FormalPara Originalpublikation

Lefevre JH, Mineur L, Kotti S et al (2016) Effect of interval (7 or 11 weeks) between neoadjuvant radiochemotherapy and surgery on complete pathologic response in rectal cancer: a multicenter, randomized, controlled trial (GRECCAR-6). J Clin Oncol 34:3773–3780

FormalPara Hintergrund.

Das vollständige pathologische Ansprechen („pathologic complete response“, pCR) auf eine neoadjuvante Radiochemotherapie (nRCT) ist beim Rektumkarzinom mit einer hervorragenden Langzeitprognose assoziiert. Überwiegend retrospektive Arbeiten erbrachten Hinweise darauf, dass ein längeres Intervall zwischen nRCT und Resektion die Rate an pCR verbessert, ohne die Morbidität zu erhöhen [1]. Das Ziel dieser prospektiven Arbeit war es, den Einfluss eines längeren Intervalls (11 Wochen vs. 7 Wochen) zwischen nRCT und Resektion auf die pCR-Rate zu untersuchen.

FormalPara Methoden.

In diese multizentrische randomisierte kontrollierte Studie wurden Patienten mit einem Rektumkarzinom im mittleren und unteren Rektumdrittel in den Stadien cT3, cT4 oder N+ eingeschlossen. Die Patienten erhielten eine nRCT (45–50 Gy mit Fluorouracil oder Capecitabine) und wurden randomisiert einem 7‑wöchigen oder 11-wöchigen (7 W und 11 W) Intervall zwischen nRCT und Resektion zugeteilt. Der primäre Endpunkt war die Rate an pCR definiert als Stadium ypT0N0.

FormalPara Ergebnisse.

Zwischen Oktober 2012 und Februar 2015 wurden 265 Patienten aus 24 Zentren eingeschlossen. Die Rate an pCR in der Studienpopulation betrug 17 %. Die beiden Gruppen unterschieden sich nicht in Bezug auf die pCR-Rate (11 W-Gruppe 17,4 % vs. 7 W-Gruppe 15 %; p = 0,598). In der 11 W-Gruppe zeigte sich eine signifikant höhere Morbidität im Vergleich zur 7 W-Gruppe (44,5 % vs. 32 %, p = 0,04), obwohl sich die Rate an Anastomoseninsuffizienzen zwischen den beiden Gruppen nicht unterschied. Medizinische Komplikationen traten in der 11 W-Gruppe häufiger als in der 7 W-Gruppe auf (32,8 % vs. 19,2 %, p = 0,01). In der 11 W-Gruppe war die Qualität der Mesorektumexzision signifikant schlechter als in der 7 W-Gruppe (komplette Mesorektumexzision [Grad 1] 78,7 % vs. 90 %, p = 0,016)

FormalPara Diskussion und Fazit.

Die Ergebnisse dieser Studie stehen im Kontrast zu einer kürzlich publizierten Metaanalyse von Petrelli et al., die erst kürzlich hier im Journal Club von Germer und Reibetanz vorgestellt wurde, und die für eine Wartezeit von mehr als 6 bis 8 Wochen eine Steigerung der pCR-Rate von 13,7 auf 19,5 % bei gleichbleibender perioperativer Morbidität zeigte [1]. Diese Metaanalyse schloss jedoch überwiegend retrospektive Studien (69 %) und keine einzige randomisierte Studie ein. Möglicher Grund für die diskrepanten Ergebnisse ist daher ein Selektionsbias, der bei retrospektiven Arbeiten und bei fehlender Randomisierung schwer zu vermeiden ist. In vorliegender Arbeit war die Qualität der Mesorektumexzision in der 11 W-Gruppe signifikant schlechter als in der 7 W-Gruppe. Dies wird von den Autoren auf eine vermehrte Fibrose im kleinen Becken in der 11 W-Gruppe zurückgeführt. Da die Qualität der Mesorektumexzision ein entscheidender prognostischer Faktor für die Lokalrezidivrate ist, stellt diese Beobachtung den Nutzen einer längeren Wartezeit nach nRCT zusätzlich infrage. Ein interessanter Ansatz zur Steigerung der Rate an pCR besteht jedoch darin, ein verlängertes Intervall bis zur Resektion zur Gabe zusätzlicher Chemotherapiezyklen zu nutzen. Hierzu existieren allerdings bisher nur wenige Arbeiten. Aufgrund der Ergebnisse der vorliegenden Studie kann in Abweichung zu den Ergebnissen der Metaanalyse von Petrelli et al. eine Wartezeit, die über das etablierte Intervall von 6 bis 8 Wochen hinausgeht, nicht uneingeschränkt empfohlen werden. Zusätzliche, prospektiv randomisierte Studien scheinen unverzichtbar, um verlässliche Empfehlungen für das optimale Vorgehen zu erarbeiten.