Unstrittig haben im letzten Jahrzehnt die therapeutischen Möglichkeiten in der Chirurgie und in der Gastroenterologie deutliche, z. T. sich ergänzende Verbesserungen und Weiterentwicklungen erfahren, sodass sehr differenzierte Behandlungskonzepte möglich geworden sind. Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass mehr und mehr von der Viszeralmedizin gesprochen wird, in der die Viszeralchirurgie einerseits und die Gastroenterologie andererseits subsumiert werden. Auch in den Versorgungsstrukturen der Kliniken unseres Landes wird diesen Tendenzen durch die Schaffung von Bauch- und/oder Darmzentren Rechnung getragen. In diesem Kontext ist allerdings die Frage gestattet:

Handelt es sich wirklich um gelebte Interdisziplinarität oder lediglich um ein Feigenblatt?

Sofern ein Patient nicht aus besonderen Gründen [beim Zenker-Divertikel] eines chirurgischen Vorgehens bedarf, sollte er oder sie in einem endoskopischen Zentrum (…) vorgestellt werden. (P.N. Meier in diesem Heft)

Die endoluminare Schwellenspaltung mit dem flexiblen Endoskop ist theoretisch eine attraktive Alternative zur klassischen chirurgischen Myotomie und Divertikelabtragung. (…) Bei Patienten (…) ist deshalb auch bei größeren Divertikeln die chirurgische Abtragung mit der Myotomie des oberen Ösophagussphinkters nach wie vor die Therapie der Wahl. (H. Feußner in diesem Heft)

Diese beiden Zitate aus zwei Arbeiten zum vorliegenden Leitthema unterstreichen, wie divergent gegenwärtig noch die unterschiedlichen Therapiekonzepte sind und wie notwendig die interdisziplinäre Abstimmung ist. Wir sind erst auf dem Weg hin zu einer gelebten viszeralmedizinischen Versorgung der uns anvertrauten Patienten! Mit dem hier dargestellten Leitthema der interventionellen Therapie an der Schnittstelle zwischen Chirurgie und Gastroenterologie soll der bereits eingeschlagene Weg weiter gegangen werden, um die zur Verfügung stehenden interventionellen Möglichkeiten in ein viszeralmedizinisches Gesamtkonzept einfließen zu lassen.

Gegenwärtig existieren für eine Reihe von Erkrankungen – neben dem bereits erwähnten Zenker-Divertikel z. B. die Pankreasnekrose oder das Kolonadenom – zwei therapeutische Ansätze, die sich in der Methodik, nicht aber im Ziel unterscheiden: Auf der einen Seite die endoskopisch-interventionelle Behandlung, auf der anderen Seite die konventionelle/laparoskopische Chirurgie. In Widerspiegelung der gegenwärtigen Versorgungsrealität in Deutschland und trotz aller propagierten interdisziplinären Behandlungskonzepte hängt die Art der Therapie wohl überwiegend davon ab, in welcher Abteilung der Patient zuerst vorgestellt wird. Dies hat einerseits mit den nach wie vor noch bestehenden Abteilungsgrenzen, andererseits aber auch mit dem Abstecken von Claims und den permanenten Forderungen nach Fallzahlsteigerung zu tun, letzteres ein Umstand, der wegen möglicher Indikationsausweitungen bedenklich ist. Darüber hinaus wird von interventionellen Gastroenterologen die geringere Belastung der meist älteren Patienten als Argument für eine interventionell-endoskopische Therapie angeführt, obwohl hinreichend bekannt ist, dass operative Eingriffe ungeachtet des Alters der Patienten mit einem vertretbaren perioperativen Risiko durchgeführt werden können [1].

Gastroenterologisch-interventionelle und chirurgisch-laparoskopische Techniken sowie das Fast-Track-Konzept haben gleichermaßen zu verbesserten und differenzierteren Behandlungskonzepten beigetragen. Dies belegen die von den verschiedenen Autoren dieses Leitthemas vorgestellten Ergebnisse. Als Chirurgen müssen wir akzeptieren, dass ursprünglich klassisch chirurgische Domänen verschwinden und in anderen Händen vergleichbare, wenn nicht sogar bessere Ergebnisse erzielt werden. Die endoskopische Therapie des frühen Ösophaguskarzinoms ist eine solche Domäne: Durch die chirurgische Resektion dieser Tumoren konnten wir früher unter Inkaufnahme einer nicht unerheblichen Morbidität exzellente Langzeitergebnisse erzielen. Dies gelingt heute endoskopisch-interventionell mit allerdings deutlich geringerer Morbidität.

Gemeinsames Komplikationsmanagement kann zu gemeinsamen Therapiekonzepten führen

Die Modifizierungen von Technik und Methodik sind teils wissenschaftlich begründet, teils aber auch verfahrensgetriggert mit dem Hinweis auf eine – vermeintlich – geringere Invasivität. Wirkliche Definitionen, wann welches Verfahren sowohl hinsichtlich der postinterventionellen Morbidität als auch der Langzeitergebnisse indiziert ist, existieren mehrheitlich nicht. Beispielhaft sei das große Rektumadenom mit hochgradigen Epitheldysplasien genannt. Die Wahrscheinlichkeit eines bereits manifesten Karzinoms, das den prätherapeutischen Biopsien entgangen ist, ist hoch. Wird ein solches Adenom nun in Piecemeal-Technik endoskopisch abgetragen (und mehrfach nachreseziert!) – was technisch sicher machbar ist – oder nicht besser in einer Sitzung primär chirurgisch durch Vollwandexzision angegangen? Und wie zuverlässig sind gerade bei Malignomen die Staging-Verfahren z. B. mittels Endosonographie? Schon der Unterschied zwischen einem uT1- und einem uT2-Tumor kann erhebliche Auswirkungen auf die optimale Therapie haben. Und insbesondere bei Malignomen gelingt beim Wiederholungseingriff meist nicht das, was beim Ersteingriff versäumt wurde. Dieses Beispiel, das sich sowohl aus chirurgischer als auch aus gastroenterologischer Sicht beliebig erweitern lässt, unterstreicht die Notwendigkeit der gegenseitigen Abstimmung.

Organzentren sind strukturell sicher bestens geeignet, diesen Abstimmungsprozess zu fördern, allerdings müssen sie auch mit dem Verzicht auf Egoismen und Abteilungsdenken einhergehen, um wirklich zu patienten- und krankheitsorientierten Vorgehensweisen zu führen. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass Abstimmungen gerade auch nach Durchführung der jeweiligen Therapie im Rahmen des Komplikationsmanagements essenziell sind. Der Chirurg braucht den Gastroenterologen zur interventionellen Therapie z. B. der Anastomoseninsuffizienz, der Gastroenterologe den Chirurgen bei Perforationen nach endoskopischer Adenomabtragung am Kolon. Das gemeinsame Komplikationsmanagement kann somit auch dazu führen, die jeweiligen Therapiekonzepte kritisch zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Nur wenn es zukünftig gelingt, zwischen Chirurgie und Gastroenterologie abgestimmte und wissenschaftlich begründete Behandlungskonzepte im Sinne eines „tailored approach“ zu etablieren, wird die Viszeralmedizin wirklich gelebt. Und es hätte einen angenehmen Nebeneffekt: Unter den vielen Schnittstellen im Krankenhaus, oftmals die Ursache von Ineffektivität und Ineffizienz, würde zumindest eine beseitigt!

Prof. Dr. Joachim Jähne