Das therapeutische Spektrum bei der Behandlung des Rektumkarzinoms reicht von der alleinigen lokalen Vollwandexzision bis hin zu aufwendigen neoadjuvanten Therapiekonzepten gefolgt von entsprechenden radikalchirurgischen Eingriffen und weiterer adjuvanter Chemotherapie. Bei den lokal fortgeschrittenen Tumoren ist es durch die Einführung einer standardisierten Operationstechnik (total mesorektale Exzision, TME) in Kombination mit einer multimodalen neoadjuvanten Therapie gelungen, auch langfristig sehr niedrige Lokalrezidivraten zu erzielen, auch wenn dieser Effekt ohne Einfluss auf das Gesamtüberleben bleibt. Die im vergangenen Jahr publizierten 10-Jahres-Ergebnisse der ersten randomisiert kontrollierten Studie zum Vergleich der präoperativen Radiotherapie und anschließender total mesorektaler Exzision mit der alleinigen totalen mesorektalen Exzision zeigt auch nach diesem Beobachtungszeitraum eine Halbierung des Lokalrezidivrisikos in der neoadjuvant vorbehandelten Behandlungsgruppe im Vergleich zur alleinigen TME [12]. Durch die Ergebnisse der CAO/AIO/ARO-94-Studie der German Rectal Cancer Study Group, einer weiteren randomisierten kontrollierten Studie, konnte der Vorteil einer neoadjuvanten gegenüber einer adjuvanten Radiochemotherapie gezeigt werden [7].

Entsprechend diesen Studien sollen leitliniengerecht alle Patienten, die aufgrund der Ergebnisse der Staginguntersuchungen prätherapeutisch den UICC-Stadien II und III (T3/T4 oder N+) zugeordnet werden, einer neoadjuvanten Radio- oder Radiochemotherapie zugeführt werden [8]. Wie dem Benchmarkbericht 2011 der von der deutschen Krebsgesellschaft zertifizierten Darmkrebszentren zu entnehmen ist, erfolgt dies auch im Median bei knapp 78% (Range 29–100%) des betreffenden Patientenkollektivs, welches in zertifizierten Darmkrebszentren behandelt wird [1].

Die Wahl des optimalen Behandlungsalgorithmus hängt von der Qualität des Stagings ab

Dabei muss davon ausgegangen werden, dass für einen nicht unerheblichen Anteil der so behandelten Patienten dieses Vorgehen eine Übertherapie darstellt. Auch wenn die neoadjuvante Strahlentherapie nicht zu einer Erhöhung der unmittelbaren perioperativen Morbidität führt, ist sie nicht ohne Folgen auf die langfristigen funktionellen Ergebnisse, insbesondere im Bezug auf Stuhl- und Sexualfunktion [6, 10, 11]. Der Grund für die Übertherapie liegt bei einem Teil der betroffenen Patienten an der mangelnden Gesamtgenauigkeit der eingesetzten Stagingverfahren, an der mangelnden Qualität bei deren Durchführung oder deren mangelnder Verfügbarkeit [3, 5]. Darüber hinaus stellt sich zunehmend die Frage, ob die derzeit gültigen Selektionskriterien zur Durchführung einer neoadjuvanten Therapie die richtigen sind. Bei entsprechender Patientenselektion können bei einer chirurgisch optimal durchgeführten TME auch ohne eine neoadjuvante Vorbehandlung sehr niedrige Lokalrezidivraten erzielt werden. So zeigen die 5-Jahres-Follow-up-Daten der sog. Mercury-Studie, in der bei Patienten, die in der prätherapeutisch durchgeführten Magnetresonanztomographie (MRT) als prognostisch günstig eingeschätzt wurden, entsprechend auf eine neoadjuvante Therapie verzichtet wurde, eine extrem niedrige Lokalrezidivrate von 3% [9]. Ein Teil dieser Patienten befand sich in den UICC-Stadien II und III und die Einordnung in die Gruppe der prognostisch günstigen Tumoren erfolgte unabhängig vom Lymphknotenstatus. Nach den derzeit geltenden Leitlinien wären diese Patienten also eigentlich neoadjuvant vorbehandelt worden. Voraussetzung für eine solche MRT-basierte Patientenselektion ist allerdings eine entsprechend hohe Qualität der prätherapeutisch durchgeführten Stagingverfahren.

Auf der anderen Seite kann eine alleinige neoadjuvante Radiochemotherapie bei einem Teil der betroffenen Patienten zu einer kompletten Tumorremission führen. Die erzielbaren kompletten Remissionsraten sind dabei vom initialen Tumorstadium, der Wahl des Chemotherapeutikums sowie der applizierten Strahlendosis abhängig [4]. Nach den derzeit gültigen Leitlinien sollten diese Patienten nach Abschluss der neoadjuvanten Therapie einer radikalchirurgischen Operation zugeführt werden. Die Frage, ob bei kompletter Remission nach alleiniger neoadjuvanter Therapie ohne einen endoskopischen, histologischen und bildgeberischen Nachweis eines Tumorresiduums auf eine Operation gänzlich verzichtet werden kann, ist derzeit unbeantwortet [2]. Um ein solches Vorgehen überhaupt zu rechtfertigen, bedarf es jedoch wiederum einer entsprechend hohen Genauigkeit der Stagingverfahren inklusive der Beurteilung des histopathologischen Remissionsgrades durch den Pathologen nach neoadjuvanter Therapie.

Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, welche zentrale Bedeutung dem lokalen Staging beim Rektumkarzinom zukommt. Das Ergebnis der unterschiedlichen Untersuchungsverfahren bestimmt im Wesentlichen die Wahl des optimalen Behandlungsalgorithmus. Das vorliegende Schwerpunktheft widmet sich daher der Fragestellung des Stagings beim Rektumkarzinom vor und nach neoadjuvanter Therapie. Dabei werden sowohl das pathologische Staging vor und nach neoadjuvanter Therapie als auch die unterschiedlichen bildgebenden Verfahren bewertet. Inwieweit die in den aktuellen Leitlinien geforderte spezielle Diagnostik beim Rektumkarzinom in der hier dargestellten hohen Qualität flächendeckend angeboten werden kann, ist Inhalt eines zusätzlichen Beitrages. Ob zukünftig einem Teil der Patienten durch eine verbesserte Selektion anhand der dargestellten bildgebenden Verfahren die neoadjuvante Therapie und andererseits einem anderen Teil der Patienten bei kompletter Remission nach neoadjuvanter Therapie allein aufgrund der Ergebnisse der klinischen und bildgeberischen Untersuchungen eine Operation erspart werden können, müssen weitere Studien zeigen.

Prof. Dr. C.T. Germer