Saubere Luft ist eine wesentliche Voraussetzung für die Gesundheit der Bevölkerung und des Einzelnen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat aufgrund der eindeutigen Ergebnisse von Studien die Richtwerte zur Luftqualität im Jahr 2021 deutlich verschärft ([1]; Tab. 1). Insbesondere wurde eine deutliche Absenkung des Jahresmittelwerts von Feinstaub mit einem aerodynamischen Durchmesser bis 2,5 µm (Particulate Matter: PM2,5) auf Werte unterhalb von 5 µg/m3 empfohlen. Die WHO empfiehlt zudem eine Absenkung der Langzeitbelastung gegenüber dem gasförmigen Luftschadstoff Stickstoffdioxid (NO2) auf unter 10 µg/m3 im Jahresmittel und von Ozon (O3) auf weniger als 60 µg/m3 im max. 8 h-Mittelwert der Hochsaison (6 Monate). Diese Luftschadstoffe treten aufgrund gemeinsamer Quellen sowie chemischer und physikalischer Prozesse zusammen in einem Gemisch auf [2].

Tab. 1 Richtwerte für Feinstaub (PM2,5), Stickstoffdioxid (NO2) und Ozon (O3) aus Empfehlungen der WHO 2005 und 2021, aktuelle EU-Standards seit 2008 sowie im Jahr 2022 vorgeschlagene neue EU-Standards

Luftschadstoffe erhöhen die Krankheitslast von Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Demenz bei Erwachsenen und führen auch bei Kindern zu Atemwegserkrankungen und Einschränkungen der gesundheitlichen Entwicklung [3, 4]. Oberhalb der WHO-Richtwerte steigt das Mortalitätsrisiko, wie in großangelegten Studien in Europa und Nordamerika für den Bereich der niedrigen Luftschadstoffkonzentrationen belegt wurde [5,6,7]. Wichtig ist dabei, dass sowohl durch die Spitzenbelastungen an einzelnen Tagen als auch durch die Jahresmittelkonzentrationen gesundheitliche Auswirkungen beobachtet werden. Aus diesem Grund werden sowohl Kurzzeit- als auch Langzeitgrenzwerte zum effektiven Gesundheitsschutz benötigt.

Die Konzentrationen der meisten Luftschadstoffe sind in den letzten Jahrzehnten in Deutschland gesunken, so dass die bisher geltenden Grenzwerte der Europäischen Union (EU) von 2008 (Tab. 1) eingehalten werden [8]. Die WHO-Richtwerte von 2021 wurden im Gegensatz dazu im Jahr 2022 an 100 % der deutschen Messstellen (223 von 223) für den Jahresmittelwert von PM2,5 und an 80 % der Messstellen (425 von 533) für den Jahresmittelwert von NO2 überschritten.

Die Fachgesellschaften im Bereich der Lungenerkrankungen und der Umweltepidemiologie fordern eine rasche Umsetzung der WHO-2021-Richtwerte in die Europäische Luftqualitätsrichtlinie [9]. Dieser Forderung schließt sich die Kommission „Environmental Public Health“ nachdrücklich aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht an.

Die im Gesetzesentwurf der Europäischen Kommission von 2022 vorgeschlagene deutliche Verschärfung der Grenzwerte für PM2,5 und NO2 [10] ist aber aus Sicht der Kommission „Environmental Public Health“ für einen effektiven Gesundheitsschutz immer noch unzureichend. Zudem fehlt ein verbindlicher Grenzwert für O3. Aus Sicht des Gesundheitsschutzes sind bei der Überarbeitung der Gesetzgebung folgende Aspekte wichtig:

  1. 1.

    Festlegung von verbindlichen Grenzwerten entsprechend den Empfehlungen der WHO von 2021, insbesondere für PM2,5 und NO2 als Jahres- und 24-Stunden-Mittelwerte sowie als 6‑Monats- und 8‑h-Mittelwerte für O3 und die Einhaltung dieser Grenzwerte ab dem Jahr 2030;

  2. 2.

    Geltungsbereich der Grenzwerte an allen Orten in Europa, um einen flächendeckenden Gesundheitsschutz in Deutschland und ganz Europa zu ermöglichen;

  3. 3.

    Fortführung und Ausbau der etablierten Ländermessnetze, um Luftqualität an besonders belasteten Orten im urbanen und ländlichen Umfeld zu erfassen. Die gewonnenen Daten können als Grundlage für Luftreinhaltungsmaßnahmen dienen.

  4. 4.

    Ausbau der Luftqualitätsmessungen für die bisher nicht regulierten ultrafeinen Partikel und Rußpartikel, entsprechend den Empfehlungen der WHO 2021;

  5. 5.

    Verknüpfung von Maßnahmen zur Luftreinhaltung und zum Klimaschutz.

Wenn die Grenzwerte für Luftschadstoffe gesenkt werden, sind für deren Einhaltung gesellschaftliche und politische Veränderungen erforderlich, vor allem in Bezug auf Mobilität, Energienutzung und -erzeugung, Stadt- und Raumplanung sowie Industrie (speziell auch Agrarindustrie). In allen Sektoren ist ein europaweites Umdenken notwendig. Eine strenge Regulierung der Luftschadstoffe entsprechend den Empfehlungen der WHO 2021 würde zu einem volkswirtschaftlichen Nettonutzen von 38 Mrd. € im Jahr und zu einem Anstieg des Bruttosozialprodukts von bis zu 0,44 % im Jahr 2030 in Europa führen [11].

Die Verbesserung der Luftqualität hat neben den direkten positiven Auswirkungen auf die Gesundheit auch wichtige indirekte positive Wirkungen in Hinblick auf die Eindämmung des Klimawandels und seiner gesundheitlichen Folgen. Ambitionierte Grenzwerte für Luftschadstoffe unterstützen technologische Pfade zur Kohlendioxidneutralität und zur Nutzung von erneuerbaren Energien. Niedrigere Luftschadstoffbelastungen dämmen die gesundheitlichen Auswirkungen von Hitze ein, wie aktuelle Analysen für Interaktionen zwischen hohen Lufttemperaturen und -schadstoffen in Bezug auf die Mortalität in Deutschland belegen [12].

Daher wird aus Sicht der Kommission ein begleitendes Monitoring der erreichten Minderungen der Luftschadstoffkonzentrationen gemeinsam mit wetterbasierten Klimawandelindikatoren empfohlen. Idealerweise sollten dafür die bereits seit vielen Jahren existierenden Messstationen mit hochauflösenden Aerosolmessungen in einem Netzwerk integriert werden, da sie insbesondere die Veränderungen in den ultrafeinen Partikeln abbilden. Die Daten könnten bei der Anpassung von Luftreinhaltungsmaßnahmen unterstützen. Die Messstationen der Ländermessnetze sollten durch Messungen der Partikelanzahlkonzentration ergänzt werden, um die Belastung durch ultrafeine Partikel abschätzen zu können.

Auf der Seite der Gesundheitsforschung ist das Monitoring mit Hilfe von täglichen und regional aufgelösten Todesfall- und Krankenhauseinweisungsdaten zur Abschätzung der Krankheitslast erforderlich, die aufgrund von kurzzeitig erhöhten Schadstoffkonzentrationen entsteht. Eine Erfassung der Sichtweise der Bevölkerung im Rahmen von regelmäßigen Gesundheitserhebungen ist notwendig, um die gesundheitlichen und gesellschaftlichen Aspekte abzubilden. Zudem führen die NAKO-Gesundheitsstudie (NAKO) und andere Kohortenstudien detaillierte prospektive Untersuchungen der Krankheitsentstehung in Deutschland durch. Sie bieten eine exzellente Ausgangsposition, um die langfristigen, positiven Auswirkungen der Luftqualitätsverbesserung auf die Gesundheit der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Gruppen abzubilden.

Die Vorschläge der EU-Kommission (Tab. 1) bedeuten eine deutliche Verbesserung gegenüber den bestehenden Grenzwerten, sind aber im Lichte des heutigen Wissenstands nicht in der Lage, die Gesundheit der Bevölkerung und des Einzelnen wirksam zu schützen. Die Kommission „Environmental Public Health“ stellt fest, dass deutlich ambitioniertere Grenzwerte notwendig sind, um einen effektiven Gesundheitsschutz in Deutschland und in ganz Europa zu ermöglichen, und fordert daher, dass Luftschadstoffgrenzwerte entsprechend den WHO-Empfehlungen von 2021 in Europa verbindlich werden.

Mitglieder der Kommission „Environmental Public Health“

Kommissionsmitglieder: Prof. Dr. Gabriele Bolte (Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen), Prof. Dr. Caroline Herr (Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit Bayern), Prof. Dr. Astrid Heutelbeck (Institut für Arbeits‑, Sozial- und Umweltmedizin, Universitätsklinikum Jena), Dr. Henk Hilderink (Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu, Hilversum), Prof. Dr. Barbara Hoffmann (Institut für Arbeits‑, Sozial- und Umweltmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf), Prof. Dr. Claudia Hornberg (Medizinische Fakultät OWL, Universität Bielefeld), Prof. Dr. Thomas Kraus (Institut für Arbeits‑, Sozial- und Umweltmedizin, Uniklinik RWTH Aachen), Prof. Dr. Tobia Lakes (Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Andreas Matzarakis (Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung, Deutscher Wetterdienst Bereich Klima und Umwelt, Freiburg), Dr. Odile Mekel (Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen), Prof. Dr. Annette Peters (Institut für Epidemiologie, Helmholtz Zentrum München), Dr. Martina Ragettli (Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut, Basel – Allschwil), Prof. Dr. Doreen Reifegerste (Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld), Prof. Dr. Dennis Nowak (Instituts- und Poliklinik für Arbeits‑, Sozial- und Umweltmedizin, Ludwig-Maximilians-Universität Klinikum München), Dr. Alexandra Schneider (Institut für Epidemiologie, Helmholtz Zentrum München), Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann (Medizinische Fakultät – Lehrstuhl für Umweltmedizin, Universität Augsburg), Prof. Dr. Hajo Zeeb (Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS und Universität Bremen)