Etwa ein Drittel der Patienten mit kolorektalem Karzinom entwickeln synchron oder metachron Lebermetastasen. Die Kennzahlen der deutschen Darmkrebszentren weisen aus, dass der Anteil der Patienten mit primärer Lebermetastasenresektion bei syn- oder metachroner auf die Leber beschränkter Metastasierung in den Jahren von 2009 bis 2011 von 17% auf 23% gestiegen ist. Auch die Resektionsraten nach sekundärer Lebermetastasenresektion, d. h. systemischer Chemotherapie mit dem Ziel eines Downsizings bzw. Downstagings, haben in den vergangenen Jahren auf im Median 16% zugenommen (S. Wesselmann und T. Seufferlein). Die in diesem Heft unter dem Schwerpunktthema „Kolorektale Lebermetastasen“ diskutierten Fragen waren daher:

  • Unter welchen Voraussetzungen ist eine neoadjuvante Chemotherapie zur Verbesserung der chirurgischen Resektabilität kolorektaler Lebermetastasen sinnvoll?

  • Welches sind die chirurgischen Kriterien zur Beurteilung der Resektabilität unter Einbezug erweiterter Resektionsverfahren?

  • Nach welchen CT(computertomographisch)-morphologischen Kriterien erfolgt die Beurteilung der Effektivität einer neoadjuvanten Chemotherapie?

Einigkeit besteht zweifelsohne hinsichtlich der Frage eines in aller Regel multimodalen Therapieansatzes; unterschiedliche Herangehensweisen und -möglichkeiten können sich jedoch bez. der neoadjuvanten Chemotherapie ergeben, wenn es um die Beurteilung der Resektabilität geht.

F. Lordick und Mitarbeiter plädieren in ihrem Beitrag aufgrund der Resultate der EPOC-Studie in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der EORTC und ESMO für eine perioperative Chemotherapie (6 Zyklen jeweils über 3 Monate) mit FOLFOX vor und nach der Resektion kolorektaler Lebermetastasen (>2 cm). Die absolute Steigerung des progressionsfreien Überlebens lag in der EPOC-Studie nach perioperativer FOLFOX4-Chemotherapie gegenüber alleiniger Leberresektion bei 7–9%. Allerdings traten unter diesem Regime reversible postoperative Komplikationen deutlich häufiger auf (25% vs. 16%). Bei primär als nichtresektabel oder grenzwertig eingeschätzten Lebermetastasen ist die prinzipielle Entscheidung zur systemischen Therapie mit dem Ziel einer sekundären Resektion („Konversionschemotherapie“) sicherlich überzeugender und durch zahlreiche Studien mit unterschiedlichen Therapieschemata auch gut belegt. Die Therapiewahl orientiert sich nicht zuletzt an der patientenseitigen Komorbidität und Belastbarkeit und einer etwaigen Lebervorschädigung, ihre Chancen werden auch von tumorbiologischen Faktoren (RAS-Status) bestimmt. Unklar ist derzeit, welche Vorgehensweisen zu empfehlen sind, wenn es nach neoadjuvanter Chemotherapie zu einer kompletten Remission gekommen ist.

Bei resektablen Metastasen kann keine generelle neoadjuvante Therapie empfohlen werden

S. Heinrich und H. Lang argumentieren aus chirurgischer Sicht in ihrem Beitrag „Pro primäre Chirurgie“ in durchaus nicht gegensätzlicher Position zum vorangestellten Beitrag von F. Lordick und Mitarbeitern, insbesondere hinsichtlich der Indikation zur Chemotherapie bei primär irresektablen Lebermetastasen. Bei resektablen Lebermetastasen kann durch die modernen Chemotherapieverfahren zwar die Effektivität hinsichtlich des rezidivfreien Überlebens gesteigert werden, gleichzeitig kommt es jedoch darunter auch zur Zunahme der resektionsbezogenen Morbidität. Außerdem zeigte sich, dass je geringer das histologische Ansprechen nach Chemotherapie war, umso ausgeprägter war der Schaden am parenchymfreien Leberparenchym. Zwei weitere Argumente sprechen für eine kritische Sicht der perioperativen Chemotherapie, insbesondere hinsichtlich ihrer Indikationsstellung bei grenzwertiger Resektabilität: Die Beurteilung der Resektabilität sollte leberresektionserfahrenen Chirurgen vorbehalten sein, da ca. 30% der als nichtresektabel eingeschätzten Lebermetastasen nach Expertenbeurteilung als resektabel eingestuft werden, und darüber hinaus gibt es neue, seit einigen Jahren bekannte und weiterentwickelte 2-zeitige Resektionsverfahren mit zwischenzeitlicher Regeneration des verbleibenden Lebergewebes.

Die Autoren schlussfolgern, dass gegenwärtig angesichts 30–40% dauerhaft tumorfreier Patienten nach alleiniger Leberresektion jedenfalls keine generelle Empfehlung zur perioperativen Chemotherapie bei Patienten mit resektablen Lebermetastasen gegeben werden kann.

U. Settmacher und Mitarbeiter gehen in ihrem Beitrag gezielt auf die Frage ein, wo die funktionellen Grenzen der Lebermetastasenresektion bei vorgeschädigter bzw. nichtvorgeschädigter Leber liegen und wie ggf. die Funktionsreserve durch Präkonditionierung mittels Pfortaderembolisation gesteigert werden kann. Auf der Grundlage des präoperativen Kontrastmittel-CT werden folgende Grenzwerte für das nach R0-Resektion notwendige Restlebervolumen angegeben: 20% bei gesunder Leber, 30% nach systemischer Chemotherapie, 40% bei vorgeschädigter Leber. Bei absehbarem Unterschreiten dieser Grenzwerte sollte der verbleibende Leberanteil durch Pfortaderembolisation (radiologisch-interventionell) oder -ligatur (chirurgisch) funktionsverbessert werden oder alternativ versucht werden, durch Konversionschemotherapie eine Resektabilität der Metastase(n) zu erreichen. Bei ausgewählten Patienten kann je nach Vorzustand der Leber die Resektabilität von Metastasen nicht nur durch vorherige Chemotherapie, sondern auch durch erweiterte Resektionsverfahren erreicht werden, z. B. durch die schon früher von Pichlmayr und Mitarbeitern inaugurierte Ante- und Ex-situ-Resektion, die auch im Beitrag von Lang und Mitarbeitern beschriebene 2-zeitige Resektion (mit/ohne Pfortaderastligatur) oder das kürzlich vorgestellte In-situ-Split-Verfahren.

Spezielle Resektionstechniken erhöhen die Resektabilität von Lebermetastasen

Unter bzw. nach neoadjuvanter Therapie wird das Ansprechen der Chemotherapie mittels Kontrastmittel-MRT(Magnetresonanztomographie) oder Spiral-CT ggf. in Verbindung mit einer FDG(Fluorodeoxyglukose)-PET(Positronenemissionstomographie)/CT zum Nachweis extrahepatischer Metastasen nach den RECIST („response evaluation criteria in solid tumors“)-Kriterium beurteilt (Folprecht und Mitarbeiter). Die Ausgangsbildgebung sollte ≤ 4 Wochen vor Chemotherapie erfolgen. Partielle oder seltener (9%) komplette Remissionen werden bei insgesamt 50–70% der Patienten nach Chemotherapie beobachtet. Bei Tumorprogression wird die Chemotherapie umgestellt oder abgebrochen, bei Nebenwirkungen zunächst eine Dosisanpassung angestrebt. Ein frühes Ansprechen der Chemotherapie hat eine prognostisch günstige Bedeutung. Die RECIST-Kriterien sind zur Beurteilung der Resektabilität nicht geeignet, da sie über die Art und Menge des nach der Resektion verbleibenden Lebergewebes keine Aussage machen. Bei fehlender Ansprechbarkeit der Chemotherapie bedeutet das jedoch, dass initial nichtresektable Lebermetastasen auch sekundär nicht resektabel sind.

Standardresektionen wegen kolorektaler Lebermetastasen sind heute Routinebestandteil viszeralchirurgischer Kliniken, die Zahl der Eingriffe und die Resektionsquote hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, auch das Konzept der sekundären Chirurgie nach vorangegangener Chemotherapie ist wie bei anderen Organtumoren akzeptiert. Spannendes Gebiet der klinischen Entwicklung und Forschung und keine Routine sind die Verfahren zur Konditionierung der Restleber und der erweiterten Resektion bei grenzwertiger Resektabilität. Multidisziplinarität bzw. multimodales Konzept bei kolorektalen Lebermetastasen – bedeutet dies in Zukunft: mehr Chemotherapie – mehr Chirurgie, oder mehr Chirurgie – weniger Chemotherapie, oder weniger Chirurgie – mehr Chemotherapie? Wohl zunächst mehr prospektiv kontrollierte Studien, möglicherweise randomisierte Registerstudien [1], um schneller mit geringerem finanziellem Aufwand zu aussagekräftigen Resultaten zu kommen.

Prof. Dr. Dr. h.c. H. Dralle