Am 05.05.2023 erklärte der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die am 30.01.2020 ausgerufene gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite durch COVID-19 für beendet [1]. Gleichzeitig warnte er vor dem Risiko neu auftretender SARS-CoV-2-Varianten, die zu steigenden Krankheits- und Todeszahlen führen können. Zudem haben die Auswirkungen der Pandemie „politische Bruchlinien innerhalb und zwischen den Nationen offengelegt“ und „das Vertrauen zwischen Menschen, Regierungen und Institutionen untergraben, angeheizt durch eine Flut von Fehl- und Desinformationen [1].“

Seit Eingang der ersten Meldung bei der WHO über eine Häufung ungewöhnlicher Krankheitsfälle in Wuhan, China, waren 1221 Tage vergangen. Mit Stand vom 30.07.2023 wurden der WHO weltweit über 768 Mio. bestätigte Fälle von COVID-19, darin eingeschlossen über 6,9 Mio. Todesfälle, gemeldet [2]. Bis zum 30.07.2023 wurden insgesamt 13,492 Mrd. COVID-19-Impfstoffdosen verabreicht [3]. In Europa und Zentralasien (WHO/EURO) haben sich seit Januar 2020 mehr als 275 Mio. Menschen mit COVID-19 infiziert und über 2,2 Mio. Menschen sind an der Krankheit gestorben. Meldungen zu gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die COVID-19-Impfung sind noch nicht aufgearbeitet oder streitig. Ebenso rücken die Auswirkungen des Long-COVID-Syndroms auf Betroffene und auf das Gesundheitswesen gerade erst in unser Bewusstsein.

Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat die COVID-19-Impfung in ihre aktuellen Empfehlungen integriert [4]. Allen Personen ab 18 Jahren wird eine Basisimmunität bestehend aus 3 Antigenkontakten (Impfung oder Infektion, aber mit mindestens 2 Impfstoffdosen) empfohlen. Empfehlungen für Auffrischimpfungen betreffen Personen mit erhöhtem Risiko für schwere COVID-19-Verläufe sowie Familienangehörige und enge Kontaktpersonen von bestimmten Personen unter immunsuppressiver Therapie. Ein erhöhtes arbeitsbedingtes Infektionsrisiko besteht zudem für medizinisches oder pflegerisches Personal, jedoch ist die Impfbeteiligung gerade in diesen Berufsgruppen hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

Auffrischimpfungen gegen COVID-19 sollen vorzugsweise im Herbst erfolgen. Diese bevorzugten Termine fallen mit der saisonalen Influenzaimpfperiode zusammen. Es ist noch offen, ob sich bei bestehender Indikation für beide Impfungen Synergien im Sinne von Simultanimpfungen ergeben.

In der vorliegenden Ausgabe des Bundesgesundheitsblatts beschreibt eine Routinedatenanalyse günstige Ergebnisse zur wiederholten Influenzaimpfung von gesetzlich Krankenversicherten ab einem Alter von 60 Jahren in Thüringen. In der untersuchten Gruppe haben sich 3 Viertel der in der Saison 2014/2015 gegen Influenza geimpften Versicherten auch in wenigstens 6 von 7 nachfolgenden Saisons impfen lassen. Das spricht für eine weitgehend stabile Inanspruchnahme der Influenzaimpfung unter wenigstens einmal Geimpften, erlaubt aber keine Analogschlüsse auf die COVID-19-Impfung.

Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) in der Impfsurveillance des Robert Koch-Instituts (RKI) zeichnen aber ein weniger günstiges Bild [5]. Bundesweit blieben Influenzaimpfquoten bei Erwachsenen in der Saison 2021/2022 mit 43 % deutlich hinter den Empfehlungen für einen vollständigen Impfschutz zurück und zeigten regionale Unterschiede mit weit höheren Impfquoten in östlichen Bundesländern als in westlichen KV-Regionen bzw. Bundesländern, einschließlich Berlin.

Für saisonale Impfangebote im Herbst 2023 wird man gut beraten sein, die Empfehlungen der STIKO aufzunehmen und eine gemeinsame Stellungnahme der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zu berücksichtigen [6]. Beide favorisieren eine simultane Impfkampagne mit angepassten Impfstoffen gegen Influenza und COVID-19 im Herbst, vor Beginn der kalten Jahreszeit.

Und, liebe Leserinnen und Leser, da wäre noch eine Frage. Was hindert uns in Deutschland eigentlich daran, die Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von Routineimpfungen bei Adoleszenten und Erwachsenen über Angebote in ärztlichen Praxen hinaus auf andere ambulante Leistungserbringer im Gesundheitswesen auszuweiten? In anderen Ländern hat man beispielsweise längst Apotheken oder spezialisierte Impfanbieter (z. B. Schweden) einbezogen, dabei niedrigschwellige Impfangebote gefördert und damit gute Erfahrungen gemacht.

Ein weiteres Thema in dieser Ausgabe ist die Digitalisierung. Hier befinden wir uns in einem gefühlten Stau der Umsetzung und zugleich in einem raschen Zufluss neuer Technologien. Seit dem Jahr 2020 hatten 5 Hefte des Bundesgesundheitsblatts den digitalen Wandel im Gesundheitswesen zum Schwerpunkt, zuletzt das Heft 2/2023. Auch mehrere Beiträge im vorliegenden Heft behandeln verwandte Themen. Streiflichter hieraus: Die digitale Transformation deutscher Gesundheitseinrichtungen hat Folgen für die erforderlichen Kompetenzen aller Professionen und wird so zur Herausforderung für das Qualitätsmanagement dieser Gesundheitseinrichtungen. Mit Angeboten für digitale personalisierte Gesundheitsinformationen tun sich Ärztinnen und Ärzte noch schwerer als Patientinnen und Patienten mit der Nutzung. Zudem sind Angebote selten und ihre Möglichkeiten werden längst noch nicht ausgeschöpft. Informationsangebote zur Schwangerschaftsverhütung, als Stichprobe ausgewählt aus den verbreiteten sozialen Medienkanälen YouTube, Instagram und TikTok, stammen mehrheitlich von Gesundheitslaien und sind von unterschiedlicher Qualität. Erfahrungen bei der Nutzung von Routinedaten unterschiedlicher gesetzlicher Krankenkassen beschreiben einen Zugang zu Datenquellen über ambulante Diagnostik und Behandlung. Das Konzept für eine Infrastruktur für Forschungspraxen ergänzt ihn unter der Rubrik „Forschung aktuell“.

Zur Technologie ergeben sich zunehmend Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI). In der vorliegenden Ausgabe des Bundesgesundheitsblatts wird das Thema KI lediglich gestreift. Aufgrund seiner Aktualität soll hier jedoch kurz darauf eingegangen werden. Ein Beispiel betrifft den Einsatz von KI im Lebenszyklus von Arzneimitteln. Hierzu hat die EMA im Juli 2023 den Entwurf eines Diskussionspapiers veröffentlicht [8]. Die Argumentationslinie hieraus: Massendaten aus dem Gesundheitswesen können zunehmend sektorübergreifend generiert werden. KI-gestützte Auswertungssysteme können sich bei einer routinemäßigen Analyse durch Prozesse des maschinellen Lernens ohne klar gefasste Programmierung aus Daten selbst trainieren. Die EMA erkennt in der großen Anzahl von trainierbaren Parametern und undurchsichtigen Modellarchitekturen jedoch auch neue Risiken für die Sicherheit der Daten der Patientinnen und Patienten. Konkret gehe es darum zu wissen, wann und wie man Vertrauen in neue Technologien und die Evidenz hat. Die aus Massendaten generierten Daten würden der öffentlichen Gesundheit zugutekommen, indem sie die Entwicklung von Arzneimitteln beschleunigen, Behandlungsergebnisse verbessern und einen früheren Zugang der Patientinnen und Patienten zu neuen Behandlungen erleichtern. Ähnliche, praktisch gleichlautende Aufgaben stehen auch bei der Digitalisierung zu anderen Gesundheitsfragen ins Haus. „Allerdings“, so Anton ZeilingerFootnote 1, „haben Ideen eine hohe Säuglingssterblichkeit.“ Das mag auch auf manches Projekt der KI zutreffen.

Zu KI hat die Europäische Kommission im Jahr 2018 eine hochrangige Expertengruppe eingesetzt. Die entwickelten Ethik-Leitlinien [7] für eine vertrauenswürdige KI sollten wir uns merken:

  • Vorrang menschlichen Handelns und menschlicher Aufsicht,

  • technische Robustheit und Sicherheit,

  • Schutz der Privatsphäre und Datenqualitätsmanagement,

  • Transparenz,

  • Vielfalt, Nichtdiskriminierung und Fairness,

  • gesellschaftliches und ökologisches Wohlergehen sowie

  • Rechenschaftspflicht.

Diese Grundsätze sollten allerdings auch ganz unabhängig vom KI-Einsatz im Gesundheitswesen mehr Beachtung finden. Das vorliegende Heft enthält einige Beiträge, an denen das deutlich wird. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.