Das vorliegende Schwerpunktthema des Januarheftes von Der Chirurg „Komplikationen in der endokrinen Chirurgie“ eröffnet das jahresübergreifende Thema 2015, welches Komplikationen in den verschiedenen Bereichen der Chirurgie aufgreifen soll. Der vielfach debattierte Vorwurf, Chirurgen operierten zu viel und viele Komplikationen seien daher allein deshalb vermeidbar, ist nicht neu. Schon Kocher, der für seine selbstkritische Offenlegung der „Cachexia strumipriva“ als Komplikation der totalen Thyreoidektomie 1909 den Nobelpreis erhielt, sah sich zunächst dem Vorwurf ausgesetzt, die Häufigkeit der von ihm mitgeteilten Komplikation sei nicht eine Folge der Totalentfernung der Schilddrüse, sondern Folge seiner Operationslust, d. h. zu vieler unnötiger Operationen. Kocher operierte langsam und sorgfältig, er entfernte – vor seiner Erkenntnis der Schilddrüseninsuffizienz – die Schilddrüse beim Knotenkropf vollständig und schonte dabei gezielt den N. recurrens und unbewusst die noch unbekannten Nebenschilddrüsen. Billroth operierte dagegen rasch und ließ dabei zumeist funktionsfähiges Schilddrüsengewebe zurück, mitentfernte jedoch die Nebenschilddrüsen, sodass er als Hauptkomplikation nicht die Kachexie, sondern die Tetanie beobachtete [1, 2]. Das Anliegen des vorliegenden, ebenso wie der in diesem Jahr folgenden Schwerpunktthemen ist daher, Komplikationen zu beleuchten, die in ihrer Art typisch für bestimmte operative Eingriffe sind, und herauszuarbeiten, welche operativ-technischen und strategischen Vorgehensweisen zu ihrer Vermeidung aufgrund des aktuellen Kenntnisstandes empfohlen werden können und welches Management sich bei eingetretener Komplikation als vorteilhaft erwiesen hat.

Stimmlippenparesen nach Schilddrüsenoperationen (Beitrag von D. Simon et al.) haben nicht nur Stimmprobleme zur Folge, sondern, und vor allem bei Beidseitigkeit, auch eine gestörte Atemfunktion. Grundlage einer nervenschonenden Resektionstechnik ist die sehr genaue Kenntnis und Beachtung der typischen, insbesondere aber der nicht selten atypischen Nervenanatomie. Unter den zahlreichen Varianten des Nervenverlaufs sind bezogen auf die Hauptverletzungsregion der Kreuzung mit der A. thyreoidea inferior der retrovaskuläre, der antevaskuläre und der intervaskuläre Verlauf sowie die in etwa einer von 200 Schilddrüsenoperationen auf der rechten Seite zu beobachtenden Variante des nonrekurrenten N. laryngeus inferior zu berücksichtigen. Das mittlerweile von den meisten Chirurgen in Deutschland intermittierend eingesetzte intraoperative Neuromonitoring erleichtert die Nervenidentifikation, kann jedoch im Einzelfall eine Rekurrensparese nicht vermeiden. Der entscheidende Beitrag des Neuromonitorings hinsichtlich des Komplikationsmanagements liegt daher gegenwärtig in der sicheren Vermeidung einer bilateralen Parese bei geplant bilateralem Eingriff, Eintreten eines Signalverlustes auf der erstoperierten Seite und konsekutivem Aussetzen der Resektion der Gegenseite (s. auch Beitrag von H. Dralle in diesem Heft „Chirurgische Begutachtung von Komplikationen nach Schilddrüsenoperationen“).

Ein PTH von <15 pg/ml 12–24 h postoperativ deutet stark auf eine Hypokalzämie hin

Ebenso wie Stimmlippenparesen haben bei anhaltender Störung auch postoperative Hypokalzämien eine erhebliche und nicht immer befriedigend behandelbare Beeinträchtigung der Lebensqualität zur Folge. Auch hier liegt das operative Ziel in ihrer bestmöglichen Vermeidung durch subtile operative Technik. In der von der Arbeitsgruppe B. Niederle vorgelegten Arbeit wird erstmals unter Berücksichtigung der aktuellen Datenlage eine für die klinische Praxis geeignete Definition der Hypokalzämie gegeben (postoperatives Parathormon [PTH] <15 pg/ml bei gleichzeitig normalem oder erniedrigtem Serumkalzium). Der 12–24 h postoperativ gemessene PTH-Wert sagt unabhängig vom Serumkalziumwert am besten die postoperative Nebenschilddrüsenfunktion voraus, die Höhe des PTH-Wertes ist daher auch zur Stratifizierung des postoperativen Regimes der Diagnostik und Substitution des Kalziumstoffwechsels geeignet.

Nachblutungen nach Schilddrüsenoperationen sind selten (0,5–4%), ihr trotz geeigneter Technik mögliches Auftreten und die ggf. lebensgefährliche Dramatik machen sie jedoch zum Hauptargument gegen die Etablierung eines ambulanten Versorgungskonzepts ([3, 4]; Beitrag von K. Lorenz et al.). Etwa die Hälfte der Nachblutungen treten innerhalb der ersten 4–8 h postoperativ auf, insbesondere dieser Zeitraum sollte daher personell und strukturell durch eine entsprechend erfahrene Überwachung abgedeckt sein und im Bedarfsfall eine sofortige chirurgische Interventionsmöglichkeit (bettseitige Wunderöffnung, Intubation, ggf. Tracheotomie) vorhalten.

Der primäre Hyperparathyreoidismus (pHPT) ist bei bildgebender Adenomlokalisation ein in der Regel relativ einfacher, kurzer und wenig komplikationsbehafteter Eingriff, der sich jedoch bei intraoperativ nicht auffindbarem Adenom selbst für den Erfahrenen schnell zu einer echten Herausforderung entwickeln kann. Zahlreiche Studien der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass bei konkordanter Bildgebung (Ultraschall, MIBI-Szintigraphie) fokussiert unilateral vorgegangen werden kann. Die intraoperative PTH-Bestimmung 10–15 min nach Adenomentfernung zeigt den Erfolg der Parathyreoidektomie zuverlässig an, wenn das PTH in den mittleren bis unteren Normbereich abgefallen ist. Wenn dies nicht der Fall ist, muss bilateral exploriert werden und es müssen bei weiterhin fehlender Adenomlokalisation auch ektope Lokalisation anatomisch-chirurgisch aufgesucht werden. Die Autorin C. Dotzenrath empfiehlt bei primär erfolgloser Exploration eine seitengetrennte PTH-Bestimmung kaudal aus beiden Jugularvenen, ein Vorgehen, dass nach eigener Erfahrung und der Erfahrung anderer Autoren von Vorteil ist, jedoch bei intrathyreoidalen und kaudalen Nebenschilddrüsenadenomen wegen der venösen Drainageverhältnisse auf Grenzen stößt. Neben der richtigen Interpretation der PTH-Werte ist daher die Kenntnis der typischen und atypischen Adenompositionen von entscheidender Bedeutung für die Vermeidung eines erfolglosen Eingriffs.

Die endoskopische Adrenalektomie ist die „Cholezystektomie des endokrinen Chirurgen“

Die laparoskopische oder retroperitoneoskopische Adrenalektomie bei benignen Nebennierentumoren in der Größenordnung bis 6 cm hat sich weltweit durchgesetzt. Sie ist gleichsam „die Cholezystektomie des endokrinen Chirurgen“, allerdings ungleich seltener und damit hinsichtlich potenzieller Komplikationen von besonderem Interesse (Beitrag von P.F. Alesina). Gefäßverletzungen großer abdomineller Gefäße (Aorta, Kava) sind als sicherlich schwerste Komplikationen der endoskopischen Adrenalektomie zwar selten, aber mit ca. 2% deutlich häufiger, als vergleichsweise gravierende Verletzungen im Bereich des Lig. hepatoduodenale bei laparoskopischen Cholezystektomien; ebenso wie diese sind sie ein wesentlicher Grund für Konversionen. Die Gefahr von Gefäßverletzungen ist bei der retroperitoneoskopischen Adrenalektomie geringer als beim laparoskopischen Zugang. Auch Darmverletzungen treten praktisch nur im Rahmen der laparoskopischen Adrenalektomie auf (ca. 1,3%). Da sie häufig primär nicht erkannt werden, hat aus chirurgisch-anatomischer Sicht bezüglich potenzieller Komplikationen die retroperitoneoskopische Adrenalektomie deutliche Vorteile gegenüber dem laparoskopischen Vorgehen, auch wenn sich dies in den bisherigen Studienergebnissen nicht erkennbar widerspiegelt.

Laparoskopische Eingriffe am Pankreas werden mit zunehmender Frequenz durchgeführt. Zu den besten Indikationen zählen lokal begrenzte neuroendokrine Pankreastumoren, insbesondere bei Lage im Linkspankreas. Nach in der Anfangszeit höheren Fistelraten nach laparoskopischer vs. konventionell-offener Linksresektion sind heute die Komplikationsraten vergleichbar, sodass bei geeigneter Indikation und entsprechender Erfahrung laparoskopische Resektionen bevorzugt werden (Beitrag von U. A. Wittel und U. T. Hopt). Blutungen und Darmverletzungen, letztere wiederum verbunden mit dem Risiko der verspäteten Erkennung, sind auch bei laparoskopischen Pankreasresektionen Hauptrisiko des endoskopischen Zugangs. Neben der notwendigen operativ-technischen Erfahrung mit dem laparoskopischen Zugang zum Pankreas ist die Indikationsstellung ein entscheidender Aspekt der Zugangswahl: Wegen der krankheitsbedingt regelhaften Multifokalität hereditärer neuroendokriner Pankreastumoren im Rahmen der MEN-1-Erkrankung und wegen der meist duodenalen Lage und primären Lymphknotenmetastasierung von Gastrinomen kann bei diesen Entitäten ein laparoskopisches Vorgehen in der Regel nicht empfohlen werden.

Als Fazit der allesamt sehr sorgfältig ausgelegten Beiträge dieses Heftes über Komplikationen in der endokrinen Chirurgie ist zu schlussfolgern, dass bis auf wenige Ausnahmen die Hauptkomplikationen Strukturen außerhalb des Zielorgans betreffen. Komplikationsmanagement ist daher zuerst und zuletzt immer Patientenmanagement – auch in der endokrinen Chirurgie.

Prof. Dr. Dr. h.c. Henning Dralle