Mit großem Abstand sind Eingriffe an der Schilddrüse und Nebenschilddrüse die häufigsten endokrinen Operationen in der Allgemein- und Viszeralchirurgie. In der Häufigkeit des Fachgebietes rangieren sie mit über 100.000 Operationen in Deutschland pro Jahr unter den ersten fünf häufigsten Eingriffen. Insbesondere Schilddrüsenoperationen sind daher fester Bestandteil des operativen Spektrums der meisten chirurgischen Kliniken. Nicht nur für komplexe onkologische Eingriffe wie z. B. beim Ösophagus- und Pankreaskarzinom, sondern auch für Eingriffe in der endokrinen, speziell Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenchirurgie wurde nachgewiesen, dass der krankenhaus- und operateursbezogene „case load“ Einfluss auf die eingriffsbedingte Morbidität und Letalität haben kann [1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9]. Ziel des vorliegenden Themenheftes ist daher, den aktuellen Diskussionsstand neuer Entwicklungen auf dem Gebiet der Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenchirurgie und die daraus resultierenden Therapieempfehlungen vorzustellen.

Das Konzept der totalen Thyreoidektomie bei Knotenstruma hat sich international durchgesetzt, aber das Komplikationsrisiko ist zu beachten

Das Eingriffsausmaß bei der Knotenstruma (Beitrag T. Musholt) ist schon seit Beginn der Schilddrüsenchirurgie eine immer wiederkehrende Kontroverse [10], die auch aktuell nicht nur Bezug hat zum eingriffsausmaßbezogenen komplikativen Risiko, sondern auch zum Konzept der Rezidivprophylaxe bei funktionsorientiertem Vorgehen bzw. zum Metabolismus der substituierten Athyreose bei totaler Thyreoidektomie.

Insbesondere zu Letzterem bestehen zum Teil erheblich unterschiedliche Sichtweisen unserer internistischen Partner, von denen auch die Indikationsstellung und Zuweisung zur Operation ganz wesentlich mitbestimmt werden. Es erscheint somit notwendig, eine aktuelle Standortbestimmung der Vor- und Nachteile der sich in den vergangenen Jahren vor allem international zum Standardverfahren bei der Knotenstruma entwickelnden totalen Thyreoidektomie vorzunehmen.

Das intraoperative Rekurrensmonitoring (Beitrag H. Dralle) hat in den vergangenen 10 Jahren vor allem in Deutschland rasche Verbreitung gefunden. Ein Großteil der chirurgischen Kliniken arbeitet bereits mit dieser Technik. Die vorliegenden Studien haben gezeigt, dass eine Senkung der Rekurrenspareserate mit Verwendung des Neuromonitorings gegenüber dem „Goldstandard“, der visuellen Nervendarstellung, zu beobachten ist [11]. Dieser Trend hat jedoch in den bisherigen Studien nicht das erforderliche Signifikanzniveau erreicht, sodass hinsichtlich der Notwendigkeit des Einsatzes dieser Methode noch kein Abschluss der Kontroverse erreicht ist. Bei Einsatz der Technik ist jedoch in jedem Fall entscheidend, dass bestimmte Standards der Anwendung eingehalten werden, so z. B. die ipsilaterale Vagusstimulation vor und nach Resektion, um Interpretationsfehler zu vermeiden. Gesichert ist, dass bei intraoperativ intaktem Neuromonitoringsignal und Elektromyogramm eine sehr hohe Korrelation mit der postoperativen Rekurrensfunktion besteht (>98%), sodass die Methode eine hohe Sicherheit bietet, beidseitige Rekurrensparesen zu vermeiden.

Auch das Kalzitoninscreening zur Früherkennung sporadischer medullärer Schilddrüsenkarzinome (Beitrag W. Karges) ist bis heute Gegenstand zahlreicher Debatten in der Literatur und auf nationalen sowie internationalen Kongressen. Auch wenn unbestritten ist, dass das Kalzitoninscreening sporadische medulläre Karzinome im Frühstadium, d. h. im Stadium noch nicht eingetretener Fernmetastasierung, detektieren kann und damit die Prognose dieser bereits frühzeitig metastasierenden Tumoren erheblich verbessert, geht es doch hauptsächlich um die Kosten im Fall des generellen Einsatzes bei allen Knotenstrumen.

In Deutschland wurde 2004 ein auch international sehr beachteter Konsensus erarbeitet [12], sodass es notwendig erscheint, nachdem zahlreiche Arbeiten zu diesem Thema in den vergangenen 5 Jahren publiziert wurden, ein aktuelles Update zu resümieren und die Empfehlungen zur Indikationsstellung zur Thyreoidektomie bei erhöhtem Kalzitonin zu aktualisieren.

Das minimal-invasive Schilddrüsenkarzinom erfordert keine obligate Thyreoidektomie

Das follikuläre Schilddrüsenkarzinom (FTC; Beitrag M. Hermann) nimmt unter den verschiedenen Formen der Schilddrüsenkarzinome insofern eine Sonderstellung ein, dass es unter den differenzierten Karzinomen zwar selten ist (10–15%), jedoch die häufigste Differenzialdiagnose bei follikulären Knoten darstellt. Darüber hinaus haben zahlreiche Untersuchungen der vergangenen Jahre gezeigt, dass beim minimal-invasiven FTC zumindest bei fehlender Gefäßinvasion primärtumorgrößenunabhängig eine totale Thyreoidektomie nicht obligat erforderlich ist.

Da die Revision der deutschen chirurgischen Leitlinien zu den malignen Schilddrüsentumoren in Vorbereitung ist, soll im vorliegenden Beitrag der aktuelle Stand des chirurgischen Konzepts beim follikulären Karzinom referiert werden.

Während minimal-invasive Resektionsverfahren in der Schilddrüsenchirurgie auch in ausgewiesenen Zentren wie z. B. Pisa (P. Miccoli) nicht mehr als ca. 15% der organbezogenen Eingriffe ausmachen, hat vor allen die intraoperative Parathormonbestimmung (Beitrag K. Lorenz) beim primären Hyperparathyreoidismus zu einer schnellen Verbreitung und Erhöhung des Anteils minimal-invasiver Parathyreoidektomien beigetragen [13].

Hauptproblem der intraoperativen Parathormonbestimmung ist jedoch der Cut-off des postresektionellen Parathormonabfalls als Beweis für die erfolgreiche Entfernung des hyperaktiven Nebenschilddrüsengewebes und des Ausschlusses einer Mehrdrüsenerkrankung. Hier existiert derzeit eine nahezu verwirrende Vielfalt in der Literatur reportierter Kriteriendefinitionen. Der vorliegende Beitrag soll daher aufgrund des aktuellen Kenntniszustandes eine praxisrelevante Empfehlung für den Einsatz der intraoperativen Parathormonbestimmung als „biochemischen Schnellschnitt“ der Parathyreoidektomie beim primären Hyperparathyreoidismus vorstellen.

Prof. Dr. H. Dralle