: ©Servier Medical Art by Servier, CC BY 3.0, https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/; Silhouetten: digital gezeichnet durch Autor)

Abb. 3
figure 3

Summationsanaphylaxie bei Alpha-Gal-Syndrom (AGS). (Mod. nach [15]; Silhouetten: digital gezeichnet durch Autor)

Die Zubereitungsform bzw. der Grad der Erhitzung von Fleisch scheint zu keiner Reduktion der Allergenität zu führen. Verglichen mit anderen Nahrungsmittelallergien, z. B. Erdnuss- oder Hühnereiallergie, ist jedoch der Schwellenwert für allergene Nahrungsmittel verhältnismäßig hoch und das niedrigste Niveau mit schädlicher Wirkung („lowest observed adverse-effect level“ [LOAEL]) bei enteralem Kontakt im Grammbereich anzunehmen [4, 6]. Auch Kuhmilch und daraus hergestellte Produkte wie Joghurt, Sahne, Butter oder Käse enthalten Alpha-Gal [6]. Die Mehrheit von AGS-Patienten vertragen diese Allergenmengen im Alltag reaktionslos. Einzelfallberichte deuten darauf hin, dass eine diätische Karenz zu diesen Allergenquellen möglicherweise sogar den Toleranzverlust gegenüber Alpha-Gal verstärken kann [16]. Daher können Arzneimittel in Hartgelatinekapsel von Patienten mit AGS weiterhin als Dauermedikation eingenommen werden (Abb. 4). Nahrungsergänzungsmittel auf Grundlage aufgereinigter tierischer Enzyme (z. B. Pepsin aus Schweinedarm als Digestivum) oder große Mengen von Gelatine-haltigen Süßigkeiten scheinen die LOAEL bei Patienten mit hoher Empfindlichkeit erreichen zu können [16, 17]. Die Symptomatik ist in diesen Fällen eher mild und kann mit Abdominalschmerzen und Diarrhöen assoziiert sein.

Abb. 4
figure 4

Gelatine bei Alpha-Gal-Syndrom (AGS) – Risiko abhängig vom Expositionsweg. (Farbabbildungen: ©Servier Medical Art by Servier, CC BY 3.0, https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/; Silhouetten: digital gezeichnet durch Autor)

Bei Verdacht auf AGS empfiehlt sich die indirekte Bestimmung von Alpha-Gal-sIgE über die Messung von sIgE gegen bovines Thyreoglobulin als erster Schritt. Im Hauttest zeigt sich eine Typ-I-Sensibilisierung nur bei Prick-zu-Prick-Testung mit frischem Fleisch, Schweinenieren, Kreon-Kapseln (Pepsin aus Schweinedarm, EurimPharm Arzneimittel GmbH, Saaldorf-Surheim, Deutschland) oder Intrakutantestung von Gelatinepolysuccinat (Gelafundin 4 %). Kommerziell verfügbare, arzneimittelrechtlich zugelassene Pricklösungen für Fleisch sind bei einem AGS zumeist negativ und eher von Relevanz zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung anderer seltenerer Formen der Fleischallergie (Pork-Cat-Syndrom, Milk-Beef-Syndrom oder Chicken-Fish-Syndrom).

Die Diagnose eines AGS ergibt sich aus der Kombination eines anamnestischen allergischen Ereignisses und einem Nachweis einer Typ-I-Sensibilisierung auf Alpha-Gal. Die ärztliche allergologische Beratung bei Erstdiagnose soll eine Aufklärung über das AGS mit seinen Teilaspekten, Ausstellung eines Allergiepasses, Verordnung eines allergologischen Notfallsets und die Empfehlung einer diätischen Karenz gegenüber Säugetierfleisch und -innereien umfassen. Geflügelfleisch und Fisch kann von Patienten mit AGS gefahrlos verzehrt werden. Ob Alpha-Gal im Fleisch von Reptilien (z. B. Krokodil) vorkommt, ist aktuell noch nicht hinreichend untersucht. Aufgrund einer raschen Veränderlichkeit der Alpha-Gal-sIgE-Titer sind Kontrollen in 3‑ bis 6‑monatigen Abständen sinnvoll und in die ärztliche Beratung einzubeziehen. Aufgrund der hohen individuellen Variabilität der klinischen Ausprägung der AGS hat die orale Expositionstestung nach wie vor einen Stellenwert in der Diagnostik. Gegeben ist dies in der individuellen Entscheidung, Säugetierfleisch diätisch wieder zuzulassen. Eine Expositionstestung mit einer großen Portion gekochtem Rindfleisch (mindestens 250 g ohne zeitliches Aufteilen in Einzelportionen) kann in der Entscheidungsfindung hilfreich sein. Aufgrund des Risikos des Auftretens einer zeitverzögerten Anaphylaxie sollen diese Testungen stationär in Allergiezentren unter Notfallbereitschaft durchgeführt werden. Ein Basophilenaktivierungstest (BAT) stellt ebenfalls eine geeignete sensitive Methodik zum Sensibilisierungsnachweis dar und konnte in einer Studie bei Durchführung mit unterschiedlichen Allergenkonzentrationen unterschiedliche Empfindlichkeitsniveaus beschreiben [18]. Eine auf BAT basierende Diagnostik ist derzeit noch nicht in der Lage, eine orale Expositionstestung zu ersetzen.

Alpha-Gal-Syndrom – eine Allergie auf Arzneimittel und Medizinprodukte

Auch wenn das AGS ursprünglich durch Anaphylaxien auf Cetuximab entdeckt wurde, ist das Wissen zum Risiko von Alpha-Gal-haltigen Arzneimitteln begrenzt. Anders als bei Nahrungsmitteln gibt es für Alpha-Gal-haltige Arzneimittel bislang keine belastbaren Erfahrungswerte bezüglich der LOAEL oder Gefährdung in Abhängigkeit von der Höhe der sIgE-Titer. Monoklonale therapeutische Antikörper sind in der modernen Medizin unverzichtbar. Bislang wurden keine weiteren Biologika identifiziert, die ein vergleichbares Risiko wie Cetuximab aufweisen [19]. Antivenine gegen Schlangen- oder Skorpiongifte sind Fab2-Fragmente von immunisierten Pferden und Schafen, enthalten Alpha-Gal und können bei Alpha-Gal-sIgE-positiven Personen bei Verabreichung allergische Reaktionen hervorrufen [20]. Gelatine kann bei parenteraler Verabreichung mit höherer Wahrscheinlichkeit bei Alpha-Gal-sIgE-Positivität Anaphylaxien hervorrufen (Abb. 4; [21]). Eine hohe Gefährdung besteht bei der Verabreichung von Gelatine-haltigen Volumenersatzmitteln (Gelatinepolysuccinat). Auch in Impfstoffen wird regelmäßig Gelatine als Hilfsstoff eingesetzt (Polygelin). Erfahrungen mit Gelatine-haltigen Impfstoffen sind unterschiedlich, und eine generelle Impfunverträglichkeit ist bei Vorhandensein von Alpha-Gal-sIgE nicht anzunehmen (Abb. 4; [22, 23]). Alle derzeit in der EU zugelassenen Impfstoffe gegen COVID-19 enthalten keine Gelatine und können bei Patienten mit AGS eingesetzt werden.

Alle in der EU zugelassenen Impfstoffe gegen COVID-19 können bei Patienten mit AGS eingesetzt werden

Bei Operationen mit Herz-Lungen-Maschinen wird Heparin in hoher Konzentration intravenös verabreicht. Heparin wird aus Schweinedarm extrahiert und kann daher Alpha-Gal enthalten. Wie eine aktuelle Studie zeigte, sind Anaphylaxien möglich, aber das assoziierte Risiko ist als moderat einzuschätzen [24]. Zunehmend zeigt sich, dass das primär allergologisch wahrgenommene IgE auch bei Autoimmunkrankheiten pathophysiologisch beteiligt sein kann [25]. Biologische Herzklappen werden aus Aortenklappen von Schweinen oder Perikard von Rindern hergestellt. Die oberflächlich vorkommenden Alpha-Gal-Epitope werden chemisch denaturiert. Dieser Prozess inaktiviert Alpha-Gal-Epitope nicht vollständig, und es gibt Hinweise, dass bei Patienten mit Alpha-Gal-sIgE biologische Herzklappen und andere Biografts rascher abgestoßen werden können [26, 27].

Alpha-Gal-Syndrom – eine zeckenübertragene Erkrankung

Nach aktuellem Konzept wird das Alpha-Gal-sIgE nicht primär durch den Verzehr von Nahrungs- oder Arzneimitteln, sondern durch Umwelteinflüsse induziert. Klare Evidenz besteht weltweit für Zeckenstiche [5]. Zecken durchlaufen einen Entwicklungszyklus mit 3 Stadien und benötigen eine Blutmahlzeit für jeden Entwicklungsschritt. Wirtstiere von Zeckenarten, die auch den Menschen als Fehlwirt befallen, sind v. a. Säugetiere (z. B. Nagetiere, Rehe). Mit der Blutmahlzeit aufgenommene Alpha-Gal-haltige Blutbestandteile werden im Rahmen der Hämophagozytose in den Stoffwechsel der Zecken dauerhaft aufgenommen. Bei einer weiteren Blutmahlzeit im nächsten Entwicklungsstadium können Alpha-Gal-haltige Komponenten mit dem Speichel in die Wunde übertragen werden, und dies kann bei Menschen zu einer Neusensibilisierung oder Boosterung des sIgE-Titers führen [9, 28]. Es gibt auch Hinweise, dass einige Zeckenarten zusätzlich in den Speicheldrüsen Alpha-Gal-haltige Proteine synthetisieren können [28].

Durch Zeckenstiche können zahlreiche bakterielle und virale Erkrankungen (z. B. Borreliose, Rickettsien oder FSME[Frühsommermeningoenzephalitis]-Viren) übertragen werden. Mit der Übertragung des auslösenden Agens durch den Speichel von Zecken erfüllt das AGS als erste Allergie die Kriterien einer zeckenübertragenen Erkrankung [28]. Sehr selten kann es auch zu allergischen Systemreaktionen unter dem Saugakt oder beim Entfernen von Zecken kommen. Berichte hierzu gibt es v. a. aus Australien. Diese Allergie ist dort unter der Bezeichnung Zecken-induzierte Anaphylaxie („tick-induced anaphylaxis“ [TIA]) bekannt [29]. Wesentlich häufigere und auch in Deutschland diagnostische nützliche anamnestische Hinweise sind Berichte von intensiv juckenden, länger als 7 Tage anhaltenden Lokalreaktionen um Zeckenstiche. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass diese Phänomene eher durch hypererge Reaktionen auf Zeckenstiche assoziiert sind, aber diese Hinweise erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines Nachweises von Alpha-Gal-sIgE in der Serologie [5, 9].

Bei AGS-Patienten sind regelmäßige Kontrollen des Alpha-Gal-sIgE sinnvoll

Personen mit atopischer Diathese haben ein hohes Risiko, nach Zeckenstichen Alpha-Gal-sIgE zu entwickeln, und niedrige Alpha-Gal-sIgE-Titer werden bei epidemiologischen Untersuchungen von Patienten in allergologischen Ambulanzen regelmäßig beobachtet [30]. Nach Zeckenstichen kann es zu starken Titeranstiegen kommen, die auch mit Erstmanifestation oder Verschlechterung einer Fleischallergie einhergehen können [30]. Ungewöhnlich für Allergien ist auch ein rascher Abfall von Alpha-Gal-sIgE-Titern bei ausbleibender erneuter Zeckenexposition innerhalb von 3 bis 6 Monaten [30]. Da ein Titerabfall mit einer Verbesserung der Toleranz gegenüber Säugetierfleisch assoziiert sein kann, sind bei AGS-Patienten mindestens 2‑mal jährliche Kontrollen des Alpha-Gal-sIgE medizinisch sinnvoll.

Fazit für die Praxis

  • Das Alpha-Gal-Syndrom (AGS) ist ein komplexes Krankheitsbild das auf spezifisches Immunglobulin E (sIgE) gegen Galaktose-α‑1,3‑Galaktose (Alpha-Gal) beruht. Es hat für Betroffene eine Relevanz als Nahrungsmittel- und Medikamentenallergie.

  • Säugetierfleisch, Süßigkeiten mit Gelatine und Milchprodukte enthalten Alpha-Gal und können bei Verzehr innerhalb von 3–6 h zu allergischen Reaktionen führen.

  • Bei Verzehr von Schweinenieren können die allergischen Reaktionen bereits nach 0,5–1 h auftreten und schwerer verlaufen.

  • Im Bereich der Arzneimittel enthalten Cetuximab, Schlangengegengifte, Gelatine (in Volumenexpandern oder Impfstoffen) Alpha-Gal und können bei Alpha-Gal-sIgE-Positivität zu Anaphylaxien führen.

  • Nach aktuellem Verständnis sind Zeckenstiche für die Induktion von Alpha-Gal-sIgE verantwortlich. Die Titer können bei ausbleibenden weiteren Zeckenstichen innerhalb von 3 bis 6 Monaten wieder abfallen. Ein Abfall des sIgE-Titers kann mit einer Besserung der Allergie assoziiert sein.