Einleitung

In den letzten 2 Jahrzehnten konnte die Rate an kontinenzerhaltenden Resektionen beim tiefen Rektumkarzinom durch Implementierung multimodaler Therapiekonzepte sowie durch Änderungen der Empfehlung zum aboralen Sicherheitsabstand deutlich erhöht werden. Eine initale Empfehlung zur Einhaltung eines luminalen Sicherheitsabstands von 5 cm wurde sukzessive auf 1 cm reduziert. Diese 1-cm-Regel beruht hauptsächlich auf pathoanatomischen Erkenntnissen zur distal-intramuralen Tumorausbreitung.

Fragestellung der Studie

Das Ziel dieser systematischen Literaturrecherche und Metaanalyse war die Überprüfung der 1-cm-Regel (aboraler Sicherheitsabstand von mindestens 1 cm) beim tiefen Rektumkarzinom in der Ära der modernen multimodalen Therapie.

Methode

Mittels einer PubMed-Recherche wurden alle relevanten Artikel identifiziert, die das onkologische Outcome in Bezug auf den aboralen Sicherheitsabstand (≤ 1 cm vs. > 1 cm) beim tiefen Rektumkarzinom (< 6 cm ab ano) analysierten. Primärer Endpunkt war das Lokalrezidivrisiko, sekundärer Endpunkt das 5-Jahres-Überleben.

Ergebnisse

Insgesamt 7 Studien mit 608 Patienten wurden in die Metaanalyse eingeschlossen, davon 293 (48 %) Patienten in der „small margin group“ und 315 (52 %) in der „large margin group“. In 6 Studien kam eine perioperative (Radio-)Chemotherapie zur Anwendung. In keiner der eingeschlossenen Studien konnte ein signifikanter Unterschied in der Lokalrezidivrate zwischen „small margin group“ und „large margin group“ nachgewiesen werden: Die gepoolte Analyse aller eingeschlossenen Studien zeigte lediglich eine nichtsignifikante Reduktion der Lokalrezidivrate um 2,9 %, wenn der aborale Sicherheitsabstand > 1 cm betrug [95 % Konfidenzintervall (CI): − 2,0–7,9; p = 0,22). Wurden nur die 6 Studien mit perioperativer (Radio-)Chemotherapie berücksichtigt, reduzierte sich dieser Unterschied auf 1,2 % (95 % CI: − 4,5–7,0; p = 0,6). Umgekehrt zeigte die eine Studie, in der keine multimodale Therapie zur Anwendung kam, einen Trend zu einer höheren Lokalrezidivrate bei einem Sicherheitsabstand < 1 cm (17,4 vs. 8,8 %; p = 0,09). Die 4 Studien, die Daten zum (Gesamt-)Überleben berichten, zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen.

Fazit des Reviewers

Die aktuelle Literaturübersicht legitimiert in ihrer Kernaussage den Kontinenzerhalt beim tiefen Rektumkarzinom auch in Fällen eines aboralen Sicherheitsabstands von weniger als 1 cm, insbesondere bei multimodal behandelten Patienten. Weder das Lokalrezidivrisiko noch das Überleben scheinen durch kleinere Sicherheitsabstände negativ beeinflusst zu werden, solange eine R0-Resektion erreicht wird. Diese Schlussfolgerung wird durch zwei weitere Metaanalysen bestätigt, auch wenn in diese Analysen zusätzlich Karzinome des mittleren und oberen Rektums eingeschlossen wurden [1, 2]. Dies mag zu einem gewissen Bias bezüglich des äußerst geringen Sicherheitsabstands führen: Bei Tumoren dieser Lokalisation sollten größere Sicherheitsabstände ohne Zugeständnisse an die Kontinenz regelmäßig möglich sein. Insgesamt scheint es aber keine Evidenz dafür zu geben, bei neoadjuvant therapierten Patienten mit tiefem Rektumkarzinom weiterhin an der 1-cm-Regel festzuhalten.