Pruritus ist ein häufiges Symptom in der Allgemeinbevölkerung [7], in dermatologischen Praxen und Kliniken [6, 11, 13] sowie in Hausarzt- oder internistischen Praxen [15], da er sowohl als Symptom primärer Hauterkrankungen als auch als Symptom systemischer Erkrankungen (z. B. bei Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus u. a.) auftreten kann. In manchen Fällen ist auch keine dem chronischen Pruritus (CP) zugrunde liegende körperliche Ursache nachweisbar, oder es liegt ein multifaktoriell verursachter CP vor [23]. Dabei können psychische Faktoren bzw. Störungen den CP anteilig oder überwiegend verursachen, in Folge des CP auftreten oder als davon unabhängige Komorbiditäten.

Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die Systematik psychischer Faktoren in Entstehung bzw. Verlauf des CP wieder sowie Hinweise zu ihrer jeweiligen Diagnostik.

Die Tab. 1 gibt einen Überblick. Die einzelnen Aspekte werden im Folgenden erläutert.

Tab. 1 Systematik Pruritus-assoziierter psychischer Störungen

A. Psychische Beeinträchtigungen/Störungen als Reaktion auf chronischen Pruritus

Zahlreiche Studien belegen, dass chronischer Pruritus zu erheblichem subjektivem Leiden der Betroffenen führen kann: Dies kann sich in Einschränkungen der Lebensqualität, Schlafstörungen, Störungen der Sexualität, Stimmungsverschlechterung mit Angst und/oder Depressivität, Belastung zwischenmenschlicher Beziehungen, Erleben von Stigmatisierung, sozialem Rückzug äußern [10, 27]. Daraus können sich klinisch relevante psychische Störungen wie Anpassungsstörungen, Angst- oder depressive Störungen, teils sogar mit Suizidalität, entwickeln [2].

Die Diagnostik kann durch die Anamnese oder auch durch den Einsatz psychometrischer Instrumente erfolgen.

Für die Diagnose depressiver Störungen können folgende 2 Screeningfragen gestellt werden – mit einer Sensitivität von 96 % und einer Spezifität von 57 % ein sehr zeitökonomisches Vorgehen [4, 28]:

  • Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?

  • Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?

Für die Diagnose einer Panikstörung oder einer generalisierten Angststörung können orientierend folgende Fragen gestellt werden [4]:

  • Hatten Sie schon einmal einen Angstanfall, bei dem Sie ganz plötzlich von starker Angst, Beklommenheit oder Unruhe überfallen wurden?

  • Haben Sie sich schon einmal über mindestens einen Monat oder länger ängstlich, angespannt und voll ängstlicher Besorgnis gefühlt?

Wenn die Kriterien einer depressiven oder Angststörung nach ICD-10 nicht erfüllt sind, die Belastung des Patienten aber klinisch relevant und Folge des CP ist, kann die Diagnose einer Anpassungsstörung im Sinne von Problemen der Symptombewältigung zutreffen.

Einschränkungen der Lebensqualität, Angst und Depressivität können auch mittels validierter und reliabler psychometrischer Instrumente erfasst werden. Die Langfassung der S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus [23] empfiehlt die in Tab. 2 aufgeführten Fragebögen.

Tab. 2 Psychometrische Instrumente zur Erfassung von Lebensqualität, Angst und Depressivität bei chronischem Pruritus

Geschlechtsspezifische Unterschiede wurden insoweit gezeigt, dass Frauen höhere Pruritusintensitäten angeben als Männer sowie eine höhere Ausprägung von Ängstlichkeit und Depressivität [22, 24].

B. Psychische Aspekte in Entstehung und Verlauf eines chronischen Pruritus

B1. Klinisch relevante psychische/psychosomatische Einflussfaktoren

Wenn für Auslösung und/oder Verlauf eines CP neben dem gleichzeitigen Vorliegen einer oder mehrerer organischer Pruritusursachen relevante psychische/psychosomatische Einflussfaktoren zu identifizieren sind, wird empfohlen, diese nach ICD(Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme)-10 als „F54: Psychologische und Verhaltensfaktoren bei andernorts klassifizierten Erkrankungen“ zu klassifizieren.

Aus der Literatur sind vielfältige Einflussfaktoren auf Auslösung und Verlauf von Pruritus bekannt: Pruritus und Kratzen können durch (audio)visuelle Reize induziert werden [17]. Positive und negative Erwartungen, die auch durch entsprechende Instruktionen induziert werden können (im Sinne von Placebo- oder Noceboeffekten), beeinflussen die Stärke der Prurituswahrnehmung, das Kratzverhalten, die physiologischen Hautreaktionen nach experimentell induziertem Pruritus [25, 26].

Pruritus und Kratzen können durch psychische Faktoren beeinflusst werden

Ängstlichkeit [9], Depressivität [16] sowie bestimmte Persönlichkeitseigenschaften wie hoher Neurotizismus (im Sinne emotionaler Instabilität mit Tendenz, mehr negative Emotionen zu erleben), geringe Verträglichkeit [16, 19, 20] und niedriges Selbstwirksamkeitserleben [1] waren mit einer stärkeren Ausprägung der Pruritusempfindung und des Kratzens assoziiert. Resilienz (psychische Widerstandsfähigkeit) und Neurotizismus zeigten Zusammenhänge zu einem stärkeren Ansprechen auf Placeboinstruktionen für Pruritus [3].

Andere Studien zeigten Assoziationen zwischen subjektivem Stress, belastenden Lebensereignissen und Ausprägung der jeweiligen Hautsymptomatik und Stärke der Pruritusempfindung bei Hauterkrankungen (u. a. [8]). Bei Gesunden wurden ebenfalls Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit von „major life events“ in den letzten 6 Monaten bzw. subjektiv wahrgenommenem Stress und der Angabe von Pruritus gezeigt [18, 29]. Patienten mit CP gaben vor einem sozialen Stresstest höhere Anspannung an und zeigten ausgeprägtere physiologische Stressreaktionen als Gesunde [14].

Kognitive und Verhaltensaspekte können ebenfalls relevanten Einfluss auf die CP-Wahrnehmung und -Bewältigung und seine Behandlung haben.

Das Erleben von Stigmatisierung infolge sichtbarer Hautveränderungen wie Kratzläsionen kann zu sozialem Vermeidungsverhalten und Rückzug führen, was dann wieder durch Wegfallen angenehmer Aktivitäten zu einer zunehmenden Fokussierung auf den Pruritus und darüber zu einer verstärkten Prurituswahrnehmung führen kann.

Negative Kognitionen wie verallgemeinernde und katastrophisierende Gedanken können den Stress durch den Pruritus noch verstärken und zu vermehrtem Pruritus beitragen. Es konnte gezeigt werden, dass der Zusammenhang von Stress und Pruritus bei atopischer Dermatitis über negative pruritusbezogene Kognitionen vermittelt wird [21].

Der häufig kaum unterdrückbare Kratzimpuls kann zu Spannungen mit nahestehenden Personen führen, die den Betroffenen auffordern, das Kratzen zu unterlassen. Die Kratzimpulse können als nicht unterdrückbar erlebt werden. Teils werden dazu auch Hilfsgegenstände genutzt, oder es entsteht ein automatisiertes Kratzverhalten, bei dem die Betroffenen auch kratzen, wenn es nicht juckt, teils auch ohne dass es ihnen bewusst wird. So entsteht ein Teufelskreis aus Jucken und Kratzen, in dem die Betroffenen kurzfristig durch das Kratzen Erleichterung des Pruritus empfinden, längerfristig jedoch ihre Haut schädigen, was den Pruritus verstärken kann, zu vermehrtem Kratzen führt usw.

Die Diagnostik psychischer Einflussfaktoren in der Hautarzt/Facharztpraxis setzt eine gründliche (und leider meist auch zeitintensive) Anamnese voraus: Einige diagnostische Erfassungsmöglichkeiten und beispielhafte Fragen für die in diesem Abschnitt beschriebenen Aspekte sind in Tab. 3 aufgeführt:

Tab. 3 Einige Erfassungsmöglichkeiten und beispielhafte Fragen für relevante psychische/psychosomatische Einflussfaktoren, die Auslösung und Verlauf des Pruritus beeinflussen

B2. Somatoformer Pruritus

Psychische und psychosomatische Faktoren können auch als alleinige oder überwiegende Ursache eines CP infrage kommen, der dann bei Nachweis dieser und Ausschluss relevanter organischer Ursachen als somatoformer Pruritus (ICD-10: F45.8 „Sonstige somatoforme Störungen“) klassifiziert wird. Der Begriff „psychogener Pruritus“ sollte nicht verwendet werden, da dieser keinem anerkannten Klassifikationssystem entspricht.

Somatoforme Störungen sind charakterisiert durch wiederholtes Darbieten körperlicher Symptome, z. B. Pruritus oder Hautbrennen, in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholt negativer Ergebnisse und der Versicherung der Ärzte, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind. Gleichzeitig liegen psychosoziale Belastungen vor, die die Symptomatik bedingen und unterhalten können. Die Störung kann monosymptomatisch (nur Pruritus) sein oder polysymptomatisch (Pruritus begleitet von anderen organisch nicht ausreichend erklärbaren körperlichen Beschwerden).

Demgemäß basiert die Diagnosestellung auf dem Ausschluss einer organischen Ursache und dem Nachweis psychosozialer Einflussfaktoren auf Auslösung und Verlauf des Pruritus. Letztere können dem im Abschn. B1 Aufgeführten entsprechen, das diesbezügliche diagnostische Vorgehen wäre das Gleiche.

CP ist häufig multifaktoriell bedingt, aber psychische Faktoren können die alleinige Ursache sein

In einer kürzlich publizierten Studie wurden CP-Patienten, bei denen auf der Basis einer psychosomatischen Konsiliaruntersuchung die Diagnose relevanter psychischer/psychosomatischer Einflussfaktoren in Auslösung/Verlauf des CP oder die Diagnose somatoformer Pruritus gestellt worden war, mit CP-Patienten verglichen, die keine anamnestische oder aktuell diagnostizierte psychische Komorbidität hatten. Dabei bejahten die CP-Patienten mit psychosomatischen Einflussfaktoren bzw. somatoformem Pruritus als Trigger ihres Pruritus signifikant häufiger „Anspannung“ und „emotionale Anspannung“. Sie bejahten signifikant häufiger bestimmte emotionale Adjektive, um ihr Prurituserleben zu beschreiben: „grausam“, „qualvoll“, „aufwühlend“, „entsetzlich“ sowie „der Juckreiz macht mich aggressiv“. Da diese Aspekte jedoch nicht exklusiv bei diesen Patienten zutrafen, sondern auch von manchen CP-Patienten ohne psychische Komorbidität bejaht wurden, können sie allenfalls als Hinweise dienen [12].

B3. Pruritus bei coenästhetischer Schizophrenie

Schizophrene und wahnhafte Störungen können sich durch taktile Halluzinationen als Pruritus oder die wahnhafte Überzeugung, an einer Infektion z. B. mit Parasiten und dadurch bedingtem Pruritus zu leiden, manifestieren. Die Diagnostik bereitet keine besonderen Schwierigkeiten, wenn die Patienten offen von diesen Überzeugungen berichten, evtl. auch Material mitbringen, das sie für Parasiten o. Ä. halten, und an diesen Überzeugungen auch festhalten, wenn man ihnen die negativen Untersuchungsergebnisse mitteilt. Pruritus im Rahmen einer coenästhetischen oder sonstigen Psychose sollte als Symptom einer Schizophrenie (ICD-10: F20) klassifiziert werden. Der Patient sollte in einem solchen Verdachtsfall fachärztlich-psychiatrisch untersucht und ggf. behandelt werden.

B4. Selbst induzierte Kratzartefakte mit oder ohne Pruritus

Bei den artifiziellen Störungen ist das zentrale Symptom die Vortäuschung, Aggravation und/oder Erzeugung körperlicher oder psychischer Krankheitssymptome, die häufig medizinische Behandlungen zur Folge haben. Die Patienten können auch Pruritus angeben und damit Hautläsionen begründen. Die Diagnostik artifizieller Störungen ist deswegen schwierig, weil die Selbstschädigung der Haut teils bewusstseinsfern geschieht und von den Patienten nicht berichtet oder bei Konfrontation damit in der Regel nicht zugegeben wird. Diagnostische Hinweise sind klinisch ungewöhnliche Läsionen, die trotz Behandlung nicht zuheilen, und Leugnen der Manipulation durch den Patienten.

Davon abzugrenzen sind „Paraartefakte“, bei denen den Patienten ihre selbstschädigenden Handlungen bewusst sind und sie diese auch zugeben, jedoch nicht beenden können: Die Diagnostik erfolgt durch die typische Anamnese: Exzessives, auch automatisches Kratzen in diesem Sinne („neurotische Exkoriationen“) kann man nach der ICD-10 als Impulskontrollstörung (ICD-10: F63.3) klassifizieren. Bei schweren Zwangsstörungen, insbesondere Zwangshandlungen mit Waschzwang können Austrocknen/Schädigung der Haut, dadurch bedingte Ekzeme und Superinfektionen ebenfalls Pruritus auslösen. Die Diagnostik erfolgt ebenfalls auf Basis der typischen Anamnese, dass Patienten berichten, dass sie sich sehr häufig die Hände waschen müssen, dies zwar als übertrieben oder unsinnig erkennen, aber trotz Versuchen, dem Widerstand zu leisten, nicht einstellen können.

C. Komorbidität mit psychischen Störungen

Untersuchungen in der Allgemeinbevölkerung zeigen Lebenszeitprävalenzen von 25–40 % psychischer Störungen [5]. Dies bedeutet, dass bei einem Teil der von Pruritus Betroffenen unabhängig davon gleichzeitig eine psychische Störung vorliegen kann, die ihrerseits die Behandlung des Juckens erschweren und den Krankheitsverlauf beeinflussen kann (z. B. durch Complianceprobleme bei Persönlichkeitsstörungen, Substanzabhängigkeiten, Psychosen u. a.).

Deswegen sollte die Anamnese auch Fragen nach aktuellen oder früheren psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen sowie psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungen umfassen.

Fazit für die Praxis

  • Psychische Störungen und Einflussfaktoren bei chronischem Pruritus (CP) sind häufig.

  • Sie können Ursache oder Folge des CP sein und sein Management erheblich beeinflussen.

  • Ihre Diagnostik erfolgt vorwiegend durch die gründliche Anamnese.

  • Fragebögen können ergänzend eingesetzt werden.

  • Bei klinisch relevanten psychischen Einflussfaktoren kann die Behandlung zunächst im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung erfolgen.

  • Bei mangelndem Erfolg sollte der Patient einer weiteren spezialisierten psychischen Diagnostik und ggf. Behandlung zugeführt werden.